Herbstzeitlose

Es gibt Plätze, wo man seinen Blick schweifen lässt und sich nicht abwenden kann von der Natur, die sich offenkundig keck zur Schau stellt. Wo man seelenruhig verweilen mag, um sich in stillen Momenten neu zu entdecken.
Als solchen Ort empfand Valerie den Bois de Bologne, der im Herzen ihrer Stadt liegt. Sie war schon so oft dort, dass sie meinte, jeden Baum und jeden Stein zu kennen. Manchmal erschien es ihr, als wären die alten Bäume lauter Zinnsoldaten, die wie in Reih und Glied die Gehwege zäumten. Sie waren ihr vertraut und lieb wie ein Paar alte ausgetretene Schuhe.

Sie mochte diesen Park zu jeder Jahreszeit. Sie liebte den Frühling mit seinem leisen Erwachen, den Sommer mit seiner vollen Blüte und den satten grünen Baumkronen, den Herbst mit seinen warmen weichen Tönen und den vielen Herbstzeitlosen, die sich den kalten Winden nicht beugen wollten – und selbst dem kargen weißen Winter konnte sie etwas abgewinnen.
Ihr schien es, als würde eine Melodie durch den Park getragen werden - gespielt durch das immer wiederkehrende Rauschen der Blätter und dem Klang der Schuhsohlen von hunderten Passanten, die tagtäglich dort spazieren gingen oder eiligen Schrittes den Park durchquerten. Sich dort aufzuhalten war ihr eine große Freude

Heute Morgen jedoch erschien ihr der Park kein Ort der Zuflucht zu sein. Hie und da lagen bereits kleinere Haufen herabgefallener gelber und roter Blätter, die sie zu einer anderen Zeit, in einer anderen Situation, sicherlich dazu bewogen hätten, sie mit einer fast kindlichen Freude empor zu wirbeln.
Es war schön zu sehen, wie die Blätter dann flatternd im Herbstwind wehten, um kurz darauf lautlos vor ihre Füße zu fallen. Doch weder dafür noch für etwas Anderes konnte sich Valerie an diesem frühen Morgen erwärmen. Selbst die Sinfonie, die sie sonst zwischen den Bäumen und Wegen vernahm, blieb heute ungehört.
Das Einzige, was sich ihrer Gunst rühmen konnte, waren ihre unzähligen Gedanken an ihren Geliebten und dessen Worte, die noch immer in ihr nachklangen.

Als Pierre sie mitten in der Nacht anrief, um ihr zu sagen, dass er sie morgen um halb zehn in „ihrem Café“ zu sehen wünschte, empfand Valerie das Gespräch kalt und unpersönlich. Noch ehe sie Gelegenheit dazu hatte nach dem Grund zu fragen, war die Leitung am anderen Ende tot. Nur seine Worte: „ Die Zeit ist reif“ und „Ich erwarte, dass du pünktlich bist!“ blieben noch lange Zeit in ihren Gedanken.
Zu wenig, um zu verstehen und zu viel, um nichts zu vermuten. Heute Morgen, als sie aufwachte, berührten diese wenigen Worte ihr Gemüt noch immer auf eigentümliche Weise.

Pierre war ihr Geliebter, ihr Lehrer und Meister. Durch ihn hatte sich eine Welt aufgetan, an deren Existenz sie lediglich in ihren kühnsten Träumen geglaubt hatte.
Erst durch Pierre lernte Valerie den wahren Sinn von „Demut und Gehorsam" kennen. Seine Hand führte sie streng, aber auch ebenso zärtlich wie behutsam. Stets achtete Pierre darauf, dass sie Schritt für Schritt tat. Führte sie an ihre Grenzen und manchmal auch darüber hinaus.
Was sie tat, tat sie, weil es ihr richtig und gut erschien und es Pierre gefiel. Sie sah ihn gern glücklich.Pierre war derjenige, der sie zurückhielt, wenn sie mal wieder viel zu schnell vorpreschen wollte. Dann umfasste er zärtlich ihr Kinn und sagte: „Alles wird zu seiner Zeit passieren, Kleines. Hab Geduld, lerne und vertraue mir.“ Jedes Mal fühlte Valerie sich sicher und unendlich geborgen.

Die Zeit schien also reif zu sein. Nur wofür? Das fragte sie sich, während sie mit festen und eiligen Schritten zum südlichen Ausgang ging. Valerie überquerte die breite Rue de Marsielle, die gottlob noch wenig befahren war. Mit jedem Schritt den sie tat, empfand sie ein eigenartiges Gefühl.
Mit einer Mischung aus leichter Furcht und einer latent ansteigenden Erregung bog sie in die Rue de Fontanbleu ein. Von da aus waren es nicht mehr als 20 Schritte und Valerie stand mit klopfendem Herzen vor der Tür des Cafés „Chez Moi“.

Sie öffnete die mit Ornamenten verzierte Eingangstür, sah sich im Cafe um, das zu einer so frühen Stunde kaum andere Gäste zählte. Sie erkannte Pierre sofort an der Art wie er am Tisch saß und ging in seine Richtung.
Ein gut aussehender Mann mit kurzem graumeliertem Haar, der an einem der Tische saß, an denen sie vorbeigehen musste, sah zu ihr hoch. Sein Blick heftete sich intensiv auf ihren Körper. Valerie fühlte sich aufgefordert, diesen Blick zu erwidern und nickte kurz. Um freundlich zu erscheinen, raunte sie ihm ein leises „Bonjour Monsieur“ zu.
Noch zwei, drei Schritte und sie war endlich bei Pierre, der sie wie immer endlose Sekunden vor sich am Tisch stehen ließ. Obwohl sie diese Wartezeit als unerträglich empfand, hätte sie es nie gewagt, sich ohne seine Erlaubnis hinzusetzen. Während sie mit leichter Ungeduld wartete, spürte sie noch immer das fremde Augenpaar auf ihrer Haut.

Just in dem Moment als ihr bewusst wurde, dass der Blick des Fremden sie irritiert hatte, hob Pierre seinen Kopf und sah Valerie an: „Zieh deinen Mantel aus und setz dich.“ Ohne jegliche Hast öffnete sie die kleinen silbernen Knöpfe ihres Mantels, zog ihn aus und legte ihn behutsam über die Stuhllehne.
Pierre nahm jedes kleinste Detail an ihr wahr. Valerie war bewusst, dass Pierre ihre innere Anspannung nicht entgangen war. Dennoch setzte sie sich, äußerlich ruhig wirkend, ihm gegenüber.
Wenige Minuten später brache Jean, der junge Kellner, ihr einen frisch duftenden Cafe au Lait und dazu ein warmes Croissant. Anscheinend hatte Pierre dies vorab arrangiert.
„ Iss etwas, Kleines. Du wirst es brauchen“, war das Einzige, was er zu ihr sagte.

Pierre ließ Valerie nicht einen Moment aus den Augen. Fast schienen seine Blicke sie bis in die Seele durchbohren zu wollen. So vertraut ihr ansonsten auch das Antlitz ihres Geliebten erschien – heute Morgen hatte es etwas eigentümlich Fremdes und doch zugleich Erregendes an sich.
Still trank sie vom heißen Kaffee. Während die Minuten verstrichen, fühlte sich Valerie von mehr als nur einem Augenpaar beobachtet. Ein paar Mal räusperte sie sich leicht, um der Stille ein Gesicht zu verleihen. Das stete Schweigen machte sie zusehends nervöser.
Dann ergriff Pierre ihre rechte Hand und führte sie zu seinen warmen Lippen. Kaum spürbar hauchte er ihr einen Kuss darauf: „ Liebes, erinnerst du dich daran, was ich dir über Zeit sagte?“

„Ja, das tu ich“, erwiderte Valerie.
„Ich denke, heute ist es an der Zeit, dass du einen weiteren Schritt in Richtung Demut tust . Es ist kein Tag zu früh dafür. Ich weiß, dass du stark genug bist.“
Dann bückte sich Pierre , um etwas vom Boden aufzuheben. Als er sich erhob, hielt er etwas Schwarzes in der Hand.
„Ich möchte, dass du deinen Mantel und dies hier nimmst.“ Dabei schob er Valerie einen ledernen Beutel herüber.
„Du wirst das, was du darin findest, anziehen, deine Lippen sorgsam schminken und deine Haare hochstecken, deine eigenen Sachen im Beutel verstauen und diesen dann auf dem Waschtisch liegen lassen. Wenn du damit fertig bist, wirst du deinen Mantel anziehen und langsam die Treppen herauf gehen und zum Tisch zurückkommen, dich mit leicht gespreizten Beinen mir gegenüber setzen und warten."

Valerie stockte der Atem. Für einen Sekundenbruchteil glaubte sie sich in einem der zweitklassigen Filme, die es in schummrigen Stadtkinos zu sehen gab. Fetzen der „Geschichte der O“ kamen ihr in den Sinn.
Pierre würde doch nicht... ? Nein, dies kann nur ein Irrtum sein. Sie lebten hier und jetzt und nicht in irgendeinem Buch. Für Minuten wusste Valerie nicht, was sie tun sollte. Aufstehen und gehen oder sich dem Unvermeintlichem beugen?

Alles um sie herum schien sich auf einmal zu drehen. Und sie war nicht mehr als ein Steinchen inmitten eines Kaleidoskops. Sie war verwirrt und nervös – und dies alles nur, weil Pierre sie fast um den Verstand brachte.
Hatte sie überhaupt eine Wahl? Und wenn sie wählen würde: Was würde danach geschehen? Würde er es dabei belassen oder das Szenario noch weiter ausbauen? Sie womöglich noch einen weiteren Schritt tun lassen? War sie wirklich stark genug?

All diese quälenden Fragen pochten auf ihren Schläfen. Sie biss sich kurz in die Innenseite ihrer Wange, wie sie es immer tat, wenn sie angestrengt überlegen und abwägen musste. Griff mit leicht zitternden Händen zur Stirn und strich sich sanft darüber, so als würde sie ihre Gedanken mit einer Berührung fortwischen können. Sie schloss ihre Augen und atmete tief ein. Langsam öffnete sie sie wieder und sah Pierre unverhohlen ins Gesicht.
Es bestand kein Zweifel daran, dass er das, was er soeben gesagt hatte, völlig ernst meinte. Wie geleitet durch etwas Unsichtbares hörte sie sich selber sagen:“ Ja, ich bin stark genug für alles.“ Dann stand Valerie auf und ging die wenigen Schritte hinunter zu den Damentoiletten.

Die Kleidung, die sie im Beutel vorfand, erschien ihr nicht nur extrem feminin, sondern gleichwohl eine Spur zu dekadent. Kaum vermochte der dünne Stoff des Oberteils etwas von dem zu verbergen, was die Natur ihr gegeben hatte. Durch den zarten Stoff des Spitzenkleides waren ihre kleinen festen Brüste und ihre Scham zu sehen.
Ihre schmalen Finger zitterten, als sie sich das Kleid überstreifte. Sorgsam frisierte sie ihr Haar und zog behutsam den Lippenstift über ihre leicht gebogenen Lippen. Alles saß perfekt und doch fühlte sie sich eigenartig fremd. Die Absätze ihrer Schuhe klapperten auf den Holzstufen, während sie die Treppe hochging. Als sie die wenigen Schritte bis zum Tisch tat, hatte sie das Empfinden, alle Blicke wären auf sie gerichtet.

Valerie setzte sich auf ihren Stuhl – diesmal ohne auf Pierres Erlaubnis zu warten. Öffnete ihre Schenkel und sah Pierre an. In seinen Augen erkannte sie zu gleichen Anteilen Dankbarkeit und unverhohlenen Stolz darüber, seine Sklavin zu sein. Nur einen Wimpernschlag kurz sahen sich beide tief in die Augen.
Dann hörte sie klar und deutlich seine Worte: „Draußen wartet ein Auto auf dich. Du steigst ein und wirst während der Fahrt und auch in der Zeit danach schweigsam sein. Selbst wenn deine Neugierde dich verbotenerweise dazu bringen sollte, eine Frage zu stellen, wird man dir nicht antworten. Sei gewiss, dass ich von deiner Verfehlung Kenntnis erhalten werde und dich später für jedwede Ungehorsamkeit hart bestrafe.“
Dabei sah Pierre Valerie eindringlich an, sodass sie eine Spur an Furcht in sich aufkommen fühlte.
„Es ist kein Spiel, Valerie ... Es ist mehr als du dir vorstellen kannst. Hast du das verstanden?“

Der Kloß, der mittlerweile eng in ihrem Hals saß, machte ihr das Reden fast unmöglich. Außer einem mehr gekrächztem als gesprochenem „Ja Herr, ich habe verstanden“ kam nichts aus ihrer Kehle. Pierre strich ihr noch einmal über ihre leicht erhitzen Wangen und entließ sie mit den Worten: „Rien ne vas plus. – Geh und lerne, nach meinen Regeln zu dienen.“

Mit unsicheren Schritten ging Valerie durch das Café bis zum Ausgang. Ein wenig erinnerte sie es an den Gang zum Schafott. Zum ersten Mal in ihrem Leben konnte sie nachempfinden, was man fühlte, wenn man nicht wusste, was einen draußen erwarten würde.
Es war ein merkwürdiges und schauriges Gefühl. Dennoch widerstand sie der Versuchung, sich umzudrehen und zu Pierre zurückzulaufen. Sie war stark. Wenn sie es bis jetzt nicht gewusst hatte, würde sie diese Lektion heute lernen.
An der Tür jedoch drehte sie sich dann doch noch einmal um – nur um noch einen letzen Blick auf ihren Geliebten zu werfen. Zu ihrem großen Bedauern stellte sie fest, dass sein Platz leer war.

Die ersten Minuten im Auto waren voller quälender Scham. Bereits beim Einsteigen forderte der Fahrer in einem nicht gerade freundlichem Ton Valerie auf, mit gespreizten Beinen und hochgeschobenen Kleid auf dem hinteren Sitz Platz zu nehmen.
Das Gefühl der Scham wurde auch nach einigen Kilometern der Fahrt nicht geringer. Im Gegenteil, der begehrliche Blick, den sie auf sich spürte, verstärkte alles noch mehr. Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken. Sie fühlte sich nackt und schutzlos.
Mit hoher Geschwindigkeit fuhren sie die breiten und mittlerweile reichlich befahrenen Straßen entlang. Der Weg führte sie direkt zu einem der vornehmen Außenbezirke von Paris.

Gerade als Valerie überlegte, ob der Wagen sie vielleicht zu einer der vielen Villen bringen würde, wurde er langsamer und hielt an. Der Fahrer stieg aus und öffnete ihre Wagentür: „Madame, darf ich Sie bitten, auszusteigen?“
Obwohl seine Worte mehr als höflich waren, erkannte sie sehr wohl den süffisanten Unterton in seiner Stimme. Langsam schob sie ihre Beine aus dem Auto, um seinem Wunsch nachzukommen. Plötzlich und unvermittelt spürte sie die Hände des Fahrers zwischen ihren Schenkeln und erschrak. Er lachte, strich ihr frech über die Brüste.
Valerie biss sich auf ihre Unterlippe und schluckte die giftige Bemerkung hinunter. Zu gut hatte sie die Worte ihres Herrn noch in Erinnerung.

Sie kannte die Straße nicht, in der sie sich gerade befand. Der fremde Fahrer packte sie unsanft an ihren Armen und zog sie mit sich die Straße entlang. Nach wenigen Metern blieben beide vor einer schwarzen Limousine stehen.
Der Chauffeur öffnete die Wagentür und wies Valerie an, einzusteigen. Nur kurz konnte sie sich im Wagen umsehen, als er sich auch schon zu ihr in das Wageninnere beugte. Gleich darauf spürte sie einen festen Stoff um ihre Augen. So saß Valerie nun mit verbundenen Augen da, ohne zu wissen, wohin die Reise sie führen würde.
Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Es war nicht direkt Angst, was sie spürte, vielmehr ein Gemisch aus Erregung und einem Hauch von Furcht. Eine zutiefst eigenartige Mixtur! Eine, die ihren ganzen Körper kribbeln ließ und die ihr anfing, zu gefallen.

Anfänglich vernahm Valerie noch das Geräusch, das vorbeirauschende Fahrzeuge hinterlassen. Doch je länger sie fuhren und je mehr sie auf endlos erscheinenden Straßen abbogen, umso stiller wurde es um sie herum.
Es musste bereits früher Mittag sein, denn sie spürte einen wärmenden Strahl der herbstlichen Sonne durch die Scheibe. Unvermittelt hörte sie ein leichtes Klicken und nachdem ihr kurz darauf ein scharfer Geruch in die Nase stieg, wusste sie, dass sich der Fahrer eine Zigarette angezündet haben musste.
Sie hustete leicht, als sie den beißenden Rauch einatmete. Gleich darauf dann aber das surrende Geräusch einer Autofensterscheibe, die elektrisch nach unten gefahren wurde. Ein leichter Windhauch und der frische Duft von Herbstlaub mischten sich mit dem Qualm der Zigarette. Nur noch ab und an flackerte helles Sonnenlicht durch ihre Augenbinde.
Etwas später erkannte sie das knisternde Geräusch, das Laub hinterlässt, wenn man auf ihm fährt oder geht. Nun glaubte sie zu wissen, wo sie sich befanden.

Kurze Zeit danach bog das Fahrzeug links ab, verlangsamte seine Fahrt, um dann endgültig anzuhalten. Valerie hörte die festen Schritte des Fahrers, die auf sie zukamen. Mit einem Ruck wurde die Tür geöffnet und Valerie mit barschem Ton aufgefordert auszusteigen.
Insgeheim hoffte sie, er würde ihr nun die Augenbinde abnehmen. Doch stattdessen führte er sie lediglich nur bis zum Ende des Wagens, drehte sie um, sodass sie mit dem Rücken zu ihm stand und drückte sie unsanft auf das Blech des Kofferraumes. Hob dann den Mantel und das hauchdünne Kleid hoch und ließ sie mit nacktem Hintern und ausgebreiteten Beinen stehen.
Seine kalten Hände zogen qualvolle Kreise über ihren Hintern und ihre Schenkel. Immer wieder glitten seine Fingerspitzen auf ihren Körper – so als wäre sie ein gut gehobeltes Stück Holz, das man immer und immer wieder voller Stolz berühren musste. Doch so unvermittelt wie seine Berührungen begonnen hatten, hörten sie auch wieder auf.

Stille trat ein.

Es fiel ihr unendlich schwer, sich an die von Pierre gegebenen Gebote zu halten. Innerlich zerrissen und zutiefst aufgewühlt versuchte sie, sich durch ruhiges Atmen und gutem Zureden zu entspannen. Zäh erschienen Valerie die Minuten – bis zu dem Punkt, als der Fremde sich zu ihr herabbeugte und ihr aufhalf.
Mit zitternden Beinen stand sie vor ihm. Kaum hörbar flüsterte er ihr ins Ohr: „Zieh dich aus.“ Langsam, so als könnte sie damit der Anweisung trotzen, nestelte sie an dem hauchdünnen Stoff des Kleides. Barsch wurde sie zurechtgewiesen und aufgefordert, sich zu beeilen. Verunsichert zog sie die würzige Luft ein. Dann stand sie nackt vor ihm.
Mit fast schon brutaler Gewalt griff er nach ihren Händen und umschloss diese mit kaltem Metall.
„Los, komm schon“, raunte er ihr entgegen. Valerie blieb nichts anderes übrig, als ihm mit trippelnden Schritten zufolgen.

Der Weg, den sie gingen, war nicht lang und dauerte nur ein paar Minuten. Dann sollte sie sich hinknien. Der Boden war aus kaltem Stein. Sie nahm den Geruch von feuchtem Holz wahr. Von weitem hörte sie leises Stimmengemurmel.
Eine Mischung aus Panik, Furcht und aufkommender Erregung versetzte ihren Körper in stille Bereitschaft. Je länger sie auf dem Steinboden kniete, desto größer wurde dieses Empfinden.
Es gab für sie keine plausible Erklärung dafür, wieso ausgerechnet jetzt ihre Scham pulsierte. Ihre Nippel reckten sich keck empor. Valerie wusste nicht so recht, ob es daran lag, dass das Schauspiel anfing ihr zu gefallen oder weil der kalte Wind, der ihre Haut umwehte, sie allmählich frösteln ließ.

Ein leises Knarren signalisierte ihr, dass sich eine Tür geöffnet hatte. Dann spürte sie, wie sich weiche, warme Hände auf ihre Schultern legten. Eine sanfte Männerstimme forderte sie auf, sich zu erheben.
Wie in Trance stand sie auf und ließ sich ins Haus führen. Eigenartigerweise empfand sie in der Nähe des Mannes, der sie den Flur entlang geleitete, keine Furcht. Etwas an ihm kam ihr vertraut vor. So, als wären sie sich schon einmal begegnet.
Als er abrupt stehen blieb, hielt sie sich kurz an seinem Arm fest, der muskulös und sehnig war. Sie fühlte dicht an ihren Wangen seinen gleichmäßig warmen Atem. Ein leises Knarren eines Scharniers verriet ihr, dass er eine Tür geöffnet hatte.
„Komm“, sagte er in einem freundlichen Ton.

Die Stimme gefiel ihr außerordentlich und verlieh ihr das Gefühl von Vertrautheit. Valerie genoss das Empfinden, trotz des Unbekannten so etwas wie Geborgenheit zu fühlen. Seine Schritte führten sie in die Mitte des Raumes. Dort ließ er ihre Hände los, drückte sie mit sanftem Druck hinunter zum Boden. Sie verstand, dass sie sich hinknien sollte… und gehorchte. Dann das leise Geräusch sich entfernender Schritte.

Man ließ sie einfach allein. Allein mit sich und ihren Gedanken, die nicht aufhören wollten, sich wie ein Spinnennetz in ihrem Kopf zu verweben. Nie hätte sie gedacht, dass tiefe Stille so laut sein könnte. Sie hörte ihr eigenes Herz schlagen. Spürte, wie ihr Blut durch die Adern strömte – so schnell wie das Wasser eines Bachlaufes.
Je länger sie kniete, desto aussichtsloser erschien ihr die Situation. Schmerzend spürte sie ihre Handknochen, die noch immer vom kalten Eisen umschlungen waren. Ihre Kehle war staubtrocken. Ein Schluck Wasser wäre ihr jetzt so vorgekommen, wie der süße Nektar aus dem Garten Eden.
Sehnsüchtig wünschte sie sich irgendjemanden herbei, der sie von ihren Handfesseln und von der Augenbinde befreit, ihr beim Aufstehen hilft, um sie dann in den Arm zu nehmen.

Doch es geschah nichts.

Niemand kam und keine Menschenseele erlöste sie von ihrer Qual. Tränen rannen ihre Wangen hinunter. Kälte umschloss ihr pulsierendes Herz.
Dann, der Verzweiflung nahe, hörte sie ein dumpfes Geräusch an der verschlossenen Tür. Schritte kamen auf sie zu. Sie spürte, dass jemand hinter ihr stand. Hände berührten sie auf der Haut und strichen über ihre Schultern hinab zum Rücken. Zogen eine ausladende Bewegung hin zu ihren Brüsten und umfassten schmeichelnd ihre Nippel.
Ein Kopf senkte sich zu ihr herab und strich ihr hauchzarte Küsse auf den Nacken. Mehrere Male wiederholte der Fremde stumm diese Berührungen. Solange, bis Valerie seine Hände brennend auf der Haut spürte und anfing, ihren Körper dem Rhythmus seiner Bewegungen anzupassen.
Vergessen war die Furcht von eben, verdrängt durch Sehnsucht nach Liebkosungen und der eigenen Gier nach Erfüllung. Nässende Perlen der Lust breiteten sich auf ihrem Körper aus. Laute der Entzückung blieben ihr in der Kehle stecken, als die fremden, zärtlichen Hände zwischen ihren Schenkeln ruhten.

Valerie beugte sich ihrer Lust und ließ sich gleiten auf den Flügeln der Begierde. Ihre Scham pulsierte im Rhythmus einer ungeahnten Musik. Fügsam ließ sie sich nach vorn beugen. Ließ es zu, dass er auf ihrem Körper eine Sinfonie begann, die Gerte als Taktstock, ihre Lust folgsames Orchester. Weit entrückt schienen Zeit und Raum. Sie vergaß, dass es fremde Hände waren, die einem fremden Mann gehörten, die solche Leidenschaft in ihr entfachten.

Valerie erkannte, dass der Auftakt zu dieser Inszenierung bereits am frühen Morgen stattgefunden hatte. Dass die Stationen ihrer Reise nur die Ouvertüre gewesen waren. Das nun alles erfüllende Crescendo würde sie mit Haut und Haaren verschlingen. Sie konnte sich diesem Klang nicht widersetzen.
Valerie genoss jede Berührung, an dessen Ende die eigene Erfüllung stand. Nass vor Hitze, die auf ihrer Haut brannte, hockte sie mit ausgestrecktem, in freudiger Erwartung versetzen Hintern vor einem Mann, den sie nicht kannte und den sie dennoch in sich zu spüren wünschte.
Es war keine Scham, die sie dabei fühlte. Vielmehr war es die erschreckende Erkenntnis, wie schamlos sie sein konnte.

Als die fast schon kosenden Hiebe der Gerte sie in ungeahnte Gier trieben und sich ihre bislang lautlosen Schreie in laute Rufe der Lust wandelten, hörte der Fremde auf.
Ein letztes Mal strich er ihr über das verschwitzte Gesicht. Dann half er ihr beim Aufstehen, griff ihre Hand und führte die zitternde und völlig aufgewühlte Valerie nach draußen. Anschließend nahm er ihr die Augenbinde ab, löste ihre Fesseln und strich zärtlich über ihre schmerzenden Hände.

„Dreh dich um“, hörte sie ihn sagen.
Blinzelnd vom grellen Sonnenlicht, welches zwischen den Baumwipfeln auf ihr Gesicht fiel, sah sie in ein Augenpaar, das sie kannte. Vor ihr stand der fremde, graumelierte Herr. Ein Lächeln umschmeichelte seinen Mund. Wissende Augen sahen auf ihren Körper und zärtliche Hände berührten ihre Haut.
Stumm blickte Valerie ihn an. Er nickte kurz mit dem Kopf in Richtung einer Lichtung.
„Geh! Pierre wartet dort im Wagen auf dich.“

Zum Abschied küsste er sie noch einmal auf ihre vollen Lippen. Valeries Schritte waren langsam. Sie hatte keine Eile, zum Auto zu gelangen. Ihr Blick schweifte durch den Garten, den sie bis zur Lichtung entlanggehen musste.
Die letzten warmen Sonnentage im Jahr sind die schönsten. Die Bäume tragen Rot und Gold und spät blühende Blumen bringen die Gärten zum Leuchten. Melancholie legt sich über die Wälder, bis die Oktobersonne die Nebel vertreibt.
Doch Valerie empfand keine Melancholie und auch keine Trauer. Als sie die Wagentür öffnete und Pierre dort sitzen sah, fühlte sie sich zufrieden. Sie hatte nach seinen Regeln gedient und das machte sie unendlich stark.

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