Klack-Klack


1. Kapitel

„Meine Güte das kann ja wohl nicht wahr sein!“ Marions Nerven sind nicht mehr bereit, diese Belästigung zu überhören. Seit Stunden rennt in der Wohnung über ihr jemand ständig durch die Wohnung. Deutlich ist das Klackern von Schuhen auf dem Parkett zu hören.
Marions Augen richten sich wütend zur hohen Decke ihres Wohnzimmers. Irgendwo dort über dem schönen Stuck hat jemand den Wandertrieb. Der Fernsehfilm, den sie eigentlich so gern sehen wollte, ist unwichtig geworden.
Ihre Blicke verfolgen die Geräusche an der Decke: den Flur entlang, durch das Wohnzimmer, zurück bis zur Küche neben der Wohnungstür und wieder den Flur entlang.

Marion schüttelt ungläubig den Kopf. Gegen den neuen Mieter waren Gerstners, die Familie mit Kind und Hund, ja ein wahrer Segen. Nach der dritten Runde des Obermieters beschließt sie, etwas zu tun. Ärgerlich schaltet sie mit der Fernbedienung den Fernseher aus und springt vom Sofa. An der Garderobe wirft sie sich den langen Mantel über Nachthemd und Jogginghose und steigt in ihre Klapperlatschen.
Unweigerlich sieht sie sich im Spiegel und verzieht etwas das Gesicht. Egal, ich gehe nicht auf eine Party, sondern um meinem neuen Nachbarn den Marsch zu blasen.

Ihr Schlüsselbund klappert in der Hand, als sie wütend die Treppe hochgeht. Auf dem neuen Klingelschild steht in schnörkeliger Schrift „Senger“. Deutlich sind hinter der Tür Schritte zu hören, anscheinend kommt gerade jetzt jemand dort vorbei.
Marions Daumen presst sich fest auf den Knopf, als würde der Klingelton dadurch besonders laut und angriffslustig werden. Augenblicklich hören die Schritte auf, sekundenlang rührt sich gar nichts. Vor der Tür ziehen sich Marions Augenbrauen zusammen, sie dreht ihren Kopf und richtet das rechte Ohr zur Tür – Stille. Entrüstet streckt Marion ihren Körper. Na so was! Spinnt der? Der denkt wohl ich bin doof.

„Hallo!“ Marions Finger drückt sich wieder frech auf den Klingelknopf. Von innen ist ein ohrenbetäubendes Schnarren zu hören.
„Hallo. Ich weiß, dass Sie da drinnen sind. Aufmachen!“ Sie ist kurz davor mit den Fäusten gegen die Tür zu schlagen, als sich endlich eine männliche Stimme meldet.
„Ja … Moment bitte. Ich komme gleich.“
Wieder Schritte, die sich nun von der Tür entfernen. Da die Wohnung wie die ihre geschnitten ist, errät Marion den Weg des Mannes hinter der Tür. Er geht wohl über den Flur zum Schlafzimmer.
Neugierig lauscht Marion auf die Geräusche hinter der Tür. Plötzlich wird ein Schlüssel im Schloss gedreht und der Riegel gezogen. Marion hat nicht gehört, dass der Mann zurückgekommen ist.
Die Tür wird geöffnet und ein junger Mann zeigt sich. Das muss wohl Herr Senger sein. Aus grünbraunen Augen sieht er die späte Besucherin fragend an.


„Entschuldigen sie bitte, aber ich musste erst was anziehen. Worum geht es?“ Er trägt ein türkisfarbenes Hemd und eine außergewöhnlich schicke Bundfaltenhose aus schwarzem Nappaleder. Marion mustert ihn von oben bis unten.
Sein brünettes Haar liegt perfekt, das Hemd, die Hose und … ja, die Socken! An seinen Füßen trägt er dicke graue Wollsocken, die so schief hochgezerrt sind, dass er sie offensichtlich in aller Eile übergezogen hat.
„Hallo? Was kann ich für sie tun?“ Da er keine Antwort auf seine Frage bekommt, fragt er noch mal nach.

Eigentlich wollte Marion dem unverschämten Kerl mit einer Beschwerde bei der Hauswirtin drohen, aber nun drängt sich ihr etwas ganz anderes auf. Mein Gott, wie renne ich hier rum. Ich sehe aus wie Else Kling aus der Lindenstraße. Peinlich berührt zieht sie den Mantel eng zusammen, damit der süße Nachbar nur ja nicht Nachthemd und Jogginghose sieht.
„Entschuldigen Sie die späte Störung. Mein Name ist Kettler, ich wohne unter Ihnen und wollte sie bitten, nicht mehr so viel durch die Wohnung zu rennen. Das klappert so laut, es stört beim Fernsehen.“
Zu ihren Worten senkt sich der Blick zweifelnd auf die Wollsocken ihres Gegenüber. Er bemerkt das und sieht auch auf seine Füße, geht aber auf den fragenden Blick nicht weiter ein.

„Oh. Das tut mir leid. Ich gehe immer gern beim Nachdenken hin und her. Ich habe wohl nicht daran gedacht, dass man die Schritte auf dem Parkett so laut hört. Ich bekomme aber bald Teppichboden gelegt, dann hört man es nicht mehr.“ Mit einem wahren Wortschwall entschuldigt sich der Mann.
Marion bemerkt, dass er etwas rot geworden ist. Die Situation ist ihm wohl peinlich.
„Mein Name ist übrigens Senger. Heiko Senger. Darf ich mich bei Ihnen mit einem Glas Wein entschuldigen?“ Er lächelt und macht eine einladende Geste.
Marion ist von der Freundlichkeit überrumpelt, sie bedauert wegen ihrer Aufmachung nicht eintreten zu können.
„Ja, das können Sie. Aber nur für ein Glas.“ Die eigenen Worte treffen die Frau wie ein Hammer. Hat sie das gerade eben gesagt? Ungläubig schüttelt sie den Kopf und tritt durch die geöffnete Tür in die Wohnung.



2. Kapitel

Marion geht hinter dem Bewohner durch den Flur ins Wohnzimmer und sieht sich um. Die Wohnung passt irgendwie in das Bild, das sie sich von einer frisch bezogenen Junggesellenbude gemacht hat. Es riecht nach frischer Farbe und neuen Möbeln.
Manche Wände sind noch leer, an anderen prangen großformatige Kunstposter, meist schwarz-weiß, passend zu den dunklen, modernen Möbeln. Aus den hohen Boxen einer Musikanlage dringt leise Musik, die Marion kennt, etwas von Cat Stevens.

„Mögen Sie einen trockenen Weißen?“ Er zeigt auf den Tisch, auf dem eine Flasche Blanchet mit einem Glas steht.
„Ja gern.“ Marion schaut kurz auf die Flasche und sieht sie sich dann weiter um. Man kann mit einem Blick auf die Einrichtung meist sehr viel über einen Menschen erfahren. Was sie hier zu sehen bekommt, ist allerdings eher enttäuschend.
Eine Sitzgruppe aus Stoff und eine nüchterne Schrankwand. Die Regalfächer sind sehr aufgeräumt, nur wenige Bücher und so gut wie keine Dekorationsobjekte.
Eigentlich sind nur zwei Dinge bemerkenswert, ein Bild vom Wohnungsinhaber mit einer hübschen Frau vor der Kulisse des Eiffelturmes und ein Telefonapparat in Form eines roten Damenschuhes.

„Hey. Diese Telefone kenne ich noch von früher. Haben Sie das von Gerstners übernommen?“
„Äh, nein, das ist mein eigenes.“ Heiko hat ein Weinglas aus der Küche geholt und schenkt ihr eben ein.
„Na, das wäre nichts für mich.“ Sie hebt das Gerät hoch und zeigt das Kabel. „So mit Strippe ist doch Käse. Ich muss mich beim Telefonieren bewegen können.“
„Das glaub ich Ihnen gern, aber ich mag halt das Design. Ich arbeite bei der Telekom, die meisten Leute nehmen heute schnurlose Endgeräte. Hier Ihr Wein. Wollen Sie sich nicht setzen?“

„Ja gern.“ Marion setzt sich auf das Sofa und versucht krampfhaft, den Mantel dabei geschlossen zu halten. Sie nippt am Glas und sieht sich weiter um.
Jetzt fällt ihr das große Poster rechts auf, darauf ist ein Frauenbein, das mit dem Absatz eines Stilettopumps eine Zigarettenkippe ausdrückt. „Sie mögen wohl rote Schuhe?“
„Nun ja, eher Schuhe mit hohem Absatz.“ Er lächelt sie schelmisch an. „Ist wohl ziemlich offensichtlich, was?“
„Ja – schon.“ Auf einmal wird ihr richtig bewusst, dass sie hier in Klapperlatschen sitzt. Verstört schaut sie kurz auf ihre Füße, die sie daraufhin zu verstecken versucht.
„Normalerweise trage ich andere Schuhe wenn ich jemanden besuche.“
„Ist entschuldigt. Ich habe Sie ja fast hier reingezerrt.“

Beide beginnen zu grinsen und fangen dann an, laut zu lachen. Marion sieht in das lächelnde Gesicht ihres Gegenüber.
Tolle Augen, die Haare vielleicht etwas zu kurz, aber alles in allem ein ganz süßer Typ. Er hat auch schöne Hände. Irgendetwas gefällt ihr an diesem Burschen gewaltig. Sie weiß nicht so richtig, was – aber es wäre doch gelacht, wenn man sich nicht etwas näher kommen könnte, schließlich wohnt man doch im selben Haus.

„So, jetzt muss ich aber wirklich wieder los.“ Marion stellt das halbvolle Glas auf den Tisch und steht auf.
„Ja wenn Sie meinen. Schade.“ Er steht auch auf, nimmt ihr Glas und begleitet sie zur Tür. Während er ihr Glas schnell in der Küche abstellt, kann Marion einen kurzen Blick durch die angelehnte Schlafzimmertür erhaschen.
Vor dem Bett liegen zwei Damenschuhe mit hohem Absatz – unordentlich, als wären sie in aller Eile dort hingeworfen worden. Jetzt wird ihr alles klar: die Geräusche, warum er nicht gleich aufgemacht hat, die Wollsocken, der Schuhfimmel …
Als Heiko wieder neben ihr steht und die Tür öffnet, macht sie ein verstörtes Gesicht.

„Also ich verspreche, Ihnen nicht mehr so laut auf der Nase …“, er unterbricht sich und schaut unsicher in ihr Gesicht. „Ist Ihnen nicht gut?“
„Doch, doch. Alles in Ordnung. Danke für den Wein und schönen Abend.“ Sie gibt ihm kurz die Hand und verlässt dann sehr schnell die Wohnung.
Auf der Treppe verliert sie fast einen Latschen. Heiko Senger kann sich nicht erklären, warum die lustige Nachbarin so fluchtartig seine Wohnung verlassen hat.

Mit hochgezogenen Augenbrauen schließt er die Tür und geht in sein Schlafzimmer. Dort setzt er sich auf das Bett und zieht die Wollsocken wieder aus. Am linken Fuß entfernt er einen Wollfussel vom Damenstrumpf und fährt dann mit einer gewissen Anmut in die hochhackige Pantolette. Er stellt sich hin und begutachtet sich im Spiegel, die Farbe der Schuhe harmoniert hervorragend mit seinem Hemd.
Hoffentlich kommt der Teppichboden bald!



3. Kapitel

Marion steht mit ihrem Frühstücksbrötchen in der Hand am Fenster. Seit sie arbeitslos ist, zwingt sie sich, nicht zu verwahrlosen. Jeden Morgen klingelt der Wecker um sieben Uhr. Sie steht auf, zieht sich normal an und sucht in der Tageszeitung nach einer Stellenanzeige.
Oft wiederholen sich die viel versprechenden Anzeigen. Dahinter stecken Zeitschriftendrücker, Versicherungsvertreter oder Heimarbeitsfirmen. Bei den seltenen Anzeigen von seriösen Firmen hatte bisher noch keine Bewerbung Erfolg. Mit der abgebrochenen Bürokauffraulehre fällt sie meist schon in der ersten Auswahl durchs Raster.

Plötzlich hört sie, wie im Treppenhaus jemand herunter läuft. Einige Minuten später geht unten die Haustür auf und der seltsame Nachbar läuft zu den Parkplätzen hinüber.
Sie sieht ihm hinterher und stellt sich vor, dass er zu seinem dunkelblauem Anzug keine schwarzen Herrenschuhe, sondern blaue Pumps mit hohem Absatz trägt. Da könntest du nicht so laufen Bursche.
Sie kaut grinsend weiter und beobachtet, wie er mit dem Wagen auf die Straße einbiegt. Gedanken schießen durch ihren Kopf.

Ob der schwul ist? Nö, da war doch ein Bild, er mit einer Frau. Hmmm, hat eigentlich nichts zu sagen. Oder? Aber warum hat er sich nicht mehr bei mir gemeldet? War der Besuch so schräg? Na, ich bin ja auch ein bisschen unhöflich beim Abschied gewesen. Oder gefalle ich ihm nicht? Ich bin doch nicht hässlich!
Automatisch schiebt sie sich die rotbraune Dauerwelle zurecht. Irgendwie lässt der Mann mit seiner seltsamen Marotte Marion nicht los. Sie entschließt sich, etwas mehr über diesen Herrn Senger heraus zu finden. Als erste Anlaufstelle fällt ihr da Frau Degenhard ein, die alte Hauswirtin. Laut spricht sie ihren Gedanken aus.
„Sicher wird sie sich freuen, wenn ich sie nachher mal kurz besuchen komme und ein Stückchen Kuchen zum Kaffeeklatsch mitbringe …“

Tatsächlich weiß Marion an diesem Abend schon etwas mehr. Er ist bei seiner Freundin ausgezogen und jetzt wohl solo. Seine Arbeitsstelle ist der T-Punkt am Raschplatz. Frau Degenhard meint, dass er sicher gut verdiene, weil er nicht versucht hat, wegen der Miete zu handeln. Dass er ein Auto hat, wusste sie schon.

In Marion reift ein Plan, wie sie den Mann auf sich aufmerksam machen kann. Voller Eifer durchsucht sie ihren Schuhschrank nach Modellen, die ihn reizen könnten.
Danach verbringt sie fast zwei Stunden mit einer ausgedehnten Modenschau vor dem Schlafzimmerspiegel. Kurze Röcke, lange Röcke und einige Hosen wechseln zu diversen Schuhen. Am Ende bleiben zwei paar klassische Pumps in schwarz und dunkelblau, sowie moderne schwarze Stiefeletten mit dickem Absatz und Plateau. Er hat gesagt, hohe Schuhe.
Marion holt das Lineal vom Schreibtisch und misst nach. Das sind eindeutig ihre höchsten. Vorne fünf Zentimeter Plateau und hinten fünfzehn am Absatz.
Okay, die Entscheidung ist gefallen.



4. Kapitel

Im T-Punkt herrscht mäßiger Kundenverkehr. Heikos Kollegin hat sich zu drei Jugendlichen gestellt, die schon viel zu lange an den Vorführhandys rumfummeln. Ansonsten versucht ein Familienvater die Unterschiede von einigen Apparaten durch stundenlanges Anstarren der Infotafeln zu ergründen.
Heikos Blicke gehen zur Schaufensterscheibe hinaus. Menschenströme wandern vorbei, teils mit vollen Plastiktaschen bepackt. Es ist Spätsommer und die ersten Leute gehen mit Regenschirm zum Shopping.
Allerdings interessiert sich der gelangweilte Mann weniger für ihre Hände, als vielmehr für ihre Füße. Nur wenige schöne Schuhe erfreuen seine Sinne. Die Schuhmode ist zur Zeit echt völlig durcheinander. Erlaubt ist fast alles und so rennt der Großteil der Damenwelt in langweiligen Patterchen herum, City-Look nennen sie das.
Pubertierende Mädchen und Minderheiten entscheiden sich für Klotzschuhe mit Plastikbausteinen als Absatz. Daneben gibt es dann noch diese Tafelabsätze, die wie abgesägte Zaunlatten aussehen. Richtig schöne spitze Pfennigabsätze sieht man kaum – aber sie kommen langsam wieder. Gut, dass diese Phase mit den Daisy-Duck-Absätzen vorbei ist.

Unwillkürlich schüttelt er den Kopf. Wenn er dürfte, wie er wollte – er würde es diesen langweiligen Tucken schon zeigen. Sie schätzen es gar nicht, welche Möglichkeiten sie haben.
Was würde er dafür geben, jetzt in schönen Schuhen hier stehen zu können. Wenn nach stundenlangem Stehen der Fuß schmerzt? Egal! Für den Thrill, für die Lust, ja für das Gefühl, wirklich zu leben, ist das doch ein geringes Übel.

Leise seufzend will er sich gerade dem Familienvater zuwenden, als er auf dem Gehweg die rothaarige Nachbarin von letzter Woche erkennt. Wie hieß sie noch? Kettler oder so.
Tatsächlich sieht sie in den Laden und schaut ihn an. Heiko winkt ihr kurz zu. Sie scheint ihn zu erkennen, winkt zurück und kommt zur Eingangstür. Er sieht sie prüfend an.
Ein leichter Mantel, der sich um ihre gute Figur legt, die er schon an diesem Abend erahnte. Unten schauen ihre wohlgeformten Beine heraus. Helle Strümpfe, die zu ihren Schuhen führen. Oh Gott! Sie trägt Klotzstiefeletten. Das meinte sie wohl mit „Normalerweise trage ich andere Schuhe“? Meine Güte, da sind die Klapperlatschen auch nicht viel schlimmer gewesen.

Marion drückt die Glastür auf und geht freundlich strahlend auf ihre Zielperson zu. Als sie sein Gesicht deutet, fällt ihr Lächeln zusammen. Eben sah er noch ganz freudig aus. Nun macht er ein Gesicht, als würde ich mit einer Fuhre Mist reinkommen. Ich versteh das nicht.
„Hallo Frau Kettler.“ Seine Begrüßung ist ganz verbindlich – ja fast distanziert.

„Hallo Herr Senger. Hier arbeiten Sie also? Sie sagten ja etwas von der Post, aber das ist ja ein Zufall, dass ich sie nun gerade hier erwische.“ Geübt trägt sie die kleine Lüge mit einem Wimpernschlag vor.
„Ja. Und Sie? Sind Sie einkaufen?“
„Nun, ich habe heute Lust zu bummeln. Werde vielleicht nachher einen Kaffee trinken gehen oder so. Eine Freundin sagte, dass in der Langen Laube ein nettes indisches Restaurant ist. Kennen Sie das?“ Marions Gedanken schlagen über. Nun übertreibe nicht, das ist ja schon unverschämt!

Der Gesichtsausdruck von Heiko ändert sich etwas. Ein leicht gequälter Zug zieht sich auf seine Lippen.
„Ähh … Nein, kenne ich nicht. Ist sicher auch nicht mein Geschmack.“
Ohje, die will was von mir! Da kann ich auch gleich mit Neil Armstrong ausgehen. Ob der auch in seinen Moonboots essen geht? Verzweifelt verkneift er sich ein Grinsen.

Marion merkt, dass hier etwas nicht richtig funktioniert. Mit leicht geöffnetem Mund nickt sie verstehend.
„So? Das ist also nichts für Sie. Nun, dann werde ich mal wieder losgehen. Wenn ich mal ein neues Telefon brauche, weiß ich ja nun, wohin ich mich wenden kann.“

„Klar, tun Sie das. Ich helfe Ihnen gern auch mit dem Anschluss und so.“
Heiko sieht sie freundlich an und schaut ihr hinterher, als sie mit leicht schräg gelegtem Kopf, als würde sie nachdenken, den Laden wieder verlässt.

Tatsächlich denkt Marion nach. Wenn Heiko wüsste, welche Gedanken ihr gerade durch den Kopf gehen, wäre er hellhörig geworden.
In Marions Kopf entsteht Plan B, und dieser Plan setzt als erstes ein neues Paar Schuhe voraus. Nach kurzer Überlegung führt sie ihr Weg direkt in einen speziellen Schuhladen im Steintorviertel, dessen Schaufenster ihr noch in besonderer Erinnerung sind.



5. Kapitel

Der Laden ist winzig. Marion war wohl nie in einem kleineren Schuhgeschäft. Die ganze Umgebung ist etwas schmuddelig und wäre nicht dieser besondere Anlass, sie wäre wohl nie hier hinein gegangen.
Im Schaufenster sind einige Schnürstiefel und Pumps mit extremen Absätzen ausgestellt, teilweise recht nuttig. Nicht nur in den klassischen Farben, wie schwarz und rot, sondern auch in durchaus modischen Tönen.
Eine Verkäuferin kommt hinter einem raumhohen Regal hervor. „Hallo. Kann ich Ihnen helfen?“

Marion merkt genau, wie der Blick der jungen Blondine kurz auf ihre Stiefelletten und dann wieder in ihr Gesicht springt, als habe sie die Kundin eingeschätzt.
„Ich will rote Pumps Größe 39. Mit Stilettabsatz. Das Höchste, was Sie haben, so richtige Scharfmacher. Es soll richtig geil aussehen!“

Die Blondine verkneift sich ein Kichern. Grinsend erkundigt sie sich weiter.
„Mit oder ohne Plateau? Das höchste, was wir ohne haben, ist dies Paar hier mit 16cm Absatz. Bleistift dünn, fast Waffenschein-pflichtig.“ Geschäftig hat sie von einem Regal einen roten Lacklederschuh geholt und hält ihn Marion hin. „Darf ich fragen, was Sie damit vorhaben?“
Marion hat alle Hemmungen verloren.
„Ich will mir einen Fetischisten angeln. Her damit, ich probier ihn an. Wo ist der zweite?“

Sie legt ihren Mantel und die Handtasche ab und setzt sich auf einen der Hocker. Die Verkäuferin bringt ihr den anderen Schuh, noch während sich Marion die Stiefelletten auszieht.
Als sie die Schuhe anzieht, steigt ein merkwürdiges Gefühl in ihr auf. Sie steht auf, drückt die Knie durch und geht langsam vor den Spiegel. Johanna von Orleans – anders kann Marion das Gefühl nicht beschreiben. Ihr ist, als wäre sie die heilige Johanna. In einer glitzernden Rüstung, bewaffnet mit einem Schwert, um im Auftrag Gottes zu kämpfen.
„Wow … das fühlt sich ja noch besser an, als es aussieht!“

Die Blondine steht mit dem Schuhkarton in der Hand dort und sieht der Kundin zu. „Ja, die stehen Ihnen hervorragend. Sind Sie das Gehen auf High Heels gewohnt?“
Marion dreht sich langsam vor dem Spiegel, ohne die Augen zu lösen.
„Auf so hohen nicht, bisher war bei zehn Zentimetern Schluss.“
„Wollen Sie einen gut gemeinten Rat?“
„Klar, legen sie los!“
„Wenn Sie Ihren Fetischisten erst angeln wollen, fangen Sie bei zwölf Zentimetern an. Wenn es ein Liebhaber ist, wird es ihm weniger gefallen, wenn Sie auf 16 Zentimetern herum eiern, als wenn Sie auf 12 Zentimetern sicher gehen. Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede.“
„Ja, ist das denn so ein Unterschied? Die vier Zentimeter?“
Marion kann das nicht glauben. „Ich kann gut drin stehen.“
„Glauben Sie mir. Auch wenn sie jetzt auf Teppich gut stehen können, nach ein paar hundert Metern übers Straßenpflaster ist der Unterschied deutlich zu spüren. Denken Sie daran, dass Sie den Fuß an den Grenzbereich führen. Das können geringe Unterschiede schon entscheidend sein!“

Marion antwortet nicht. Nachdenklich geht sie einige Schritte auf und ab.
„Gut. Ich werde auf Sie hören. Bringen Sie mir bitte ein etwas flacheres Paar.“
„Gut. Wir haben dieselbe Form mit dem zwölfer-Absatz, Sie werden es nicht bereuen.“ Sie zwinkert Marion zu, als hätten sich die beiden Frauen eben verschworen.



6. Kapitel

An diesem Abend wartet Marion auf die Schritte aus Heikos Wohnung. Heute hat sie weder Jogginghose noch Nachthemd an. Sie hat ihren roten Minirock aus dem Schrank geholt, der zwar nicht hundertprozentig zum Rot der Schuhe passt, aber sie denkt, dass das Heiko nicht stören wird.
Dazu trägt sie eine lockere weiße Bluse, unter der die Spitze eines roten Büstenhalters durchscheint. Die frisch rasierten und gecremten Beine stecken in einer hauchdünnen hellen Strumpfhose, die sie extra neu gekauft hat.
Marion federt ungeduldig mit dem überschlagenem Bein auf dem anderen, immer wieder geht der Blick zur Decke. Der Nachbar ist nun schon fast eine Stunde zuhause. Sollte er ausgerechnet heute auf sein abendliches Vergnügen verzichten? Missmutig verzieht die Wartende das Gesicht.
Als sie endlich die Schritte von hohen Schuhen hört, steht sie auf und geht zur Tür.

Heiko hat sich ein Fertigessen aufgewärmt und ist mit dem Topf auf dem Weg ins Wohnzimmer. Er gewöhnt sich nur langsam an das Leben als Single. Es hatte doch Vorteile, mit Sylvia zusammen zu leben. Sie hat ihm zwar verboten in ihrer Gegenwart herum zu stöckeln, aber ein gutes Essen war jeden Abend auf dem Tisch. Nun ja, man kann nicht alles haben.
Vorsichtig schöpft er sich die Ravioli auf den Teller. Gerade will er sich hinsetzen, da klingelt es an der Tür. Kopfschüttelnd sieht er in den Flur. Das kann doch nicht wahr sein!
„Moment bitte!“ Ärgerlich ruft er seine Antwort in den Flur hinein und zieht sich die schwarzen Lackpumps von den Füßen. Mit den Schuhen in der Hand geht er auf bestrumpften Füßen zur Tür.
„Wer ist denn da?“

„Ich bin es. Marion Kettler, Ihre Nachbarin.“
Heiko verzieht verwundert das Gesicht. Was will die denn schon wieder?
„Einen Moment!“ Eilig lässt er die Schuhe im Schlafzimmer verschwinden und zieht sich die Socken über die Füße. Er macht die Schlafzimmertür zu und öffnet die Wohnungstür.
„Guten Abend. Was gibt es? Habe ich wieder Krach …“, mitten im Satz bricht er ab. Erstaunt nimmt er zur Kenntnis, was für eine aufreizende Frau vor ihm steht.

Marion grinst in sein überraschtes Gesicht und lächelt dann zuckersüß.
„Nein, Sie haben keinen Krach gemacht. Ich wollte nur mal so vorbei sehen. Störe ich?“
„Nein, nein, Sie stören nicht.“ Heiko kann seine Augen nicht von den langen Beinen und den feuerroten Lackpumps lösen. Nur langsam tritt er zur Seite und öffnet einladend die Tür.
Absichtlich geht Marion vor ihm den Flur entlang, ihr Hüftschwung ist haarscharf an der Grenze zur Obszönität.
„Haben Sie noch etwas von dem Weißwein? Oh! Sie wollten grade essen? Da störe ich wohl doch.“

Heiko winkt beschwichtigend ab. „Ach Quatsch, das ist nur Nahrung, kein Essen.“ Er löst seinen Blick einen Augenblick von ihrem Unterkörper und lächelt sie freundlich an.
„Okay. Wie Sie meinen.“ Die Besucherin setzt sich auf einen Stuhl und schlägt die Beine gekonnt übereinander.

Heiko ist ein schlechter Gastgeber; erst, nachdem er tief durchgeatmet und geschluckt hat, löst er sich endlich von ihrem Anblick und läuft in die Küche, um eine Flasche Wein zu öffnen.
Während er mit dem Öffner hantiert, denkt er nach. Es ist ihm nicht ganz klar, ob dieser Besuch als das zu Verstehen ist, als das er scheint.
Als er ins Wohnzimmer zurückkehrt, steht sie vor dem Bild aus Paris und wendet sich fragend an ihn.
„Ist das Ihre Freundin?“ - „Das war sie. Wir haben uns getrennt. Es hat nicht geklappt mit uns.“
Er stellt die Gläser auf den Tisch und gießt etwas ein.
„Lag es an ihrer … äh … Vorliebe für hohe Schuhe?“

Das Blut zischt Heiko ins Gesicht. Nur zögernd schaut er von den Gläsern hoch. Wie meint sie das nun wieder?
„Hmm. Kann man so sagen, war sicher mit ein Grund.“
Mühsam versucht er ganz unbeteiligt zu schauen.
„Gefallen Ihnen meine Schuhe?“
Wieder muss Heiko schlucken, bevor er antworten kann.
„Ja, die sind sehr schön. Gefallen mir sehr“, er versucht die Situation etwas zu entspannen, „Viel besser als die Klapperlatschen bei Ihrem letzten Besuch.“
Schelmisch hält er ihr ein Glas hin.

Marion sieht ihn amüsiert an. „Danke. Meine Stiefeletten haben Ihnen nicht so gefallen.“
„Nein, die waren weniger mein Geschmack.“
Er prostet ihr zu und verfolgt, wie sie sich umdreht und weiter am Regal entlang geht. Immer wieder geht sein Blick auf ihre Beine, was sie ganz deutlich an sich spürt. Als wäre sein Verlangen elektrisch, so kribbelt es an Marions Beinen entlang.
Triumphierend genießt sie ihre Macht. Plötzlich weiß sie, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist. Noch während sie sich umdreht, schaut sie ihm in die Augen und spricht ihn an.

„Willst du mir nicht mal deine zeigen?“
Wie vom Blitz getroffen erstarrt Heiko. Unsicher sieht er in ihre Augen, aber er kann sich nicht von ihnen trennen. „Meine? Meine … Schuhe?“
Eigentlich hatte Marion nichts anderes erwartet. Sie verzieht trotzdem enttäuscht das Gesicht, als wäre seine Antwort eine Beleidigung.
„Hältst du mich für doof? Na los, komm schon, zieh sie an.“

Es dauert einige Sekunden, die Heiko prüfend in Marions Augen sieht. Dann stellt er sein Glas ab und geht ins Schlafzimmer, wo er ohne zu zögern die schwarzen Pumps anzieht und tapfer ins Wohnzimmer zurück kommt.
Sie sieht zu, wie er sich sicher auf den hohen Absätzen bewegt und zum Tisch geht. Mit einem Zug trinkt er sein Weinglas leer und wartet auf ihren Kommentar.

„Schick. Solche ähnlichen hatte ich auch mal, bis ich mir auf Kopfsteinpflaster das Absatzleder hochgeschoben habe.“
„Das war sicher ärgerlich.“
Marion trinkt einen Schluck und fragt dann neugierig nach.
„Was fühlst du, wenn du High Heels trägst? Willst du gern eine Frau sein?“

Heiko verzieht seufzend das Gesicht.
„Nein, ich will keine Frau sein. Es ist ein schwer zu beschreibendes Gefühl. Man bewegt sich auf den Schuhen ganz anders, man wird zum besseren Menschen. Mir ist, als wäre ich viel eleganter, edler und schöner. Überhaupt fühle ich mich viel erotischer.
Ist das ein Vorrecht der Frauen? Sind das feminine Eigenschaften? Das kann doch nicht sein. Noch vor zweihundert Jahren haben adlige Männer hohe Absätze getragen, um Eleganz und Anmut auszustrahlen. Das hat doch nichts damit zu tun, dass man eine Frau sein will!“
Er hat sich offensichtlich in Rage geredet. Marion glaubt, dass er diese Argumente nicht zum ersten Mal vorbringt. Auf einmal tut er ihr etwas leid. Tatsächlich sind die Beschreibungen seiner Gefühle nicht viel anders, als das, was sie fühlt. Nur viel intensiver. Mit warmen Blick sieht sie ihm in die Augen, sie hat ihn gern. In Sekunden reift eine Entscheidung.
„Komm lass uns essen gehen, da können wir etwas quatschen. Ich brauche nur meinen Mantel.“

Heiko ist völlig durcheinander. Erst der überraschende Besuch, dann diese merkwürdige Situation, in der er sich einer fast unbekannten Frau outet und nun will sie ausgehen? Er fände es schöner, wenn sie sich hier unterhalten würden. Mit etwas traurigem Blick willigt er aber trotzdem ein.
„Ja okay. Ich ziehe mich nur schnell um.“ - „Wer hat was von Umziehen gesagt? Du gehst so wie du bist.“ Breit grinsend sieht sie ihn über den Rand ihres Weinglases an.



7. Kapitel

Heiko wird totenblass. „Das geht nicht! Ich kann doch so nicht raus gehen und in ein Lokal schon gar nicht. Alle werden mich für einen Schwulen halten.“ Als müsse er ihr den Grund erst zeigen, weist er mit der flachen Hand auf seine Füße.

Marion zieht die Augenbrauen zusammen.
„Was soll das? Willst du mich beleidigen? Ich bin doch bei dir. Sehe ich aus wie ein Mann?“
„Nein, natürlich nicht. Aber ich kann mich doch so nicht zeigen. Was sollen die Leute denken?“
„Na und? Was soll denn passieren? Meinst du, du verlierst deine Wohnung oder deine Arbeitsstelle, weil sich Passanten darüber aufregen, was für Schuhe du trägst? Vergiss es! Guck dir doch mal an, wie die Leute heute rumlaufen. Das interessiert doch keinen mehr.“
Marion ist richtig böse geworden. Aus ihrer Zeit beim Rechtsanwalt erinnert sie noch an genug Beispiele für Kündigungsklagen vor Arbeitsgerichtprozessen, auch aus Gründen der Kleidung. Deutlich kann man Heiko ansehen, dass er mit sich kämpft.

„Gut. Wenn du bei mir bleibst, komme ich mit. Wir gehen essen. Wohin möchtest du?“
„Wir gehen zu dem Inder. Der ist lecker. Keine Widerrede. Ich muss nur noch kurz unten den Mantel holen, können wir dann jetzt los?“
Heiko nimmt seinen Trenchcoat von der Garderobe und steckt Portemonnaie und Schlüssel ein. Er sieht auf seine Schuhe und atmet ein letztes Mal tief ein, als müsse er Anlauf nehmen.
„Okay. Los gehts!“

Schon die ersten Meter über die Dielen des Treppenhauses sind völlig neue Erfahrungen für ihn. Bisher war er erst einmal nachts in einem einsamen Industriegebiet auf der Straße. Treppen ist er noch nie gestiegen.
Vorsichtig stellt er seine Füße auf die Stufen und schaut ängstlich durch das Treppenhaus, ob jemand kommt, doch es ist niemand zu sehen. Im unteren Stock holt Marion schnell ihren Mantel aus der Wohnung. Unbarmherzig lässt sie Heiko draußen warten. Nach einigen Minuten ist sie wieder da, etwas länger und er wäre wohl wieder in seine Wohnung geflüchtet.

Draußen auf dem Gehweg begegnen sie den ersten Passanten. Marion hat sich bei Heiko eingehakt, gemeinsam gehen sie über die Steinplatten. Das Klackern ihrer Absätze begleitet sie, doch die wenigsten Menschen kümmern sich um sie.
Heikos Herz schlägt vor Aufregung bis zum Hals. Immer wieder beobachtet er, wie die Leute auf das Paar reagieren. Manchmal sieht er sich sogar um. Marion bemerkt sehr wohl die Nervosität des Mannes an ihrer Seite.
„Mensch, nun ist aber gut. Kümmere dich mal mehr um deinen Gang, als um die Leute. Du stakst hier ziemlich rum.“
Dieser Anpfiff hat Wirkung. Heiko nimmt sich zusammen und achtet auf seine Schritte. Nach einer Weile interessiert er sich viel mehr für das Pflaster und Bordsteine, als für die wenigen Augenpaare, die auf seine Schuhe sehen. Tatsächlich beginnt ihm dieser Ausflug immer mehr Spaß zu machen.
Als eine ältere Frau in der U-Bahn ihn mit fragendem Blick ansieht, zwinkert er ihr nur freundlich zu. Glücklich lächelt er Marion an.
„Danke.“
„Wofür? Dafür, dass ich mich von dir zum Essen einladen lasse?“ Sie lacht frech und zieht sich eng an ihn.

Die Treppenstufen aus dem U-Bahnhof hoch zur Fußgängerzone sind für Heiko eine harte Bewährungsprobe. Längst schmerzen seine Füße und die Waden fühlen sich auch schon etwas schwach. Er stützt sich am Geländer und kommt mit zusammen gekniffenen Lippen der wartenden Marion hinterher.

„Na? Machst du schlapp? Ist doch etwas schwieriger als in der Wohnung hin und her zu rennen, oder?“
Er verzieht das Gesicht, muss ihr aber recht geben.
„Ja, du hast gewonnen. Jetzt mach dich nicht noch lustig über mich.“
„Nein, mache ich doch gar nicht. Komm, du hast es gleich geschafft. Wir sind da.“
Suchend schaut sich der Mann mit den hohen Pumps um. Tatsächlich ist nur weniger Meter vor ihm die Reklame des Taj Mahal zu sehen.
„Uff … Ein Glück, viel länger hätte ich nicht gekonnt.“

Der Ober, der sie im Lokal empfängt, schaut kurz auf Heikos Füße, übergeht seine Entdeckung aber sofort und führt das Paar an einen Tisch. Alle Plätze im Lokal sind mit kleinen Trennwänden sehr gemütlich angeordnet. Auf den Tischen brennen orientalische Öllampen. Sie rücken beide nebeneinander auf die Bank an der Rückseite.

„Autsch.“ Heiko hat sich das Knie am Tisch geschlagen. „Shit, jetzt ist der Unterschenkel etwas länger.“ Er bewegt seine Zehen in den Schuhen, versucht langsam etwas Blut in die Füße zu bekommen. Amüsiert sieht Marion ihm zu. Eine kleine Spitze kann sie sich nicht verkneifen.
„Ach je, was seid ihr Männer wehleidig!“

Es ist kurz nach Mitternacht, als die beiden die Haustür hinter sich verschließen und langsam zur Treppe gehen. Ein leckeres Essen mit verschiedenen Pakoras und Tandori-Lamm füllt ihre Bäuche. Einige Kingfisher-Biere haben mit geholfen, dass sich Mann und Frau sehr viel voneinander erzählt haben. Allerdings mussten sich die beiden auf dem Heimweg gegeneinander stützen, um nicht zu oft umzuknicken.

Heiko setzt sich auf die erste Treppenstufe und zieht mit schmerzverzogenem Gesicht die Schuhe aus. Deutlich zeichnen sich blaue Druckstellen und am rechten Fuß sogar ein Blutfleck ab. „Oje … nicht einen Schritt mehr!“
Marion sieht ihn kurz mitleidig an, dann beginnt sie den Aufstieg, ihre Abendbegleitung folgt ihr mit hängendem Kopf und seinen Schuhen in der Hand. Als sie vor Marions Tür ankommen, lehnt er sich an die Wand und sieht ihr beim Aufschließen zu.
„Feierabend?“ Sein fragender Blick spricht Bände.

„Feierabend! Es war ein sehr schöner Abend und ich danke dir für das Essen.“ Sie lächelt ihn an und freut sich, dass sie ein einsichtiges Gesicht erntet.
„Gut. Wiederholen wir so was mal wieder?“
„Gern.“ Seine Augen lassen sie immer noch nicht gehen. Sie lehnt sich noch einmal herüber und küsst ihn langsam auf die geschlossenen Lippen. Seine Hand legt sich an ihre Taille und zieht die junge Frau sanft an sich. Zärtlich gleitet seine Zunge über ihre Lippen.
Erschrocken registriert Marion das Kribbeln, das sich sofort in ihrem Unterleib entwickelt. Eilig löst sie sich und verschwindet mit einem „Gute Nacht!“ durch ihre Tür. Mit geschlossen Augen lehnt sie pustend an der Wand des Wohnungsflures, hört auf ihren Herzschlag und die Geräusche draußen. Deutlich kann Marion nachvollziehen, was auf der anderen Seite der Türe passiert.
Nach einer kurzen Pause macht sich Heiko auf den Weg. Er geht die Treppe hoch, schließt auf und kurz darauf fällt seine Tür wieder ins Schloss.
Sie steht immer noch im Flur, den Mantel an und die Schlüssel in der Hand. Langsam geht ihr Blick von den Wohnungsschlüsseln hoch zur Decke.

„Was soll's? Warum denn nicht?“
Unternehmungslustig öffnet sie wieder die Tür und macht sich auf den Weg nach oben.


* Die Geschichte ist auf Anregung von Mitgliedern des HighHeel-Forums entstanden und soll ihnen gewidmet sein.*


Verfasserin SweetGwen
11/2001

 

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