Kleiner Engel

Ein Traum hatte mich geweckt. So real, wie er mir schien, ließ er mich schweißgebadet und mit wild klopfendem Herzen erwachen. Das konnte doch nicht sein...
Unmöglich, dennoch griff ich zum Telefon, das immer griffbereit neben mir lag und wählte mit zitternden Fingern eine vertraute Nummer. Seine Nummer vergaß ich nie. Ein paar Mal vertippte ich mich, weil ich so zitterte und meine Bewegungen so fahrig waren. Bange hämmerte ein einziger Gedanke in meinem Kopf. Bitte, bitte mein Herr, geh ans Telefon. Wach auf! Diese Worte kreisten unbarmherzig in meinem Kopf.

Das Freizeichen dröhnte in meinen Ohren laut und fast höhnisch. Tränen rannen über mein Gesicht. Endlos versuchte ich es, doch er ging nicht ans Telefon. Hastig kleidete ich mich an, ordnete meine Haare, packte ein paar Sachen zusammen und sauste zu meinem Wagen, startete den Wagen und fuhr los
Den ganzen Weg zu ihm fuhr ich schneller, als es das Tempolimit erlaubte, und einen halbe Stunde, bevor er zur Arbeit musste, traf ich bei ihm ein.

Ich betrat die Wohnung, kniete vor ihm nieder, sah ihn lächelnd an und meine Augen leuchteten. Es war noch Hoffnung. Ich bat ihn, ihm etwas servieren zu dürfen, er nickte brummig, während er mich verwirrt ansah. Außerhalb der Wochenenden kam ich nie zu ihm und schon gar nicht in solch einem Aufzug.
Um nachzufragen war er zu müde und so ging ich in die Küche, nicht ohne an seinem Schlüsselbrett vorbei zu huschen und seinen Autoschlüssel in meiner Hand verschwinden zu lassen.
Noch während ich mich um den Kaffee kümmerte, suchten meine Augen nach einem guten Versteck für den Schlüssel. Ich beschloss, ihn in der Dose mit dem Kaffeepulver zu versenken. Ganz tief, auf dem Boden der Dose, deponierte ich ihn, bedeckte in sorgsam mit dem Pulver und bald zog der köstliche Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee durch die Wohnung.

Ich servierte ihn nach dem Ritual, das er so liebte und ohne die ungeliebte Kleidung mit einem Gesicht, das vor Hingabe leuchtete. Er ahnte nicht, wie groß sie gerade heute morgen war. Er trank den Kaffee, während er meinen Anblick genoss, und ich lächelte ihn überglücklich an. Dann erhob er sich schweigend, wollte seinen Schlüssel holen, begann zu fluchen.

„Wo ist der Schlüssel?“ verlangte er zu wissen.
Ich senkte den Kopf und sagte leise: „Mein Herr, das werde ich Euch nicht sagen.“ Vollkommen verblüfft sah er zu mir hinüber.
Das war er nicht von mir gewohnt. Ich sah auf die Uhr und blinzelte, um meine Tränen verschwinden zu lassen. Er kam zu mir herüber, sah mich drohend an: „Gib ihn heraus. Ich muss zur Arbeit. Ich kann Dich jetzt nicht nehmen, das weißt Du.“ Entschlossen schüttelte ich meinen Kopf: „Nein, mein Herr. Das werde ich nicht. Bitte verzeiht. Dieses eine Mal kann ich Euch nicht gehorchen.“

„Du verhältst Dich nicht wie eine Kajira!“ kam es erbost aus seinem Mund. Ich zuckte zusammen bei seinen Worten. Tränen schossen aus meinen Augen, denn ich konnte sie nicht mehr aufhalten. Mein Körper wurde geschüttelt von einem Schluchzen, bis ich mein Gesicht in meinen Händen verbarg.
„Bitte, mein Herr. Ich kann nicht. Darüber darf ich nicht reden...“ weinte ich verzweifelt. Wortlos holte er seinen Rohrstock und ließ mich meine Strafposition einnehmen. Er hatte mich noch nie gestraft und es war ihm bewusst, dass ich die größte Angst vor diesem Stock hatte.
Zitternd beugte ich mich, nahm jeden einzelnen Schlag mit leisem Schrei entgegen, immer mehr von Tränen und Schluchzen geschüttelt. Mein Körper begann haltlos zu werden, doch noch immer gab ich mein Geheimnis nicht Preis. Ich zählte nur leise die Schläge. Bei zwanzig war er mittlerweile angekommen, als das Telefon klingelte und er das Gespräch annahm.

Er wurde immer stiller und völlig blass. Dann legte er wortlos auf, hob mich vom Boden hoch und nahm mich in seine Arme. Bebend schmiegte ich mich an und fragte ganz leise: “Seid Ihr noch böse, mein Herr? Ich wollte nicht ungehorsam sein! Der Schlüssel ist in der Dose mit dem Kaffee.“
„Nein mein kleiner Engel. Du hast mir gerade das Leben gerettet, wie es aussieht“, sagte er sanft und bat um Verzeihung. Immer wieder küsste er mich. Er machte das Radio an, es lief ein Bericht über einen schweren Unfall, der sich auf seinem Arbeitsweg zugetragen hatte, bei dem es viele Schwerverletzte gegeben habe.

Das war die Stimme, das waren die Worte aus meinem Traum, der Grund, aus dem ich losgefahren war...

Autorin sinna

Webseite der Verfasserin: www.ary-abadon.de/sinna/Sinna-geschichten.html

(ICQ: 457264364)

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