Mein Herr

Heimatland!

Ich liebe ihn.
Das sei vorweg gesagt.
Ich liebe ihn über alles.
Ich bin bereit, einiges zu ertragen – sein Wille ist mein Maß.

Aber was er an jenem Abend – an besagtem Abend – mit mir getan hat, hat mich an die Grenzen des Erträglichen gebracht. Und sein Lachen klang unendlich gespenstig. Beinah war er mir fremd, obwohl er mir doch so unendlich vertraut ist.

Ich bin lernfähig. Lernwillig. Wobei – bin ich lernwillig?
Ich gebe zu, dass ich schwer erziehbar bin. Bin ich überhaupt „erziehbar"?
Ich widersetze mich so gern. Lote Grenzen aus. Liebe es, ihn zu reizen.

Provozieren kann ich ihn nur selten. Er durchschaut meinen Plan, bevor ich ihn überhaupt gedacht habe. Vermutlich weiß er vor mir, was ich aushecke, was mir durch den Kopf geht. Bevor ich überlege, weiß er, wie ich reagieren werde.
Aus meinem Gesicht kann er es nicht lesen, denn selbst im Dunkeln spricht er meine Gedanken aus.

Ich liebe ihn.

Ich möchte ihn glücklich machen. So, wie er mich glücklich macht. Tag für Tag. Jede Minute.
Ich liebe alles, was er tut – die verhasste Ohrfeige ebenso wie die SMS mit diesen unendlich zärtlichen Worten, dass er mich liebt und mich vermisst.

Er ist vielseitig und einfallsreich.
Ich bewundere ihn. Er handhabt mich, als gebe es eine Gebrauchsanweisung für alle Fälle. Er kennt mich, als hätte er mich erfunden. Er liebt mich, auch in den Momenten, in denen ich mich selbst nicht mag.

Was er aber an besagtem Abend mit mir veranstaltet hat, ging mir schwer an die Nieren …

Nein, nicht auf die Nieren hauen, das war es nicht. Sowas tut er nicht. Niemals. Er würde mir keinen nachhaltigen Schaden zufügen. Gut, er würde mich durchaus kennzeichnen. Cutten, Branden oder mir ein Tattoo verpassen, seinen Namen in meine Haut gebrannt …
Meine Gedanken schweifen ab. Ein Branding. Der Geruch von Verbranntem steigt mir in die Nase. Die Shiloh-Ranch fällt mir ein. Ich muss lächeln, obwohl mir flau ist.
Bevor es mir klar ist, streicht er mir eine widerwillige Haarsträhne aus dem Gesicht. Er küsst mich auf die Stirn und flüstert kaum hörbar: „Alles ok bei dir?“

Ich liebe diese Momente.

Unbeschreiblich intensiv empfinde ich seine Zuneigung in diesen Momenten. Seine Fürsorge und seine Liebe sind die Luft, die ich zum Leben brauche.
Er schlägt mich. Er fesselt mich. Er demütigt mich. Er benutzt mich. Er lässt mich knien und er verbietet mir, ihn anzusehen. Er untersagt mir jedes Wort.

Das tut weh. Schmerzhafter als Schläge ist dieses Verbot, ihm in die Augen zu schauen.
In die Augen, die mich lieben.
In die Augen, die ich liebe.

„AU!“, schreie ich. Wie dumm von mir! Seine Hand hat meine Haare erfasst und meinen Kopf in den Nacken gerissen. Es fühlt sich an, als berühre mein Hinterkopf meinen Rücken, als wäre mein Kopf rückwärts zwischen den Schulterblättern eingeklemmt.
Dabei ist das nur sein derber Griff. Nur.
Wie konnte es mir nur passieren, nicht auf seine Frage zu antworten. Er fragt, ob alles ok ist und ich antworte nicht.
Natürlich wäre es jetzt unpassend, noch zu erwähnen, dass vor einer knappen Minute durchaus noch alles ok war. Dass ich nur in Gedanken an ihn in Schwärmerei verfallen bin.

Mit jedem Wort würde ich es jetzt bloss verschlimmern. Bei dem Versuch, seine Frage nonverbal mit einem Nicken zu beantworten trifft mich die Erkenntnis, dass man mit einem fixierten Kopf nicht nicken kann.
Ich könnte heulen vor Wut.
Vor Wut über mich selbst.
Er hasst es, wenn ich unaufmerksam bin.

Seinen Blick kann ich jetzt spüren, obwohl meine Augen geschlossen sind.
Unendliche Sekunden halte ich die Luft an und spüre seinen Blick auf mein Gesicht.
Alles, was ich jetzt tue, wird falsch sein. Ich weiß es, und er weiß, dass ich es weiß.
Ohne Mühe ist er mir wieder unendlich überlegen.

Ich spüre seinen Atem an meiner Wange und meinem Ohr.
„Ob alles ok ist, habe ich dich gefragt!“
Ich hasse diesen Tonfall, denn so, wie seine erste Frage zärtlich und liebevoll war, ist dies nun eine reine Aussage, auf die ich gar nicht mehr antworten kann, selbst, wenn ich es wollte.
Sein Griff lockert sich nicht und ich frage mich, ob mein Kopf jemals wieder senkrecht auf meinem Hals landen wird und wie viel Kraft es braucht, mir die Haare derart gebündelt auszureissen.
Ich überlege, was nun weniger falsch wäre – mit überstrecktem Hals zu glucksen, dass alles ok ist oder ihn davon in Kenntnis zu setzen, dass ich kaum mehr Luft bekomme.

Noch während ich überlege, lässt er mich los. So völlig unvermittelt, dass ich das Gleichgewicht verliere und vornüber kippe.

Ich lande weich in einem riesigen Kissen und nehme im Reflex meine Hände nach vorn, um mich abzustützen. Freudig stelle ich fest, dass diese nicht fixiert sind und noch während ich versuche, mich aufzurichten, um richtig Luft holen zu können, umfasst er meine Handgelenke und hält sie gekonnt hinter meinem Rücken zusammen.
Wieder lande ich unsanft im Kissen, ohne richtig Luft geholt zu haben, und er fragt leise: „Habe ich dir das erlaubt?“

Im Kissen erstickend keuche ich ein wütendes "Nein!" in den Raum, wohl wissend, dass das nicht die passende Antwort war.
Umgehend wird der Griff an meinen Handgelenken fester und schmerzhafter und ich kenne die Worte, die jetzt folgen.
„Ob ich dir das erlaubt habe?!“

Ich verabscheue diesen Tonfall und er weiß es. Wie sonst ließe sich erklären, dass er derartig mit mir spricht? Da spricht derselbe Mann, der mir so sinnlich und zärtlich „Guten Morgen“ sagt, während ich mich verschlafen an ihn kuscheln kann, der mit mir ganz banale Dinge besprechen kann, während ich bemüht bin, auf den Inhalt seiner Worte zu achten, weil mich seine Stimme so fasziniert …
Schnell fällt mir auf, dass ich ihm noch nicht die richtige Antwort gegeben habe, und obwohl es mir widerstrebt, antworte ich mit fast geschlossenen Lippen – so wütend, wie meine derzeitige Situation es zulässt: „Nein, mein Herr, du hast es mir nicht erlaubt.“

Da klatscht auch schon die flache Hand schmerzhaft auf mein Hinterteil und würde es gerade nicht so nachbrennen, würde ich mich fragen, woher diese freie Hand denn nun kam – zumindest hatte es sich bis gerade eben so angefühlt, als hielte er meine Handgelenke mit beiden Händen fest.
Zügig antworte ich, bevor es wieder klatscht: „Nein, mein Herr, Sie haben es nicht erlaubt.“
Zeitgleich trifft mich die flache Hand erneut und ich verkneife mir jeden Laut, der ihn freuen könnte. Im Kissen finde ich eine Lücke, die es mir ermöglicht, einigermassen Luft zu holen, und ich hoffe, dass seine Position unbequem genug ist, um den Druck auf meinen Körper zu minimieren.
„Dein Benehmen ist eine Katastrophe“, sagt er leise, mit einem Unterton, der keinesfalls vertrauenserweckend ist.
Könnte ich ihn doch nur ansehen!

Ich bin irritiert.

Es beunruhigt mich, dass ich nicht ahnen kann, was nun folgen wird. Dabei kenne ich ihn doch in- und auswendig?
Wir leben ein gefühltes Jahrhundert miteinander und man kennt sich.
Dachte ich.
Wieso kann ich überhaupt so lange nachdenken? Was wird als nächstes passieren? Warum rührt er sich nicht?
Sämtliche Gedanken schiessen mir durch den Kopf – Wo sind die neuen Handschellen? Warum öffnet er keine Schranktür? Warum gibt er mir keine Anweisungen? Liegt irgendein Schlagwerkzeug in Reichweite? Sind die Fenster geschlossen?
Die Schmerzen an den Handgelenken holen mich zurück, denn durch den gelockerten Griff strömt endlich wieder Blut und das tut weh. Was folgt denn nun?

Er bewegt sich.

Hätte ich bis gerade eben genug Sauerstoff gehabt, hätte ich jetzt sicher die Luft angehalten. Ich wage es nicht, mich zu bewegen und verharre natürlich still in meiner Position. Er verlässt den Raum, kramt etwas und kommt zurück.
Aha, denke ich, jetzt werde ich gleich erfahren, welches Musikstück er heute auf mir spielt.
Er geht an mir vorbei, was mich noch unsicherer macht. Hat er etwas Neues gekauft? Will er etwas testen? Ich ahne, dass ich nichts ahnen kann, und überlege, was passiert, wenn ich versuchen werde, zu blinzeln.
Ich nehme das Drücken von Knöpfen wahr und frage mich, was er an der Stereoanlage macht. Oh weh. Meine bevorstehenden Qualen sollen von der Musik übertönt werden.

Er setzt sich zu mir aufs Bett.

Was hat er nur vor?
So etwas hatte es bislang noch nicht gegeben.
Zärtlich streichelt er meine Schulter und sagt:
„Hör mal, Schatz, was ich dir mitgebracht habe! Musik aus den 80ern. Lauter Lieder, von denen wir neulich noch geredet haben.“
Ich stecke immer noch im Kissen und wage es nicht, mich umzudrehen.
„Nun schau doch mal“, sagt er. „Ich habe diese CD extra für dich mitgebracht.“
Während das erste Lied anfängt, drehe ich mich zögernd um und lächle ihn zaghaft an.
Er verpasst mir einen Knebel! Wie ich das hasse!
Mein widerwilliges Sträuben bleibt ohne Erfolg.

Ob er mitgesungen hat, darf ich nicht berichten.

Verfasserin Mondkuss

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