Späne

Seit Tagen oder sogar Wochen war ihr Verhältnis gespannt.
Streitereien wegen Nichtigkeiten, Gezänk, verschwendete Energie.

Alles lief verkehrt, und er hatte keine Möglichkeit, den Kontakt aus eigener Kraft wieder herzustellen.
Er fühlte sich hilflos.
Und seine Aggression wuchs.

Nun stritten sie schon wieder. Zudem spürte er, dass sie ihn jetzt regelrecht provozierte, ja reizte. Ihr Mutwille brachte ihn schnell auf Betriebstemperatur. Er packte sie mitten in ihrer Tirade am Handgelenk und ohrfeigte sie. Zwar schimpfte sie ohne rechte Überzeugung weiter, aber ihre Augen sagten deutlich: "Nimm mich!".
Im Reflex zog er sie an sich und fühlte ihren sich ihm entgegen drängenden, so wohlig bekannten Körper.
Fast hätte er nachgegeben, aber sein Unwille überwog schließlich. Er stieß sie von sich und ließ sie stehen.

Der Hobel fuhr schabend und schneidend über das bereits geglättete Holz. Große, anmutig gebogene Holzspäne bedeckten den Boden und die Arbeitsplatte der Werkbank. Er sah prüfend über das Brett hinweg, aber seine Gedanken drehten sich um andere Themen und, objektiv betrachtet, seit einer Weile immer im Kreis.
Er war wütend. Nicht, weil sie ihm wieder und wieder entglitt, das konnte er irgendwo nachvollziehen, oder zumindest akzeptieren.
Aber er hasste ihre Doppelbotschaften. Seine Partnerin nicht ernst zu nehmen, würde nicht nur sie herabsetzen, sondern in erster Linie ihn selbst beschädigen.
Er mochte das nicht.
Er mochte nicht für ihre Regulationen instrumentalisiert werden.

Ach, Scheiße!
Er spannte das Brett um und hobelte die Rückseite. Eine neue Lampenleiste für ihr Spielzimmer.

Scheißlampe.
Scheißspielzimmer.
Scheiß Beziehung.

Die Schneide des Hobels verhakte sich an einem Wirbel im Holz und riss ein Stück heraus. Er fluchte gotteslästerlich. Der Impuls, das Brett zu zerschlagen, brandete in ihm hoch und zeigte ihn in seiner ganzen Lächerlichkeit.

Himmelherrgott.
Er lief ziellos in der engen Werkstatt hin und her, dann beruhigte er sich etwas.
Der Ausbruch im Holz war nur auf der Rückseite des Brettes, er konnte ihn mit Holzkitt zuschmieren.

Gut.
Weiter.
Die Lampe kam ins Spielzimmer und würde den Raum verschönern.
Für ihre nächste Session.
Er hasste das Wort, aber er hatte kein besseres.
Es würde also weitere Sessions geben.
Jetzt im Augenblick kaum zu glauben … aber es hatte immer “weitere Sessions"
gegeben. Innige Momente der Verschmelzung.

Scheiße.
Natürlich wusste er, theoretisch, was mit ihm nicht stimmte.
Es gab Fachausdrücke dafür, dass seine Frustrationstoleranz so extrem niedrig lag, dass er alles ohne Filter aufnahm. Dass er emotional kein Zeitgefühl hatte.

Trotzdem.
Sie sollte sich klar werden, was ihre Bedürfnisse waren, wo sie stand. Wo sie stehen wollte. Dazu zu stehen. Mit offenen Karten spielen. Ein Hund ist ein Hund, eine Katze ist eine Katze. Punkt.

Er schmierte farblich passenden Kitt in das Loch und strich ihn glatt. Seine Fingerspitzen verfärbten sich in "Fichte natur". Er wischte sie an seiner Hose ab.
Er mochte die Werkstatt, den Geruch frisch zerspannten Holzes, das warme Licht der verstaubten Schirmlampe, die alten Werkzeuge, wie die Brustleier oder den Fuchsschwanz, die sicher schon 80 oder gar 100 Jahre alt waren. Er benutzte sie zwar nicht, aber er würde sich auch nicht von ihnen trennen wollen.

Die Tür öffnete sich, und sie kam herein, inzwischen umgezogen, sie trug das Mittelalterkleid aus schwarzem Samt, das er an ihr so liebte.
Sie sah ihn nicht direkt an, kniete sich vor ihn in die Holzspäne und legte ihre Wange gegen seinen Bauch.

Dass solche Augenblicke nicht konserviert werden können, dass Gefühle nicht vertragsfähig sind, tat ihm weh.
Aber im Augenblick schmeckte dieser Schmerz sehr süß.


Verfasser Geralt

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