Die Lust am Ungehorsam

„Das ist doch jetzt nicht dein Ernst. Ich soll dir den Rohrstock holen. So weit kommt es wohl noch. Hol ihn dir doch selber! Und wenn du zu faul bist, dann nimm – verdammt noch mal – den Stock, den du bereits in der Hand hältst. Aber ich mach hier ganz bestimmt nicht den Laufburschen. Schon aus Prinzip nicht.“

Ich stehe in deinem Spielzimmer, werfe den Kopf in den Nacken und bin eher genervt. Irgendwie ist mir die Sache auch peinlich. Ok, ich war total scharf auf dieses Treffen, aber jetzt ist es doch irgendwie ein bisschen albern.
Wir sind zwei erwachsene Menschen. Es gibt einfach keinen nachvollziehbaren Grund, warum du mich schlägst und ich mich schlagen lasse. Ganz kurz blitzt bei mir der Gedanke auf, was meine Mutter denken würde … Aber dann verscheuchst du den gruseligen Gedanken mit einer kurzen, aber wirkungslosen Ansprache.

„Du brauchst dich auch nicht zu wiederholen. Ich kann sehr gut hören. Nur gehorchen will ich gar nicht. Kann ich nicht.“

In das Gefühl von Genervt-Sein mischt sich jetzt auch eine Spur Enttäuschung. In meinem Kopf warst du so stark und ich so schwach. Der Gedanke, in einem geschützten Raum einmal schwach sein zu dürfen, war so unglaublich reizvoll. Denn Schwäche kann ich mir ansonsten nicht leisten.

Ich habe mich sehr bewusst für meinen Job entschieden. Es ist mein absoluter Traumberuf und ich habe vor, sehr weit in diesem Traumberuf zu kommen. Bisher läuft auch alles nach Plan, nur Schwäche hat in diesem Plan eben nichts zu suchen.

Du bist nicht ganz so zufrieden mit meinem Verhalten und drückst meinen Oberkörper auf die Tischplatte. Mit leichter Genugtuung registriere ich, dass deine Bewegungen fahrig wirken. Und ich hoffe, du weißt, dass ich mich nur aus lauter Höflichkeit auf den Tisch gelegt habe.
Jeder Muskel von mir ist gespannt und ich bezweifle, dass du mich wirklich zu etwas zwingen könntest. Immerhin absolviere ich vier, fünf Trainingseinheiten pro Woche, du schaust dir höchstens mal die Sportschau an.

„Aha, zwei Dutzend, um meine Mitarbeit zu steigern. Dann wollen wir mal sehen, wer zuerst müde wird.“

Egal, ob im Sport, im Studium oder im Beruf – ich habe den Ruf, niemals müde zu werden. Ich bin dann noch motiviert, wenn du schon schläfst.

Dabei bin ich ja eigentlich zu dir gekommen, weil ich es müde bin, immer stark zu sein. Nur mal ein paar Stunden geführt werden. Denn es ist viel kraftschonender, wenn ich dir die Verantwortung abtrete. Entscheidungen treffen ist schwer, Anweisungen befolgen ist einfach. Deine letzte Anweisung steht ja auch noch offen im Raum, allerdings waren deine Argumente bislang nicht schlagkräftig genug.

„Hey, dein Tisch ist gar nicht so unbequem. Warten wir mal die nächsten zwei Dutzend ab, denn ich bewege mich hier ganz sicher nicht weg.“

Mein Kopf ist viel zu aktiv, die Gedanken wirbeln durcheinander. Ganz kurz habe ich das Gefühl, als würde ich uns beiden zuschauen. Und ich gebe einen erbärmlichen Anblick ab, wie ich da so über deiner Tischkante hänge.
Erste doppelzüngige Striemen zeichnen sich rot auf meiner Haut ab, mein Gesicht hingegen ist blass und angespannt. So trotzig habe ich das letzte Mal wahrscheinlich mit 15 geschaut.

Allerdings habe ich die letzten Schläge doch recht deutlich gespürt. Jeder neuerliche Schlag nötigt meine Gedanken, sich auf die geschundene Stelle zu konzentrieren. Ich lege meine Stirn auf der Tischplatte ab und schließe die Augen. Meine Hände umklammern die Tischkante. Ich bin vorbereitet für das, was noch kommen soll. Spätestens jetzt tauche ich in das Spiel ein. Es ist ein Spiel um Macht, oder eher eine Kraftprobe.

„Ok, langsam wird es ungemütlich, aber ich beiße mir lieber die Zunge ab, als dass ich den blöden Rohrstock hole. Der andere funktioniert doch offenbar ganz hervorragend. Und ich wette, dass du bei der nächsten Runde Skrupel bekommst und die Intensität aus den Schlägen nimmst.“

Es tut mir ja fast schon ein bisschen leid, dass ich hier so einen Aufstand mache. Aber ich habe mich daran gewöhnt, stark zu sein. Und ich bin sehr stolz auf das, was ich erreicht habe. Ich kann meine Stärke und meinen Stolz nicht einfach an deiner Garderobe abgeben, wie ich es mit meinen Klamotten getan habe.
Du musst mir meine Stärke nehmen, damit der Raum für die Schwäche da ist. Und dann hole ich dir auch endlich deinen verdammten Rohrstock. Vielleicht.

Der letzte Streich hat gesessen. War das ein Versehen oder hast du bewusst quer über den Oberschenkel geschlagen? Die Frage kann ich nicht abschließend für mich beantworten, weil du ein hohes Tempo aufgenommen hast. Ich beiße die Zähne aufeinander und atme die Luft mit einem hörbaren Zischen ein. Aber es ist mir egal, ob du dieses Eingeständnis von Schmerz registrierst.

Jeder Schlag bringt jetzt Wellen von Schmerz mit sich. Meine Muskeln sind nicht mehr angespannt, sondern nur noch verkrampft. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis ich aufgebe.

„Ok, wir hätten uns den ganzen Stress auch sparen können, wenn ich gleich losgelaufen wäre. Aber dann hätte dem Spiel doch sicher einiges gefehlt."

Verfasserin Kohai

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