Ei-Brötchen

Oskar verließ das Haus, pünktlich um Acht, wie jeden Morgen. Er hielt an der Bäckerei und nahm sich ein belegtes Brötchen mit Ei mit. Er dachte manchmal daran, ob er nicht lieber eins mit Salami oder mit Käse nehmen sollte, aber er entschied sich dann doch immer wieder für das Ei-Brötchen. Das mochte er und da konnte er nicht unangenehm überrascht werden.
Das war mehr, als ein Salamibrötchen bieten konnte. Vielleicht würde es ihm sogar schmecken, aber dann würde er sich wahrscheinlich doch ärgern, nicht das Ei-Brötchen genommen zu haben.
Er bezahlte und ging noch zum Kiosk, kaufte sich die Tageszeitung und machte sich auf den Weg zur U-Bahn.

Seine Frau schlief bestimmt noch. Er musste lächeln, als er an sie dachte. Es war schön, neben ihrem warmen, sinnlichen Körper aufzuwachen. Ihre Haut zu spüren. Jeden Morgen lag sie neben ihm. Immer warm, weich und duftend. Er liebte ihre Haut. Vielleicht hatte er sie sogar deswegen geheiratet, damit er ihre Haut morgens spüren konnte. Das mochte er sehr.
Die Bahn kam und er stieg ein. Wie immer, blieb er direkt neben der Türe stehen. Sofern es ging, stellte er sich Rechts neben den Eingang, da konnte er sich anlehnen und hatte keine strapaziöse Sitzsuche zu bewältigen. Er hatte sowieso nur sieben Stationen.

Im Büro angekommen, machte er sich einen Kaffee und zog sich zurück in sein Zimmer. Seit etwa vier Jahren hatte er ein eigenes Büro, das war gut. Er konnte Termine vergeben und somit wusste er zu einem großen Teil bereits am Montag, was ihn bis Freitag erwartete. Das ersparte ihm einiges an nervenaufreibenden Momenten.
Er mochte sein reguläres Leben. So wusste er auch ganz genau, wenn irgendetwas unangenehm war. Er war nicht mit anderem Stress abgelenkt, so dass sein Bauch immer einen guten Draht zu ihm hatte. Den wollte er auch nicht verlieren und konnte auch richtig rot sehen, wenn irgendjemand meinte, seine Ruhe stören zu müssen.

Da gab es seit drei Wochen Lina im Büro. Eine neue Sekretärin. Sie machte ihn nervös. Zuallererst hatte sie sich ihren Arbeitsplatz zugepflastert mit Familienbildern, mit Zeichnungen von ihren Kindern, brachte ihre Lieblingstasse mit ins Büro und zog selbst gestrickte Wollsocken zur Arbeit an.
Mit mindestens einem ihrer Füße auf dem Stuhl, machte sie ihre Arbeit und knabberte immer wieder an irgendeiner Süßigkeit. Sie belebte das Büro mit ihrem Lächeln und ihrer Frische.
Ihr Ausschnitt war immer so tief, dass man den Ansatz ihrer vollen Brüste sah. Sie hatte bestimmt auch eine duftende Haut, auch wenn sie nicht ganz so viel davon hatte wie seine Frau. Sie war ein wenig dünn, trotz der Süßigkeiten.
Auf ihrer Tasse waren drei Mäuse, besser, Mäusinnen. Sie tranken Kaffee und aßen Kuchen. In einer Sprechblase sagte eine Maus, „Männer sind das Letzte!“, was die zweite Maus mit einem „Genau!“ bestätigte und die dritte sagte „Meiner nicht. Meiner ist immer Erster.“

Er hatte ihre Tasse in der Personalküche gesehen. Er fand das gar nicht witzig. Aber er musste sich ja auch keine Gedanken über Lina machen. War auch besser so. Wenn sie nur nicht permanent zu ihm ins Zimmer kommen müsste. Wie ein Wirbelwind seine Gedanken zerwühlen würde.
Wenn sie nur nicht sein Verlangen nach ihr so schüren würde. Dabei liebte er seine Frau. Sie war immer da, sie kochte sehr gut und gesund, schließlich mochte er diese Supermarkt Ware nicht. Seine Frau ging auf den Markt, bei ihnen gab es keine Plastiknahrung. Convenience food. Wenn er das Wort nur hörte wurde ihm schon schlecht.

Letztens holte Lina einen Ordner vom Regal herunter. Als sie ihren Arm hoch streckte, sah er blaue Flecken auf ihrer Flanke. Aber sie trällerte ganz besonders glücklich an diesem Morgen. Er fragte sie, ob sie gefallen sei. Sie wurde für einen kleinen Moment rot und wusste nicht so recht, was antworten, sagte dann: „Ach was, nicht der Rede wert, mach dir keine Sorgen. Es ist alles OK.“
Er wusste aber, irgendwas stimmte nicht. Er roch so etwas, da konnte man ihm nichts vormachen. Er wusste, wie Lina sonst war und wusste auch, wenn sie etwas anders als sonst war. Er bohrte aber nicht nach.

Auf der Betriebsfeier hatten sie dann schließlich, nach einem üppigen Essen und vielen Gläsern Wein, doch einigen Spaß miteinander. Linas Wangen glühten, was man von ihren Augen auch sagen konnte. Sie roch unwahrscheinlich gut und an diesem Abend konnte er dieser Spannung über Unerwartetes nichts entgegensetzen.
Er genoss es sehr, sie zu erleben. Sie plapperte und kicherte und hin und wieder stütze sie ihren Kopf auf einem Arm und sah ihn an, lächelnd, verträumt. Dabei fiel ihr eine blonde Strähne übers Gesicht, die sie, schielend, versuchte wegzupusten.

Sie wollte etwas frische Luft schnappen, der Wein, erklärte sie. Er ging mit ihr, nahm sie in den Arm und so spazierten sie durch das Gelände vor dem Vereinshaus.
Irgendwann küsste er sie, er konnte es nicht verhindern. Wollte es auch gar nicht. Sie war so zerbrechlich, dabei war sie es auch wieder nicht. Er öffnete ihre Bluse und es wurde ihm schwindelig, als er die Haut an ihrer Brust fühlte. Er wollte sie ficken, sie weckte Unbekanntes in ihm, er wollte ihr weh tun.
Er konnte sich das nicht erklären und seine Sehnsucht wie seine Hilflosigkeit wurden stärker, ob der Fremdheit der Situation, als sie plötzlich sagte, ja sie sagte es, sie sagte: „Schlag mich!“

Er schnappte nach Luft und sah sich halb auf ihr liegen, eine Hand hielt ihr Handgelenk fest und seine andere Hand war an ihrem Hals. Er atmete tief durch und setzte sich auf. Er entschuldigte sich, stand auf und reichte ihr die Hand.
„Es tut mir leid, ich kann das nicht, ich bin verheiratet. Es tut mir leid.“ Es wurde ihm leicht schlecht, er kannte sich selbst nicht mehr, er fühlte sich beschämt und belebt gleichzeitig.
„Ja, wie konnte ich das vergessen. Du bist verheiratet.“, sagte sie, mit einem leicht spöttischen Unterton.
„Es tut mir leid“, sagte er noch mal, „Ja, ja, schon gut. Komm, mach dir keinen Kopf, wir gehen wieder rein.“, sagte sie und lächelte versöhnlich.
„Geh schon mal, ich komme gleich nach“, sagte er und sah ihr nach, wie sie ins Vereinsheim verschwand.

Er lehnte sich an die alte Eiche im Hof und es wurde ihm schmerzlich bewusst, dass er eben kein Baum war. Er konnte ihn zwar beneiden, bewundern, verfluchen, aber es half nichts. Er machte sich was vor.

Als er am nächsten Tag aufwachte, sah er zu seiner Frau und dachte an Linas Geruch. Heute würde er ein Salamibrötchen kaufen. Wenigstens das würde er tun.


Verfasserin Temples

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