Erste Schritte sind nur der Anfang - und ich gehe weiter (Achtung Trigger: Missbrauch)

Ich war einmal eine junge Frau anfang 20 mit verrückten Ideen, voller Drang die Welt zu bereisen. Ich fühlte mich sexy und hatte Spaß daran Männerblicke auf mich zu ziehen. Und ich wollte die große weite Welt der Lust und Leidenschaft entdecken. Ich wolte auf Reisen gehen und meine Bedürfnisse, Wünsche und die Liebe erleben.

So stieß ich auf einen Mann. Wir haben geschrieben, uns 3 Tage später getroffen... und das ganze Wochenende zusammen verbracht. Es war toll und so unkompliziert vieles ausprobieren zu können. Ohne Scheu berühren, lieben, auf Entdeckung gehen. So viele erste Male durfte ich in diesen glücklichen Tagen erleben. Jetzt weiß ich: ich mag Analsex, fisten und ich bin stolz darauf nach etwas Training seinen ganzen Penis in den Mund bekommen zu haben. Es war berauschend. Er hat meinen Po gespankt dass er blau war. Ich habe ihn mit einem Gürtel verprügelt, Er hat mich gefesselt und an den Haaren gezogen, ich habe ihn geknebelt - es war lustvoll, neu und voller freudiger Spannungen. Und zwischendurch haben wir herzlich darüber gelacht. Endlich wilder Sex und die Möglichkeit alles auszuprobieren wovon ich bisher nur träumen konnte.

Viele Erinnerungen sind geblieben. Aber noch viel mehr verschwimmt... Abläufe, Handlungen, Gefühle... was ist passiert? Vieles weiß ich nicht mehr. Kann nicht mehr bewusst darauf zugreifen was wann genau passierte.

Ich weiß der Anfang war der Höhepunkt.

Es fühlte sich so toll an mit meinem neuen Partner auch so ungezwungen reden zu können. Wir sprachen über Bedürfnisse, Erregung, Menschlichkeit und Entwicklung. Er sagte mir wie toll ich sei und dass ich alle seine Wünsche erfülle.

Und dann konnte ich meine Rolle nicht mehr erfüllen. Der große Reiz des dominanten Parts war unmöglich. Ich war viel zu unsicher und zögerlich. Ich stellte mich in Frage. Deshalb lag ich dann gefesselt auf dem Küchentisch und hatte seinen Penis so tief im Mund bis ich gekotz habe und Angst hatte keine Luft mehr zu bekommen. Nachdem ich wieder atmen konnte habe ich das Safewort benutzen und konnte mich dann im Bad einschließen um mich zu beruhigen und mir die Zähne zu putzen. Als ich dann eingerollt auf dem Sofa lag hat er mich gefragt wie wir jetzt weitermachen - er sei ja noch nicht zu seinem Orgasmus gekommen... da hatte ich schon das Gefühl dass da was nicht stimmt. Allerdings hatte ich in dem Moment so wenig Gefühle für mich selbst dass ich nicht angemesssen reagieren konnte.

Angemessen reagieren konnte ich auch nicht als...

... er mir erklärte: wenn du sub bist ist es dein Ziel mir größte Lust und Orgasmus zu bescheren und wenn du dom bist dann ist es dein Ziel mir größte Lust und Orgasmus zu bescheren. Seine Ausführung dazu klang durchaus logisch.

... er trotz meinen Erklärungen warum ich nicht will, darauf bestand zu spielen.

... ich abstürzte, zusammenbrach, weinte, mich nicht mehr bewegen konnte, nicht mehr fähig das safewort zu benutzen . und er mich einfach weiter fickte bis er kam (anal, ich war gefesselt, geknebelt, weiß nicht mehr genau). Ich weiß bis heute nicht ob er es überhaupt bemerkte

... ich merkte dass etwas ganz gewaltig nicht stimmte.

Sicher - mir ging es nicht gut dabei. Ich habe mich immer mehr gefragt, was ich falsch mache, dass ich so gar keine Lust mehr habe zu spielen, auf meinen Partner und Sex ganz allgemein. Plötzlich war ich verängstigt sobald es um ansatzweise sexuelle Handlung ging. Ich konnte ihn nicht mehr berühren und seine Berührungen kaum noch ertragen. Schon bei dem Gedanken an Sex verknotete sich mein Bauch, ich konnte nicht mehr schlucken, nicht mehr sprechen, nicht mehr klar denken. Auf viele Erinnerungen an Geschehenes kann ich bis heute nicht zurückgreifen.. Und zeitweise konnte ich keinen Mann der mir zufällig auf der Straße begegnete anschauen ohne dass mich dieses ungute Gefühl überkam. Ich fühlte mich falsch und gab mir selbst die Schuld daran. Das hatten wir ja in vielen Gesprächen ausgiebig erörtert. Was muss ich entwickeln, um ihn wieder sexuell befriedigen zu können, was muss ich lernen, um wieder lustvoll spielen zu können und was muss ich tun, um ihm eine gute Freundin und Partnerin zu sein. Ich habe es doch schon gekonnt.

Was habe ich denn auf dem Weg verloren?

Verloren? Verloren habe ich meine Selbstachtung, meine Unbeschwertheit, meine Selbstliebe, meine Lust,... Und vor allem eines habe ich aus den Augen verloren: MICH

Diese selbstbewusste, begeisterungsfähige unbeschwerte junge Frau gab es nicht mehr. Das Gefühl die ganze Welt erobern zu können war verschwunden.

Gespürt habe ich gar nichts mehr.

Irgendwann kam dann der Schmerz...

Die Wunden heilen langsam - aber sie heilen. Und manchmal spüre ich wie sich etwas in mir wieder zusammenfügt. Wie ich einen kleinen Frieden mit mir selbst schließen kann. Und dann spüre ich daraus wachsend eine Kraft die da vorher nicht war. Weil ich mich jetzt besser kenne. Diese junge Frau bin ich immer noch. Ich sehe nur jetzt dass ich noch viel mehr bin. Und dass ich deshalb auch nicht in diese Rolle passen konnte.

Ich bin ein Mensch. Und Menschen machen Fehler. Deshalb werde ich lernen mir zu verzeihen. Und das gute ist: Ich darf wachsen auf diesem Weg, mich in alle Richtungen weiterentwickeln.

Hab keine Angst verletzt zu werden. Die Wunden zeigen viele wunderschöne Seiten an dir, die du vielleicht selbst noch nicht kanntest. Hab keine Angst dich von dir zu entfernen. Sei nur bereit wieder zu dir zurück zu kehren wenn du merkst, dass du auf deinem Weg von dem abgekommen bist, was du sein willst. Ich verspreche dir: es gibt nichts schöneres als die Vereinigung mit sich selbst. Dann stellt man fest wie man über sich selbst herausgewachsen ist.

Und darum geht es doch beim BDSM. Grenzen erkennen und überschreiten, sich selbst entdecken und dabei neue Saiten zum erklingen bringen.

 

Autorin Annlyk

Du bist nicht angemeldet.
 Einloggen / Registrieren