Die blaue Rose

Auf dem kühlen harten Boden kniete ich. Niemand hatte es mir befohlen. Ich tat es, weil ich es so wollte und weil ich es brauchte. Es war meine Zeit. Vor mir stand ein Tablett, das ich kunstvoll zurechtgemacht hatte, mit einem Samttuch, einem Glas voller Tinte, einer Vase und einer weißen Rose. Unbekleidet, nur mit mir selbst angelegten Ledermanschetten umhüllt und frisch geduscht, kniete ich dort, so wie es ihm gefallen hätte, meinem Zauberer.

Mit beiden Händen ergriff ich das Glas mit der blauen Tinte und leerte es in der Vase, um es dann zur Seite zu stellen. Eine Weile sah ich mir die schmale Vase nur an, während die Kerzen um mich herum sanft flackerten und den Raum in ein warmes Licht hüllten.
Draußen war es bereits dunkel und der Mond sah zum Fenster herein als ob er über mein Tun wachen wollte.

Ich leerte meinen Geist, konzentrierte mich nur auf eines, auf meine Hingabe, die mein Zauberer in mir geweckt hatte und erst, als ich spürte, wie mein Herz lichterloh brannte, senkte ich meinen Blick, nahm die kostbare weiße langstielige Rose in meine Hand. Ich hielt sie an mein pochendes Herz und ließ mich von den Blütenblättern kühlen. Ich füllte die Rose mit meiner Hingabe, so wie sie sich füllen sollte, sich färben sollte.
Als die Rose mich spüren ließ, daß ich wieder zur Ruhe gekommen war, stellte ich sie ihrem angeschnittenen Stiel in die Vase.


Stunde um Stunde betrachtete ich die Rose während sie sich langsam blau verfärbte und ließ in Gedanken Revue passieren, was ich mit meinem Zauberer erlebt hatte, seine Worte, seine Taten, seine Wünsche, seine Träume.
Wir hatten geredet, er hatte mir den Schlaf geraubt, nur mit seiner Stimme, seine Worte ließen mich den Boden unter den Füßen verlieren, so wie er es mir prophezeit hatte.
Einzig ein Wort oder eine Zahl von ihm konnte mich zum Schweigen bringen, obwohl, nein, weil seine Stimme so unendlich sanft war. Wenn er bei mir war, selbst wenn es nur in Gedanken war, kehrten Ruhe und Gelassenheit in meinem Herzen und in meiner Seele ein.

Ich erinnerte mich an unseren ersten Abend, als ich frisch geduscht, nur in eine Decke gehüllt, auf ihn gewartet hatte, um ihm mit verbundenen Augen die Tür zu öffnen. Ich hatte meine Hände vertrauensvoll in seine warmen Hände gelegt.
Mein Cover hatte mich ruhig sein lassen und genau deshalb hatte er es mir zur Aufgabe gemacht. Er wollte, daß ich mich voll und ganz auf ihn konzentrieren konnte und keine unnötige Angst haben mußte. Ich hatte mich darum gekümmert, wie er es mir aufgetragen hatte.

Er hatte mich in das Wohnzimmer geführt und das Schimmern des Kerzenlichts hatte ihm den Weg gewiesen. Ich hatte mich ihm geschenkt und am Ende des Abends, als er mich sanft in eine Decke gehüllt hatte, legte er mir eine Rose auf meine Brust und in den nächsten Tagen beschäftigte mich die Sprache der Blumen.
Ich lernte etwas über eine Blume, die mich faszinierte. Die blaue Rose weckte mein Sehnen. Eine Bitte ohne Worte, mich in seine Hand zu begeben und mich führen zu lassen, ihm zu gehören. Laut seinen Worten durfte ich ihn so darum bitten, die Seine zu werden,oder er konnte mich darum bitten, daß ich ihm meine Hingabe schenkte.
Es wäre dann an ihm, mich zu führen und ich würde mich vertrauensvoll in seine Hände begeben, lernen und für ihn wachsen. Eine blaue Rose konnte ich nicht finden, darum war in mir der Gedanke des Rituals gewachsen.


Wir hatten gewartet, denn er wollte, daß ich ihn prüfte und ich selbst sollte mir darüber klar werden, ob er mir geben konnte, wonach ich mich sehnte. Ich sollte darüber nachdenken, ob ich an seiner Hand zu dem werden konnte, was ich sein wollte.
Er hatte mir immer wieder gesagt, was ihm wichtig war, wir hatten uns getroffen, bis tief in die Nacht telefoniert. Er kannte meine Sehnsucht. Sogar, daß ich immer, wenn er bei mir war und ich ihm diente, nur auf ein Wort auf einen Laut von ihm hoffte, hatte ich ihm anvertraut und er hatte es sich zu nutze gemacht.
Nur sehr selten sagte er ein Wort und wenn er mit mir sprach, wußte ich genau, wie wichtig es war, was er mir sagte. Nie wäre es mir auch nur in den Sinn gekommen, ihm nicht zu gehorchen.

Die Erinnerung an den Abend kam in mir hoch, als wir das erste Mal in Gesellschaft gewesen waren. Keiner hatte geahnt daß wir uns kannten. Unsere stille Eintracht und die Kommunikation ohne Worte machten mich nicht nur glücklich, sondern erfüllte mich mit noch nie gekannter Erregung.
Ich ließ ihn nicht aus den Augen und wann immer er mir ein Zeichen gab, verstummte ich. Er hatte es genauso genossen wie ich, dieses Spiel mit der Macht der Blicke und Gesten liebte er und ich wollte nichts anderes als ihm zu gehorchen um den Stolz zu sehen in seinen Augen.


All diese Bilder hatte ich in meinem Kopf während die blaue Tinte in die Blütenblätter der Rose wanderte und die Kerzen immer kleiner wurden. Auch die Dinge, die mir Angst machten, die ich noch nicht kannte, bewegten mich im Stillen, die Vorführungen, die er machen wollte, den Verleih und ich stellte mich meiner Angst und wägte ab gegen meine Wünsche und gegen das, was diese Vorstellungen sonst in mir auslösten.
Ein stiller Wunsch danach und die Ahnung, daß ich in seiner Hand stark genug werden konnte, um das zu schaffen, erfüllten mich mit Gelassenheit.

Nach einer kleinen Unendlichkeit auf den Knien waren die Blütenblätter blau und meine Gedanken geordnet. Ich küßte den Kelch sanft und stellte die Rose auf meinen Nachtschrank, kroch unter meine Decke und schlief ruhig und tief. Meine Decke umhüllte mich warm und schützend wie er es sonst tat. Mein Traum führte mich in seine Arme.


Am späten Morgen erwachte von einem klingelnden Telefon. Unsanft riß es mich aus meinem viel zu kurzen Schlaf.
„Mein Kleines, ich fahre jetzt los, wir sehen uns gleich“, hörte ich seine Stimme und schon war das Gespräch zu Ende. Schlagartig erinnerte ich mich an alles, sauste ins Bad, unter die Dusche, bereitete mich vor, schlüpfte in die von ihm gewünschte Kleidung, trocknete mein langes Haar, legte ein wenig Make Up auf, ein wenig zarten Duft und legte den Schlüssel an die vereinbarte Stelle.

Mit vor Erregung zitterndem Leib kniete ich mich in die Mitte des Raumes und wartete. Sehr viel später hörte ich den Schlüssel im Schloß und seine Schritte hallten durch den Raum. Ich sah nicht in seine Richtung. Meine Augen waren geschlossen, so wie er es gewünscht hatte.
Schweigend ließ er seine sanften warmen Hände zur Begrüßung über meine Haut gleiten, kam gedanklich bei mir an und ich bei ihm. Ganz in Ruhe genoß er den Anblick, der sich ihm bot. Ich beruhigte meinen Atem und konzentrierte mich auf das Feuerwerk meiner Sinne.
Seine Hände sprachen zu mir. Er lenkte mich mit ihnen, so wie er es wollte und nie kamen Zweifel auf. Immer war deutlich, was er von mir verlangte, worum er mich bat.

Mit der einen Hand schenkte er mir Lust, mit der anderen Schmerz. Wenn er das Gefühl hatte, es würde zu viel für mich werden, beruhigte er mich sanft, um dann gnadenlos fortzufahren in seinem Tun. Wie schon ein paar mal, lotete er meine Grenzen aus, betrachtete mich ganz in Ruhe und wie jedes Mal berührten mich die kühlen Blütenblätter einer Blume, die ich nicht sehen konnte und daher war mir auch nicht bewußt, was er mir sagen wollte.
Erst, nachdem er genug hatte, legte er mich wieder hin, deckte mich sanft zu, setzte sich neben mich, ohne mich zu berühren und legte mir die Blume auf meinen nackten Leib.
Er gewährte mir die Zeit, mich zu sammeln und zu beruhigen, mir meiner Gefühle klar zu werden und schaute mich ruhig dabei an.

Dann begann er zu sprechen, mit Ruhe und Wärme in der Stimme. Ich hörte jedes einzelne Wort und nahm es in mich auf. Jedes berührte mich tief in meiner Seele und dies war ein besonderer Tag. Seine Worte sagten es mir, die Art wie er sprach und ich konnte es spüren ohne daß er es beim Namen nannte.
Dann endlich gestattete er mir, meine Augen zu öffnen. Auf mir lag eine blaue Rose. Wenn ich sie nahm, würde ich ihm gehören. Er würde mich führen und mich lehren, die zu sein, die ich so gern sein wollte. Er wünschte es sich.

Ein sanftes Lächeln huschte über mein Gesicht. Ich nahm sie ganz langsam in meine Hand und hauchte einen Kuß auf den Kelch, sah ihm tief in die Augen und meine Seele sprach zu ihm.
Später, viel später bat ich ihn, aufstehen zu dürfen, um etwas zu holen. Fragend sah er mich an und nickte. Ich erhob mich ein wenig unsicher und verschwand unbekleidet wie ich war in meinem Schlafzimmer, nahm die Rose aus der Vase und versteckte sie hinter meinem Rücken, um dann zu ihm zurückzukehren.
Mit einer fließenden Bewegung sank ich auf meine Knie, spreizte meine Schenkel weit, holte meine blaue Rose hervor, und ließ sie eine Weile an meinem Herzen ruhen, während ich ihm tief und mit großer Ruhe in die Augen sah.
Meine Sicherheit war spürbar, sichtbar, dann legte ich die Blume auf meine beiden Hände, beugte mich tief hinunter und bot sie ihm dar in tiefer Demut und mit einer stummen Bitte.

Er ließ mich dort verharren eine lange Zeit, als brauchte er Zeit, um sich zu fassen, dann nahm er mir die Rose aus meinem Händen und zog mich in seinen Schoß. Zum ersten Mal kniete ich so mit offenen Augen und wir gaben uns zu zweit dem Glück hin, daß es unsere gemeinsame Sehnsucht war. Die blaue Rose zu empfangen war unser beider Traum gewesen.

Autorin sinna

Webseite: http://www.ary-abadon.de/sinna/Sinna-geschichten.html

(ICQ: 457264364)

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