Hotelzimmer

Das Seil zwischen den Zähnen, zog sie den letzten Knoten ihrer Fesselung zu. Da lag sie nun, nackt, mit Augenbinde, rasiert, gepierct, ans Bett gefesselt und wartete...
Erst als die Anstrengung und Aufregung des Fesselns vorbei war, merkte sie wie ihr Puls raste, wie ihr Herzschlag in ihrem Ohr dröhnte und jegliche anderweitige Geräusche überdeckte. Ihren Atem spürte sie kaum, ob es nun daran lag, dass sie ihn nicht hörte oder sie ihn vermied, weil der Luftstrom eine zusätzliche verdeckende Geräuschquelle war, sie hätte es nicht sagen können.

Hatte sie sich das so vorgestellt? Eine Heidenangst überkam sie auf einmal, sie könnte sich nicht einmal mehr losbinden, wenn sie es wollte, ein Seil lässt sich nun mal nicht schieben und der Bettpfosten war zu weit weg. Was hatte sie sich eigentlich dabei gedacht?
Diese Phantasie wuchs seit Jahren in ihr und schließlich hatte sie es wissen wollen. Erfahren und erleben wollen, wie es sein würde, in einer fremden Stadt, in einem beliebigen Hotel, sich ans Bett zu fesseln mit verbundenen Augen, die Zimmertür halb offen zu lassen und zu warten, was geschehen würde.

Da lag sie nun und wartete. Ihr Herz klopfte. Ihr Verstand war zu wach, war so wach, dass die Angst sehr groß wurde und die lustvolle Phantasie zur Qual wurde. Was, wenn mir jemand ernsthaft weh täte? Was, wenn die Kondome, die auf dem Bett lagen, einfach nicht benutzt würden...? Noch schlimmer: Was, wenn jemand sich abgestoßen fühlte und an der Rezeption Klage einreichen würde?
Oh nein, sie sah es schon vor sich, ein spöttisch grinsender Hotelangestellter band sie los und übergab ihr die Hotelrechnung... Schande... "Ungnade über dich!" Kichern auf dem Flur.
Ihr Herz pochte nun so stark, dass ihre Handfesseln am Bettpfosten rhythmisch anstießen. Klack...klack....klack.... Was war nun mit dem Kichern, sie hörte nichts mehr... War jemand im Raum? Sie hörte nichts, sie konnte es nicht sagen. Oh man...!
Schritte... eine Tür fällt zu, zu weit weg, nicht meine Tür, dachte sie... Ok, ok... ganz ruhig bleiben. Hätte sie schon ein Kind zur Welt gebracht, könnte ihr die Schwangerschaftsgymnastik nun gute Dienste leisten. Sie hatte aber kein Kind, sie versuchte es trotzdem mit kräftigem, regelmäßigem Ausatmen, irgendwie musste sich ja ihr Atem regulieren.

" Wenn dir jetzt jemand zuschauen würde", dachte sie sich und versuchte, die Fassung zu behalten, das musste ja mehr als dämlich ausschauen. Das hatte sie nun davon, das war ja mehr als bescheuert. Da lag sie, nackt und völlig unsouverän, unerotisch und fast hysterisch.
Unwillkürlich musste sie grinsen, da war es, das spöttische Grinsen, aber in ihrem Gesicht. "Was soll's", dachte sie sich, und wenn schon eine ziemlich blöde Situation, wenigstens habe ich es versucht.
Wenn das Zimmermädchen am nächsten Tag sie losbinden sollte, dann wäre das zwar tragisch und irgendwie peinlich, aber sie würde es überleben und vielleicht sogar noch ein wenig Stolz übrig haben, denn immerhin hatte sie es versucht.


Sie lag immer noch, mittlerweile, war einige Zeit vergangen, wie lange sie da schon lag, hätte sie aber nicht sagen können. Ihr Herz pochte nicht mehr, ihre Angst war größtenteils verschwunden, eine gewisse Scham war überwunden und die Selbstvorwürfe auch schon durchgestanden und es breitete sich eine nicht unbedingt angenehme, aber auch nicht unbedingt unangenehme Resignation aus. Besser, eine Akzeptanz der Lage.
Irgendjemand würde sie finden, losbinden, sie würde rot anlaufen und etwas hüstelnd sich bedanken und dann würde sie abreisen und fertig. Wenigstens wäre diese Phantasie dann nicht mehr so fordernd in ihrer Großhirnrinde gespeichert.
Manches sollte man eben doch nicht ausprobieren oder wenn schon, dann nicht im Alleingang... aber gerade der Alleingang machte ja die Spannung aus. Wenn von vorn herein keine "wahre" Unsicherheit, dann konnte man das Ganze ja eh vergessen. Vielleicht hätte sie doch bei ihrer dominanten Rolle bleiben sollen, wenn sie sich so ein Unsicherheitsszenario nicht im Kopf erschaffen konnte.
Nun gut, Unsicherheit hat sie ja zu genüge gehabt, leider in der Phantasie viel lustvoller als nun tatsächlich in der realen Welt erlebt. Irgendwie war es schon enttäuschend. Da lag sie und machte sich in die Hose, dabei passierte nichts. Rein gar nichts! Das war die eigentliche Schmach. Das würde wohl noch dauern, bis sie das verdaut haben würde.


Ein Klopfen an der Tür weckte sie. Sie musste eingeschlafen sein. Sie war schon dabei, rot anzulaufen und sich das zaghaft eintretende, an der halb geöffneten Türe dennoch klopfende Zimmermädchen vorzustellen, als sie Schritte hörte - im Zimmer!!! - die Tür aufgemacht wurde und eine männliche Stimme sich bedankte, zurückkam, etwas abstellte und erneut Stille einkehrte.
Klack...klack...klack... sie war hellwach, ihre Hirngefäße wurden durch das plötzlich hineinströmende Blut weit gedehnt und erstaunlicherweise stellte sich ein doch sehr nüchterner Gedanke in ihr ein: "Gut, das ich liege, ich glaube mir ist schwindelig..." Stille.
Klack... Klack... Klack... Oh, diese blöden Handfesseln.... ruhig bleiben... ihr Ohr pochte, ihre Brust pochte, ihr Geschlecht musste wohl inzwischen hochrot angeschwollen dem Fremden direkt ins Gesichtfeld hineinpochen. Aufregend, aber peinlich. Warum hatte sie sich nicht mehr im Griff?

Das lag sie also, nackt und völlig wehrlos, offensichtlich in der Erwartung von was auch immer und dabei könnte sich dieser Fremde auch nur lustig machen, sie auslachen, demütigen oder gar verletzen. Nein, aber Angst hatte sie keine, erstaunlicherweise, wo sie doch vor kurzem noch vor dem Panikanfall stand, aber es ärgerte sie, so leichte Knöpfe zu haben, so durchschaubar und erregt da zu liegen und sich wahllos so auszuliefern.
Es war immer noch still, er sagte kein Wort. Ein leichtes Atmen, regelmäßig. Sollte sie was sagen? Was denn? Hallo, wer ist da? Nein, das wäre ja zu bescheuert. Oh man...! Ihr Herzschlag beruhigte sich ein wenig, die Unsicherheit stieg dennoch unaufhaltsam.

Ein Gluckern, er schenkte sich wohl was ein... was trank er wohl? Wein- oder Biertrinker? Ein Feuerzeug, Pause, tiefes Ausatmen. Raucher also. Er schien es sich gemütlich zu machen. Keine Anzeichen für irgendein Handeln seinerseits. Was ging wohl in ihm vor? Was für einen Anblick bot sie?
Noch mal ein Feuerzeug. Knistern. Machte er etwa Kerzen an? Sie hatte sie wenigstens hingelegt, er schien sie zu nutzen. Vielleicht also doch kein Raucher. Sie könnte jetzt auf jeden Fall eine Zigarette brauchen. Wie lange lag sie wohl schon?
Räucherstäbchen, die hatte er also auch angezündet. Schön! Sie lächelte. Was auch immer er da im Zimmer machte, er schien eine gewisse Atmosphäre schaffen zu wollen, das gefiel ihr. Eine Hand an ihrem Nacken. Ein Schluck Rotwein. Hmm... das versprach ja doch noch sehr angenehm zu werden... ein angenehmer Griff, starke, feste Hände.


Er setzte sich neben ihr aufs Bett. Ihr Körper senkte sich seitwärts, der Krümmung folgend, die dieser Fremde schuf. Bitte trete auch in meinen Raum ein, dachte sie, krümme ihn, so dass ich mich in die Krümmung schmiegen kann. Ihr Herz klopfte wieder, ihr Atem wurde schneller.
Oh Sehnsucht... eine Hand an ihrer Wange, eindeutig Raucher, an ihrem Hals, auf ihrer Brust. Das Piercing schien ihn überhaupt nicht zu interessieren, er erkundete weiter, fuhr ihren Bauch hinunter, hielt sich etwas länger an einer Stelle unter ihrem Hüftknochen auf, legte mal seine Hand, mal seine Finger, mal seinen Handrücken in die leichte Kuhle dieses Ortes.
Wahnsinn! Das war der absolute Wahnsinn. Ihr gesamter Körper pochte, jede Zelle schrie nach Verschmelzung, oh bitte, bitte... er stand auf und die Sehnsucht bohrte sich in ihr ein Loch, die Krümmung verschwand, da lag sie nun wieder, allein in ihrem Universum, flach und bedeutungslos. Zitternd und mit Kribbeln auf der Haut blieb sie zurück.

Ruhig bleiben, dachte sie, ganz ruhig, wird alles gut. Sie holte tief Luft und versuchte dieses Verlassenheitsgefühl zu vertreiben, so ein Schwachsinn, jetzt spiel nicht das Kind, sagte sie sich im Stillen.
Er zog sich aus... oder nicht...? Doch das war ein Reißverschluss und das eben war eine Gürtelschnalle gewesen. Ja, nun ein Abstreifen von was auch immer. Er war sicherlich nackt. Er stand sicherlich nun nackt vor ihr und betrachtete sie. Klack...Klack...Klack... nichts passierte, kein Wort... kein Geräusch außer ihres Herzschlags.

Eine Ewigkeit verging, er legte sich zu ihr. Er roch gut und fühlte sich gut an. Er krümmte ihren Raum. Er küsste sie, er streichelte sie, er rieb sich an ihr. Sie spürte seine Erregung und sie war glücklich. Richtig wohlig, zittrig, strahlend glücklich! Danke, danke, danke, ging ihr immer wieder durch den Kopf, sagen konnte sie es aber auch nicht, es war wie ein stilles Übereinkommen, es wurde nichts gesagt.
Es war gut so und es war wunderschön ihn zu spüren. Sie wollte ihn endlich in ihr spüren, sein Gewicht auf ihr spüren, sich wehrlos und erregt dieser geballten Kraft fügen, öffnen, geben... er blieb aber an ihrer Seite, er stütze sich, er schmieg sich an ihren Körper und beobachtete sie.

So lagen sie nun da, die beiden und in all der Stille und der Fremdheit war doch eine Vertrautheit im Raum, die sie weder einordnen konnte noch wollte. Es fühlte sich gut an. Sie musste nichts sagen, sie musste nichts beweisen, sie musste nicht reagieren, sie musste ihm weder Sicherheit vermitteln noch um ihre eigene Sicherheit kämpfen. Er legte seinen Kopf auf ihre Brust und so lagen sie nun da, und spürten sich und begegneten sich...

Als sie aufwachte, war sie alleine. Eine Hand war losgebunden. Sie nahm sich die Augenbinde ab. Ja, sie war alleine. Eine Flasche Rotwein auf dem Tisch, ein Glas auf ihrem Nachtisch. Sie band sich los und streckte sich erst mal, bevor sie in der Dusche alles noch mal Revue passieren ließ.
Was war eigentlich geschehen? Wer war das? Wieso war er nicht geblieben? Noch nie war sie von so wenig Reizen so berührt worden, noch nie hatte man mit so wenig so viele Türen in ihr öffnen können. Wo war er? Wer war er? Das hatte sie nicht berücksichtigt in ihrer Phantasie.

Sie packte ihre Sachen zusammen und suchte das Zimmer nach irgendwelchen Zeichen ab, nach einer Telefonnummer, einer Adresse. Nichts.
Sie ging Frühstücken. Jeder Blick brachte ihr die Unsicherheit zurück... war er da? Konnte es der da am Tisch neben dem Blumengesteck sein? Er schaute sie ziemlich eindringlich an. Andererseits, der am Buffet genauso. Der gerade an ihr vorbeigelaufen war, hatte auch so ein seltsames Lächeln im Gesicht, während er sie anschaute. Sie senkte ihren Blick.
Mach dir nichts vor, dachte sie, er ist nicht mehr da. Sie stand auf und ging.

Verfasserin Temples

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