Semesterferien

Es war nachmittags, so gegen halb vier, als ich endlich fertig war. Das weiße Hemd, das ich nach ihrem Willen anziehen sollte, hatte ich nur äußerst widerwillig gegen mein T-Shirt ausgetauscht.
Nun stand ich vor dem Spiegel und blickte auf die Stoffhose hinunter, die ich zu allem Überfluss auch noch verordnet bekommen hatte. Um meinen Hals spürte ich den hochgeschlossenen Kragen. Dabei war es mitten in der Woche, es stand keine Feierlichkeit an und wahrscheinlich war diese Kleiderordnung wieder einmal nur eine ihrer verrückten Ideen, die sie im Laufe der Jahre immer wieder einmal hatte.

"So, jetzt bewege dich mal nicht", sagte sie, die hinter mir stand und von dort die Zeremonie leitete. Unsere Köpfe befanden sich ungefähr auf gleicher Höhe. Im Spiegel konnte ich ihre Hände sehen, die sich langsam von hinten um mich legten und in Richtung meines Halses wanderten. Die Linke hielt eine Fliege.

Vor meinem Kehlkopf trafen sich ihre Hände, und mit der rechten nahm sie das herabhängende Band. Zielsicher legte sie das gute Stück um meinen Hals. Ich spürte, wie sich der Kragen auf einmal sehr verengte und sich der Stoff auf meinen Hals presste. Ich hoffte, dass dies nur eine temporäre Angelegenheit sei, so wie das Hochklappen des Kragens. Sie verschloss die beiden Enden der Fliege in meinem Nacken - doch meine Hoffnung auf ein Stück mehr Freiheit wurde enttäuscht.

"Das ist zu eng!", protestierte ich.
"Aber das muss man so tragen!", erwiderte sie kurz.
"Aber ich bekomme doch kaum Luft", jammerte ich.
Schweigen.
"Bitte, das ist zu eng. Sonst zieh ich sie wieder aus."
Noch mal kurzes Schweigen.
"Wie du meinst..." Ihr Ton hatte eine ärgerliche Note. Dennoch löste sie den Verschluss und ich atmete kurz auf. Seltsam, hatte ich die Enge etwa doch gemocht? Jedenfalls wünschte ich, das mein Halsschmuck auch beim nächsten Versuch kaum mehr Luft lassen würde.
Erstaunlicherweise tat er das aber doch, und ich fragte mich ernsthaft, warum sie beim ersten Mal so fest zugezogen hatte. Bei zweiten Versuch saß die Fliege ebenfalls tadellos, ich spürte auch noch etwas Druck - aber bei weitem nicht soviel wie beim ersten Mal.

"Und jetzt musst du noch den Kragen herunter klappen." Ich tat wie befohlen.
Zufrieden war sie aber noch nicht, das Band lugte ein wenig hervor. Mit ein paar Handgriffen rückte sie es an die richtige Stelle. Nun war alles perfekt. Widerwillig musste ich mir beim Blick in den Spiegel eingestehen, dass das einfach gut aussah.
"Lass Dich nicht dabei erwischen, daran herumzufummeln!" gab sie mir noch mit auf den Weg.


Ich ging in das Zimmer mit der bequemen Couch, legte mich der Länge nach darauf und nahm ein Buch zur Hand. Allzu lange fesselte mich die Geschichte aber nicht. Als ich beim Lesen am unteren Buchrand angelangt war, glitt mein Blick wieder an mir hinab und ich wurde meiner für einen Dienstagnachmittag seltsamen Kleidung wieder bewusst.
Während der Regen auf unser Dach prasselte, lag ich in diesem lächerlichen Outfit gefangen auf einer Couch - und das vermutlich für den Rest des Tages!

Vorsichtig befühlte ich die Fliege. Ein Schlips wäre mir zwar lieber gewesen, aber so ging es auch. Und wie herrlich die Manschetten um meine Handgelenke spielten. Die Wärme im Zimmer verstärkte meine ohnehin vorhandenen Gefühle: Einerseits war meine Kleidung an bestimmten Stellen unglaublich eng, an anderen wiederum fühlte ich nur eine wunderbar sanfte Berührung...

Ich hatte es mir gerade wieder gemütlich gemacht, als ich vor meiner Zimmertür Schritte hörte. Um genau zu sein, es waren die Schritte meiner Gastgeberin, die langsam die Treppe herauf kam.

Das hieß in der Regel nichts Gutes. Wenn sie sich die Mühe machte, nachmittags ohne ersichtlichen Grund bis ins Dachgeschoss hinaufzusteigen, lag Ärger in der Luft.
Jedenfalls war sie kaum gekommen, um sich nett mit mir zu unterhalten. Nun ja, unterhalten vielleicht schon, aber solche Gespräche konnten sehr unvermutete und schmerzhafte Wendungen nehmen. Sie pflegte ihre Ohrfeigen immer lange vor dem Austeilen anzukündigen, so dass ich immer genug Zeit hatte, um mir auszumalen, wie sich ihre fünf Finger anfühlen würden.
Hatte ich wieder etwas angestellt? Ich dachte krampfhaft nach, aber mir fiel nichts ein, was strafwürdig sein könnte. Ich bereitete mich auf das Unvermeidliche vor.

Doch es geschah: nichts.

Sie war zwar bis zu meinem Zimmer gekommen, aber sie ging daran vorbei in die Speicherkammer und kramte in ein paar Kisten. Ich atmete auf, denn wenn sie ärgerlich gewesen wäre, hätte sie mir vorher ihren Besuch abgestattet. Trotz meiner Furcht trieb mich die Neugierde an, ich stellte mich in den Türrahmen und sah, wie sie aus einer Kiste ein paar alte Holzlöffel hervorkramte.

"Was machen denn die hier auf dem Dachboden?" fragte ich erstaunt.
"Die sind zu nichts mehr nütze. Es sei denn...“, begann sie mit einem seltsamen Lächeln.
Ich verstand kein Wort.
"Was?"
"Ganz einfach", antwortete sie und hob drohend die Kochwerkzeuge in die Höhe.
"Wenn du dich nochmal so aufführst wie heute Mittag, werde ich dir den Hintern damit versohlen." Aber so richtig ernst klang es nicht.
"Machst du eh nicht...", gab ich ungläubig zurück.
"Na, dann bück dich mal, Du Schlingel", erwiderte sie mir lachend.

Ich weiß bis heute nicht, warum ich es tat - aber ich bückte mich. Wollte ich sie testen oder sie mich? Jedenfalls verharrte ich eine ganze Weile in dieser Position, ohne dass etwas geschah.
Madame schien zu zögern. Aber gerade, als ich schon triumphieren wollte und dachte, gewonnen zu haben, spürte ich den ersten Schlag auf meinem Po. Nicht sehr fest, aber immerhin so, dass er mir einen leisen Schmerzensschrei entlockte und meine Hände unwillkürlich nach hinten schnellten.

"Finger da weg!", kam es in gespielt strengem Ton.
"Aber ich..." Meine Stimme klang klagend.
"Du bist jetzt mal still!", kam es jetzt deutlich und irgendwie ernst zurück.
Ihr Ton war sehr bestimmt, was mich überraschte, denn einen solchen Wechsel in der Stimmung hatte ich nicht erwartet. Und so blieb ich entgegen meiner sonstigen Gewohnheit ruhig.
Sie nahm sich Zeit.

Und ohne, dass noch ein weiteres Wort von ihr nötig gewesen wäre, war mir auf einmal klar, was ich zu tun hatte. Etwas verunsichert führte ich meine Hände an die Knie und kehrte in die gebückte Haltung zurück. Erst als ich wieder in der Ausgangsstellung war, kam der zweite Streich.
Ich zuckte kurz, blieb aber diesmal in Position. Es tat nicht wirklich weh, es war eher eine Art neuer Körpererfahrung. Zugegeben, der Drang, sich dagegen aufzubäumen, war groß. Aber zugleich hatte die ganze Situation auch einen seltsam intensiven Geschmack von Macht und Ohnmacht, von Ausgeliefertsein und Genuss, der mich in Bann zog. In mir regte sich ein bis dato unbekanntes Vergnügen.

“Na, glaubst du mir jetzt?", fragte sie lächelnd. Statt einer Antwort drehte ich nur vorsichtig den Kopf, wagte aber nicht, mich aufzurichten.
Sie schien wieder zu warten. Oder überlegte sie etwa? Ich hoffte jedenfalls instinktiv auf mehr.
“So hat das die Oma früher auch schon gemacht, wenn die Bälger nicht hören wollten!", erklärte sie mir schmunzelnd.
“Nein, die hat sicher richtig durchgezogen!?", erwiderte ich provozierend. Was in drei Teufels Namen ritt mich denn da?

Wer eine große Klappe hat, sollte sich des Risikos bewusst sein. Das wurde mir unmittelbar im Anschluss an meine Bemerkung klar. Gut, dass der Hintern schon angewärmt war, denn von dem nächsten Schlag hatte ich wirklich etwas.
“Meinst du so?", fragte sie gespielt teilnahmsvoll.
Ich schwieg. Aber fertig war ich noch lange nicht, im Gegenteil, jetzt wollte ich es wissen! Wollen wir doch mal sehen, ob sie ihre anti-autoritären Erziehungsprinzipien wirklich vergessen kann, dachte ich. Laut stichelte ich.

“Jetzt weiß ich, warum du eine alte Jungfer bist." Ich konnte ja so gemein sein.
“Ich verstehe zwar nicht, was du meinst, aber ich höre, dass es dir noch viel zu gut geht?", lachte sie. „Aber ich weiß schon, wie ich dir die Frechheiten austreiben werde, du wirst es gleich sehen.“
Sehen? Ich spürte ziemlich heftig, welche Weisheiten sie da noch in ihrem Schatzkästchen aufgehoben hatte.
“Eins?", summte sie vergnügt und fuhr mit ihrem Werk fort. Ich biss die Zähne zusammen.
“Zwei....?" Mich durchzuckte ein weiterer Schmerz.
“Drei....?" Und wieder. Sie schien richtig Spaß an der Sache zu haben. So hatte ich sie noch nie erlebt. Meine Flausen waren wie weggeblasen, ich gab mich hin und wünschte, sie würde nicht mehr damit aufhören.

Doch ich wurde enttäuscht. Plötzlich hörte sie auf, setzte sich auf eine der umstehenden Kisten und betrachtete mich, während ich unverändert meine Haltung beibehielt. Sie wiegte ihr Zuchtinstrument noch ein wenig in Händen, bis sie schließlich zu dem Schluss kam, dass es für's Erste genug sei.

"Komm her. Setz dich zu mir."
Sie nahm mich liebevoll in den Arm. Ich spürte, wie sie mir über den Kopf streichelte und mich an sie drückte. Dazu gab sie mir einen Kuss auf die Wange.
"Und jetzt gehst du an deine Arbeit", sagte sie noch. Dann entschwand sie nach unten.

Der Nachmittag ging und der Sommer blieb noch ein paar Wochen. Gegen Ende der Semesterferien packte mich an einem Dienstag das Verlangen nach einem bestimmten Kleidungsstück. Ich öffnete den Schrank und fand ihn leer - natürlich bis auf die langweiligen Klamotten, Jeans und T-Shirt usw. Aber das Hemd und die Fliege waren weg.

Enttäuscht lief ich zu meiner Gastgeberin auf die Terrasse und stellte sie zur Rede:
"Wo ist denn das weiße Hemd hin?"
Sie sah ärgerlich von ihrem Buch auf:
"Ich habe es unserer Nachbarin gegeben, für ihren Sohn."
"Aber warum?"
"Du wolltest es doch eh nie anziehen“
Dies waren die letzten und besten Semesterferien, die ich bei Madame Grasse, der Schulfreundin meiner Mutter, erlebt habe.

Verfasser will anonym bleiben ist jedoch bekannt.

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