Interview mit Faintly

Gentledom: Hallo Faintly, könntest du dich kurz vorstellen, damit wir uns ein Bild von dir machen können?

Faintly: Ich bin eine 44 jährige Frau, bin verheiratet und habe zwei erwachsene Kinder. Ich arbeite in einer Anwaltskanzlei und wenn neben Beruf und Familie Zeit bleibt, dann mache ich gerne Sport, schreibe, male und interessiere mich für Kunst ganz allgemein.

Gentledom: Du nutzt immer den Nick „faintly“. Hat dieser eine besondere Bedeutung für dich?

Faintly: Ja, in gewisser Hinsicht schon. Der Name hat für mich eine gewisse Bedeutung. „Faintly“ bedeutet ja zaghaft, doch normalerweise bin ich ganz und gar nicht zaghaft. Im Gegenteil, wer mich kennt weiß, dass ich für jede Verrücktheit zu haben bin und es gerne wild mag. Als verheiratete Frau und Mutter habe ich schon diverse Krisen überstanden.
Ich stehe mit beiden Beinen fest im Leben, bin ich geschätzt in meinem Job, trage eine Menge Verantwortung, bin emanzipiert und lebensfähig. Bis vor kurzem fühlte ich mich also alles andere als „faintly“.

Gentledom: Also ein Mensch, der im Alltag viel Wert auf Kontrolle legt. Reizt dich BDSM deswegen, weil es auch darum gehen kann, in einem gewissen Rahmen Kontrolle und Verantwortung abzulegen?

Faintly: Nein, ich glaube nicht, dass es mit meinem Alltag zu tun hat. Jedenfalls nicht viel. Wenn ich so zurückblicke, hatte ich die ersten Tendenzen zu dieser Neigung nämlich bereits vor der Pubertät und da hatte ich weder Verantwortung noch musste ich kontrolliert handeln.

Gentledom: Wie hast du zum ersten Mal bewusst deine Neigung gespürt?

Faintly: Die latente Neigung habe ich schon immer in mir gespürt, vor allem der Wunsch nach Überwältigung und Ausgeliefertsein war schon sehr früh vorhanden. Ich habe dem aber nie Raum gegeben, sondern diese Gefühle eher verdammt und vergraben und nur beim Sex zugelassen. Vermutlich weil es mir so „falsch“ erschien so zu empfinden.

Gentledom: Warum war es falsch für dich und was hat deine Meinung geändert, oder ist es auch heute noch eine Gradwanderung zwischen Sehnsucht und Scham?

Faintly: Eine Frau, die sich wünscht von einem Mann überwältigt zu werden und Schlimmeres...? Nun, das ist - zumindest allgemein gesellschaftlich - sicherlich eher höchst ungewöhnlich und eben nicht "normal".
Heutzutage ist man als Frau emanzipiert, selbstbewusst und unabhängig. Eine Gradwanderung zwischen Sehnsucht und Scham ist meine Neigung also auch jetzt noch. Allerdings habe ich ja auch erst vor ein paar Monaten überhaupt entdeckt, was genau das eigentlich ist, was ich da in mir spüre und dass das „Kind einen Namen“ hat: BDSM. Dass es so viele andere Menschen gibt, die so fühlen wie ich, hat mich erstaunt und zugleich fasziniert. Seitdem befasse ich mich damit und fange an, mich innerlich damit auseinanderzusetzen.

Gentledom: Stimmt, wir sind nicht allein und es gibt wirklich einige von uns. Gab es denn einen Auslöser, dass sich dein Bild geändert hat und du schauen wolltest, was hinter diesen vier Buchstaben steckt?

Faintly: Ja allerdings. Vor ein paar Monaten habe ich mir bei amazon ein ziemlich pikantes Buch auf meinen E-Reader geladen: „Verführung und Bestrafung“ von Linda Mignani. Wie üblich nahm ich den Reader mit zum Sport (40 Minuten Crosstrainer sind einfach viel zu langweilig ohne ein gutes Buch).
Schon nach den ersten paar Seiten war mir klar, dass ich den Reader lieber weglegen sollte, denn trotz des grottigen Schreibstils hielt das Buch, was der Titel versprach. Irgendwann, so nach 30 oder 40 Seiten, wurde mir bewusst, dass ich beim Lesen leise stöhnte und erregt die Lippen zusammenpresste. Zum Glück war niemand in Hörweite.
Mit leisem Prickeln im Bauch hab ich also weiter gelesen; die Geschichte war für mich die reinste Offenbarung. Mit jeder Seite wurde eine Stimme in mir lauter, die schrie: „Das ist es! Das ist genau das, was ich schon immer wollte!“ Natürlich war da auch noch die andere Stimme, die die immer da ist: „Bist du bescheuert? Das ist doch total krank und pervers!“
Dann waren die 40 Minuten auf dem Crosstrainer erstmal vorbei und ich absolvierte den Rest meines Workouts mit wirrem Gedankensalat im Kopf und unüberhörbarem Pochen im Unterleib.
Zuhause angekommen verzog ich mich unter einem Vorwand sofort mit dem Buch ins Schlafzimmer und las begierig weiter. Wer einen E-Reader hat, weiß sicherlich den Vorteil zu schätzen, dass man nur eine Hand braucht, um das Gerät zu halten, während die andere Hand tun kann, was sie will…

Die Geschichte war schnell zu Ende gelesen und alles in mir schrie nach einer Fortsetzung. Das war genau das Kopfkino, das ich schon immer gehabt hatte; schon als Jugendliche. Erst jetzt ging mir auf, dass ich kaum je anders erregt worden war, als durch genau solche Fantasien. Ich hatte das nur immer hübsch da gelassen, wo es meiner Meinung nach hingehörte: Tief, tief unten im Abgrund.

Tja, und bei meiner Suche nach ähnlicher Lektüre auf amazon stieß ich dann zum ersten Mal auf die vier Buchstaben „BDSM“. Von da an wusste ich konkret, wonach ich suchen musste, wenn ich mehr Informationen wollte. Von dem, was ich fand, fühlte ich mich gleichzeitig hingezogen und abgestoßen. Zu erfahren, dass man anders ist, deutlich von der „Norm“ abweicht, noch dazu auf eine Art und Weise, die gesellschaftlich ganz und gar nicht akzeptiert wird, war aufregend und zugleich beängstigend und beschämend.
Von jetzt an folgte eine schlaflose Nacht der anderen. Das Chaos in meinem Kopf wollte einfach nicht aufhören. Trotzdem spürte ich, dass es jetzt kein Zurück mehr geben konnte. Ich wollte mehr erfahren. Wollte sichergehen, ob das wirklich auf mich zutraf.
Also begann ich mich voll zaghafter Neugier, aber auch durchaus lustvoll, durch einschlägige Internetseiten und diverse Foren zu „knabbern“, in der vagen Hoffnung, dass sich mein Verdacht evtl. in Luft auflöst. Das Gegenteil war der Fall. Einiges was ich las, hat mich zutiefst erschreckt und abgestoßen und immer wieder schoss mir der Gedanke durch den Kopf: „Oh Gott, was mach ich hier eigentlich?“
Aber immer wieder stieß ich auch auf die Stimmen und Berichte derer, die genau das aussprachen, was in mir vorging und die genau das auslebten, was ich mir für mich selbst wünsche.

Gentledom: Wenn du dich derzeit langsam herantastest, was denkst du wird dich als nächstes auf deiner Entdeckungsreise erwarten können?

Faintly: Entweder eine Menge Schwierigkeiten oder für immer ungestillte Sehnsucht. Da ich verheiratet bin und mein Mann absolut entsetzt wäre über meine Neigung, kann ich nicht so, wie ich gerne möchte.
Zunächst werde ich natürlich weiter darüber lesen und Forenkontakte suchen. Ich bin auch schon für April zu einem Gruppentreffen eingeladen worden, aber ich weiß nicht, ob ich dahin gehen kann oder vielmehr, ob ich mich das traue, so ganz alleine ist das irgendwie komisch, also doch ein bisschen „faintly“.

Gentledom: Da haben wir den Brückenschlag zur Eingangsfrage geschafft. Wenn du es dir gerade erst selber eingestanden hast, wie schlimm war dann die Reaktion deines Mannes für dich?

Faintly: Meine bisherigen Versuche, mit ihm darüber zu reden, sind leider sehr schlecht aufgenommen worden, was mich nicht weiter verwundert. Immer, wenn ich ihm in der Vergangenheit vorsichtig versucht habe, meine Wünsche mitzuteilen (harten Sex, grob sein oder wenigstens mal Hände festhalten etc.), hat er dies nur sehr halbherzig ein- zweimal mitgemacht. Er steht halt auf Vanille, ohne Wenn und Aber und er würde mir niemals erlauben, meine Neigungen mit anderen Partnern auszuleben.

Gentledom: Wenn es mit deinem Partner nicht geht, hast du es denn dann selbst ausprobiert - wie sich zum Beispiel eine Klammer anfühlt?

Faintly: Tse, ja klar. Aber sich selbst Schmerzen zuzufügen macht keinen Spaß, das ist, als würde man sich selbst kitzeln, da fehlt einem die Spannung, die Unterwerfung und das Ausgeliefert sein vollkommen. Diese Dinge sind hierbei jedoch entscheidend.

Gentledom: Siehst du denn darin eine Gefahr für eure Beziehung? Sehnsüchte sind ja doch recht starke Triebfedern.

Faintly: Ich sehe eigentlich nur die Gefahr, dass ich auch in Zukunft darauf verzichten muss, meine eigentlichen Wünsche auszuleben. Dies wird wohl auch weiterhin nur in meiner Fantasie gehen oder natürlich, wenn ich heimlich SM-Bücher auf meinem Kindle lese.

Gentledom: Wenn du im April zu dem Treffen gehen würdest und dein Mann würde davon erfahren, was denkst du, wäre seine Reaktion?

Faintly: Wenn ich mich dazu entschließen würde, würde ich eine Kette von Lügen in Gang setzen, schließlich geht es ja nur heimlich. Käme es heraus, wäre mein Mann wahnsinnig sauer und irritiert. Er würde sich zurückziehen, vermutlich würden eine Menge Tränen fließen, aber er würde sich nicht scheiden lassen. Ich denke aber, er würde es mir als "Fremdgehen" auslegen, wenn ich zu einem Gruppentreffen ginge.

Gentledom: Hast du dich denn jemandem bisher anvertrauen können, den du auch real kennst?

Faintly: Nein, ich kenne keine Person in meinem Umfeld, mit der ich das teilen könnte.

Gentledom: Wie viel Zeit investierst du denn derzeit in deine Entdeckungsreise?

Faintly: Hm, wenn man die Gedanken, die ständig in meinem Kopf kreisen mitrechnet? Zurzeit sicher die Hälfte des Tages. Im Grunde habe ich längst akzeptiert, was mit mir los ist, die Frage ist nur: Wie wichtig ist es mir, dies auch auszuleben? Ist es das wert, dafür meine Ehe zu zerstören? Freunde zu verlieren? Was gewinne ich? Was verliere ich? Und außerdem: Ist es in der Realität immer noch erstrebenswert oder nur in meiner Fantasie?
Letztlich steht für mich ja immer noch die Frage offen, ob Fantasie und Wirklichkeit am Ende überhaupt übereinstimmen würden. Ich hatte ja bislang keine Gelegenheit, irgendwelche BDSM-Erfahrungen zu machen und kann somit nicht mit letzter Gewissheit sagen, ob mir das, was meine Fantasie so faszinierend findet, auch in der Realität gefallen würde.
Meine dahingehenden Selbstversuche waren recht entmutigend, aber es ist eben nicht das Gleiche, ob man sich selbst mit dem Lineal den Hintern verziert oder ob man es erdulden muss, weil man jemandem ausgeliefert ist usw.

Gentledom: Hast du denn neben all diesen Fragen in der Zeit, seitdem du dich damit beschäftigst, auch schon Antworten gefunden?

Faintly: Naja, rein sachlich habe ich natürlich eine Menge erfahren: Ich weiß jetzt, dass es sowohl devote als auch dominante Neigungen in unterschiedlichen Ausprägungen und Spielarten gibt. Nicht jeder mag alles.
Manche "spielen" ja z.B. nur und leben ansonsten ganz "normal". Andere leben das 24/7 Modell. Und es gibt scheinbar verdammt viele Möchtegern-Doms, vor denen ich mittlerweile ausgiebig gewarnt wurde, aber ich suche ohnehin keinen neuen Partner, insofern ist das für mich irrelevant.

Gentledom: Wenn es eine BDSM Fee geben würde, was würdest du dir dann von ihr wünschen?

Faintly: Natürlich, dass mein Partner dominant wäre, ein echter Dom eben und dass ich schon viel, viel früher dahinter gekommen wäre, was ich eigentlich will.

Gentledom: Was macht einen echten Dom aus und wenn du früher hinter deine Neigung gekommen wärst, was denkst du, wäre dann anders gelaufen?

Faintly: Zu Punkt eins: Da hab ich natürlich nicht viel Erfahrung, rede also wie die Blinde von der Farbe. Er wäre vor allen Dingen auch souverän, nicht nur dominant. Ein Mann mit gesundem Selbstbewusstsein. Jemand, der auch mit leisen Worten genau das bekommt, was er will; ohne sich aufplustern zu müssen. Er weiß, was mir gut tut und geht auch darauf ein, nicht nur ausschließlich auf das, was ihm persönlich gefällt. Geben und nehmen.
Zu deiner zweiten Frage: Wenn ich früher hinter meine Neigung gekommen wäre, hätte ich mir von vorneherein einen Partner gesucht, der zu mir passt.

Gentledom: Das hört sich an, als wäre dir dieser Bereich wirklich sehr wichtig geworden. Denkst du, man kann nur wirklich glücklich sein, wenn man als devote Person einen dominanten Partner an seiner Seite hat?

Faintly: Ich vermute schon. Sonst hat man immer das Gefühl, dass irgendetwas fehlt.

Gentledom: Glaubst du, du wirst wegen diesem Gefühl, es fehlt etwas, in Zukunft eine Dummheit machen?

Faintly: Tja, das ist genau der Kampf, den ich gerade führe: Chaos im Kopf...

Gentledom: Also Engelchen und Teufelchen auf deiner Schulter.

Faintly: Manchmal denke ich: "Oh Mann, was machst du hier eigentlich? Lösch den ganzen Müll" und dann wieder: "Du bist so, steh dazu". Es ist sehr spannend, aber auch nervenaufreibend.

Gentledom: Kostet dich dieser Kampf denn viel Energie?

Faintly: Ja. Das liegt in meinem Fall aber natürlich auch daran, dass ich eben nicht frei bin, einfach zu probieren, wonach mir ist. Aber ich glaube, ich habe auch Angst, es zu probieren, weil es mir wirklich gefallen könnte... und dann?

Gentledom: Dann würde die Sehnsucht nur noch größer werden und damit steigt die Gefahr, erwischt zu werden. Neben der Angst vor der Reaktion deines Mannes, was wären die anderen Ängste, die dich beschäftigen?

Faintly: Der Verlust meines Mannes wäre ja keine isolierte Angelegenheit. Damit verbunden wären wirtschaftliche und gesellschaftliche Implikationen. Und das schlechte Gewissen, den Menschen, die ich liebe, weh zu tun.

Gentledom: Und bevor du dir deine Neigung eingestanden hast, gab es da jemals eine ähnliche Gefahr für deine Beziehung?

Faintly: Nein, niemals.

Gentledom: Wenn es bei dir aber ein solcher Kampf ist, brennt mir eine Frage unter den Fingern: Gäbe es eine Pille, mit welcher du deine Neigung von heute auf morgen vollkommen ablegen könntest, würdest du sie nehmen?

Faintly: Á la Matrix ?

Gentledom: Genau das Bild hatte ich vor Augen.

Faintly: Ja, ich glaube, ich würde sie nehmen, weil ich an meiner persönlichen Situation nichts ändern kann. Ich werde meine Neigung niemals ausleben können, es sei denn, ich bin bereit, dafür alles andere aufzugeben, selbst auf Kosten anderer.

Gentledom: Was würdest du anderen Anfängern mit auf den Weg geben wollen?

Faintly: Mut, zu sich selbst zu stehen, aber sich nicht vorschnell auf Dinge einzulassen, nur weil sie in ihrer Fantasie gut zu sein scheinen. Man sollte lieber langsam an die Sache heranzutreten und nach und nach seine Neigungen und seine persönlichen Grenzen kennen lernen.

Gentledom: Ein schöner Schlusssatz. Ich möchte mich für deine Offenheit und Zeit herzlich bedanken und hoffe, dein Interview hilft auch anderen bei ihren ersten Schritten.

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