Von Licht und Schatten

Die Eingangstür zur Halle lag im gleißenden Sonnenlicht. Auf meinem Weg dorthin überquerte ich den unbefestigten Sandplatz. Feiner gelblicher Staub, aufgewirbelt durch einen stetigen warmen Sommerwind, setzte sich sofort auf meinen schwarzen Schuhen, in meinen schwarzen Sachen fest.

Aus der blendenden Helligkeit trat ich in diffuse Dunkelheit. Nur wenige Lichtquellen spendeten Licht in dem alten fensterlosen Industriebau, der jetzt als Ausstellungshalle diente. Kabel und Scheinwerfer wurden überall noch montiert. Alles war noch unfertig, war noch im Aufbau.
Bis zur offiziellen Eröffnung der Fetischmesse dauerte es noch viele Stunden. Orientierungslos sah ich mich um. Blickte nach oben. Ein Hallenhimmel der Superlative – groß, gigantisch, endlos wirkend – voller metallischer Streben und Scheinwerfer, die tot waren. Dort oben herrschte Dunkelheit.

Eine bange Vorahnung überkam mich. Sehr viel hatte ich meiner Herrin versprochen. Könnte ich alles halten? Selbstzweifel stiegen in mir auf. Ich schluckte, konzentrierte mich auf meine Aufgabe, die Frau zu finden, derentwegen ich hier war. Zögernd ging ich los. Rechter Hand in der Halle wäre unser Stand, hatte sie mir am frühen Morgen noch im Hotel gesagt.

Nach kurzer Zeit fand ich meine Herrin und ihren Begleiter, der in der Hierarchie weit über mir stand. Ihre Sklavin war ich. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger. Und ich war stolz es zu sein. Stolz darauf, ihr dienen zu dürfen und voller Bewunderung lag meine Sklavinnenseele ihr zu Füßen.

Die beiden richteten den Messestand ein und waren nicht allein. Noch ein weiterer Sklave von ihr, den sie mir flüchtig vorstellte, sprang helfend zwischen Stand und Messegelände herum.
Meine Gebieterin hatte sofort eine Aufgabe für mich. Ich sollte die Stromtechnikerin suchen, damit ihr Stand ausreichend Licht bekäme. Umgehend machte ich mich auf die Suche, durchquerte das Gewirr von halbfertigen Messeständen und hektisch aufbauenden Messeverkäufern.

Ob es im alten Rom oder Babylon oder an einen anderen Handelsplatz der Welt irgendwann einmal anders zugegangen war, ehe der Verkauf und das große Handeln und Verschachern begann? All die Hektik, all die zielgerichtete Arbeit, all der Stress, um dann Dinge zu verkaufen, die dem Leben nur den Glanz der anderen Seite schenken.
Nur? Der dunklen Seite in uns, die aber manchmal heller leuchtete und uns tiefer erfüllt, als wir ahnen konnten. Nichts Lebensnotwendiges – aber doch oft so wichtiges, was unserer Seele Tiefe schenkte, stand hinter dieser Seite.

 

Die für Strom verantwortliche Frau lief mir alsbald über den Weg. Sie versprach auch, sich umgehend um unseren Messestand zu kümmern. Von allen Seiten mit Aufträgen überhäuft, eilte sie weiter.

Nachdenklich sah ich der drahtigen dunkelhaarigen Frau nach. Du musst zurück, mahnte mich meine innere Stimme. Geh zurück zu deiner Herrin, berichte ihr, was du erreicht hast und hilf ihr beim Messeaufbau. Steh nicht tatenlos herum.
Ich legte den Kopf in den Nacken, sah in das dunkle Gewirr von Metallstreben und angedeuteter Unendlichkeit. Erschrak vor meinem Mut, vor meiner Zusage, mich vor all den Messegästen nadeln zu lassen. Nicht einfach mich nur mit ein paar Kanülen stechen lassen, nein, mein ganzer Körper würde ein Nadelkissen bilden.
Ich hatte erst seit kurzen meine neue Herrin, deren Faible die Nadelkunst war. Ursprünglich war das eigentlich ein absolutes Tabu von mir gewesen und meine erste Herrin hatte bezüglich Nadelung einen weiten Bogen um mich machen müssen. Es war jenseits meiner Grenzen gewesen. Nadelung nein, hatte ich ursprünglich in meine Tabuliste geschrieben. Nadeln tun weh, verletzen, stechen und erinnern an unangenehme Arztbesuche.

Jetzt sollte ich nicht nur genadelt werden, sondern die Nadeln würden mit Garn an einem Bambusgestell fixiert werden. Gleich einer Marionette hinge ich dann in den Fäden. Meine Angst wuchs und mit langsamen Schritten ging ich zu meiner Herrin zurück.

Ein Liedanfang fiel mir ein:
Werd mit dir spielen - Keiner von vielen - Zieh ich an Fäden - Führe dich vor. Ich lass dich gehen - Stehen und drehen - Ich bin der Spieler - Du bist der Tor.

War ich die Marionette? Geführt von der Puppenspielerin? Wer war ich im Gewirr der Menschen, der Sinneslust, des Kaufrausches, der Ekstase und in dem Spiel von Macht und Devotion, in dem Gefühl von Hingabe und Zuneigung, Benutztwerden und Vorgeführtwerden? Ich fand keine Antwort. Nur Zweifel und Bedenken. Und Angst vor der eigenen Courage.

Alle drei bemerkten mich nicht, als ich zurückkam. Zuviel hatten sie noch zu tun. Ich ließ etwas Zeit verstreichen, ehe ich mich bei meiner Herrin meldete und ihr berichtete, was ich erreicht hatte. Beiläufig nickte sie mir zu und schickte mich und ihren anderen Sklaven los, im nahe liegenden Baumarkt noch weitere Dinge zu besorgen, die sie dringend für den Messestand brauchte.
Mein neuer Gefährte war sehr unkompliziert und genauso wie ich auf der Suche nach Schmerz, nach Erfahrung und der eigenen Tiefe. Auch lachte er gern. Wir kauften ein, fuhren mehrfach hin und her, und der Tag vor dem entscheidenden Ereignis wurde mir nicht lang.

Später am Tag betreuten meistens nur wir zwei Sklaven den Messestand. Manchmal musste ich freudvoll grinsen, wenn ich uns beide so betrachtete als emsige Sklaven meiner Herrin – den Rest unseres anderen Lebens hatten wir für diese Tage der Messe und der Ehre unsere Herrin begleiten zu dürfen, über Bord geschmissen.
Soviel Glück zu haben, die Frau begleiten zu dürfen, die mir half, mein Sklavinnendasein auch real ausleben zu können, das war wahrlich alle Anstrengungen und Mühen wert. Irgendwie begann ich mich immer wohler zu fühlen und ein tiefes warmes, meine unsichere Seele umhüllendes Gefühl stieg in mir auf. Auch meine Gewissheit verfestigte sich, dass es richtig gewesen war, ihr auch zugesichert zu haben, dass sie mich als ihr lebendes Nadelkissen benutzen kann.

Der Abend kam. Meine Herrin saß auf einem Hocker und ich kniete neben ihr. Den Kopf gesenkt. Wären all die vielen Leute nicht gewesen, ich hätte meinen Kopf an ihrem Körper angelehnt und hätte, hätte sie mich gestreichelt, geschnurrt wie eine Katze. Aber so kniete ich nur auf dem Betonfußboden der Messehalle und verspürte Sehnsucht nach Nähe.
Und wieder verfluchte ich mich innerlich. Ich bin Masochistin. Ich bin Abenteuerin und Weltenbummlerin. Ich habe eine Herrin gesucht, um Schmerz zelebrieren zu können. Jetzt weinte meine umtriebige Seele nach Streicheleinheiten.
Verheiratet bist du, sagte meine innere Stimme. Und auch noch glücklich, ergänzte ich diesen Satz. Und ich führte diesen Dialog, der eigentlich ein Monolog mit meinem Gewissen war, noch weiter. Wie so oft schon. Ja, ich bin glücklich in meiner Ehe. Aber irgendwann später, verdammt viel später, wurde die Sehnsucht nach Schmerz, nach Unterwerfung, nach bedingungsloser Hingabe immer größer.

Aber erst, als ich fühlte, bald zu zerbersten vor nicht gelebten Träumen und Sehnsüchten, als die Gedanken an Schmerz und Hingabe nicht mehr beherrschbar waren und ihr nächtliches Eigenleben führten – da bin ich losgegangen, um mir eine Gebieterin über meine Sklavinnenseele zu suchen.

„Sklavin, lass uns beginnen“, sagte sie.
„Ja Herrin“, antworte ich mit belegter Stimme.

Ich senkte den Kopf noch tiefer und schluckte, meinen Speichel und meine nicht geweinten Tränen. Die Frau, derentwillen ich hier freiwillig und hingebungsvoll kniete, sollte nicht sehen, dass dieser Tag, dass diese Stunden durch all meine emotionalen Barrieren drang und mich im tiefsten Inneren berührte. Ich hasse sentimentale Momente, flüsterte ich lautlos.

Die Energietechnikerin hatte gute Arbeit geleistet und ich stand im hellen Licht des Messestandscheinwerfers und bat meine Herrin um die Gnade, mir die Augen zu verbinden. Lächelnd legte sie mir ein Tuch über die Augen und band die Enden zu einem straffen Knoten zusammen. Die Dunkelheit nahm mich auf, gewährte mir Schutz. Dann fühlte ich das kühle Desinfektionsspray auf meinem linken Arm.
Und viel später, nach einer Zeitspanne der Ruhe und des Besinnens, spürte ich die Hand meiner Herrin auf meinem Oberarm. Die drei Zentimeter lange Kanüle, die sie mir durch die Haut trieb, empfand ich nicht als Schmerz. Es war eine zärtliche Geste meiner Gebieterin und mir liefen Schauder der Lust, des Begehrens und des Erregtseins durch meinen Körper.
Es gab keinen Filter zwischen ihrer Berührung, den metallenen, fast millimeterdicken Nadeln, die sie horizontal in meine Haut bohrte und meinen Emotionen, die mich in Lust und Hingabe versinken ließen. Ihre Fingerkuppen, die prüfend über meinem Körper strichen, die beste Einstichstelle suchten, hinterließen Gefühle ungeahnter Zärtlichkeit in mir. In Gedanken flehte ich, dass sie niemals aufhören solle.

Sie stach sehr viele Nadeln. Fünfzig wohl an der Zahl, wie sie mir später sagte. Zeichnete meine Arme, meine Seiten. Dem Stimmengemurmel nach zu urteilen, standen Menschen um uns herum, sahen meiner Meisterin bei der Ausübung ihrer Nadelkunst zu.

Auch hundert Nadeln hätte sie stechen können, tausend vielleicht. Nackt gab ich mich immer tiefer ihren Händen hin. Ein Fließen setzte in mir ein, nahm mich aus der Zeit. Trotz der Augenbinde erschien mir alles hell.
Zweifel, an mir und an ihr, Zweifel an meinem ganzen Leben, mein ewiges mich Selbstinfragestellen und meine Selbstzweifel, alles zerfloss unter ihren Berührungen. Ich war nicht geknebelt, aber dennoch vermochte ich keinen Laut von mir zu geben.

Panta rhei – alles fließt.

Nachdem alle Nadeln gesetzt waren, führte ihr Gefährte mich barfuss, mit einem gelben Stofftuch nur bedeckt, mehr einem buddhistischen Mönch ähnelnd, als einer sich hingebenden Sklavin, zu der Behelfsbühne, stellte mich unter das Bambusgestell und ließ mich so verharren.
Meine Herrin kam bald, strich mir leicht über die Wange, flüsterte liebevolle Worte und begann mit ihrem Tagwerk, die Nadeln mit Garn zu umwickeln und die Fäden dann an den Haken des Gestells zu befestigen. Sie verwandelte mich in eine Marionette und ich verwandelte mich in ein Wesen, das ungeahnte Wege ging.
Mit beiden Beinen, leicht gegrätscht, stand ich vor ihr, stand ich vor allen, die zusahen, deren Blitzlichtgewitter ich durch das Tuch über den Augen als helle Lichtpunkte wahrnahm. Real existierte ich ja vor ihr. Aber mein Ort war weit weg.
Dort wo ich weilte, war es noch heller und voller Musik. Der elektronische Klangteppich, der an diesem Abend zu den Darbietungen auf der Hauptbühne gehörte, erzeugte einen Nachhall in mir, der mich begleitete während meiner Reise, die mich fortführte von meinem Körper. Geborgenheit und Wärme fühlte ich.
Ich hörte auch die liebevollen Worte meiner Herrin, auch ihre Fragen – aber ich verstand den Sinn nicht, denn dort, wo ich hinging, gab es keine Worte. Gewiss sagte ich ihr, dass es mir gut ging und gewiss sagte meine irdische Hülle ihr noch andere Dinge. Aber das war weit weg von mir. Meine Puppenspielerin war zurückgeblieben.

Die Helligkeit blendete mich. Aber im Gegensatz zum Sonnenlicht heute morgen tat dieses Gleißen meinen Augen nicht weh. Es war einfach nur sehr licht und hell in meinem Tunnel, durch den ich schritt. Das Leuchten umhüllte mich und nahm mich auf. Adsorbierte mich. Schenkte mir Geborgenheit und ein Kaleidoskop voller Gefühle. Vielfältiger Gefühle. Auch mein Schoß erbebte über all der gelebten oder auch nur erahnten Lust.
Nicht nur Marionette war ich – auch liebende Frau. Sie liebte ich und ihn, der nicht hatte mitkommen wollen auf diese Reise. Auf diese profane Reise zu einer Fetischmesse. Die Grenzen vermischten sich immer weiter – es spielte keine Rolle mehr, wo ich stand. Ich liebte. Beide.
Den Mann, mit dem ich mein Leben teilte und die Frau, die meine Obsessionen und Träume erfüllte. Verspürte Hingabe und Sinneslust. Nicht wen oder was wir lieben, war wichtig – sondern dass wir lieben. Dass all diese Gefühle strömen können. Mein Körper war nur noch ein Gefäß, eine Leitungsbahn der Sinnlichkeit.

Ein jäher Schmerz holte mich zurück. Von allen fünfzig gestochenen Kanülen, deren Anfang und deren Ende über der Haut lagen, führten von diesen freien Stellen rote Garnfäden kunstvoll gebündelt zu den Haken im Bambusgestell.
Die Frau, die meine Seele in der Hand hielt, hatte Notizzettelchen ins Garngeflecht geschoben. Mit ihren wie mit meinem Namen und mit Wörtern, die SM verbal beschreiben sollten. Nur das, was hier passierte, war nicht mit Schlagwörtern beschreibbar und ich spürte auch keinen Schmerz an den Einstichstellen der Nadeln.
Das Garn war schon lange gespannt gewesen, ich sah das später an den geröteten Ausbuchtungen meiner Haut. Doch dieses Ziehen der Fäden an meinem Fleisch, an meinen Oberkörper, der völlig ausgeliefert in dem Garn hing, all dass nahm ich nicht körperlich wahr.

Der Schmerz, der auf meiner Hinterseite beißend stärker wurde, musste eine andere Ursache haben. Langsam begriff ich, dass meine Gebieterin, nachdem sie den Rückenteil meines Gewandes geschürzt hatte, mich schlug. Mit kraftvoll ausholenden Bewegungen klatschte die Peitsche auf mein Gesäß. Brachte mich zurück in die Messehalle. Ließ mich vor Schmerz leise stöhnen und ich balancierte als Marionette die Wucht der Schläge aus.

Wieder angekommen war ich im Hier und Jetzt. Der Schmerz fraß seine Bahn in mich. Blitzschnell begriff ich, dass eine Flucht nichts bringen würde. So genadelt, wie ich war und von Garn umflochten, würde jeder Fluchtversuch mit blutig zerfetzter Haut enden.
Meine Herrin hatte im Vorfeld nichts zum Ende der Nadelperformance zu mir gesagt. Aber da die Marionette wieder im Heute angekommen war, verspürte sie auch Schmerz. Ich zuckte unter jeden Schlag zusammen und konnte ein lauteres Aufstöhnen nicht unterdrücken. Zwischen uns gab es kein Codewort. Hatte es noch nie eins gegeben. Aus Vertrauen, aus Lust am Kick, aus Ernsthaftigkeit, weil immer alles mehr als ein Spiel war.

„Herrin, bitte…“, sie hörte mich nicht. Sie schlug erneut zu.
Mühsam balancierte ich meinen im Garn gefesselten Körper aus.
„Bitte Herrin, beenden Sie es.“
Sie hörte mich und gewährte mir den Abbruch so umgehend wie die Augenbinde am Anfang. Und tief in meinen Innern regte sich das Tier, welches weinte, da es nicht mehr den tiefen reinen Schmerz bekam.

Innerhalb weniger Augenblicke hatte meine Puppenspielerin geschickt alle Garnfäden durchschnitten und nahm mir das Augentuch ab. Und wieder war ich geblendet. Diesmal von ihr. Ihr erfülltes Lächeln ging mir durch Mark und Bein. Nicht nur ich war nach der Reise durch Licht und Schatten angekommen. Ich ließ mich in ihre Umarmung sinken.

Verfasserin RowenD
Liedzitat: Subway to Sally, Der Puppenspieler

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