Spuren

Spuren sind Zeugnisse der Ereignisse, die ihnen voran gingen und zu ihrer Entstehung führten. Ob willkommen oder nicht, erinnern und begleiten sie uns über das eigentliche Geschehen hinaus, manchmal ein Leben lang.

Fältchen umringen irgendwann unsere Augen, vielleicht gräbt sich eine Furche um die Mundwinkel, eventuell zeugen Narben von schlimmen Verletzungen, schweren Stunden voller Schmerzen und Angst, vielleicht aber auch nur von einem Sturz eines übermütigen Kindes. Die Schönheit oder Unansehnlichkeit dieser Art Zeitzeugen liegt im Auge des Betrachters, und dessen Blickwinkel wird letztendlich wesentlich von der Art der Erinnerung oder Assoziation über den Ursprung dieser Spuren bestimmt.

Fältchen um die Augen werden häufig positiver bewertet als eine Furche um den Mund, erinnern sie uns doch an die Mimik eines Lächelns. Die von vermeintlicher Bitterkeit zeugenden, herabhängenden Mundwinkel sehen wir nicht so gerne. Dabei sind sie genauso eine Laune der Natur wie alle anderen Falten auch und sagen nichts über das Gemüt des Trägers aus.

Ob wir unsere Spuren schön finden oder unangenehm, bestimmt letztlich unseren Umgang mit ihnen. Sie können uns Mahnmal schlimmer Zeiten sein, uns an einstige Freuden und Übermut erinnern, oder es spiegelt sich darin einfach unserer Leben im Gesicht. Eines ist ihnen allen gemein – sie werden uns begleiten und bei denen, die sie sehen, Assoziationen hervorrufen. Genau das ist das Schöne – und genau das ist das Problem!

Denn was mache ich mit Spuren, die in einer Nacht genussvoller Leidenschaft in des Wortes doppelter Bedeutung entstanden, und die über den einen oder anderen Kratzer hinaus gehen? Im Licht des nächsten Tages sind die Zeichen der Lust der letzten Nacht oft einfach nur noch rote Striemen und blaue Flecke, die mit der Zeit in immer weniger erotischen Farben schillern, bevor sie endlich verschwinden. Ein Teil von mir möchte sich vor dem Spiegel staunend, bewundernd drehen und wenden, jede Linie betasten und der Erinnerung an die gefühlte kraftvolle Lust und Lebendigkeit nachhängen. Dieser Teil würde auch gern mit übermütigem Stolz sagen – seht her, was ich kann, welchem Orkan ich mich stellen kann. Der andere Teil von mir kann dem Blickwinkel Außenstehender sehr gut folgen und sieht keine Spuren der Lust, sondern Verletzungen.

Verletzungen, die, werden sie einem geliebten Menschen zugefügt, beim Betrachten schmerzen und Angst um das Wohl des anderen hervorrufen. Ich empfinde es als egoistisch und überheblich, andere Menschen gewollt provokativ diesen verständlichen negativen Assoziationen und Sorgen auszusetzen. Es sollte möglich sein, das zu vermeiden und derartige Spuren eben zu verbergen. Das ist sicherlich auch besser, wenn es um wirklich Außenstehende geht. Ein eventueller Verzicht auf einen Schwimmbad- oder Saunabesuch oder ähnliches sollte kein so schwerwiegendes Problem sein. Schwieriger wird es schon für z.  B. den/die Krankenpfleger/in oder in der Sammelumkleide. Aber auch da lässt es sich gut tricksen, und keiner muss vor den Kopf gestoßen werden.

Was aber, wenn der/die Unbeteiligte so außen vor gar nicht ist? Was, wenn es, wie in meinem Fall, der eigene Ehemann ist? Was, wenn man auch noch Mutter/Vater ist und plötzlich für das Kind ganz ungewohnt heimlich ins Bad huschen muss? Dann stellt der Umgang mit diesen Spuren eine nicht unwesentliche Herausforderung dar. Dieser Herausforderung muss sich jeder in unterschiedlichen Umfang stellen, der diese Leidenschaft mit mir teilt.

Es ist natürlich möglich, durch verschiedene technische Tricks die Bildung von Hämatomen zu verhindern oder einzuschränken (siehe hierzu link gentledom). Ich empfinde vieles davon zugegebenermaßen jedoch als Bremse der gegenseitigen Lust.

Durch Erklären, Zeigen meiner Sichtweise und Empfindungen konnte ich Ängste eindämmen, aber nicht vollständig zerstreuen. Und so ist mein Umgang mit dieser Art von Spuren, sie bis auf ganz wenige Ereignisse im Jahr schlicht weg zu vermeiden und sie nur im Auge eines Betrachters zu spiegeln, der meine Sicht darauf teilt.

Der paradoxe Gefühlsbogen zwischen Stolz auf und Scham über die Zeichen meiner Übermut findet in diesem Blick seine ganz eigene Entsprechung.

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