Diadem oder Krone

Mein Geliebter versprach mir vor kurzem, eine Zeremonie wie in „Eyes Wide Shut“ zu besuchen. Er wusste schon seit längerem, dass mich besonders eine ganz bestimmte Szene daraus sehr beeindruckte, weil ich des Öfteren davon geschwärmt hatte.

Heute sollte endlich dieser Tag sein und mein Geliebter hatte es tatsächlich so wie in dem Film arrangiert.

Bevor wir von einem Chauffeur abgeholt wurden, kleideten wir uns beide festlich ein. Ich trug diesmal auf Anweisung meines Geliebten und Maître ein langes, tief dekolletiertes schwarzes Abendkleid und sehr hohe Pumps. Mein Halsreif sollte diesmal jedoch zuhause bleiben.

Nichts deutete daraufhin, dass ich seine Soumise war. Natürlich wunderte ich mich ein wenig, aber danach zu fragen, verbot sich für mich natürlich von selbst.

Die Feier sollte in einem kleinen Schloss stattfinden. Der Weg dorthin führte mitten durch einen unheimlichen, dunklen Wald. Alles außerhalb des Autos war vollkommen schwarz, bis ich weit entfernt auf einer Lichtung einen hellen Schimmer erkennen konnte. Wir fuhren noch eine ganze Weile und endlich erkannte ich, dies musste das Schloss sein, dass dort in seiner ganzen Pracht vor uns erstrahlte.

Der Chauffeur parkte direkt vor dem Eingang des Schlosses. Sofort traten zwei maskierte Diener in historischen Kostümen an den Wagen und öffneten die Fondtüren auf beiden Seiten.

Nach dem Aussteigen reichte mir mein Geliebter seinen Arm und führte mich in den großen Vorraum. Aus einem der anderen Räume, drang leise, klassische Musik an unsere Ohren. Ein weiterer Mann, ebenso in historischen Gewändern und maskiert, begrüßte meinen Maître und fragte, ob ich seine Soumise sei.

Mein Geliebter nickte.
„Nun, dann werden wir sie für die Zeremonie vorbereiten lassen“, erklärte der Fremde.
Er rief nach einer Frau namens Claire und es dauerte nicht lange, bis eine maskierte Frau die Treppen herab kam. Sie trug ein Kleid mit unbedeckten Brüsten und ein Lederhalsband. Sie nahm meine Hand und machte Anstalten mich fortzuführen; ich blieb jedoch stehen, blickte zu meinen Geliebten auf und wartete auf seine Reaktion.

„Geh! Man wird dich vorbereiten. Hab keine Angst, ich werde da sein!“
Er berührte noch einmal sanft meine Lippen mit seinem Zeigefinger und ich folgte Claire die Treppen hinauf. Am Ende des Korridors angelangt, öffnete sie eine Tür und wir betraten einen großen Raum.


In diesem Zimmer saßen sieben weitere Frauen und mir schien, als sei deren Vorbereitung für die Zeremonie bereits abgeschlossen. Sie waren allesamt in schwarze, lange Capes mit großen Kapuzen, unter denen sie völlig nackt waren, gekleidet. Schwarze, hohe Schuhe waren das Einzige, was sie sonst noch anhatten. Es wurde kein Wort gesprochen. Alles geschah ausschließlich auf Handzeichen.

Claire bedeutete mir, ich solle mein Kleid ablegen und die Schuhe anbehalten. Ich tat, was sie von mir verlangte und ließ mein Kleid von meinem Körper gleiten. Sie hob es auf und trug es in ein Nebenzimmer, von wo sie mein Cape mitbrachte, das sie mir nun um die Schultern legte.
Ich wollte es vorn zubinden, aber Claire nahm meine Hände beiseite. Die anderen sieben Frauen saßen währenddessen still auf ihren Sesseln. Als Claire mit mir und meinem Äußeren zufrieden war, gab sie mit der Hand ein Zeichen, dass sich die anderen Frauen erheben sollten.

Wir folgten ihr im Gänsemarsch den Korridor entlang, die Treppen hinunter und dann auf langen Wegen durch das Schloss. Ich hörte nur das Klackern unserer Absätze und aus dem Hintergrund die klassische Musik.
Schließlich hielten wir inne. Vor einer großen Tür standen zwei maskierte Diener. Mir fröstelte, was nur zum Teil daran lag, dass ich nur mit dem Cape bekleidet, eigentlich nackt war.

Jetzt wurden wir aufgefordert, die Kapuzen über unsere Köpfe zu ziehen. Die Kapuzen waren so groß, dass sie unser Gesicht weitgehend verhüllten und uns, kaum mehr als den Blick auf unsere Füße ließen. Einer der Diener öffnete jetzt die große, schwere Tür, die in den Festsaal führte.

Als wir eintraten, gelang es mir doch, trotz der Kapuze, einen Blick von dem Saal zu erhaschen und es verschlug mir den Atem. Ich schien mitten im Film gelandet zu sein – eine mehr als unwirkliche Kulisse. Mein Herz begann zu pochen.
Die Menschen, die ich bei meinem kurzen Blick im Saal wahrgenommen hatte, waren festlich gekleidet und maskiert und oben auf der Galerie schienen sich viele Zuschauer aufzuhalten. In der Mitte des Saales hatte ich einen Mann in purpurrotem Gewand wahrgenommen. Der Zeremonienmeister hob sich damit von allen anderen ab. Meine Eindrücke aus dem Film vermischten sich immer mehr mit dem, was ich kurz erspäht hatte.

Als wir in die Mitte des Saales geführt worden waren und dem purpurn verhüllten Mann gegenüberstanden, stellte ich fest, dass auch er maskiert war. Allerdings trug er eine Vollmaske, so dass sein Gesicht nicht zu erkennen war. Um uns herum saßen acht Herren auf bequemen Sesseln. Alle trugen ähnliche Gesichtsmasken wie der Zeremonienmeister.
Es war mir unmöglich, meinen Geliebten zu erkennen, zumal sich alle durch schwarze, lange Capes mit Kapuze sehr ähnlich sahen.

Auf dem Tisch, der sich exakt in der Mitte des Saales befand, waren sieben wunderschöne Diademe platziert. Sie funkelten und strahlten im Licht der Kronleuchter. Mir fiel auf, dass es eigentlich acht Diademe hätten sein müssen. Wo war das Achte?

Mir blieb keine Zeit, mir drüber Gedanken zu machen, denn der Zeremonienmeister befahl, dass wir uns hinknien sollten, dabei den Oberkörper gerade zu halten und die Hände in den Schoß zu legen.

Claire ging herum und öffnete unsere Capes, so dass die Zuschauer unsere Körper betrachten konnten. Mir wurde mit einem Schlag bewusst, dass uns jetzt hunderte von Augen beobachteten. Ich spürte förmlich die Blicke auf meiner Haut und wurde leicht verlegen. Ich dachte nur an meinen Geliebten und erinnerte mich an seine Worte: „Ich werde da sein!“

Das nahm mir ein wenig die Angst vor dem Ungewissen. Natürlich hatte ich mich gefreut, als mein Geliebter mir eröffnet hatte, mit mir eine solche Zeremonie zu besuchen, aber jetzt, da ich hier war, überkam mich ein mulmiges Gefühl. Natürlich wurde ich schon des Öfteren vor oder von seinen Freunden gepeitscht, doch diesmal war alles anders.

Ich war sehr aufgeregt. Ich wollte meinen Geliebten nicht enttäuschen. Schließlich hatte er das alles für mich organisiert, weil er wusste, wie sehr ich immer davon geträumt hatte. Und jetzt war es Wirklichkeit!

Der Zeremonienmeister begann mit einer Ansprache: „Wir sind hier zusammengetroffen, um unsere Königin zu küren! Wie sie alle sehen können, befinden sich hier auf dem Tisch sieben Diademe, für jede anwesende Soumise eines. Damit wollen wir ihre Schönheit und Anmut unterstreichen. Wie sie aber auch sehen können, haben wir zu den sieben Diademen acht Damen. Für die Achte wird es kein Diadem, sondern eine Krone geben. Die Achte ist dann die Auserwählte. Sie wird die Krone tragen!“

Ich blickte vorsichtig unter meiner Kapuze hervor und konnte das Strahlen der anderen Frauen in deren Gesichtern erkennen.

Ich war mir zu diesem Zeitpunkt sicher, dass jede der anderen die Krone tragen wollte. Nicht nur für sich selbst, sondern auch, um damit ihren Gebieter zu ehren. Ich selbst wusste nicht so recht, was ich davon halten sollte. Ich würde mich ja schon mit einem dieser wunderschönen Diademe begnügen.

Wie im Film schwenkte der Zeremonienmeister nun ein Gefäß mit Weihrauch und trat, sobald er eine Dame auserkoren hatte, an sie heran, woraufhin sie aufstehen musste. Dem Zeremonienmeister wurde ein Diadem gereicht und er setzte es auf das Haupt der Sklavin. Sobald dies geschehen war, musste sie wieder ihre ursprüngliche Position einnehmen.

Diese Zeremonie wiederholte sich noch fünf mal. Nur noch eine Sklavin und ich waren nun übrig.
Wieder schwenkte der Zeremonienmeister sein Gefäß und blieb bei der anderen stehen. Sie bekam das letzte Diadem.
„Das letzte Diadem!“, durchfuhr es mich plötzlich.

Ein Diener trat herein, der auf einem roten Kissen, besagte Krone vor sich her zu tragen schien. Ganz sicher konnte ich mir noch nicht sein, denn das, was auf dem Kissen lag, war mit einem Tuch verhüllt. Nun musste auch ich mich erheben und blickte auf die starre Maske des Zeremonienmeisters.

„Ihr seid auserwählt worden, die Krone zu tragen. Seid Ihr bereit dafür?“, fragte er mich.
„Eigenartig“, dachte ich. „Was sollte denn daran schwer sein, eine Krone zu tragen?“
„Ja!“ antwortet ich.
Daraufhin zog er langsam das Tuch vom Kissen herunter und eine Dornenkrone kam zum Vorschein! Ich traute meinen Augen nicht, mir stockte der Atem und ich fühlte, wie mein mein Herz immer heftiger schlug. Ich war wie versteinert. Ich sah nur diese Dornenkrone vor mir!

Der Zeremonienmeister fragte mich nochmals: „Seid Ihr bereit, diese Krone zu tragen?“
Während er diese Worte aussprach, starrte ich weiter auf die Krone mit ihren großen Dornen. Mein Mund war trocken und die Kehle wie zugeschnürt und trotzdem sprach ich das Unmögliche aus:
„Ja, ich bin bereit!“

Die beiden Diener traten zu mir heran. Diesmal hatten sie eine Art Zange in den Händen, um die Krone anfassen zu können. Sie hoben die Dornenkrone damit auf und näherten sich mir. Die Sekunden, bis sie mir die Krone auf mein Haupt drückten, dehnten sich für mich zu Minuten. Und dann war dieser unsagbare Schmerz da. Ich spürte jede einzelne Dorne die sich in meine Kopfhaut drückte.

„Die Dornenkrone ziert dein Haupt, dein Fleisch hat tausend Wunden!“
Ich spürte, wie mir Blut über das Gesicht hinunter lief und hatte Mühe mich aufrecht zu halten. Alles drehte sich um mich, dieser Schmerz zwang mich in die Knie. Dann wurde plötzlich alles dunkel um mich herum.

Als ich erwache, liege ich im Bett. Das Fenster im Zimmer ist weit geöffnet. Draußen ist es bereits später Morgen, die Sonne scheint und die Vögel zwitschern. Mein Herr sitzt an meinem Bett. Er trägt noch immer seinen schönen dunklen Anzug.

„Guten Morgen! Wie geht es dir?“, fragt er und fährt, ohne auf meine Antwort zu warten fort: „Du hast uns mit deiner Ohnmacht einen schönen Schrecken eingejagt. Der Arzt meinte, es sei ein Kreislaufkollaps wegen der Hitze gewesen.“
„Entschuldigt, mein Herr, ich kann mich nicht mehr gut an den gestrigen Abend erinnern. Ich habe außerdem noch etwas Kopfschmerzen.“

Meine Erinnerungen an den gestrigen Abend haben sich so stark mit den Eindrücken des Filmes vermischt, dass ich beinahe glaubte ein Teil der Handlung gewesen zu sein. Jetzt, im hellen Tageslicht, erscheint mir das grotesk.
Wie, um die verwirrenden Erinnerungen fortzuwischen, streiche ich mir mit der Hand die Locken aus dem Gesicht und erstarre!

Warum habe ich eigentlich so viele Pflaster auf der Stirn?


Verfasserin Livia O

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