Metamorphose (FemSub`s)

von Captain Orange


Kratzend fuhr die Schreibfeder über das Papier; unterbrochen nur von den Momenten, in denen sie in den kleinen Topf mit Tinte getaucht wurde. Im dämmerigen Schein eines Kerzenleuchters mühte sich die runzelige Hand der alten Frau, die Erinnerungen an vergangene Tage niederzuschreiben. Zwar hielt sie immer wieder im Schreiben inne, um die Vergangenheit wachzurufen, doch die Erinnerung daran war klar und deutlich.
Stunde um Stunde füllte Armandine de Marillac Bogen um Bogen, bevor sie erschöpft zu Bett ging. Nach einem ausgiebigen Frühstück widmete sie sich am Tag darauf erneut ihrer Arbeit. Nach beinahe zwei Wochen ließ sie erleichtert die Feder neben das Tintenfass fallen, knotete die Bögen mit einem Seidenband zusammen und ließ das Bündel zum Buchbinder tragen. Das fertige Buch kehrte indes zu spät vom Buchbinder zurück.

Armandine de Marillac verstarb unterdessen eines Nachts ganz friedlich und nicht unerwartet. Da sie keine direkten Nachkommen besaß, gab es auch niemanden, der sich besonders für das kleine, sorgsam gebundene Buch interessierte, das ein Bote eine gute Woche nach dem Tod von Armandine de Marillac ablieferte. Mit anderen persönlichen Gegenständen von geringerem Wert wurde es von ihrem Neffen Jean-Baptiste Versol, dem Erben der nicht sehr großen Hinterlassenschaft, in eine Truhe verpackt auf dem Dachboden des Hauses deponiert und dort in einer Abseite schlicht und einfach vergessen.
Irgendwann einmal im Laufe der Jahre hatte wohl jemand einen riesigen Schrank direkt davor abgestellt und damit den Zugang verbarrikadiert. So dämmerte die Truhe samt Inhalt unberührt in ihrem unfreiwilligen Versteck vor sich hin. Auch das Haus fiel im Laufe der Jahrhunderte in eine Art Dornröschenschlaf, aus dem es erst seit kurzem wieder erwachte.

Jacqueline Versol war eine Nachfahrin jenes Neffen und ihrerseits Erbin des Hauses der Armandine de Marillac. Gerade frisch geschieden, benötigte sie eine Bleibe und so es traf sich mehr als günstig, dass sie just in diesem Moment in den Besitz des Hauses gelangte. Sie befand, dass körperliche Arbeit sie ablenken würde und stürzte sich auf die Renovierung des heruntergekommenen Hauses. Leider fehlten ihr dabei die entscheidenden Fähigkeiten, so dass Handwerker den Hauptteil der Arbeit erledigen mussten, aber es blieben genug Arbeiten, bei denen sie sich richtig austoben konnte. Wie an jenem Tag das Aufräumen des weitläufigen Dachbodens.

Eine kurze Überprüfung ergab, dass der riesige Schrank auf dem Dachboden total verrottet und nicht mehr zu retten war. Jacqueline beschloss schweren Herzens, ihn an Ort und Stelle zu zerlegen, obwohl sie Antiquitäten über alles liebte. Die wilden Axthiebe trafen zwar den Schrank und ließen das Holz splittern, aber in Wirklichkeit galten die Hiebe ihrem Exmann Marcel.
Vollkommen außer Atem hielt sie nach der erfolgreichen Zerstörung des Schrankes inne, um Luft zu holen. Angewidert sah sie an sich herab. Modriger Staub überzog sie von Kopf bis Fuß, Holzspäne steckten in ihren wirren Haaren. Selbst jetzt musste Marcel ihr Schwierigkeit bereiten, dachte sie voll aufkeimender Verbitterung.
Seufzend begann sie damit, das Bruchholz in eine Kiste zu räumen, um es später im Kamin zu verbrennen. Mitten in der Bewegung erschrak sie zu Tode. Dort, im schummrigen Dunkel einer bis dahin verdeckten Abseite, lauerte etwas Undefinierbares. Wilde Fantasien von einem eingemauerten Toten in einem Sarg eilten durch ihr Gehirn und ließen sie schaudern.

Jacqueline Versol gab sich einen Stoß und richtete den Strahl ihrer Taschenlampe auf das Etwas. Was sie sah, beruhigte sie nicht unbedingt. Eine längliche Holztruhe, in der sich sehr wohl das befinden konnte, was sie befürchtete.
Zögerlich und in innerer Bereitschaft jederzeit zu flüchten, schob sie sich tastend der Truhe entgegen. Die Truhe war unübersehbar mit einem Monstrum von Vorhängeschloss zugesperrt. Jacqueline überwand sich und schleifte die Truhe an einem der Seitengriffe ins Freie. Neugierig umkreiste sie die Truhe auf der Suche nach einer Idee. Es blieb nichts anderes übrig; sie musste mit Gewalt vorgehen.
Funken stoben jedes Mal, wenn die Axt mit dem breiten Ende auf Schloss und Riegel schlug. Scheinbar höhnisch lächelnd widerstand die Truhe dem Angriff. Wieder stieg Marcels Grinsen vor Jacquelines Geist auf. Die Wut verdoppelte ihre Kräfte. Mit einem hässlichen Klirren zerbarst der angerostete Riegel und gab den Weg frei. Angespannt hielt Jacqueline den Atem an und hob vorsichtig den Deckel.

Zu ihrer erleichterten Enttäuschung erwies sich das Innere der Truhe als beinahe leer. Einige wenige Kleider, ein paar Habseligkeiten, zwei Bücher. Eines der Bücher war eine Bibel, die in altmodischer Schrift und Sprache Auskunft über die ehemalige Besitzerin, ihr Taufdatum und das Sterbedatum gab. Das andere enthielt anscheinend persönliche Aufzeichnungen.
Jacqueline legte es vorsichtig beiseite; sie würde sich später genauer damit befassen. Die Kleider waren verhältnismäßig gut erhalten; sie konnte nicht umhin, die Kleider probehalber an ihren Körper zu halten. Alles Zupfen und Zerren half nicht, sie schienen einer deutlich kleineren Frau gehört zu haben. Jacqueline schnürte alles zu einem Bündel zusammen und trug es hinab in die Baustelle, die vielleicht bald einmal ihre Wohnung sein würde.

Nach einem ausgiebigen Bad schlüpfte sie in ein Hauskleid und hockte sich mit einem Glas guten Rotwein zum Begutachten ihrer Fundstücke auf den Boden des ehemaligen und zukünftigen Salons. Das antike Zinngeschirr und Silberbesteck mit dem Monogramm A. M. würde sich bestimmt gut in ihrer Wohnzimmervitrine machen. Der Bibel war zu entnehmen, dass die Besitzerin der Gegenstände wohl mit vollem Namen Armandine de Marillac hieß und im Jahr 1654 geboren und getauft worden war.
Jacqueline überlegte. Ein heißes Gefühl durchzog sie für einen Moment, als sie aufgestanden war und in der Familienchronik geblättert hatte. Da stand es! Armandine de Marillac war eine Verwandte ihrer Vorfahren.
Sie machte es sich mit dem anderen Buch auf dem Sofa bequem, den Wein griffbereit auf dem kleinen Tischchen daneben und begann zu lesen.


Anfangs war es etwas beschwerlich, sich an die altmodische Schrift und Ausdrucksweise zu gewöhnen, aber je weiter sie las, desto mehr war sie von dem Buch gefangen und vergaß Raum und Zeit. Der Wein blieb unberührt, bis sie gegen vier Uhr morgens erschöpft das Buch sinken ließ und auf der Stelle einschlief.
Unruhige Träume durchzogen ihren Schlaf. Orientierungslos stolperte sie an die Haustür, als Sturm geläutet wurde. Schlaftrunken öffnete sie. Die Handwerker feixten beim Betreten des Hauses, Jacqueline bemerkte es nicht.
Geistesabwesend bereitete sie sich das Frühstück; Kaffeeduft strömte durchs Haus. Gedankenverloren biss sie in eins der frischen Crossaints, die wie jeden Morgen vom Bäcker geliefert wurden. Ein Vorteil der eher ländlichen Umgebung am Rande von Paris. Jacqueline zog sich in das halbfertige Schlafzimmer zurück, um weiter zu lesen. Unbeeindruckt vom Lärm, den die Handwerker veranstalteten, versank sie wieder in dem Buch.


Der dritte Mai 1677 war nasskalt und ungemütlich. An diesem Tag regnete es in Paris. Der fahlgraue Himmel öffnete seine Schleusen in den frühen Morgenstunden und entließ einen feinen Nieselregen, der noch bis tief in die Nacht anhalten sollte.
Ich stand in der elften Stunden vor dem Palais der geheimen Staatspolizei und klopfte zaghaft. Niemand hatte gerne etwas mit diesem Haus zu schaffen, auch ich nicht. Ein Kerl mit abstoßenden Gesichtszügen öffnete und fragte nach meinem Begehren. Sein Atem stank so ekelerregend, dass ich mein Spitzentuch vor die Nase hielt und ihm wortlos das Schreiben überreichte, welches mich in das Palais befahl. Sein Blick fiel auf das Siegel und augenblicklich trat er mit einem Bückling zur Seite, um mich einzulassen.

Auf's Äußerte angespannt folgte ich ihm die Treppe hinauf und blieb auf sein Geheiß hin wartend im Vorzimmer des Präfekten der Geheimpolizei zurück. Nach einer Ewigkeit wurde ich hineingebeten. Stumm fragend saß ich dem mächtigen Präfekten Fauchard gegenüber. Er erging sich in allgemeinen Floskeln, bevor er zum Zweck meines Besuchs gelangte.
“Madame de Marillac, uns ist nicht unbekannt, dass Sie seit dem bedauerlichen Tod Ihres Gatten, letztes Jahr im Verlauf des Krieges mit den Niederlanden, in sagen wir: gewissen Schwierigkeiten leben.” Er räusperte sich umständlich.
“Da Sie eine Dame von Stand sind, wenngleich auch nicht sonderlich vermögend, erlauben wir uns, Ihnen eine, äh, delikate Offerte zu unterbreiten, mit der Sie sich gleichzeitig ein wenig sanieren könnten.”
Fragend sah ich ihn an: “Monsieur, ich verstehe nicht?”

Das Angebot, das er mir nun mit zögerlichen Erklärungen unterbreitete, empörte mich auf's Äußerte. Ich sprang auf und verließ ihn auf der Stelle. Drei Tage später sahen wir uns wieder. In einer für mich misslichen Lage.
Unter einem fadenscheinigen Vorwand hatte man mich verhaftet und ins Gefängnis verschleppt. Nach einer schier endlosen Wartezeit in einem stinkenden Loch, das vorgab, eine Gefängniszelle zu sein, sprang die Tür auf und der Präfekt redete mich im Schein der Fackeln ohne weitere Begrüßung an.
“Madame, so verstehen Sie doch meine Lage! Frankreich benötigt Ihre Hilfe! Der König braucht Ihre Hilfe, ich brauche Ihre Hilfe. Sollten Sie sich weigern, erweisen Sie sich damit als ein Feind Frankreichs und Feinde Frankreichs...”

Bedeutungsschwer ließ er den Satz unvollendet. Ich wusste auch so, was dann passieren würde. Man würde mich in einem dieser Kerker vergessen oder Schlimmeres geschehen, wie eine schmachvolle und leidvolle Hinrichtung ereilen. Um seine Drohung zu unterstreichen, packte der ehrenwerte Fauchard meinem Oberarm und zog mich aus der stinkenden Zelle.
Ratten kreuzten unseren Weg, als er mich weiter mit sich zerrte. Mein Herz setzte für einen Moment aus, nachdem er mich durch eine Tür gestoßen hatte. Es wurde viel erzählt, mit einem Schaudern in der Stimme, aber jetzt sah ich es leibhaftig. Ich stand in einer Folterkammer. Meine Knie wurden weich, man fing mich auf.
Unerbittlich ließ er mich durch den Raum schleifen, an jedem der Instrumente machten wir Halt. Mit kalter Stimme, als ob er über die Zubereitung einer Speise rede, erklärte er mir die Funktionen der Gerätschaften. Auf seinen Wink hin gaben mich die Schergen frei. Augenblicklich fiel ich vor ihm auf die Knie und gelobte alles zu tun, was man von mir verlangte.


Doch schon im Niederfallen erkannte ich, dass es für mich keine Gnade geben würde. Im Schritt beulte sich die seidene Kniehose des Präfekten Fauchard unübersehbar aus. Seine eisige Stimme schnitt wie eine Riemenpeitsche, die er mir sicher unweigerlich angedeihen lassen würde, wie ich ahnte.
“Madame! Sie enttäuschen mich jetzt doch sehr. Gerade von Ihnen hätte ich ein wenig mehr Standhaftigkeit erwartet.” Er begann mit beklemmend langsamen Schritten vor mir auf und abzuwandern.
Angewurzelt blieb er stehen und starrte versonnen auf eine Kakerlake, die am Boden vor ihm kauerte. Sein Blick wendete sich mir stumm zu. Ich verstand auch so. Mich widerten diese ekligen Insekten sonst an, aber in diesem Moment fühlte ich eine tiefe Verbundenheit mit der Kreatur. Bedächtig, und man konnte es schon genießerisch nennen, zerquetschte er das Insekt mit seinem auf Hochglanz polierten Schnallenschuh. Augenblicklich stürzte sich einer der Schergen vor Fauchard auf den Boden und reinigte mit seinem eilig aus der Hose gerissenen Hemd den Schuh.

“Sehen Sie meine Liebe”, das Lächeln des Präfekten erschien im Licht der Fackeln wahrhaft diabolisch, “dieser gute Mann hier erwies sich nach anfänglichem Zögern ebenfalls als lernbegierig. Nicht wahr Thomas? Zeig der Dame doch bitte deine Erinnerungen.” Ein unkontrollierter Schrei entrann meiner Kehle. Grässliche Narben verunstalteten den gesamten Körper des Mannes.
“Und was meinst du dazu, Thomas?” Der Angesprochene rutschte näher und stammelte ein zahnloses “Ich bin Euer Gnaden zutiefst dankbar, für die Gnaden, die Euer Gnaden mir...!” Fauchard stieß ihn verächtlich weg, als der Mann versuchte, ihm die Hand zu küssen.

“Doch nun zu Ihnen, Madame de Marillac. Sie wissen doch noch gar nicht, was Sie fürchten müssen. Der bloße Anblick unserer kleinen Kollektion hier”, sein Arm wies beim Reden einen erklärenden Kreis durch den Raum, “ist vergänglich. Nein, ich kann Sie doch nicht gehen lassen, ohne Ihnen einen wirklichen Eindruck gegönnt zu haben?” Der Sarkasmus in seiner Stimme ließ mich schaudern. Aber er übertraf sich noch selbst.
“Leider erlaubt es mir meine knapp bemessene Zeit nicht, Ihnen alle unsere Prachtstücke vorführen zu dürfen. Verzeihen Sie mir bitte, wenn ich mich also auf eine Auswahl beschränken muss.” So wie ich in diesem Moment, musste sich wohl ein Hase fühlen, wenn sich die Meute auf ihn stürzt.
Roh packten die Schergen zu. Augenblicke später stand ich mit etwas über dem Kopf erhobenen Armen unter einen Flaschenzug. Der Präfekt kostete jeden Zentimeter aus, den meine gefesselten Hände in Richtung Decke gezogen wurden.

Mit einer herrischen Bewegung gebot er Einhalt und trat direkt neben mich. Prüfend fuhren seine Hände über meinen gestreckten Körper und kniffen leicht in meine Muskeln, um deren Anspannung zu erforschen.
“Noch zwei Zentimeter”, befahl er ungerührt dem Schergen am Drehrad und wendete sich wieder mir zu. “Madame, Sie werden bemerken, wie unbequem Ihre Haltung im Moment ist. Aber glauben Sie mir bitte...” Unvermittelt brach er ab.

Er hatte nur beinahe Recht. Meine Lage war nicht unbequem. Sie war fürchterlich. Mit äußerster Kraftanstrengung war es mir gerade noch möglich, mit schmerzenden Waden auf den Zehenspitzen zu stehen. Ließ ich in meiner Anstrengung nach, schmerzten meine Arme durch den Zug. Schweißperlen traten auf meiner Haut zu Tage. Der Präfekt Fauchard ging auf die Schergen zu und ohrfeigte einen.
“Sieh dir das an!”, presste er erbost zwischen den Zähnen heraus. “Wie oft muss ich euch denn alles sagen? Wie soll man die Frau peitschen, wenn sie noch angekleidet ist, hä?” Meine Hoffnung auf eine zumindest kurze Linderung wurde jäh enttäuscht.
Man befreite mich nicht, um mich zu entkleiden. Mit einem unheilvollen Ratschen zerriss der Stoff meines Kleides unter dem brutalen Griff der Schergen. Eine Klinge blitzte auf und ich schloss entsetzt die Augen. Zuerst aus Furcht, dann aus Scham, als die Klinge die Bänder meines Korsetts zerschnitt und es ebenfalls zu Boden fiel.
Der Geruch von versengtem Stoff kroch durch das Gewölbe, nachdem auch meine Leibwäsche den erbärmlichen Resten meiner Kleidung ins Feuer gefolgt war. Nunmehr nur noch mit meinen langen weißen Seidenstrümpfen und Schuhen bekleidet, wenn man das so nennen konnte, stand ich den gierigen Blicken ausgesetzt.

Als ich es über mich brachte, die Augen wieder zu öffnen, sah ich Fauchard direkt vor mir. Mit kritisch hochgezogenen Augenbrauen sprach er mich in seiner zynischen Art an.
“Madame, mir scheint, Sie sind nicht angemessen gekleidet. Und ich befürchte, bei der jetzt folgenden Soiree, könnte der Rest Ihrer dürftigen, ähem, Bekleidung unzüchtig verrutschen. Da ich im Grunde doch ein rücksichtsvoller Mensch bin, erlauben Sie mir dafür zu sorgen, dass dies nicht geschieht? Ich habe leider die passenden Strumpfbänder nicht zur Hand, wollen Sie daher bitte vorübergehend mit den unsrigen vorliebnehmen?” Mit einem angedeuteten Kratzfuß trat er ein paar Schritte rückwärts und wies die Schergen an, seinen Befehlen zu folgen.
Grobe Stricke schnitten in Höhe der wirklichen Strumpfbänder unbarmherzig in das Fleisch meiner Oberschenkel, aber auch oberhalb der Knie und meiner Fußknöchel. Ohne Vorwarnung regneten Hiebe auf meiner Kehrseite nieder. Meine Schreie verhallten ungehört in den Tiefen des Foltergewölbes.

“Madame, ich bitte Sie um ein wenig Contenance! Was sollen denn nur die anderen Gefangenen denken?” Ich schleuderte ihm einige unanständige Worte entgegen, die ich aber im selben Moment bereute. Es gab auch allen Grund dazu, wenn ich den Ausdruck im Gesicht von Fauchard richtig deutete. Stumm schüttelte er den Kopf, als ich weinend um Verzeihung und Gnade flehte.
“Sie haben mich schwer enttäuscht, Madame. Ich hielt Ihre Erziehung für besser. Nun, dann müssen wir das augenblicklich nachholen!”
Mit roher Gewalt presste einer der Schergen gegen meinen erbitterten, aber erfolglosen Widerstand ein Ungetüm von Knebel in meinen Mund, das sich obendrein mittels einer kleinen Kurbel zu vergrößern schien. Ein paar Drehungen am Rad des Flaschenzuges und ich schwebte einige Fuß über dem Boden frei in der Luft. Der Schmerz zerriss mich nun fast, aber die erstickten Schreie stießen auf taube Ohren.
Durch mein Winden, als die Hiebe sich fortsetzten, pendelte mein geschundener Körper und drehte sich um sich selbst, so dass mich die Schläge nun auch auf der Vorderseite trafen.
Ich schluchzte vor Erleichterung, als Fauchard Einhalt gebot. Jedoch zu Unrecht, wie sich herausstellte.
"Ich bat doch um Contenance, Madame! Sie sind aber auch widerspenstig und unbelehrbar. Muss ich also dafür Sorge tragen?” Hatte ich geglaubt, ich würde zerrissen, wurde ich nun eines anderen belehrt. Man hängte ein schweres Gewicht an den Strick zwischen meinen Knöcheln, was mich erbarmungslos in die Länge zog. Die Schläge gingen weiter, bis ich in eine gnädige Ohnmacht fiel.


Ein Guss beißendes Salzwasser über meinen Körper brachte mich wieder an den Ort des Grauens zurück. Meine Arme schmerzten nicht mehr, da sie nur noch locker über meinem Kopf baumelten. Dafür zerrte mich ein Schmerz zwischen meinen Beinen in die vollständige Wachheit zurück. Verzweifelt schüttelte ich den Kopf.
“Aber Madame, Sie sind undankbar! Erst können und wollen Sie nicht stehen, dann ist Ihnen das Hängen auch nicht recht, obwohl wir dabei Ihre Beine entlasteten. Und jetzt bieten wir Ihnen Sitzen an, was Ihnen anscheinend auch nicht behagt.” Allein die Schmerzen waren schon schlimm genug, aber auch noch Fauchard ertragen zu müssen, ging über meine Kräfte.
Wenn ich doch nur auf einem Stuhl gesessen wäre. Aber ich saß rittlings auf einer Art Dach aus Holz. Der Dachfirst bohrte sich in meinen Schritt, die Beine wurden erbarmungslos auseinandergespreizt. Verstohlen versuchte ich die Beine etwas anzuziehen, um den Druck zu entlasten. Der einzige Erfolg war ein dumpfes Poltern unter meinen Sitz. Fauchard hielt mir eine Stange vors Gesicht.
“Pferde sind manchmal störrisch. So wie Sie, Madame! Damit Sie nicht abgeworfen werden, haben wir zu Ihrem Schutz so eine Stange zwischen Ihre, zugegeben, entzückenden Knöchel gespannt. Sehen Sie?”

An den Enden der geschmiedeten Stange gab es jeweils eine Fesselschelle, wie sie wohl auch um meine Knöchel lagen. Ich ahnte Böses, als seine Finger fast verliebt über die Öse in der Mitte der Stange strichen.
“Und damit Sie auch wirklich gut und sicher sitzen, gibt es diese hilfreiche Vorrichtung hier. Man hängt ein Gewicht daran und voila...!” Der Schmerz, nachdem das Gewicht tatsächlich eingehängt wurde, war von diabolischer Natur. Meine Tränen flossen unablässig und hinterließen mit der Zeit einen dunklen Fleck auf dem Holz unter mir, bis mich erneut eine wohltuende Ohnmacht umfing.

Das Erste, das ich bei meinem Aufwachen spürte, war ein ziehender, heißer Schmerz zwischen meinen Beinen. Ich wollte an mir heruntersehen, stieß aber sofort mit dem Kopf an etwas Hartes. Mühsam brachte ich meine geschwollenen Augen auf, ließ sie aber sogleich ermattet wieder zufallen. Mein Peiniger hätte mir nicht erklären zu brauchen, in welcher Lage ich mich jetzt befand. Ich wusste es auch so.
Ein eiserner Käfig umklammerte meinen ganzen nackten, schutzlosen Körper von Kopf bis Fuß. Diese Art Käfige waren in der damaligen Zeit in Paris beinahe an jeder Straßenecke zu sehen. Darin Verurteilte, die nach ihrem schmählichen Tod in diesen baumelnden Käfigen verrotteten; von Krähen und anderem Getier angefressen. Nun gut; ich würde also mein Leben ebenso beenden.
Ergeben sank meine Stirn an das kühle Eisenband des Käfigs. Nur eine letzte Bitte brachte ich noch mit krächzender Stimme hervor, die mir jedoch von Fauchard höhnisch verwehrt wurde.
“Madame, schon wieder sind Sie unzufrieden? Wir werden uns jetzt sowieso entfernen, dann brauchen Sie sich für die Erledigung Ihres Geschäftes keinerlei Zurückhaltung mehr auferlegen.” Mit diesen Worten verließ man mich.

Die Fackeln, die bis dahin den Folterkeller in ihr zuckendes Licht getaucht hatten, erloschen eine nach der anderen, bis mich eine samtene Dunkelheit umgab. Unter Schluchzen gab ich den Widerstand auf und ließ der Natur freien Lauf. Wie eine Fortsetzung der höhnischen Worte, mit denen Fauchard mich überschüttet hatte, prasselte mein Wasser mit lautem Klang auf den Steinfußboden weit unter mir.
Langsam verwandelte sich der warme Strom, der meine Beine abwärts geflossen war, in einen eiskalten Hauch. Aber dort, an der Quelle aus der der Strahl entsprungen war, traf er auf eine Flamme. Mein geschundenes Geschlecht pochte in dröhnender Gewalt. In einem ununterbrochenen Strudel vermengten sich Schmerz und Erregung, ohne dass das Eine oder das Andere die Oberhand behielt.
In meiner Verzweiflung zerrte ich vergeblich an den Ketten, die meine Hände grausam hinter dem Rücken hielten. Mit der unbarmherzig gleich bleibenden Bewegung eines Uhrenpendels schwang das Gefühl zwischen meinen Beinen zwischen Pein und Lust. Der Käfig setzte sich durch mein Rütteln in sanfte Schwingung und schwang schließlich mit quietschender Kette hin und her, übertönt von einem tierischen Brüllen, das unkontrolliert meiner Kehle entwich. Erst das Versagen meiner Stimme beendete den Laut, ich sackte in mich zusammen und schlief endlich ein.


Offensichtlich hatte man beschlossen, mich nicht sterben zu lassen, denn der Morgen brachte mir einen Krug Wasser. Obwohl ich begierig schluckte, rann ein nicht unbeträchtlicher Teil davon über meinen Körper zu Boden und ließ die Erinnerung an meine Schande auferstehen.
“Madame, wirklich pfui! Konnten Sie sich denn nicht beherrschen?” Angewidert hielt sich Fauchard ein parfümiertes Spitzentuch unter die Nase und winkte einem der Schergen. Der stocherte suchend an meinem Gesäß umher, bis er schließlich mit brutaler Gewalt rücksichtslos ein Rohr in mich schob. Das Spitzentuch wanderte noch dichter unter Fauchards Nase.
“Bevor Sie hier noch mehr beschmutzen, sorgen wir lieber vor.” Unmittelbar nach diesen Worten füllte sich mein Darm mit Wasser. Verschämt entleerte ich mich vor den Augen der Anwesenden. Erbost richtete Fauchard sich auf.
“Hätten Sie nicht warten können, bis ich gegangen bin? Sehen Sie nur, meine Schuhe! Für diese Unverschämtheit werde ich Ihnen eine Lehre erteilen müssen, meine Liebe!”
Er bellte einige Befehle und mein Käfig sank auf den Boden. Man öffnete den Käfig und zwang mich, mit immer noch gefesselten Händen inmitten des Schmutzes niederzuknien. Wortlos setzte sich Fauchard mit übergeschlagenen Beinen auf den herbeigebrachten Hocker vor mich hin. Die Zeit verstrich, ohne dass sich etwas tat.

“Sagte ich Ihnen nicht, dass meine Zeit sehr knapp bemessen und dazu noch kostbar ist? Beginnen Sie endlich!” Mit vollkommen verständnislosem Blick versuchte ich zu erraten, was er wohl von mir wolle. Der freischwebende Schuh bewegte sich näher auf mein Gesicht zu. Nervös trommelten die Finger auf dem straff gespannten Stoff seiner Hose. Ich begriff und verweigerte mich im selben Augenblick seinem Ansinnen. Sein Fingerschnalzen forderte einen der Schergen zum Handeln auf. Ein Reitgerte fuhr beißend über mein Gesäß. Wieder und wieder. Ich spürte trotz des heißen Schmerzes, wie ein dünner Blutfaden seinen Weg abwärts fand. Lieber würde ich sterben.
“Madame, Sie sind störrisch wie ein Maultier”, stellte Fauchard sachlich fest, “also werden wir das für alle Welt kennzeichnen, damit jeder weiß, woran er mit Ihnen ist!” Ein höhnisches Lachen war die einzige Antwort auf meinen fragenden Blick.

Worte hätten es auch kaum so deutlich ausdrücken können, wie der Scherge, der mit einem glühenden Brandeisen auf mich zukam. Ohne weiteres Zögern schoss mein Kopf wie eine zubeißende Schlange auf den pendelnden Fuß vor mir zu. Um mein erbärmliches Leben zu retten, befreite ich den Schuh mit meiner Zunge von dem aufgespritzten Kot. Meinem Kot, wie ich mit hochrotem Kopf trotz allem dachte. Begutachtend musterte Fauchard mein Werk, bevor er mir auch noch den anderen Schuh hinstreckte.
“Sie sehen es geht, wenn man nur will! Wollen Sie auch weiterhin so freundlich sein und diesen kleinen Dienst für mich erledigen?” Mit zusammengekniffenen Lippen nickte ich eine stumme Antwort. Er beugte sich vor, griff mit seiner behandschuhten Hand unter mein Kinn und hob meinen gesenkten Kopf, so dass ich ihm in die Augen sehen musste. Sein kalter Blick ließ mich frösteln.
“Gut. Aber damit Sie es nie vergessen und zum Zeichen, dass Sie Frankreich gehören und Ihrem Vaterland so treu ergeben sind wie mir...” Taumelnd ließ ich mich wie betäubt in den Käfig zurück geleiten und widerstandslos einsperren.

Erst nachdem Fauchard gegangen war und ich allein in dem Käfig baumelte, drang der Schmerz voll in mein Bewusstsein. Und er hat mich in der Tat nie ganz verlassen, so dass ich mein ganzes Leben lang den Augenblick nicht vergessen habe, als in mein Gesäß mit dem glühenden Eisen die Lilie eingebrannt wurde.
Man ließ mich eine Woche in dem Käfig, bevor man mich befreite, säuberte und in ein schlichtes Gewand, das dem einer Zofe ähnelte, einkleidete. In dieser Woche war ich Zeugin entsetzlicher Qualen und Peinigungen, die andere Gefangene vor meinen schreckgeweiteten Augen erdulden mussten. Mit diesen Bildern im Kopf betrat ich das Dienstzimmer des Präfekten der geheimen Staatspolizei.
Galant erhob sich Fauchard, als ich den Raum betrat. Im Gegensatz zu unserem ersten Zusammentreffen bot er mir diesmal keinen Platz an, sondern ließ mich wie eine Dienstmagd in der Mitte des Raumes stehen.
“Armandine, ich darf Sie doch Armandine nennen?” Ohne eine Antwort abzuwarten, die er wohl auch nicht erwartete, setzte er seine Ansprache fort.
“Ich hoffe, Sie hatten ausreichend Gelegenheit, über unser erstes Gespräch nachzudenken? Wären Sie jetzt bereit, Ihre Pflicht zu erfüllen gegenüber dem König und Ihrem Vaterland, dem Sie gehören?” Unwillkürlich war nach seinen letzten Worten meine linke Hand auf die entsprechende Gesäßseite geglitten, um dort nach der Lilie zu spüren. Er musste es wohl bemerkt haben, wie ich seinem belustigten Blick entnahm, aber er verlor kein Wort darüber.
Mit meinem stummen Nicken wollte er sich nicht zufrieden geben. Auch das leise “Ja”, das ich nach seiner wiederholten Frage hervorstieß, genügte ihm nicht.

“Armandine, wir werden uns zukünftig hier öfter begegnen, wenn Sie mir Rapport erstatten. Ich erwarte von Ihnen vollständige Sätze und anständiges Benehmen! Also?” Der Hofknicks fiel etwas steif aus, was angesichts meiner immer noch schmerzenden Glieder wohl verständlich schien, aber ich riss mich zusammen und antwortete mit fester Stimme: “Ja, Eurer Gnaden, ich werde tun, was Frankreich von mir verlangt!” Zufrieden nickte Fauchard und gab mir ein verschlossenes Kuvert.
“Öffnen Sie dies erst zu Hause. Prägen Sie sich den Inhalt sorgfältig ein und dann verbrennen Sie die Papiere! Haben Sie verstanden?” Wieder ein Hofknicks: “Ja Eurer Gnaden, ich werde tun, was Sie befehlen!” Ein Lächeln huschte für einen kurzen Augenblick über sein Gesicht.


Die nächsten zwei Wochen verbrachte ich damit, den Inhalt der Papiere auswendig zu lernen. Versonnen betrachtete ich die Asche im Kamin, nachdem die Papiere verbrannt waren und konnte mich nur mühsam losreißen.
Wieder regnete es, als ich die Straße betrat und zur nahe gelegenen Kirche eilte. Auf dem Weg dorthin beschlich mich das seltsame Gefühl, als ob ich beobachtet würde, aber niemand war zu sehen. Der Priester schien entsetzt, als ich in der Beichte von meinen abartigen Lustgefühlen während der Haft erzählte und trug mir eine Buße auf, die mir angesichts der erlittenen Qualen lächerlich erschien.
Die Nacht verbrachte ich in unruhigem Schlaf und verließ am nächsten Nachmittag mit klopfendem Herzen mein Heim, um meine Pflicht für Frankreich und den König zu erfüllen. Wenn ich ehrlich bin, und das kann ich mir jetzt im Alter gestehen, erfüllte ich damals die Pflicht in Wirklichkeit ausschließlich, um nicht in den Klauen Fauchards zu enden.


Erschöpft und aufgewühlt ließ Jacqueline Versol das Buch sinken. In dieser Nacht erschien ihr undeutlich eine Dame in der Kleidung des 17. Jahrhunderts und rief ihr etwas zu. Jaqueline schrak von ihrer eigenen Stimme aus dem Traum auf, als sie laut nach der Unbekannten rief. Am nächsten Morgen begann sie sofort nach dem Frühstück in dem Buch weiterzulesen und vergaß die Handwerker im Haus.

Nur widerwillig ließ Jacqueline Versol das Buch in ihrer Hand sinken. Aber es hatte unüberhörbar und mit Nachdruck an der Tür geklopft. Verstimmt legte sie das Buch auf den Nachttisch und folgte dem Handwerker, der nach ihr verlangte. Wieder einmal waren einige unvorhergesehene Probleme bei der Renovierung aufgetaucht und verlangten nach sofortiger Klärung. So verbrachte Jacqueline den Rest des Tages mit hektischen Telefonaten, endlosen Diskussionen und Erörterungen mit den Handwerkern und eigenem körperlichen Einsatz auf der Baustelle, die einmal ihr Heim werden sollte. Das Buch geriet darüber vollständig in Vergessenheit.

Erschöpft ließ Jacqueline sich am Abend genüsslich rückwärts auf ihr Bett plumpsen. Draußen wurde es langsam dunkel. Ein leichter Nieselregen hatte eingesetzt. Ohne jede Vorankündigung überfiel eine leichte Unruhe Jaqueline in der gleichen abrupten Weise, wie das Tageslicht bei einem Sonnenuntergang in den Ländern südlich des Mittelmeeres erlischt.
Jacqueline erhob sich abgeschlagen von der Liegestatt und ging ans Fenster. Versonnen starrte sie auf das altertümliche Kopfsteinpflaster der Straße direkt vor ihrem Haus. Ein Lichtschein fiel von irgendwoher auf das nasse Pflaster und wurde darin reflektiert. Vor ihrem geistigen Auge sah Jacqueline eine Frau vorsichtig über die Steine schreiten, um sich nicht die teuren Schuhe zu ruinieren. Dort an der Straßenecke musste sie nach einer Kutsche gerufen haben. Oder nach einer Sänfte mit Trägern.
Jacqueline riss sich von dem Bild los und legte sich wieder ins Bett. Wenn sie den Kopf leicht zur Seite drehte, konnte sie den schweinsledernen Einband mit den aufgeprägten Goldbuchstaben des handgebundenen Buches auf ihrem Nachttisch sehen. Trotz der bleiernen Müdigkeit in ihrem Körper griff sie nach dem Buch und las im Schein der Nachttischlampe weiter.


An der Kreuzung vor meinem Haus rief ich nach einer Sänfte und gab als Ziel den Ort meines Auftrages an; das Palais d’Auban. Eine ziemlich weite Strecke durch halb Paris, die einiges kosten würde. Aber der Präfekt Fauchard hatte mir einen Beutel mit einer erklecklichen Summe zur Deckung meiner Ausgaben überreicht.
Auf dem Weg zum meinem Bestimmungsort memorierte ich den Inhalt der Papiere, die ich von Fauchard erhalten und bestimmungsgemäß verbrannt hatte. Ein komplizierter Sachverhalt, den mir mein gefallener Gatte bereits vergeblich zu erklären versucht hatte.
Im Jahr 1672 hatte ein österreichischer Edelmann, der Freiherr von Lisola, es erfolgreich unternommen, eine antifranzösische Allianz zu schmieden. Unsere Feinde Österreich, Spanien und die Niederlande setzten in diesem Pakt anscheinend alles daran, Frankreich zu schaden. Was Frankreich seinerseits dazu veranlasste, die Feinde unserer Feinde zu unterstützen. Geld floss nach Polen, das dadurch in die Lage versetzt wurde, seinen Unabhängigkeitskrieg gegen Österreich zu führen. Aus dem gleichen Grunde erhielten auch die aufständischen Adeligen Ungarns von Frankreich Unterstützung.
Um sich die Deutschen vom Leib zu halten, die irgendwie in dieser Affäre auch nach ihrem Vorteil suchten, hatte Ludwig der XIV. den schwedischen König überredet, in die Mark Brandenburg einzufallen, was dieser nur zu gerne tat. Zu guter Letzt wurde es noch verwirrender, weil Frankreich als christliche Nation die muselmanischen Türken gegen Österreich unterstützte. Die Österreicher aber ihrerseits das gleichfalls mohammedanische Persien unterstützten. Denn die Perser befanden sich mit den Türken im Krieg um Georgien.

Meine Gedanken begannen sich zu drehen. Der Gesandte des persischen Shahs Safi dem II. befand sich seit geraumer Zeit in Paris und logierte in eben dem Palais d’Auban. Es schien sehr schwer zu sein, über den Gesandten, seine Pläne und Verbindungen Informationen zu erlangen. Aus diesem Grunde war Fauchard, oder wer auch immer in seiner Präfektur, auf die absonderliche Idee gekommen, dem persischen Gesandten einen Spion ins Haus zu schleusen. Einen weiblichen Spion, der ihm in Form einer Mätresse untergeschoben werden sollte, da alle anderen Versuche bisher erfolglos geblieben waren. Und diese Spionin war also ich.

Aus dem Wenigen, was bekannt war, wusste die geheime Staatspolizei, dass der persische Gesandte in regelmäßigen Abständen Besucher zu einer Gelehrtenversammlung empfing. Diese Versammlungen, bei denen im Salon über neueste Entdeckungen der Naturwissenschaft debattiert wurde, schienen allerdings nur ein Vorwand, um andere Treffen zu verschleiern.
Es würde nach Ansicht von Fauchard keinen Verdacht erregen, wenn ich an diesen Versammlungen teilnähme und anschließend darüber Bericht erstattete. Da auch andere Damen der Gesellschaft, etwa die Marquise Reage, an diesen Treffen teilnahmen, würde mein Besuch keinen Verdacht erregen. Bis dahin hätte mich die Aufgabe nicht unbedingt zu einer Ablehnung gebracht. Aber ich sollte die Versammlungen gleichzeitig nutzen, um die Aufmerksamkeit des Gesandten zu erwecken und mich ihm im Auftrag Frankreichs hinzugeben.
Allein bei dem Gedanken daran liefen mir kalte Schauer über den Rücken. Doch im selben Moment erinnerte mich ein kleiner pochender Schmerz auf meinem linken Gesäß an die Erlebnisse im Kerker. Ein Schwindel drehte in mir das Unterste nach oben.
Das Gehen bereitete mir daher ein wenig Probleme, nachdem ich die Sänfte verlassen hatte. Für einen Moment blieb ich am Portal an eine Säule gelehnt stehen, um mich zu fangen. Ein glühendes Gefühl schien meinen Nacken zu verbrennen, verwirrt hob ich den Kopf und sah nach oben. Im zweiten Stock, schräg gegenüber im Seitenflügel des Palais, stand eine schattenhafte, dunkle Gestalt am erleuchteten Fenster und beobachtete mich mit bohrenden Blicken, die ich trotz der einsetzenden Dämmerung zu sehen glaubte. Verschämt senkte ich nur für einen Augenblick den Kopf. Als ich wieder aufsah, war die geheimnisvolle Gestalt verschwunden.

Die Versammlung erwies sich wider Erwarten als amüsant. Erst kürzlich hatte im niederländischen Arnheim ein gewisser Jan Ham mit dem neuartigen Instrument Mikroskop die Samenfäden entdeckt. Sogleich entspann sich eine lebhafte Debatte zwischen einer Gruppe, die sich Animalkulisten nannten, und deren Meinung darin bestand, dass das Samentierchen im Sperma bereits alles beinhalte, was im späteren Leben zu Tage träte, während ihre Gegner, die Ovisten, die Ansicht vertraten, das erst kaum gefundene Ei umschließe bereits alles, was sich später als vollständiges Lebewesen entfalte. Der Disput nahm kuriose Züge an, der in einem Wortgefecht darüber endete, ob im Eierstock Evas bereits alle Rassen und Völker enthalten gewesen waren.
Mitten in die hitzige Auseinandersetzung erklang die Glocke des Lakaien, der damit zu Tisch bat. Irritiert ging ich mit den anderen zu Tisch. In der Runde hatte ich zu meinem Leidwesen bisher niemanden entdecken können, der von seinem Aussehen her meinen Vorstellungen entsprochen hätte, der persische Gesandte zu sein. Daher beugte ich mich nach dem Auftragen der Vorspeise diskret nach links zu meinem Tischherrn und fragte ihn nach dem Gesandten. Meine Vermutung wurde von meinem Nachbarn bestätigt. Der Gesandte war nicht unter den Anwesenden.

Der Hauptgang wurde bereits aufgetragen, als die Tür am Ende des Salons aufflog. Ein pechschwarzer Diener in einem exotischen Aufzug stand in der Tür und hielt sie weit auf. Nach einem Augenblick der absoluten Stille betrat eine beeindruckende Erscheinung den Saal und näherte sich gemessenen Schrittes unserer Tafel.
Ein großer Mann mittleren Alters, von trotzdem feingliedriger Statur, hellbrauner Haut und einem gepflegten Vollbart. Die Bekleidung war mehr als ungewöhnlich. Ich hatte wohl schon ein oder zwei Mal Zeichnungen von orientalischen Kaftanen gesehen, aber noch nie leibhaftig. Der nachtblaue Seidenstoff floss in weichen Linien um die Gestalt des Mannes und gab ihm trotzdem gleichzeitig ein strenges Aussehen. Ein Turban gleicher Farbe verhüllte bis auf das Gesicht den gesamten Kopf und ließ das hellbraune Gesicht bleicher erscheinen, als es wohl wahr. Goldringe blitzten an den Fingern; die Steine darin schienen von unermesslichem Wert.
Das Außergewöhnlichste aber waren wohl seine Augen. Sie schienen Licht auszusenden, das mich mitten ins Herz traf, als er mich kurz musterte. Ich weiß noch ganz genau, wie ich seinerzeit innerlich bebte. Diese Augen durchbohrten mich wie eine scharfe Klinge. Ein ziehender Schmerz durchzuckte meinen Körper und schien ihn aufzulösen. Gleichzeitig raste mein Herz vor Angst und Furcht, aber auch von einem süßen Gefühl der Erregung, wie ich es seit dem allzu frühen Tod meines Gatten nicht mehr verspürt hatte.

Die allgemeine Konversation wurde wieder aufgenommen, ohne dass der Gesandte sich jedoch daran beteiligte. Nach dem Essen begann eine zwanglose Soiree, bei der mehr getratscht wurde, als ernsthafte Gespräche über wissenschaftliche Themen geführt. Für mich eine gute Gelegenheit, die Anwesenden zu beobachten.
Zum Glück erwies sich mein Tischherr als unerschöpfliche Quelle des gesellschaftlichen Klatsches. Er kannte jeden der Anwesenden und wusste auch Interessantes über sie zu berichten. Es kostete mich einige Mühe, die Menge an Informationen zu behalten. Auf keinen Fall wollte ich mich vor Fauchard blamieren, denn ich war mir sicher, dass er keine Fehler dulden würde.
Inmitten eines dieser informativen Gespräche mit meinem Tischherrn verließ der persische Gesandte in Begleitung des österreichischen Botschafters durch eine Tapetentür den Saal. Erst kurz vor Ende der Abendgesellschaft kehrten beide mit eiserner Miene zurück. An diesem Abend gelang es mir nicht, auch nur in die Nähe des Persers zu gelangen.

In Gedanken versunken bestieg ich vor dem Palais ein wartende Sänfte und gab die Anweisung mich nach Hause tragen. Aber anstatt dorthin zu gelangen, fand ich mich im Innenhof der Präfektur der geheimen Staatspolizei wieder. Die Träger standen offensichtlich im Dienst der Präfektur und waren einem Befehl gefolgt. Einer der Sekretäre befahl mich geschäftig die Treppe hinauf.
Man hörte meinem Bericht aufmerksam zu. Ein Schreiber notierte meine Aussagen, die Fauchard nur selten durch eine kurze Zwischenfrage unterbrach. Er schien zufrieden, denn er entließ mich mit einer freundlichen Geste.
Auch in den nächsten drei Wochen ergab sich bei meinen regelmäßigen Besuchen im Palais d‘Auban keinerlei Gelegenheit, dem persischen Gesandten vorgestellt zu werden. Es war offensichtlich, dass Fauchard ungeduldig wurde. Je weniger Erfolge ich vorweisen konnte, desto herrischer wurde sein Umgang mit mir. Schließlich drohte er mir ganz unverhohlen mit meiner erneuten Inhaftierung. Dass er es nicht bei einer bloßen Inhaftierung belassen würde, ließ er für mich als Ansporn in einem Nebensatz anklingen. Wieder durchzuckte mich der kleine Schmerz am Gesäß.

Ich muss an dem folgenden Abend schrecklich ausgesehen haben, denn aus heiterem Himmel ließ mich der Gesandte zu sich holen. Sein Französisch war geschliffen, wenn auch nicht ohne fremdartigen Akzent. Sein Benehmen war an unseren Maßstäben gemessen jedoch nicht geschliffen. Unverfroren packte er mich am Arm und zog mich vor einen Spiegel.
“Was ist heute mit Ihnen los? Sehen Sie sich doch nur an! Glauben Sie, mich so erfreuen zu können?” Verwirrt von soviel Frechheiten stammelte ich eine sinnlose Antwort. Das war einfach die Höhe!
Ich machte auf dem Absatz kehrt und wollte mich entfernen. Zu meinem Unglück prallte ich jedoch genau auf den Österreicher, der hinzugetreten war. Um mein Unglück zu komplettieren, stieß ich dabei auch noch gegen sein Rotweinglas, das er in der Hand hielt. Der gesamte Inhalt ergoss sich über die Spitzen meines Dekolletés. Das war zuviel, ich brach in Tränen aus. Doch die Frechheiten steigerten sich noch. Mit einer Handbewegung hielt der Perser den galanten Österreicher davon ab, mir sein Taschentuch zur Verfügung zu stellen. Er ließ mich einfach dastehen und sah ungerührt dem Fluss meiner Tränen zu, bis sie schließlich versiegten.
Mit tränenblinden Augen versuchte ich ihn anzusehen. Bis dahin hatte er ohne ein Zeichen der Anteilnahme vor mir gestanden und mich beobachtet, wie man eine wilde Kreatur beobachtet. Ein eiskalter Hauch durchzog meinen Körper wie eine plötzliche Windbö und ließ mich fröstelnd schauern. Er klatschte in die Hände und der dunkle Diener erschien. In einer mir vollkommen unverständlichen Sprache erteilte er offensichtlich Befehle, wie ich aus der unterwürfigen Haltung des Dieners schloss.
“Folgen Sie Yussuf, er wird für Ihre derangierte Kleidung sorgen!“ Die Worte klangen so bestimmt, dass ich mich widerspruchslos dem Diener anschloss. Nach einer längeren Wegstrecke fand ich mich in einem der ungewöhnlichsten Zimmer wieder, die ich bis dahin gesehen hatte. Es gab keine der Möbel, wie sie in Frankreich sonst allgemein üblich waren. Überall im Raum verstreut lagen Kissen und Teppiche. Rätselhafte Gegenstände hingen an den Wänden oder standen im Raum. Eine märchenhafte Welt, wie ich sie bisher nicht mal im Traum gesehen hatte.

Aus dem Nichts erschienen zwei dunkelhäutige Frauen in bunten, exotischen Gewändern. Gackernd und schwatzend versuchten sie, mich zu entkleiden. Mein anfänglicher Widerstand erlosch, als ich den Diener mit verschränkten Armen drohend an der Tür stehen sah. Fasziniert streichelte ich den Stoff der Kleider, die mir als Ersatz für die meinen angelegt worden waren. Gleichzeitig fest und doch weich und zart umschmeichelte er lose meinen Körper. Mit der gleichen Fassungslosigkeit spürte ich meinen Körper unter den Kleidern. Alles war so locker und luftig, wie die Nachtbekleidung, deren Verwendung in meinen Kindertagen eingeführt worden war.
Unter lautem Geschnatter verschwanden die Frauen mit meinen Kleidern, auch der Diener entfernte sich. Neugierig ging ich in dem Zimmer umher. Von Ferne schlug eine Turmuhr und verkündete, dass die Abendgesellschaft schon bald beendet sein würde. Erneut nahm ich meine Untersuchung auf. Gedämpfte Stimmen erklangen hinter einer Tapetentür. Dem Tonfall nach musste es sich um eine heftige Auseinandersetzung handeln, aber die Worte waren nicht zu verstehen.
Unendlich vorsichtig öffnete ich die Tapetentür einen Spalt. Die Stimmen wurden deutlicher, ich verstand einzelne Worte. Also schlüpfte ich in den Durchgang und presste mein Auge an das Schlüsselloch der zweiten Tür. In dem Raum, von dem ich nur einen kleinen Ausschnitt sehen konnte, saß der Österreicher. Ab und an passierte der persische Gesandte bei seiner aufgeregten Wanderung meinen Sehschlitz und war für diesen Moment sichtbar. Offensichtlich war er sehr ungehalten.
Neugierig horchte ich an der Tür, um dem Verlauf der Unterhaltung folgen zu können. Ich erschrak zu Tode. Der Österreicher berichtete mit ruhiger Stimme, dass sein Spion bei der geheimen Staatspolizei in Erfahrung gebracht habe, dass erneut der Versuch unternommen worden war, einen Spitzel in der Nähe des persischen Gesandten zu installieren. Er wisse nur noch nicht, wer dies sei. Der Perser lachte lauthals. Sein Gelächter fuhr mir tief in die Knochen. Hastig zog ich mich zurück.

Wieder schlug die Turmuhr eine volle Stunde. Mein Herz schien fast die Brust zu zersprengen; ich war entdeckt und Flucht meine einzige Rettung. Jede Regung in mir erstarrte, als ich die Klinke der Tür drückte. Sie war verschlossen. Wie ein gehetztes Reh durchquerte ich das Zimmer und wiederholte meinen Versuch an der Tür, durch welche die beiden Frauen mit meiner Kleidung verschwunden waren. Vergeblich rüttelte ich an der Tür; auch sie war verriegelt. Erst in diesem Augenblick bemerkte ich bei meiner panischen Suche nach einer Fluchtgelegenheit, dass dieses Zimmer keine Fenster besaß. Ich saß in der Falle.

In diesem Moment öffnete sich die Tapetentür, zitternd wich ich erbleicht an die Wand hinter mir zurück.
“Sie sind noch hier?”, verwundert hob der Perser die Augenbrauen. Er klatschte laut in die Hände. Der Schlüssel knirschte im Schloss und eine der Frauen erschien in gebeugter Haltung im Zimmer. Eine Kanonade barscher Worte regnete auf sie herab, die sie weinerlich antworten ließ. Der Perser drehte sich zu mir herum.
“Anscheinend gab es Probleme bei der Reinigung Ihrer Bekleidung. Ich werde die Schuldige dafür bestrafen lassen! Man wird Ihnen für die Nacht ein Zimmer anweisen.” Damit verabschiedete er sich und ging.
Widerstrebend ließ ich mich von der Frau an der Hand durch die verschlungenen Gänge des Palais führen. Der Diener folgte uns auf dem Fuß, so dass mir eine Flucht unmöglich erschien. Stumm verbeugte sich die Frau, nachdem wir in einem Zimmer angekommen waren und ließ mich dort allein. Wieder sah ich mich um. Ein ganz gewöhnliches Schlafzimmer mit einem großen Himmelbett.
Leise schlich ich an die Tür und horchte. Kein Laut war auf dem Flur zu vernehmen. Behutsam drückte ich die Klinke nieder. Betäubt lehnte ich neben der Tür an der Wand und rutschte langsam zu Boden. Wieder war ich eingeschlossen. Da wir einige Treppe aufwärts gegangen waren, erschien es mir unnötig, ans Fenster zu treten. Auch dort würde sich keine Fluchtmöglichkeit bieten. Verzweifelt und aufgewühlt kroch ich nach der Verrichtung meines Nachtgebetes ins Bett und fiel in unruhigen Schlummer.

Eine sanfte Berührung ließ mich am Morgen aus dem Schlaf aufschrecken. Eine der beiden Frauen kniete neben meinem Bett und gab mir durch Zeichen zu verstehen, dass ich ihr folgen solle. Mit klopfendem Herzen gab ich nach.
Zu meiner Verwunderung führte sie mich in einen Raum, dessen Mitte von einem riesigen Waschzuber beherrscht wurde. Das ganze Zimmer war erfüllt von dem wunderbaren Duft der Rosen. Die Quelle des Geruchs schien der Zuber zu sein, was sich beim Nähertreten bestätigte. Die Frau versuchte mich mit Gesten zu beruhigen, als ich ihren Versuch mich zu entkleiden, erschrocken abwehrte. Sie war vielleicht in meinem Alter und lächelte mich mit einer ebenmäßigen Reihe strahlend weißer Zähne beruhigend an. Zögerlich gab ich nach.
Ihr wunderschönes Lächeln erstarb, als ich nackt vor ihr stand. Entsetzt schlug sie die Hände vor dem Gesicht zusammen und stieß dabei einen Ton der Missbilligung aus. Aufgeregt redete sie wild gestikulierend auf mich ein. Da ich sie nicht verstand, trat sie entschlossen auf mich zu, packte mich an der Schambehaarung und zerrte daran. Vor Schreck schrie ich auf und verpasste ihr eine Ohrfeige. Aber anstatt von mir abzulassen, rief sie laut.
Die Tür flog auf und der Diener stand im Zimmer. Bevor ich begriff, wie mir geschah, lag ich bereits rücklings auf einer Art Tisch. Mit dem Mut der Verzweiflung kämpfte ich gegen meine übermächtigen Gegner an, die sich aber durch meine Attacken nicht von ihrem schändlichen Tun abhalten ließen. Ein ‚Vater Unser‘ später lag ich hilflos gefesselt auf der Liege.
Der Diener entfernte sich, stumm wie immer, und die Frau begann meinen ganzen Körper mit einer stinkenden Paste einzuschmieren. Beim Trocknen ziepte jedes Härchen bei jeder Bewegung; eine gleichsam unangenehme wie seltsam angenehme Tortur. Mit einer Art metallenem Löffel kratzte man mir vehement die angetrocknete Paste vom Leib. Ein deutlich unangenehmerer Vorgang, der meinen Körper vorübergehend in eine durchgehend rote Färbung tauchte. Erst als sie mich losband, erkannte ich die Tragweite der erlittenen Behandlung.
Mein gesamter Körper, mit Ausnahme der Kopfes, zeigte sich in der haarlosen Nacktheit eines Neugeborenen. Diesmal war das Händeklatschen zufriedener Natur, das Lächeln breiter. Meine Verwunderung stieg. Die Behandlung war damit anscheinend noch nicht beendet, denn nun wurde ich in dem Zuber gebadet. Der Rosenduft betörte mich, so dass meine Bedenken wegen des Bades verflogen.
Insgeheim wunderte ich mich, dass etwas so Angenehmes so ungesund sein konnte. Diese Perser waren offenbar der Ansicht, dass Waschen und Baden nicht schlecht für die Haut sei, was bei uns doch jedermann wusste. Noch seltsamer war die Schminke, die man mir nach dem Bad am ganzen Körper auftrug. Sie verlor augenblicklich ihre Farbe, nachdem sie aufgetragen war. Vorsichtig roch ich daran. Auch die Schminke duftete lieblich nach Rosen.

Dankbar schlüpfte ich in das bodenlange Kleid, das mir die Frau anbot und folgte ihr. Der Perser hatte entschieden keine Manieren. Nicht nur, dass er beim Essen auf dem Boden hockte, er erhob sich noch nicht mal von seinem Sitz, als ich den Raum betrat. Die Frau fiel vor dem Mann auf den Knie, berührte mit der Stirn den Boden und küsste dann die dargebotene Hand. Rückwärts kriechend entfernte sie sich. Mit einer einladenden Geste bot er mir Platz an.
“Greifen Sie zu. Einige Köstlichkeiten aus meiner Heimat, die Ihnen sicher munden werden.” Er beobachtete mit amüsiertem Blick, aber ohne Lächeln, meinen zaghaften Versuch, die angebotenen Speisen zu kosten.
“Exzellenz, ich möchte mich über die Behandlung in Ihrem Haus beschweren! Ihre Dienerschaft nimmt sich Frechheiten heraus und hat mich obendrein heute Nacht in meinem Zimmer eingeschlossen!” Wortlos hörte er den verschämten Bericht über meine morgendlichen Erlebnisse an. Er schwieg eine Weile und aß seelenruhig weiter.
“Und haben Sie es nicht genossen? Shirin ist doch wirklich geschickt im Enthaaren und der übrigen Körperpflege. Ich selber pflege mich sehr gerne von ihr verwöhnen zu lassen. Sie sollten sich beim nächsten Mal entspannen und sich auch ihren anderen Künsten hingeben. Und was das Versperren der Zimmertür betrifft. Nun, das geschah auf meinen Befehl hin zu Ihrem eigenen Schutz.” Fragend sah ich ihn an, was er aber ignorierte.

Die Tür wurde aufgestoßen und der stumme Diener betrat den Raum. Er war jedoch nicht allein. Mit roher Gewalt stieß er die andere der beiden Frauen vor sich her. Sie stürzte sich hastig vor dem Gesandten auf den Boden und begann schluchzend seine Füße zu küssen.
Erst in diesem Augenblick erkannte ich, dass ihre Hände in einer brutalen Haltung auf dem Rücken gefesselt waren. Mit einer kurzen Geste bedeutete er dem Diener einen Befehl, den dieser offenbar auch ohne Worte verstand. Wie einen Getreidesack warf jener die Frau in einiger Entfernung vor uns bäuchlings auf den Boden. Aus einer Ecke holte er eine Art niedriger Sägebock und fesselte die Füße der Frau so daran, das ihre Fußsohlen nach oben wiesen. Fragend sah er seinen Herrn an. Der nickte leicht. Mit einer dünnen Gerte drosch der Diener brutal auf die Fußsohlen der Frau ein, die augenblicklich herzzerreißend zu schreien begann.
“Ich habe sonst nicht so viel für die Türken übrig, aber diese Methode der Bestrafung habe ich gerne von ihnen übernommen. Man nennt sie Bastonade!”, fügte er erklärend hinzu, während er es fertig brachte, seelenruhig beim Zusehen einige Weintrauben zu verspeisen.
“Warum, was hat sie getan, dass sie so grausam bestraft wird?” fragte ich stammelnd.
“Grausam?” Er schüttelte verständnislos den Kopf. Seine Vorstellung und Empfindung von Grausamkeit schien offensichtlich eine andere als die meine.
“Das geschieht Ihretwegen. Sie hat es nicht rechtzeitig geschafft, Ihr Kleid ordentlich zu reinigen. Und ich dulde in meinem Haushalt keine Nachlässigkeiten! Sie wird sich zukünftig mehr Mühe geben, denke ich.” Mit einem Handzeichen beendete er die Bestrafung.
Die Frau wurde befreit und kroch auf den Gesandten zu. Ergeben küsste sie seine Hand und schien sich auch noch für ihre Strafe zu bedanken. Er deutete auf den Diener. Sie kroch auch auf jenen zu und küsste die Gerte. Auf allen Vieren krabbelte sie immer noch schluchzend aus dem Raum. Ihre Fußsohlen waren an mehreren Stellen aufgeplatzt und blutverschmiert. Sicher würde sie eine ganze Weile nicht auf den Füßen stehen können, ohne Schmerzen zu empfinden. Verstört schwieg ich den Rest des seltsamen Frühstücks.

Eine leichte Übelkeit überfiel mich, als die Sänfte mich schaukelnd nach Hause trug. Aber es war nicht die Bewegung der Sänfte, die mich in diesen Zustand versetzte, sondern die Bewegung in meinem Inneren. Noch immer aufgewühlt, betrat ich mein Haus, wo meiner ein neuerlicher Schrecken harrte. Auf dem Lehnstuhl vor dem Kamin saß Fauchard, umgeben von zwei seiner Unheil verkündenden Schatten.
“So? Haben Madame die Güte endlich heimzukehren?” Ich nahm allen Mut zusammen und entgegnete ihm kühl: “Euer Gnaden haben mich mit einer Aufgabe betraut, die ich Eurer Meinung nach nicht zufrieden stellend bewerkstelligte. Nun komme ich ihr geflissentlich nach und Euer Gnaden sind auch damit nicht zufrieden? Wollen Euer Gnaden mir dann bitte sagen, was Euer Gnaden von mir wirklich verlangen?”
Die Zurechtweisung in meiner Stimme war nicht zu überhören. Seine Hände verkrampften sich in der Sessellehne, dies war jedoch das einzige Anzeichen für eine Regung. Mit einer herablassenden Handbewegung forderte er meinen Bericht. Seine Stirn lag in tiefen Falten, nachdem ich geendet hatte. Einen Verräter in den eigenen Reihen zu wissen, bereitete ihm offensichtlich Sorge.
“Armandine, ich befehle Ihnen hiermit ausdrücklich, Ihre Besuche bei dem persischen Gesandten für eine Woche auszusetzen!” Mit diesen Worten eilte er mit seinen Schatten davon.

Sechs Tage nach diesem Vorfall, pochte es vehement an meine Haustür. Ein eisiger Schrecken durchfuhr mich, als ich die ungebetenen Besucher vor der Tür erkannte. Es waren zwei Bluthunde des Präfekten mit einer Kutsche. Nur einen Herzschlag lang erwägte ich die Möglichkeit einer Flucht; dann begab ich mich ohne Widerstand, jedoch voller Angst in die Hände der Männer.
Man führte mich über die Hintertreppe in ein mir unbekanntes Haus am Place de Grève. Wie üblich, wenn eine Hinrichtung stattfand, war der Platz mit Schaulustigen überfüllt. Die Balkone und Fenster der umliegenden Häuser wie immer an zahlungskräftige Zuschauer vermietet, die dort in Erwartung des grausamen Schauspiels dinierten.
Bei meinem Eintreten erhob sich Fauchard von seinem Sitz und begrüßte mich mit einen beinahe galanten Handkuss.
“Ah, ich freue mich, dass Sie Zeit und Gelegenheit finden konnten, mir Gesellschaft zu leisten! Nehmen Sie doch bitte Platz. Darf ich Ihnen etwas Wein und Gebäck anbieten?” Dankend lehnte ich beides ab, was ihn allerdings nicht davon abhielt, sich zu bedienen.
In seiner üblichen, verabscheuungswürdigen Art erklärte er mir, warum man mich geholt hatte. Durch intensive Recherche war der Verräter gefunden worden. Nach der eindringlichen Befragung des Delinquenten, wobei ich nur zu gut wusste, was Fauchard darunter verstand, hatte dieser gestanden und auch noch gleich einen Komplizen benannt. Beide waren umgehend wegen Hochverrates zum Tode verurteilt worden. Der Vollstreckung des Urteils sollte ich jetzt beiwohnen.
“Sie werden sicher beruhigter Ihrem Auftrag nachkommen können, teure Armandine, wenn Sie sehen, wie Frankreich mit seinen Feinden und Hochverrätern umgeht!” Der lauernde und drohende Unterton in seinen Worten war mir nicht entgangen.
Die Hinrichtungen waren grausam und zogen sich quälend in die Länge; ich war erleichtert, als alles vorüber war und die Menge sich langsam verlief. Mit der Aufforderung, die Besuche im Palais d’Auban wieder aufzunehmen, wurde ich entlassen und unter Aufsicht nach Hause geleitet.


An diesem Morgen brauchte es eine ganze Weile, bis Jacqueline Versol sich in ihrem Tagesbewusstsein zurechtfand. Anscheinend war sie über dem Lesen eingeschlafen, das Buch lag geöffnet auf ihrem Bauch. Sie selber angekleidet auf dem Bett, die Nachttischlampe brannte noch immer, obwohl es draußen schon längst Tag war.
Mit einer entschlossenen Kraftanstrengung versuchte sie, die Einzelteile der in ihrem Kopf umherschwirrenden Gedanken zu einem sinnvollen Ganzen zu ordnen. Trotz der Mühen wollte sich aber ein Ergebnis nicht so recht einstellen. Sie stand daher auf und widmete sich ihren Tagesgeschäften. Die Ablenkung durch die vielfältigen Anforderungen des Tages taten Jacqueline gut, sie ließ sich davon treiben, ohne dass sich die Gedanken wegen ihrer Vorfahrin dazwischen drängten.
Erst als die Aktivität des Tages gegen Abend zum Erliegen kam, schob sich der Geist von Armandine de Marillac wieder in den Vordergrund. Dort drüben war noch der originale Kamin erhalten. Vielleicht stand der Sessel von Armandine auch an der Stelle, wo er sich jetzt befand. Das Feuer prasselte und knackte anheimelnd im Kamin. Der Feuerschein spiegelte sich verzerrt in dem dickbauchigen Rotweinglas, das Jacqueline versonnen in Händen hielt. Sie zog die nackten Füße auf die Sitzfläche empor und kauerte sich in den gewaltigen Ohrensessel. Das Feuer verbreitete ausreichend Wärme, so dass sie eigentlich nicht frieren musste, dennoch stieg in ihr das Verlangen auf, die kuschelige Wärme des Kaschmirplaids zu spüren.
Seufzend erhob sie sich, ging die paar Schritte zum Sofa und griff nach der Wolldecke, die ordentlich zusammengefaltet in einer Ecke des Sofas lag. Polternd fiel das Buch auf den Boden. Jacqueline bückte sich hastig, um es aufzuheben. Für einen Moment stand sie unentschlossen da. In der einen Hand das Buch, in der anderen die Kaschmirdecke. Das Buch fand vorläufig seinen Platz auf dem kleinen Ablagetisch neben dem Sessel. Fast völlig mit der Decke vermummt, kauerte Jacqueline sich wieder mit angezogenen Beinen in den Sessel und starrte in die Flammen.

Eine eigentümliche Leere hatte sich in ihr ausgebreitet; eine Art nichts sagender Friede. Wie in Trance hob sie das Glas an die Lippen und trank mechanisch einen kleinen Schluck, ohne wirklich zu schmecken, was sie da gerade trank. Genauso geistesabwesend stellte sie das Glas zurück und versank in den Anblick des Kaminfeuers.
So leer und ausgebrannt hatte sich Armandine de Marillac möglicherweise auch gefühlt, nachdem sie im Anschluss an die Hinrichtung der beiden Hochverräter wieder in ihr Haus zurückgeleitet worden war. Langsam brannte das Feuer nieder. Die Funken stoben hoch auf, als Jacqueline ein paar Scheite nachlegte. Sie kauerte sich erneut bequem in den Sessel, trank noch einen Schluck Rotwein und griff dann nach dem Buch. Es fiel ihr schwer, sich auf den Text zu konzentrieren, also blätterte sie zwei, drei Seiten zurück und las die Schilderungen noch einmal.


Auf Befehl des Präfekten nahm ich also die Besuche im Palais d’Auban wieder auf. Der Gesandte ließ mich umgehend zu sich rufen. Mit klopfendem Herzen folgte ich dem Furcht einflößenden Diener. Auf dem Weg wirbelten wilde Gedanken durch meinen Kopf. Hatte man meine Mission zuletzt doch entdeckt? Beklommen ging ich auf den Perser zu, der wieder auf dem Boden des seltsamen Zimmers hockte. Er deutete einladend auf das Sitzkissen neben sich, dabei war seine Geste so unmissverständlich, dass eine Ablehnung nicht in Frage gekommen wäre.
Leise erklang fremdartige Musik, die in ihrer Stimmung sehr melancholisch erklang. Die Frau, die mir bereits unter dem Namen Shirin bekannt war, erschien beinahe aus dem Nichts und führte eine Art sinnlichen Tanz vor uns auf. Er wendete keinen Blick von ihr ab und stellte mir doch gleichzeitig eine Frage, die mich bis ins Mark erschreckte.
“Sagen Sie, ist Ihnen eigentlich der Präfekt der geheimen Staatspolizei Fauchard bekannt?” In meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken, kalter Schweiß brach in feinen Perlen auf meiner Stirn aus. Ich zögerte, um Zeit zu gewinnen.
“Ja, natürlich Eure Exzellenz. Jedermann in Paris, wenn nicht gar in Frankreich kennt diesen Namen!” Der Gesandte brach in ein dröhnendes Gelächter aus, das mich nichts desto trotz erschrecken ließ. Mit einem prüfenden Blick, der wie eine glühende Klinge in mich fuhr, forderte er mich auf, ihm alles zu erzählen, was ich über Fauchard wüsste.
Sorgfältig vermied ich, meine persönliche Bekanntschaft mit Fauchard offen zu legen und berichtete daher die geläufigen Dinge, die über Fauchard allgemein im Umlauf waren. Der Gesandte schien nicht zufrieden, denn er winkte mit einer herrischen Geste ab.
“Diese Art Tratsch und Geschwätz kann ich auf jedem Gemüsemarkt hören! Wie stehen Sie zu Fauchard?” Erneut erbleichte ich und stammelte verlegen eine nichts sagende Antwort. Der Perser drehte sich vollends zu mir herum und starrte mich unverwandt an. Nicht einmal einen Atemzug lang konnte ich diesem Blick standhalten und senkte den Kopf.
“Der Präfekt Fauchard ist ein sehr grausamer Mann, der zur Erreichung seines Zieles keinerlei Skrupel oder Nachsicht kennt. Sein Einfluss bei Hofe ist immens, Ludwig vertraut seinem Wort ohne Vorbehalt. Man lässt ihn uneingeschränkt gewähren, da er in allem was er tut, loyal zu Frankreich steht.” Mit immer noch gesenktem Kopf hauchte ich diese Worte mehr, als dass ich sie sprach. Der Perser winkte ungehalten ab.
“Auch das sind Allgemeinplätze. Sie bestätigen nur, was ich sah, als ich ihm zum ersten Mal begegnete. Haben Sie Angst vor ihm?” In diesem Moment hatte ich mehr Angst vor dem Perser als vor Fauchard. Er schien alles zu wissen, spielte aber ein grausames Spiel mit mir, wie eine Katze mit einer Maus. In der Hoffnung, er würde von mir ablassen, so wie eine satte Katze von einer Maus, die sich nicht mehr bewegt, schwieg ich. Doch derart, wie eine Katze dann die Maus mit der Pfote antippt, setzte er nach.
“Womit versetzt Fauchard Sie in eine so große Furcht?” Eisige Wellen wechselten sich mit heißen Schauern ab und durchjagten meinen Körper. Standhaft schwieg ich. Schweigen lastete wie ein Felsbrocken auf dem Raum. Die Musik war längst verstummt, Shirin wieder verschwunden. Das Zimmer begann sich im Kreis um mich zu drehen. In meiner Angst erhob ich den Blick und sah den Gesandten flehend an. Ungewohnt sanft und leise kamen die Worte.
“Es ist die Folter nicht wahr?” Es war, als ob ich mich auflöste und von ihm aufgesaugt wurde. Tränen füllten meine Augen, doch gleichzeitig erfüllte mich eine friedvolle Erleichterung, in der ich fast zu schweben meinte.

Es kann nicht lange gedauert haben, dennoch kam es mir wie eine Ewigkeit vor. Sein Räuspern erweckte mich aus diesem traumhaften Zustand in die Wirklichkeit.
“Ich habe über Sie Erkundigungen einziehen lassen, Madame de Marillac. Sie haben einen guten Leumund, leben einfach und bescheiden mit Ihrem knappen Mitteln, entstammen einer sehr namhaften Familie, sind gebildet, besitzen obendrein ein annehmbares Äußeres, was man zwar noch verbessern könnte; kurzum Sie erfüllen die meisten Bedingungen für eine Position, die ich Ihnen anbieten möchte.” Mit zornfunkelnden Augen blitzte ich ihn an, jetzt wieder im Vollbesitz meiner Kräfte.
“Ah, die meisten? Welche, außer meinem anscheinend nicht genügenden Äußeren wären das?” Er lächelte in überheblicher Weise und amüsierte sich anscheinend prächtig über meine aufgebrachte Antwort.
“Und welche Position sollte ich Ihrer Meinung nach bei Ihnen antreten? Sie besitzen doch schon zwei Dienerinnen!” Sein Grinsen schien sich zu steigern.
“Sie demonstrieren Brachliegendes gerade. Geduld und Demut wären zwei Eigenschaften, deren Ausprägung eine wünschenswerte Bereicherung darstellen würden. Und Sie haben recht, ich besitze im wahrsten Sinne des Wortes zwei Dienerinnen, gedenke aber meinen Haushalt zu erweitern.” Ob dieser unverschämten Antwort blieb ich mit weit geöffnetem Mund und einem sicher nicht sehr intelligenten Gesichtsausdruck wortlos sitzen.

Der Gesandte des persischen Shahs reichte mir eine kostbare Schatulle. Das edle Holz schimmerte matt im Licht der Kerzen, die Beschläge funkelten, als ich die Schatulle begutachtend wendete. Hastig nahm ich den dargebotenen Schlüssel dafür und ließ ihn umgehend in meinem Dekolleté verschwinden. Bestätigend nickte ich; ich würde die Schatulle erst zu Hause öffnen.
“Noch eine Bitte“, der Gesandte atmete tief. “Studieren Sie den Inhalt genau; wägen Sie gut ab und verfahren Sie erst dann nach den Anweisungen darin.” Er stand auf und verabschiedete sich mit einer angedeuteten Verbeugung.
Verstohlen wickelte ich mein Umschlagtuch über die Schatulle, um sie vor fremden Blicken zu verbergen und verließ umgehend das Palais. Eigentlich hätte ich damit rechnen müssen, dass die Sänfte mich nicht nach Hause bringen würde. Trotzdem war ich für einen kurzen Augenblick lang überrascht, als ich erkannte, dass man mich ins Quartier der geheimen Staatspolizei gebracht hatte.
Verschämt übergab ich Fauchard den Schlüssel aus meinem Dekolleté in die fordernde Hand. Mit gerunzelter Stirn betrachtete er den vor sich auf dem Tisch ausgebreiteten Inhalt der Schatulle. Einige halbrunde Gegenstände aus massivem Gold, zwei seltsame Ohrgehänge, eine Schriftrolle mit einem prachtvollen Siegel. Beiläufig legte Fauchard alles bis auf die Schriftrolle in die Schatulle zurück. Im Schein des mehrarmigen Kerzenleuchters drehte er untersuchend die Rolle in den Händen.
“Armandine! Hier steht Ihr Name. Daher kommt es mir nicht zu, das Siegel zu brechen. Wenn Sie die Güte hätten?” Mit einem maliziösen Lächeln reichte er die Schriftrolle über den Schreibtisch zu mir herüber. Er wich meinem anklagenden Blick nicht aus, ich sah im Gegenteil das spöttische Glitzern in seinen Augen.

Die Zeit schien stillzustehen, bis ich mich dazu durchrang, in seiner Gegenwart das Siegel zu brechen. Betäubt schloss ich die Augen. Im selben Augenblick, als das Siegel knackend barst, riss man mir mit einer blitzschnellen Bewegung das Schriftstück hinterrücks aus der Hand. Einer der stets anwesenden Schergen, der unbemerkt hinter mich getreten war, reichte es seinem Vorgesetzten.
“Sie erlauben teure Armandine?”, höhnte Fauchard. Mit lauter Stimme und spöttischen Unterton las Fauchard den Inhalt des Schreibens so vor, dass der anwesende Schreiber augenblicklich eine Kopie fertigen konnte. Während des Diktates drehte sich mir alles vor Augen und Schamesröte entflammte mein Gesicht. Der Vortrag schien sich in einer anderen Welt zu ereignen; wie von fern drangen die Worte an mein Ohr, jedoch nicht in meinen Verstand. Nachdem er geendet hatte, wandte sich Fauchard an mich.
“Armandine, ich bin hochzufrieden mit Ihnen. Ich beglückwünsche Sie im Namen Frankreichs zu diesem Erfolg. Endlich ist es geschafft! Eine Informantin direkt im Pelz des persischen Löwen!” Begeistert rieb er sich die Hände.
“Wir müssen jetzt nur sehr vorsichtig sein. Ab sofort keine Besuche mehr hier in diesem Haus!” Nachdem er mir erklärt hatte, wie ich mit Hilfe des Brennholzlieferanten, der im Dienste der geheimen Staatspolizei stand, Nachrichten aus dem Palais d’Auban schmuggeln könnte, entließ er mich und ich gelangte wie in einem Traum, aus dem man ständig hofft zu erwachen, in mein Heim.

Mit zitternden Händen öffnete ich dort im Schein des Leuchters die Schatulle und breitete den Inhalt auf der dunklen Eichenplatte meines Salontisches aus. In vollendetem Kontrast schimmerte das Gold auf dem dunklen Holz. Ächzend sank ich auf den Stuhl davor und wagte nicht die Schriftrolle zu berühren, als ob sie aus glühendem Eisen bestünde.


Jacqueline unterbrach das Lesen. Die Standuhr schlug eine volle Stunde. Versonnen betrachtete Jacqueline den Tisch vor sich. Eine prachtvolle Antiquität aus dem 17. Jahrhundert, die sie bei der Übernahme des Hauses vorgefunden hatte. Das Eichenholz war im Lauf der Jahrhunderte stark nachgedunkelt und schimmerte jetzt fast schwarz im schummerigen Licht der Leselampe. Das konnte möglicherweise der Tisch sein, von dem Armandine de Marillac in ihren Aufzeichnungen geschrieben hatte.
Jacqueline stand auf und ließ die Hand über die Tischplatte gleiten. Die Zeit hatte ihre Narben in dem Holz hinterlassen, fast zärtlich strich Jacqueline mit dem Mittelfinger durch einige der tiefen Kerben. Unvermittelt durchschüttelte sie eine Lachsalve. Das Alleinsein schien sie ein wenig sonderbar zu machen. Kein Wunder bei der Lektüre.
Sie fuhr mit der Hand durch ihre Haare, die mal wieder einer zerzausten Löwenmähne glichen, und schlenderte in die Küche. Mit einem schnell zubereiteten Imbiss in der Hand kehrte sie in den Salon zurück und lümmelte sich erneut bequem in den Sessel. Der Imbiss hatte ihre Lebensgeister erfrischt, sie räkelte sich genüsslich mit ausgestreckten Armen in dem Sessel. Mit saurer Miene betrachtete sie das Holz im Kamin. Wenn sie noch weiterlesen wollte, würde es nötig sein, Holz nachzulegen. Seufzend stand sie widerwillig auf und griff nach den Scheiten. Prasselnd und knackend fing das Holz Feuer; der Geruch von Buchenholz erfüllte den Salon.
Jacqueline kuschelte sich in die Decke, trank noch etwas von dem Burgunder Rotwein, während sie in melancholischer Stimmung in das Kaminfeuer starrte und griff nach einer Weile erneut zu dem Buch.


Erst der Ruf des Nachtwächters, der die Stunde verkündete, erweckte mich aus der Erstarrung. Mit klopfendem Herzen griff ich nach dem Papier und begann zu lesen. Was das Papier von mir forderte, war ungeheuerlich.
Zukünftig sollte ich als persönliche Dienerin seiner Exzellenz Qadir Abd al Mudhill dem Haushalt angehören. Mit einer Unterschrift auf dem Papier, das in Wirklichkeit eher ein Vertrag war, sollte ich einwilligen, mich auf unbestimmte Zeit ohne Vorbehalte meinem zukünftigen Herrn vollständig zu überantworten. Zum weiteren Zeichen meines Einverständnisses sollte ich für mein nächstes Erscheinen im Palais d’Auban die goldenen Reifen anlegen und dem Gesandten mit der entsprechenden Formel, die das Papier aufführte, die beiden Ohrringe überreichen.
Zögerlich nahm ich die Ringe in die Hand. Sie waren ebenmäßig rund und schienen einen verborgenen Schließmechanismus zu besitzen. An jedem war ein etwa fingerlanges Kettchen angebracht, an dessen Ende eine goldene Münze baumelte. Prüfend wog ich die Ringe in der Hand. Sie waren schwerer, als ich geglaubt hatte. Aufmerksam betrachtete ich die Goldscheiben. In unbeschreiblich sorgfältiger Arbeit waren seltsame Zeichen darauf eingraviert. Es musste sich um persische Schriftzeichen handeln, soviel ahnte ich.
Nun galt meine Neugier den Reifen. Auf ähnliche Weise mussten die Ohrringe wohl auch geschlossen werden. Zwei passgenau gearbeitete Hälften, die mit einem im Inneren verborgenen Schnappverschluss miteinander verbunden werden konnten. Probehalber legte ich mein Handgelenk in einen der etwa dreifingerbreiten Halbreifen. Auch an der Innenseite waren die Reifen auf das peinlichste geschliffen und geglättet. Das Gold schmiegte sich geradezu an meine Haut.
Leise klingelte der Ring, der wie bei allen anderen Stücken auch, außen in der Mitte jedes Halbreifens angebracht war, an das Metall. Ein zarter Ton, der zu der schlichten Eleganz des Reifens zu passen schien. Vorsichtig legte ich die passende Hälfte über die erste und bewegte prüfend das Handgelenk. Wenn der Reifen geschlossen wäre, würde er mein Handgelenk fast ohne Spiel umschließen. Ein leises, doch unüberhörbares Klicken drang an mein Ohr.

Zu Tode erschrocken stellte ich fest, dass ich bei meinen Erkundungen, ganz in Gedanken versunken, das Gegenstück hatte einrasten lassen. Der Ton, als nun zwei Ringe auf den um mein rechtes Handgelenk geschlossenen Reifen klirrten, hatte nichts mehr von seiner feinen Zartheit.
Verzweifelt zerrte ich an dem Reifen, der unerschütterlich mein Handgelenk umklammert hielt und sich weigerte, mich loszulassen. Selbst mit Gewalt war er nicht mehr über das Gelenk zu bringen, ich war seine verzweifelte Gefangene. Für einen kurzen Augenblick stand ich der Versuchung nahe, meine Hand mit dem Feuerholzbeil vom Arm zu trennen; aber dieser Gedanke verließ mich so schnell, wie er gekommen war. Gleich morgen Früh würde ich den Schmied aufsuchen und mich befreien lassen.
Erleichtert über diese Aussicht bereitete ich mich zum Schlafen vor und ging zu Bett. Der Schlaf wollte jedoch nicht kommen. Unruhig wälzte ich mich im Bett umher. In derselben Art wälzten sich Gedanken durch meine armes Hirn. Es wurde immer klarer, dass ich mich in einer Zwickmühle befand.
Ließ ich die Fessel, denn um nichts Anderes konnte es bei dem Reif handeln, vom Schmied entfernen, würde ich nicht mehr vor den Gesandten treten können oder er würde es ablehnen, mich in seinen Haushalt aufzunehmen. Damit könnte ich Fauchard nicht mehr unter die Augen treten, der mich unweigerlich einkerkern und erneut foltern würde. Welche Entscheidung ich auch also treffen sollte, beide führten mich in die Verdammnis.

In dieser Nacht tat ich kein Auge zu und stieg noch vor Morgengrauen aus dem Bett. Unter bitterlichem Schluchzen und heißen Tränen setzte ich das unfreiwillig begonnene Werk fort. Als die Sonne durch das Fenster meines Schlafgemachs fiel, sah mich der Tag in meinem goldverzierten Elend. Ein Reif umschloss meinen Hals, auch um Handgelenke und Knöchel schmiegte sich das glänzende Metall. Damit war meiner Qual aber noch nicht Genüge getan. Oberhalb der Ellenbogen schnitt je ein Reifen in das weiche Fleisch meiner Oberarme, desgleichen oberhalb der Knie.
Immer noch schluchzend sah ich an mir herab. Bei jeder Bewegung klingelte einer der vielen Ringe an den jeweiligen Reif. Mit tränengeröteten Augen kleidete ich mich an und versuchte dabei die Insignien meiner Schmach zu verbergen. Jeglicher Appetit war mir vergangen, also verließ ich ohne Frühstück mein Daheim, das ich nun auf unbestimmte Zeit gegen eine mehr als ungewisse Zukunft in einer neuen Unterkunft eintauschen musste.
Im Gehen wandte ich mich noch ein letztes Mal zurück; Tränen füllten meine Augen. Meine Hand hielt den Beutel umkrampft, in dem das unterschriebene Papier und die beiden Ohrringe steckten. Bleich und übernächtigt überquerte ich die Schwelle zum Palais d’Auban und stand verloren in der Eingangshalle. Man ließ mich endlos warten. Ein übermächtiges Verlangen wollte mich dazu treiben, schreiend aus dem Palais zu flüchten. Aber die Angst hielt mich in würgendem Griff gepackt und ließ mich bleiben.


Jacqueline Versol schloss bewegt die Augen und überließ sich dem Taumel. Als sie die Augen wieder öffnete, blieb ihr Herz vor Schreck stehen und ein eisiger Schauer durchzog sie. Am Kamin stand eine fremde Frau und starrte unverwandt in das Feuer. Jacqueline war unfähig weder auch nur einen Finger zu rühren, noch einen Laut von sich zu geben. Wie in Zeitlupe drehte sich die Frau zu ihr um.
In Jacquelines Kopf überschlugen sich die Gedanken. Die Fremde war in die schlichte Tracht einer längst vergangenen Zeit gekleidet, es war das Kleid aus der Truhe vom Dachboden. Im Moment der Erkenntnis nickte ihr die Frau bestätigend zu. Nahezu im selben Augenblick löste sich die Erscheinung auf. Jacqueline rieb sich verwundert die Augen. Offensichtlich war sie übermüdet und ihre Phantasie spielte ihr einen Streich. Zeit zu Bett zu gehen. Während des Zähneputzens hatte sie die ganze Zeit das Gefühl, als ob noch jemand im Bad anwesend sei. Beunruhigt flüchtete sie ins Bett. Anscheinend war sich nicht nur übermüdet, sondern auch zuviel allein. Seufzend und dabei tief Luft holend knipste sie die Nachttischlampe aus. Der Schlaf überfiel sie fast augenblicklich.

Mit einem herzhaften Niesen fuhr Jacqueline aus dem Schlaf empor. Ein Sonnenstrahl hatte sich vorwitzig durch das Schlafzimmerfenster hereingeschlichen und sie mit seinem zudringlichen Kitzeln geweckt. An diesem Morgen sah alles hell und freundlich aus.
Beschwingt und voller Tatendrang schlüpfte Jacqueline aus dem Bett und stürzte sich nach dem Frühstück auf die Arbeit. Unter dem heftigen Fluchen des Fahrers und dem Fauchen der Druckluftbremsen wurde ein Schuttcontainer mühsam in den Innenhof des alten Hauses bugsiert und dort abgeladen. Schon bald erschütterte ein dröhnendes Geräusch das gesamte Haus und versetzte es in Vibrationen. Im Keller wurden mit einem Presslufthammer Wände eingerissen, um Platz für die moderne Zentralheizung und die Waschküche zu schaffen.
Mit bissigem Spott erinnerte sich Jacqueline daran, dass sie seit ihrer Scheidung nun nicht mehr an die Einrichtung eines Bastelkellers zu denken brauchte. Am frühen Nachmittag erstarb der Lärm. Das Wochenende stand unmittelbar bevor. Scherzend zogen die Handwerker ab.
Jacqueline beschloss nach einiger Überwindung in den Keller hinabzusteigen, um dort nach dem Rechten zu sehen. Schon seit ihrer Kindheit hatte sie eine unerklärliche Scheu vor dunklen Kellern, daher stieg sie eher zögerlich die knarrende Holztreppe abwärts. Der Geruch von Moder schlug ihr entgegen; noch immer war die Luft vom Staub gesättigt, der im fahlen Licht der kleinen Lampe tanzte. Zaghaft sah sie sich in dem kleinen Gewölbe um. Die nackte Glühbirne pendelte leicht im Zug und ließ unwirkliche Schatten an den Wänden tanzen.

Jacquelines Herz begann zu rasen, sie fröstelte. Aber ihre Neugier war übermächtiger. Mit einem wahren Monstrum von Taschenlampe in der Hand stieg sie vorsichtig über einige der noch umherliegenden Trümmer und drang weiter in die Tiefen des Kellers vor. Hier war die Luft noch stickiger. Zusätzlich zum Moder roch es nach feuchtem Mörtelstaub. Sie musste niesen. Im selben Moment rieselte ein unheimliches Gefühl durch ihren Körper. Wieder dieses Empfinden, als ob sie nicht alleine in dem Keller sei. Hastig zog sie sich in die Wohnung zurück.
Das Telefongespräch mit ihrer besten Freundin drehte sich um Belangloses und war daher eine wahre Wohltat. Jacqueline legte auf und sah im gleichen Moment das Buch vor sich liegen. Mit zusammengekniffenen Lippen fasste sie Entschluss. An diesem Wochenende würde sie nicht in dem Buch lesen.
Der Samstag verlief in beschaulicher Ereignislosigkeit. Am Abend traf sie sich mit ein paar Bekannten zum Essen in einem Restaurant im 20. Arrondissement, ganz in der Nähe der Metrostation Menilmontant. Etwas bedrückt verabschiedete sie sich jedoch schon relativ früh aus der aufgekratzten Runde. Alle anderen waren paarweise erschienen, sie dagegen alleine; das waren die Momente, die sie nach der Scheidung noch immer als bitter erlebte.
Der Sonntag machte seinem Namen alle Ehre. Beschwingt beschloss Jacqueline nach all den grauen Tagen der vergangenen Woche spazieren zu gehen. Planlos ließ sie sich durch die Straßen in der Umgebung ihres Hauses treiben und landete vor einer kleinen Kirche. Von einer unerklärlichen Neugier getrieben, versuchte sie die Kirche zu betreten. Die Tür war abgeschlossen. Im Umdrehen prallte sie auf einen älteren Mann.
“Ah, Madame! Sie interessieren sich für unsere Kirche? Kommen Sie nur!” Der Mann erwies sich als der Pfarrer. Voller Begeisterung führte er Jacqueline durch die Kirche. Sein Fundus an Geschichte und Geschichtchen erwies sich bei der Führung als unerschöpflich.
“Hier nun Madame, eine letzte Sehenswürdigkeit. Die älteste Grabplatte, die sich in unserer Kirche noch erhalten hat!” Voll Stolz wies er auf eine schlichte Sandsteinplatte. Von seiner weiteren Erzählung bekam Jacqueline kein Wort mehr mit. Die eingemeißelte Inschrift auf der Grabplatte lautete Armandine de Marillac. Das kleine Reliefportrait darunter zeigte eine ausgeprägte Ähnlichkeit mit der Frau am Kamin. Besorgt unterbrach der Pfarrer seinen Redeschwall.
“Ist Ihnen nicht gut? Sie sind ja ganz bleich? Ich habe Sie doch nicht etwa überanstrengt?” Er stützte sie am Arm. Jacqueline winkte beruhigend ab.
“Nein, danke! Wirklich! Sie trifft absolut keine Schuld, Pater. Lassen Sie nur. Ich brauche nur ein wenig frische Luft!” Matt verabschiedete sie sich und winkte noch ein Mal dankend im Hinausgehen.
Schon auf dem Nachhauseweg gab es keinen Zweifel mehr. Trotz ihres Entschlusses am Freitag würde sie in dem Buch der Armandine de Marillac weiter lesen. Obwohl es erst früher Nachmittag war, legte sie sich dazu ins Bett. Im Rücken ein Kissen, saß sie aufrecht gegen das Kopfende des Bettes gelehnt und las begierig in dem Buch weiter.


Ich weiß nicht mehr, wie lange ich dort alleine im Eingang wartete. Was ich dagegen weiß ist, dass ich in Ohnmacht fiel. Jemand stützte meinen Kopf und flößte mir einen Trank ein. Ohne das Bewusstsein wirklich vollends wiedererlangt zu haben, verließ mich jedes Empfinden. Als ich aus der dunklen Nacht erwachte, lag ich in einem weichen Bett. Wie in einem Nebel schwebte undeutlich das Gesicht des Gesandten über mir. Er schien zu lächeln.
“Die Ohrringe, wo sind die Ohrringe?”, mühsam stammelte ich die Worte hervor. “Ich muss doch die Ohrringe...” Es mag seltsam klingen, aber in diesem Augenblick dachte ich an nichts anderes. Ich hatte unter allen Umständen einen Auftrag zu erfüllen, wenn ich scheitern würde, wäre ich verloren.
Nie wieder habe ich seine Stimme so sanft gehört: “Schsch, nicht reden jetzt. Schlaf und ruh dich aus!” Wieder sank ich in die Umnachtung zurück.

Ich kann nicht sagen, wie lange ich wirklich geschlafen habe. Jedoch als ich erwachte, fühlte ich mich erfrischt und gestärkt. Die Frau, deren grausamer Bestrafung ich als Zeugin beigewohnt hatte, huschte nahezu lautlos in das Zimmer. Beschämt stellte ich fest, dass ich unter der Bettdecke nackend dalag, denn meine Goldreifen konnte man wohl schwerlich als Bekleidung deklarieren. Ich zog die Bettdecke höher; der Gesandte betrat das Zimmer.
“Gut geschlafen?” Er schien nicht wirklich eine Antwort zu erwarten, denn er redete direkt weiter. Und wie er mit mir redete, ließ Wut in mir aufsteigen.
“Es ist an der Zeit, dass du einiges Grundlegendes erlernst. Steh auf, wenn ich ins Zimmer komme. Knie vor mir nieder und begrüße mich!” Stumm verweigerte ich mich und umklammerte weiter die Bettdecke unter meinem Kinn.
Eine Zornesfalte erschien direkt über der Nasenwurzel senkrecht auf seiner Stirn. Eine Falte, die ich später im Verlauf meines Lebens zu beachten lernte. Er schnalzte mit der Zunge. Der riesige, schwarze Diener riss mich ohne Umstände aus dem Bett. Augenblicke später stand ich mit an den Pfosten gefesselten Händen neben dem Bett.
“Damit wir uns verstehen, wenn ich etwas befehle, erwarte ich Gehorsam! Bekomme ich den nicht, wirst du bestraft. So einfach ist das.” Seine Stimme war weder laut noch drohend. Die Worte kamen sachlich und beherrscht. Ohne sich um mein Schreien und Wehklagen zu kümmern, schlug er mit einer Gerte immer wieder zu. Mein Gesäß brannte wie Feuer. Er ließ von mir ab und trat ganz nahe neben mich.
“Wirst du jetzt tun, um was ich dich gebeten habe?”, flüsterte er mir fragend ins Ohr. Ich konnte seinen Atem spüren und schauderte. Mit tränenerstickter Stimme murmelte ich mein Einverständnis. Man band mich los und ich sank umgehend vor ihm auf die Knie.
“Ich sehe schon”, seine Stimme klang fast freundlich, “der Name, den ich für dich ausgesucht habe, wird sehr gut zu dir passen, wenn du gelernt hast.” Noch immer kauerte ich nackt vor ihm, doch das war mir auf eine Art recht. In dieser Stellung war ich den Blicken nicht so ausgesetzt, als ob ich vor ihm gestanden hätte.
“Vorerst wirst du allerdings in diesem Haus Amat genannt. Merke dir das Wort. Es bedeutet einfach nur ‚Dienerin’. Einen richtigen Namen musst du dir verdienen, wie alle Vergünstigungen hier.” Etwas Hartes schlug leicht an meine Stirn, ich sah auf. Direkt vor meinen Augen baumelten die Ohrringe. Zögerlich griff ich danach und bot sie dem Perser auf der offenen Hand an.
“Ich überantworte Ihnen mein Leben und lege es in Ihre Hände.” Die Stille nach meinen leisen Worten, die ich wie in dem Schreiben befohlen ausgesprochen hatte, lastete wie ein drückendes Gewicht im Raum. Stunden schienen zu vergehen, bis der erlösende Satz kam.
“Um der Welt zu zeigen, dass du unter meinem Schutz und meiner Verantwortung stehst, erlaube ich dir, diese Ringe zu tragen, auf denen mein Name steht.” Er nahm die Ringe aus meiner Hand und beugte sich zu mir.
“Aber auch diese Ringe musst du dir verdienen. Im nächsten Sommer sehen wir weiter. Sollte ich bis dahin mit dir zufrieden sein, werden dich die Ringe als mein Eigentum ausweisen. Sie werden dir nur wieder abgenommen, wenn ich dich in die Freiheit entlasse oder dich verkaufe.”

Noch immer getraute ich mich nicht aufzustehen. Meine Knie begannen zu schmerzen; verstohlen versuchte ich, das Gewicht zu entlasten. Meine Bemühungen schienen aber trotzdem aufgefallen zu sein. Einige persische Worte genügten und die Dienerin fiel mir direkt gegenüber vor dem Gesandten auf die Knie.
“Sieh dir Laila gut an! Du kannst viel von ihr lernen.” Mit Staunen bewunderte ich ihren grazilen Stil zu knien. Anmutig und ergeben zugleich, es kostete mich Mühe, sie nicht zu berühren.
“Nicht wahr? Sie ist verlockend in ihrer Demut, findest du nicht auch?” Eine feuerrote Welle überzog mein Gesicht. Es war, als ob er meine Gedanken lesen konnte. Doch nach seinen nächsten Worten sah ich ihn noch verstörter an. Er hatte mir befohlen, den Oberkörper der Frau zu entkleiden. Mit zitternder Hand kam ich dem Befehl nach.
Mit einem kleinen Entsetzensschrei ließ ich das Gewand fallen, als sich ihre Brüste nackend zur Schau stellten. Die Brustwarzen waren von Ringen der Art, wie ich sie eben meinem jetzigen Besitzer dargeboten hatte, in der Mitte durchbohrt. Entgeistert wanderte mein Blick zwischen unserem Herrn und Lailas Brüsten.
“Du hast geglaubt, es seien Ohrringe, nicht wahr?” Seine erheitert lachende Frage traf mich wie ein Hieb und riss mich aus der Starre. Er flüsterte den Befehl beinahe und sein Kopf nickte in einer angedeuteten Geste in Richtung der Halbnackten: “Fass die Ringe an!”
Meine Hand griff nur zögerlich nach der Plakette. Eine kleine Bewegung Lailas ließ mich zurückschrecken, die Plakette klatschte mit einem dumpfen Laut auf die bloße Haut. Wieder diese kaum wahrnehmbare Bewegung und ein verhaltenes Stöhnen. Er lachte und warf der Frau einige persische Worte zu. Sie lächelte und bot mir ihre Brüste nahezu an.
Der Kontrast des Goldes zur dunklen Haut war faszinierend. Das Weiß meiner Haut stach auf ähnliche Weise hervor, als die Dienerin mit ihren Händen über meine Unterarme strich und die Finger abwärts wandern ließ. Zärtlich, doch gleichzeitig energisch, fuhren die Zeigefinger der Frau in die außenliegenden Ringe meiner Handfesseln und zogen die Hände daran empor in Richtung ihres Busens. Zaghaft und vorsichtig, als ob sie zerbrechlich seien, griff ich nach den baumelnden Plaketten und hielt sie auf der flachen Hand. Unverständliche Worte gurrten an mein Ohr; suchend wandte sich mein Blick zu dem Gesandten. Ein feines Lächeln umspielte seinen Mund, soweit ich das unter seinem Bart erkennen konnte.
“Laila bittet dich, nicht so zurückhaltend zu sein.” Wieder ein leises, kaum hörbares Aufstöhnen, als ich die Plaketten erneut aus meiner Hand fallen ließ. Ein paar Mal wiederholte ich das Spiel, begeistert von der Reaktion. Die Brustwarzen schienen noch starrer und größer geworden. Vorsichtig zog ich an den Kettchen. Die Reaktion fiel deutlich heftiger aus. Laila hatte den Kopf mit geschlossenen Augen in den Nacken geworfen. Der leicht geöffnete Mund gab eine Reihe ebenmäßiger, schneeweißer Zähne frei.
Aufgestachelt von dem Schauspiel, das sich mir bot, wurde ich kecker. Das nächste Ziel meiner Finger waren die Ringe selber. Sachte und fasziniert streichelte ich das Fleisch, dass sie durchbohrten. Das Stöhnen wurde lauter. Selbstvergessen setzte ich meine Untersuchung fort. So, wie Laila meine Handgelenke mit ihren Zeigefinger emporgezogen hatte, zog ich sie jetzt sachte an ihren Brustwarzenringen in meine Richtung. Ein heiserer Laut aus ihrer Kehle erschreckte mich; schlagartig löste ich mich von ihr.
Aufs Äußerste verwirrt sah ich in ihr Gesicht. Aber wenn ich die Miene richtig deutete, hatte ich den Laut gänzlich missverstanden. Schon wollte ich meine Untersuchung fortsetzen, da klatschte der Gesandte einmal scharf in die Hände.
“Es reicht. Du hast Wichtigeres zu tun!” Die Enttäuschung in Lailas Gesicht war unübersehbar, als einige persische Worte an sie gerichtet wurden. Sie verbeugte sich ergeben und kleidete sich an, bevor sie sich erhob. Im Hinausgehen zwinkerte sie mir vielversprechend zu.

Mein Gebieter bedeutete mir, mich zu erheben. Verlegen stand ich nun in meiner ganzen Blöße vor ihm. Begutachtend wanderte er um mich herum. Sein Finger strich im Vorbeigehen leicht über mein Brandmal.
“Ich wusste nicht, dass du schon jemandem gehörst.” Die beiläufige Feststellung ließ mich leicht beben. Unbedacht entfuhr mir der Satz: “Ich gehöre niemandem außer mir selbst!”
Die Ohrfeigen rissen mir fast den Kopf von den Schultern. Erschreckt sah ich das Gesicht und bemerkte wieder diese Falte. Die Ohrfeigen wären nicht nötig gewesen. Ich wusste auch so, dass ich einen groben Fehler begangen hatte.
“Verzeiht bitte meine unbedachten Worte, ich gehöre ausschließlich Euch, Gebieter!”, hauchte ich in der Hoffnung, ihn abzulenken. Tatsächlich schien ihn das für den Augenblick zu besänftigen. Sein Fingerschnalzen rief den Diener herbei. Mit einer Verbeugung überreichte Yussuf seinem Herrn ein kleines Bündel Papiere.
“Dein Aufenthalt hier erfordert von dir wenig Pflichten. Gerade daher verlange ich ihre gewissenhafte und widerspruchslose Einhaltung!” Mit derselben Gelassenheit, in der ich ihn schon bei meinem Lauschen beobachtet hatte, nahm der Gesandte seine Wanderung durch das Zimmer auf, während er redet.
In aller Kürze legte er mir die Regeln dar, die zukünftig mein Leben bestimmen sollten. Shirin würde sich um meinen Körper kümmern, ich hätte ihr dabei in allem zu folgen. Sie würde mich in der Kunst unterweisen, einen Mann zu verwöhnen. Von Laila solle ich Anmut und Ergebenheit erlernen, sowie die persische Sprache in Wort und Schrift.
“Yussuf kann dich dagegen nicht in der Sprache unterweisen”, fügte er sarkastisch hinzu. “Denn ihm wurde wegen aufsässiger Reden die Zunge herausgerissen!” Mitten im Satz blieb er vor mir stehen und bohrte seinen intensiven Blick in mich.
“Ich warne dich nur dieses eine Mal! Gehorche ihm trotz seiner Stummheit in Allem, was er dir anweist. Er hat den strikten Befehl, dich bei der geringsten Verfehlung oder Auflehnung umgehend zu bestrafen!” Meine ohnehin vorhandene Furcht vor diesem riesigen Neger verstärkte sich.
In meinem Innersten ahnte ich schon damals, was ich durch ihn zu erleiden hätte. Die brutale und unbarmherzige Gewalt, mit der er die Füße von Laila malträtiert hatte, würde ich mit Sicherheit auch in Bälde zu spüren bekommen. Nach der Anweisung meines Gebieters, die Papiere zu lesen und ihren Inhalt zu lernen, verließen beide mein Gemach. Der Schlüssel knirschte vernehmlich im Schloss.
In meiner Verzweiflung eilte ich zum Fenster, um mich dem grausamen Schicksal, das mir unweigerlich bevorstand, durch den Tod zu entziehen. Zu meiner maßlosen Enttäuschung waren die Fenster vergittert. Haltlos schluchzend sank ich zusammen.


Jacqueline Versol klappte vorsichtig das Buch zusammen, als könnte sie es sonst dabei beschädigen. Ihr Magen hatte sich mit grimmigem Nachdruck gemeldet und nach seinem Recht verlangt. Tief in Gedanken versunken schlurfte sie auf ihren dicken Wollsocken in die Küche.
Noch immer war diese tiefe Mattigkeit in ihr, die sie in der Kirche befallen hatte. Obwohl sie sonst Stunden in der Küche zum Zubereiten eines Essens verbringen konnte, fehlte ihr an diesem Tag jede Lust dazu. Eine Fertigpackung Spaghetti mit Tomatensoße war der einzige Aufwand, zu dem sie sich aufraffen konnte. Trotz des Hungers stocherte sie lustlos in dem Essen; die Spaghetti waren schon kalt, bevor Jacqueline aufgegessen hatte.
Das Mahlwerk der Kaffeemaschine ratterte, mit lautem Sprudeln gurgelte der Kaffee in die Tasse. Der Duft verbreitete sich in der kleinen Küche und belebte augenblicklich die Lebensgeister, noch bevor sie den Kaffee überhaupt getrunken hatte. Ohne sich um das schmutzige Geschirr zu kümmern, verließ sie die Küche und kroch ins Bett zurück.
Ein eigentümlicher Gedanke tauchte auf. Armandine de Marillac war laut der Bibel aus der Truhe im Jahr 1654 geboren worden. Sie musste zu dem Zeitpunkt ihres geschilderten Abenteuers also 23 oder 24 Jahre alt gewesen sein. Szenen aus ihrem eigenen Leben in demselben Lebensalter tauchten in ihrer Erinnerung auf.
Zu einem Zeitpunkt, als Armandine bereits Witwe war, war sie selber noch unsterblich in Marcel verliebt gewesen. Bald darauf hatten sie geheiratet. Der Zauber verflog nach drei Jahren, dann setzen die endlosen Streitereien und gegenseitigen Verletzungen ein. Jacqueline seufzte schwer.
Das Jahr 1654 war auch das Jahr der Thronbesteigung des damals erst 16 Jahre alten Ludwigs. Sie lächelte in sich hinein. In der Schule gelernt und immer noch nicht vergessen. Das Schmunzeln verbreiterte sich. Im selben Jahr hatte Kardinal Mazarin zwei italienische Köche mit an den französischen Königshof gebracht, deren Spezialität die Zubereitung von Kaffee, Tee und Schokolade war.
Eine banale Frage drängte sich urplötzlich in den Vordergrund. Ob Armandine wohl jemals eine Schokolade getrunken hatte? Tee hatte sie mit Sicherheit beim persischen Gesandten kennen gelernt. Obwohl sie sich einigermaßen sicher war, in dem Buch keine Antwort auf ihre Frage zu finden, stürzte sich Jacqueline förmlich wieder auf die Lektüre.


Mit einem hastigen Griff wickelte ich einen Teil des Stores um meinen bloßen Körper, da jemand das Zimmer betrat. Es war Shirin in Begleitung von Yussuf, dem Diener. Sie redete auf mich ein, brach aber lächelnd ab, da ihr klar wurde, dass ich nicht ein einziges Wort verstand.
Wieder einmal bekam ich die ungeheure Kraft zu spüren, die in Yussuf lauerte. Er griff nach mir und bewegte meine Arme und Beine, als ob sie die Glieder einer Spielzeugpuppe seien. Mein Widerstand schien nicht zu existieren, jedoch ließ ich nicht ohne Gegenwehr geschehen, was man mir antat. Jedes meiner Handgelenke kettete Shirin unter Mithilfe von Yussuf hoch über meinen Kopf jeweils an einen der beiden Pfosten am Fußende des Himmelbettes. In der Folge brachte ich keine Abwehr mehr auf, als man mir auch noch die Füße in ähnlicher Stellung ankettete.
So stand ich nun, mit dem Gesicht zum Kopfende gewandt und schloss ergeben die Augen. Ein Geräusch hinter meinem Rücken ließ sie mich jedoch wieder aufreißen. Ich wendete hastig die Kopf, soweit es eben ging, um die Ursache zu ergründen. Shirin und Yussuf waren gegangen. Wieder fand ich mich allein; obendrein in einer deutlich unbequemeren Lage als zuvor. Meine Knie drückten empfindlich an das Holz des Fußendes, meine Muskeln begannen ob der gestreckten Haltung zu schmerzen. Alles Zerren an den Ketten erwies sich als nutzlos.
In demselben Moment, da ich glaubte, die Lage nicht mehr ertragen zu können, öffnete sich erneut die Tür. Der Gesandte stand direkt hinter mir, ich spürte den glatten Stoff seines Gewandes auf meiner Haut, als er sich an mir rieb. Tastend fuhren seine Hände über meinen Körper und ließen mich in einem Wirbel von Abscheu und Erregung taumeln. In einem teuflischen Wechselspiel begannen seine Hände mal fester, mal sanfter, meinen ausgelieferten Körper zu kneten. Im Feuer der Erregung verbrannte die Abscheu zu feiner Asche, die mein Stöhnen davonblies. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel brach die Attacke ab.
Mein Besitzer kauerte sich mit untergeschlagenen Beinen in die Mitte des Bettes und betrachtete sein Opfer mit neugieriger Aufmerksamkeit. Der Anblick, den ich bot, muss würdelos gewesen sein. Eine keuchende, erregte Frau mit wirren, schweißnassen Haaren. Er weidete sich an meiner Scham. Ich starrte auf das Laken vor ihm und flehte um Erbarmen.
Etliche Male vollführte er dieses Treiben, bis ich nur noch entflammtes Verlangen war, das sengend in mir brannte und nicht erlosch. Schamlos wand ich mich in den Fesseln und flehte ihn an, mich zu nehmen. Noch nie zuvor, hatte ich eine derartige Lust verspürt, die derart mächtig war, dass sie sogar meine Abscheu vor mir selber zur Seite schob wie einen lästigen Bettler.
“Bitte Gebieter, ich tue alles, was Sie von mir verlangen, nur gewähren Sie mir...”, meine Stimme brach mit einem heiseren Krächzen zusammen.
Seine Stimme klang ruhig und ohne eine Spur der Erregung, jedoch war der leise Spott darin nicht zu überhören: “Ich könnte dich erlösen. Nur musst du um eine vorherige Buße für dein Ansinnen bitten. Das ist bei euch Nazarenern doch so üblich?” Mit den letzten Resten meines Verstandes, versuchte ich zu begreifen, was er von mir verlangte. In diesem Moment fiel das Verlangen in sich zusammen. Eine Ungeheuerlichkeit wurde von mir verlangt.
“Sie meinen, ich soll darum bitten, dass Sie mich für mein Verlangen bestrafen, vielleicht sogar schlagen?” Qadir Abd al Mudhill saß einfach nur da. Der rechte Zeigefinger verschloss senkrecht seinen Mund, den Kopf auf den Rest der Hand gestützt, musterte er den Anblick, der sich ihm bot und nickte stumm.
In meinen Ohren toste das Blut in brausender Lautstärke. Der Blick, den ich auffing, zeigte mir eindeutig, dass ich keine Gnade zu erwarten hatte. Wenn ich die vermaledeite Bitte nicht aussprechen würde, erlangte ich meine Freiheit nicht wieder.

“Bitte bestrafen Sie mich ganz nach Ihrem Belieben, Gebieter!” Die Worte kosteten mich eine ungeheure Kraftanstrengung. Nach einer Ewigkeit, die in Wirklichkeit nicht länger als ein Rosenkranz gedauert haben dürfte, glitt er vom Bett und trat hinter mich. Das Pfeifen der Gerte kündigte fünfundzwanzig Mal den jeweils darauf folgenden sengenden Schmerz auf meinem Gesäß an. Und was ich mich kaum zu schreiben getraue; nach etwa dem zehnten Hieb kehrte die Erregung in einer alles verschlingenden Welle zurück. Bereits als mein Gebieter erst eine meiner Hände von der Kette gelöst hatte, umschlang ich ihn leidenschaftlich in meinem animalischen Verlangen.
Schweißnass und vollkommen erschöpft erwachte ich nach der unbändigen Raserei an seiner Seite. Der feine Duft der Rosensalbe schlich in meine Nase, gepaart mit dem Geruch seiner Haut. Wie ein Kätzchen schmiegte ich mich eng an ihn und schlief erneut ein. Gehorsam verrichtete ich meine Notdurft auf dem Eimer neben dem Bett und schlüpfte ins Bett zurück.
Sanft wanderten seine Hände über meinen Körper und das geschundene Hinterteil. Erneut stand ich in Flammen, doch dieses Mal war unsere Vereinigung von zarter Natur. Unter seinen Küssen bemerkte ich nicht, wie geschickt meine Hände auf dem Rücken zusammengeschlossen wurden. Diese erneute Hilflosigkeit ließ meine Lust auflodern und ich gab mich ihm willenlos hin. Selig ruhte ich im Anschluss an seiner rechten Seite in seinem Arm. Die Turmuhr schlug, es war nach Mitternacht. Mit der linken Hand griff er auf den Nachttisch und hielt ein Schloss vor meine Augen.
“So eines hält deine Hände hinter deinem Rücken zusammen. Dieses hier wird deine Füße zusammenschließen.” Er schlug die Bettdecke zurück.
Die Hand mit dem Schloss wanderte unendlich langsam meinen Körper hinab, bis sie bei den Füßen angelangt war. Der Bügel des Schlosses drang durch die Ringe an der Innenseite meiner Fußreifen und wurde geschlossen.
“Derselbe Schlüssel passt auch zu dieser Kette hier.” Mit einem kratzenden Geräusch lief eine Kette über das Holz des Kopfendes und wurde am Halsreifen befestigt. Den Schlüssel hielt er mir kurz vor die Augen, bevor er ihn auf den Nachttisch ablegte. Obwohl ich die Augen schließen wollte, zwang mich ein innerer Trieb, sie immer wieder zu öffnen und unverwandt auf den Nachttisch zu starren. So nahe und doch für mich unerreichbar, lag dort der Schlüssel und schien mich zu verhöhnen. Gleichzeitig führte er mir mit unerbittlicher Deutlichkeit meine Gefangenschaft buchstäblich vor Augen.
Mit einer geschmeidigen Bewegung glitt der Gesandte aus dem Bett und schlüpfte dort in sein Gewand. Sorgsam wickelt er mich in die Decke, gab mir einen Kuss auf die Stirn und verließ mich in meiner hilflosen und ausgelieferten Lage. Es kam mir widersinnig vor, dass er die Tür nach dem Verlassen des Zimmers verriegelte. Wie hätte ich in meinen Ketten überhaupt fliehen können?
Langsam brannten die Kerzen herunter, bis eine sanfte Dunkelheit das Zimmer in eine friedliche Stimmung versinken ließ. Der schwache Schein des fahlen Mondlichts sorgte dafür, dass die Umrisse noch schattenhaft erkennbar waren. Ich trieb dem Schlaf entgegen.


Ein Geräusch aus dem Salon ließ Jacqueline Versol zusammenfahren. Mit der Taschenlampe bewaffnet, schlich sie lautlos in den Raum gegenüber. Der Anblick dort ließ ihr das Blut in den Adern stocken, ein eiskalter Hauch erzeugte eine Gänsehaut am ganzen Körper, sie schauderte. Am Kamin stand Armandine de Marillac und nickte ihr freundlich lächelnd zu.
“Jacqueline, bitte hör nicht auf zu lesen, was immer auch geschehen mag! Bitte lies das Buch zu Ende!” Die Worte klangen eindringlich und flehend zugleich. Die Erscheinung verblasste zusehends.
Als Jacqueline aus ihrer Ohnmacht erwachte, lag sie auf dem Boden neben der Tür. Der Kopf schmerzte, sie musste ihn sich im Fallen angeschlagen haben. Ächzend rappelte sie sich mühsam auf und sah sich furchtsam um. Aber sie war allein.

Am nächsten Morgen zeigte sich die Beule beim prüfenden Blick in den Badezimmerspiegel als voll ausgereift. Mit schmerzverzogenem Gesicht tastete Jacqueline prüfend an der Schwellung. Zischend fuhr ihr Einatmen durch die zusammengebissenen Zähne. Die Lust aufs Lesen war ihr vorerst gründlich vergangen. Im Stillen erwog sie zudem einen Termin bei ihrem Psychotherapeuten auszumachen. Die Therapie nach ihrer Scheidung hatte ihr gut getan und ein paar Stunden standen ohnehin noch aus. Doch schon nach dem Frühstück nahm sie von ihrem Vorhaben bereits wieder Abstand. Ein paar Tage ohne das Buch würden wahrscheinlich alles wieder ins Lot bringen.
Das Buch verschwand in der entlegensten Ecke des obersten Bücherregals. Doch schon am selben Abend stand der Stuhl, der notwendig war, um an die Ecke zu kommen, wieder vor dem Regal. Das Buch lag wartend auf dem Nachttisch. Jacqueline nahm sich fest vor, auf keinen Fall länger als eine Stunde zu lesen. Sie machte es sich auf dem Bett bequem und schlug das Buch auf.


Ein kratzendes Geräusch ließ mich mit einem Schlag aus dem Schlaf aufschrecken. Der Tag war noch längst nicht erwacht, durch das große vergitterte Fenster neben meinem Bett drang kein Tageslicht hinein. Ich horchte angestrengt. Es musste sich noch jemand im Zimmer befinden. Panisch versuchte ich mich in meinen Fesseln zu drehen, um den Eindringling zu entdecken. Unter ungeheurer Anstrengung und Mühen gelang es schlussendlich, mich auf die andere Seite zu wälzen. Meine Augen versuchten die samtene Dunkelheit des Zimmers zu durchbohren.
Mit geschärften Sinnen nahm ich einen leichten Hauch Rosenduft wahr. Während ich noch der Frage nachhing, ob es sich dabei vielleicht um die Reste des Rosenduftes vom gestrigen Abend handeln möge, vernahm ich das nämliche Geräusch erneut, diesmal in meinem Rücken. Augenblicklich erstarrte ich und hielt den Atem inne, um besser lauschen zu können. Das laute Pochen meines Herzens war der einzige Laut, den ich vernahm. Und schon im nächsten Moment setzte auch dieser aus.
Eine Hand hatte sich auf meine Schulter gelegt. Sanft und vorsichtig zwar; doch ich erschrak bis tief ins Mark. Ein Körper glitt geschmeidig neben mich und sanfte Laute trafen gurrend mein Ohr. Quälend langsam wurde mir die Decke weggezogen, eine warme Hand streifte dabei mein nacktes Fleisch. Der weiche Körper presste sich näher an mich und glitt über meine Flanke nach vorne. Im schummrigen Licht der beginnenden Dämmerung sah ich den undeutlichen Umriss eines nackten Frauenarmes, der nach dem Schlüssel auf dem Nachttisch griff. Lange, seidenweiche Haare berührten mich dabei an Schulter und Brust und lösten durch ihr Kitzeln eine Gänsehaut bei mir aus.
Ich wandte den Kopf, soweit es mir trotz der Fesseln möglich war, und erkannte wegen des spärlichen Lichtes nur mit einiger Mühe Laila, die sich über mich beugte. Ihre Hand mit dem Schlüssel wanderte genauso langsam meine Beine abwärts, wie die Hand Qadir Abd el Mudhills am vorherigen Abend. In der selben Weise fuhr sie nach dem Öffnen des Schlosses zwischen meinen Füßen auf der Innenseite der Beine nach oben. Mein Empfinden ließ mich die Kontrolle über die Beine verlieren. Wie die Gliedmaßen einer Marionette schienen sie sich an unsichtbaren Fäden gezogen ohne mein Zutun gleich dem Kelch einer Blüte zu öffnen.
Laila beugte sich tiefer über mich und suchte mit ihrem Mund den meinen. Im gleichen Moment kniff sie knapp oberhalb meines Knies in meinen Oberschenkel. Ein unbeschreibliches Empfinden durchbohrte meinen Körper wie ein Pfeil, der bis in mein Hirn schoss. Unkontrolliert krümmte sich mein Leib, jeder Gedanke erlosch wie eine Kerze, die der Wind ausbläst.
Etwas Hartes schlug an mein Gesicht. Mit den Zähnen packte ich wie aus einem Reflex heraus zu. Ein raues Stöhnen entwich Lailas Kehle, als ich versuchte, sie an der Plakette ihres Brustringes in meinem Mund auf mich zu ziehen. Sie verstand sofort. Suchend wanderte ihre Zunge über meinen Körper abwärts bis zu den Brustwarzen. Sanft biss sie hinein. Nun war es an mir zu stöhnen. Bedächtig wanderte die Zunge abwärts.
Ein hitziger Kampf entspann sich zwischen uns. Mein Verlangen richtete sich danach, ihren Mund wieder an meinen Brüsten zu spüren; sie dagegen strebte nach anderen Körperteilen. Spielerisch entglitt sie mir; ich meinte, ein beobachtendes Glitzern in ihren Augen zu erblicken. Urplötzlich packte sie mit erstaunlich festem Griff beider Hände meine Taille und dreht mich vollends auf den Rücken. Hilflos lag ich auf meinen ohnehin gefesselten Händen und versuchte zu ergründen, welchen Plan Laila damit wohl verfolgen mochte.

Mit einem heftigen Ruck zog sie meinen ausgelieferten Körper in ihre Richtung, bis die Kette an meinem Halsband die Bewegung jäh unterbrach. Hustend und röchelnd schnappte ich nach Luft. Erschrocken hielt Laila inne. Ihr Mund entschuldigte sich auf meinen Lippen für das Ungemach, während sie gleichzeitig die Kette vom Halsreif löste. Sie entwich mir erneut und zog mich an der Taille abwärts, bis meine Sohlen das Fußteil des Bettes berührten. Wie eine geschmeidige Schlange glitt sie seitwärts aus dem Bett, wo sie niederkniete.
Mit einem seltsamen Lächeln griff sie nach meinem Fuß und zog ihn weiter in ihre Richtung. Mein großer Zeh verschwand zur Gänze in ihren Mund. Die Töne, die allem Anschein nach aus mir entwichen, hatte ich noch nie in meinem Leben von mir gehört. Als ich aus dem Taumel erwachte, spannte sich eine Kette straff zwischen meinem Fußreif und dem Bettpfosten. Wie zur Bestätigung versuchte ich mein Bein anzuziehen. Allein meine Mühe war restlos vergebens. Eben machte sich Laila an meinem anderen Fuß zu schaffen.
Welch ein Unterschied zu der Behandlung durch Yussuf. Dieser Art der Fesselung ergab ich mich willenlos und ohne Widerstand. Sinnend stand Laila neben dem Bett und blickte auf mich herab. Mein Verlangen nach ihrer Berührung wuchs ins Unermessliche. Mit einer schnellen Bewegung schwang sie sich ins Bett zurück. Provozierend langsam krabbelte sie über meinen hilflosen Leib zum Kopfende. Mit der Geschicklichkeit einer Katze wendete sie dort und kniete nun oberhalb meines Hauptes auf dem freien Stück zwischen dem Kopfende und blickte auf mich herab.
Ihr Oberkörper bewegte sich langsam nach einem imaginären Rhythmus, dem ich nicht folgen konnte. Wie ein ungeschicktes Hündchen schnappte ich nach den Plaketten, die unkontrolliert mitschwangen. Laila verwehrte mir neckend meine tölpelhaften Bemühungen, sie zu fangen. Unendlich langsam beugte sie sich mitten in unserem Spiel vornüber. Ihr Bauchnabel geriet dabei in den Machtbereich meines Mundes und der Zunge. Während meine Zunge in ihrem Bauchnabel tanzte, spürte ich ihre windenden Bewegungen über mir. Immer wieder krümmte und bäumte sich ihr Leib in Zuckungen, während sie gleichzeitig ihrerseits Hände und Zunge in einen unvorhersehbaren Wirbeltanz über meinen Körper wandern ließ. Zugleich sanft und fest bissen sich ihre Zähne an der Innenseite meiner Oberschenkel fest, wofür ich mich in nämlicher Weise revanchierte. Wie ein Spiegel kopierte ich fortan jede ihrer Attacken.

Laila genoss die Regie, in der sie ihre Begierde auf eigene Weise lenken konnte. Ein geheimnisvolles Band entspann sich zwischen uns beiden. Wie ein Körper agierten wir synchron; schienen sogar im selben Augenblick das Gleiche zu wollen. Unser Schrei vermengte sich zu einem, als unsere Zungen das Geschlecht der anderen berührten.
In einem Strudel des Verlangens versank in diesem Moment meine ganze Welt. Ich spürte meinen hilflosen Leib nicht mehr, nur noch unbändige Lust, die sich nach einer Ewigkeit in einem Gewitter entlud. Meine Sinne kehrten erst allmählich zurück, nachdem Laila, ebenfalls keuchend; neben mir lag und ihre Schweißperlen mit den meinen vereinigte. Behutsam streichelten mich ihre Finger an der Wange.
Mit einem sanften Ton redete sie auf mich ein und spendete mir anscheinend Trost. Mit einer unendlich zärtlichen Geste berührten ihre Lippen die meinen und pressten sie sanft auseinander. Ihre Zunge glitt zwischen meinen Zähnen hindurch und begann in mir zu tanzen. Langsam vermischten sich in meinem Mund die Geschmäcker unserer Geschlechter, nachdem ich voller Faszination beim Eindringen ihrer Zunge mit meinem eigenen angefüllt worden war. Abrupt trennte sich Laila von mir und sprang aus dem Bett. In Windeseile löste sie meine Füße von den Pfosten und kettete sie wieder aneinander. Kichernd unterstützten wir uns gegenseitig darin, meinen Leib in Richtung des Kopfendes zu bewegen. Noch bevor ich bequem lag, hing die Kette am Halsreifen. Sorgsam wurde ich zugedeckt, was unter weiteren zärtlichen Küssen geschah. Hastig schlüpfte sie in ihre Kleider und kehrte zum Bett zurück.
Beschwörend legte sich Lailas Zeigefinger auf meine Lippen, erneut roch ich in diesem Moment meinen Duft. Ich habe sie nie verraten. Weder an diesem Tag, noch an den vielen weiteren, an denen sie mich im Laufe meines Aufenthaltes im Palais d’Auban aufsuchte. Bevor sie geräuschlos aus der Tür glitt, warf sie mir noch einen letzten Blick zu. Das Verriegeln der Tür erfolgte nahezu lautlos, selbst unter der größten Anstrengung vernahm ich keine Schritte, die sich entfernten. Sehnsuchtsvoll richtete sich mein Blick wieder auf den Nachttisch. Der Schlüssel lag dort so unbeteiligt, als ob er sich nie von dort entfernt hätte. Erschöpft ließ ich den Kopf sinken und schlummerte ein, bis die Tür unter lauten Geräuschen geöffnet wurde.


Jacqueline Versol ließ das Buch langsam sinken und sah hastig auf die Uhr. Wenn sie sich an ihre eigene Vorgabe halten wollte, würde nicht mehr viel Zeit zum Lesen übrig bleiben. Einen Moment lang kämpfte sie mit sich um eine Verlängerung der Lesezeit. Schmerzhaft pochend brachte sich die Beule in Erinnerung. Jacqueline schloss die Augen und legte das Buch tastend auf dem Nachttisch ab. Vor ihrem inneren Auge entstand ein Bild.
Das Bett, in dem sie lag, verwandelte sich in ein altmodisches Himmelbett. Das gemächliche Ticken der Standuhr im Salon unterstützte den Eindruck längst vergangener Tage. Zentimeter um Zentimeter rutschte sie im Bett abwärts, bis ihre Sohlen die kühlen Gitterstäbe des Fußendes berührten. Jacqueline zuckte wegen der Kühle kurz zurück, grätschte dann aber im Zeitlupentempo die Beine auseinander, bis die Füße jeweils an der Bettkante lagen.
Mit einer schnelleren Bewegung schlüpften die Hände unter das emporgehobene Gesäß. Der Druck des Körpergewichtes lastete eigentümlich schwer auf den Händen; schwerer als sie es in ihrer Vorstellung erwartet hatte. Das unvermittelt einsetzende Pochen ihres Herzens klang fast so laut wie das Ticken aus dem Salon. Jacqueline musste unwillkürlich ein paar Mal hintereinander schlucken. Ein Stromstoß durchzuckte sie. Das eigentümliche Gefühl, nicht alleine zu sein, steigerte sich fast zur Gewissheit. Und doch hielt sie die Augen voller Angst krampfhaft zugekniffen. Nur zögerlich lockerte sie die Lider und begann vorsichtig die Augen zu öffnen. Nahezu im gleichen Augenblick riss sie die Lider heftig auseinander.
Auf der Bettkante saß Armandine de Marillac und beobachte sie aufmerksam. Ein entsetzter Schrei wollte Jacqueline entrinnen, blieb aber in der abgeschnürten Kehle stocken. Armandines linke Hand wanderte langsam über Jacquelines Bein aufwärts, bis sie kurz unter dem Bauchnabel innehielt.
“Ja, du bist eine aufmerksame Leserin”, Armandine lächelte gewinnend freundlich. “Genau in dieser Position lag ich in der Tat während Lailas frühmorgendlichem Besuch.”
Ihre Hand schien Jacquelines Bauch in Flammen zu setzen. Ein Gefühl, das gleichzeitig beruhigend und doch erregend schien. Noch immer starrte Jacqueline ihre Besucherin unverwandt an, unfähig auch nur eine einzige Silbe hervorzubringen.
“Ich sehe, da ist etwas von meinem Erbe in dir. Bringe diese Knospe zur Blüte. Sie wartet schon so lange darauf.” Das Lächeln wandelte sich zu einem Ausdruck der Trauer.
“Bitte Jacqueline glaube mir. Ich will dir nichts Böses. Es steht dir eine harte Zeit voller Prüfungen bevor, aber ich flehe dich an!” Tränen rannen über das bleiche Gesicht, die Stimme begann zu zittern.
 Nur du kannst die Bestimmung erfüllen, die uns beide verbindet. Hilf uns beiden und sei tapfer. Sehr tapfer!” Jacqueline schloss betäubt die Augen. Auch ihre füllten sich mit Tränen.
Die Antwort klang wie ein sanfter Hauch: “Ich will es versuchen, Ahnin! Ich will es versuchen.” Das Gefühl der Wärme durchströmte jetzt ihren ganzen Körper und versetzte ihn in eine kaum merkliche Vibration. Für einen Moment existierte nur noch dieses Gefühl, alle anderen Empfindungen waren erloschen, bis sie langsam wiederkehrten.

Behutsam öffnete sie die tränengefüllten Augen. Armandine de Marillac war verschwunden. Jetzt war dringend etwas zur Beruhigung nötig. Jacqueline schlurfte in die Küche und rührte sich eine heiße Milch mit Honig an. Das Glas mit beiden Händen umklammernd, um sich zu wärmen, nahm sie an Ort und Stelle auf dem Barhocker in der Küche Platz. Langsam begann die Kälte der Bodenfliesen durch die Wollsocken zu kriechen, also begab sie sich zurück ins Bett. Noch lange lag sie mit offenen Augen und verfolgte das Spiel der Lichtreflexe an der Decke. Der Schlaf kam unmerklich und doch machtvoll.
Erst am nächsten Morgen erwachte Jacqueline mit dem Gefühl der Zerschlagenheit. Nach dem üblichen Frühstück griff sie zum Telefon, um einen Termin beim Psychotherapeuten auszumachen. Unruhig wanderte sie während des Rufzeichens ins Schlafzimmer. Mit einer abrupten Bewegung beendete sie die Verbindung, noch bevor sich jemand am anderen Ende gemeldet hatte.

Auf dem Boden vor dem Bett, genau an der Stelle, an der am Abend zuvor Armandine de Marillac gesessen hatte, lag neben dem heruntergefallenen Buch ein kleiner goldener Ring, den sie noch nie in ihrem Leben gesehen hatte. Ein Ring, der wie die Miniaturausgabe einer altertümlichen Fesselschelle aussah.
Heulend rannte Jacqueline ins Bad und schloss sich ein. Nur allmählich löste sich das beklemmende Gefühl, das ihr den Brustkorb und die Kehle einschnürte und das Atmen zur Qual werden ließ. Nur halbwegs beruhigt kehrte sie ins Schlafzimmer zurück. Offensichtlich gab es doch eine natürliche Erklärung für das Auftauchen des Ringes. Beim Herunterfallen des Buches schien der Ledereinband aufgeplatzt zu sein. Und hatte damit den darin versteckten Ring freigeben.
Jaqueline brachte den Mut auf, den Ring näher zu untersuchen. Ein schlichter Ring aus Gold ohne auffällige Merkmale. Es blieb ein unerklärliches Rätsel, wie der Ring in den Umschlag geraten sein mochte. Bei näherer Betrachtung zeigte die Oberfläche eine feine Gravur mit einem seltsamen Blumenmuster. Gedankenverloren steckte sie den Ring an den kleinen Finger ihrer rechten Hand. Er passte genau, also beließ sie ihn da. Unruhig strich sie über die aufgeplatzte Stelle des Bucheinbands. Etwas Seltsames hatte sich ereignet. Der Ring schien ihr die Kraft zum Widerstand geraubt zu haben. Willenlos wanderte sie in den Salon hinüber und las weiter.


Yussuf stand im Raum. Ohne mir in irgendeiner Weise Beachtung zu schenken, packte er mich nach der Entfesselung meiner Füße und dem Lösen der Halskette am Arm und schleifte mich, nackend wie ich war, über den Flur mit sich. Vor Scham verging ich fast und war mehr als froh, als er mich in das mir schon bekannte Zimmer schob.
Shirin wartete anscheinend bereits voller Ungeduld auf mein Erscheinen. Keifend redete sie auf den Diener ein, der sie aber genauso ignorierte, wie vorher meine Person. Durch das strahlende Lächeln schien ihr Gesicht gänzlich verwandelt, als sie sich dagegen mir zuwandte. Ungeachtet meiner immer noch gefesselten Hände vollführte sie an mir ihr Werk der Körperpflege, das sie mit einem liebevollen Kuss auf meine Stirn abschloss.
Erneut stieg Schamesröte in meinem Gesicht auf, da Yussuf mich wiederum durch die verwinkelten Gänge des Palais d‘Auban zerrte. Stolpernd landete ich nach einem kräftigen Schubs direkt vor meinem neuen Gebieter, der gerade beim Frühstück saß. Sein heftiger, ärgerlicher Atemzug war deutlich zu vernehmen, dann schnippte er mit dem Finger. Ein sengender Schmerz verbrannte mein Gesäß, erschrocken krümmte ich mich unter Yussufs Hieb mit der Riemenpeitsche.
“Offensichtlich beabsichtigst du mich zu ärgern?” Ein verstohlener Blick meinerseits in das Gesicht von Qadir Abd al Mudhill zeigte mir wieder die mahnende Falte.
“Ich übergab dir doch die Papiere mit deinen Pflichten?” Verschämt sank mein Kopf auf die Brust. Nicht ein Wort daraus hatte ich gelesen. Seine Hand griff hart unter mein Kinn und zwang mich ihn anzusehen.
“Du hast es versäumt, darin zu lesen?” Seine Stimme klang leise, beinahe unhörbar. Ich wollte bestätigend nicken, jedoch seine Hand verwehrte mir jede Bewegung des Kopfes. Das beiderseitige Schweigen lastete drückend im Raum.
Bevor es mich zerquetschte, stieß ich keuchend hervor: “Ich erflehe Eure Gnade für mein Versäumnis, Gebieter! Es soll nicht wieder vorkommen. Ich werde mich bemühen...”
Weiter kam ich nicht, denn Yussuf hatte mich unversehens gepackt, mich mit sich geschleift und meine Füße auf jene bewusste Bank geschnallt, deren grausiger Verwendung ich schon als Zeugin beigewohnt hatte.
“Ich bin kein Freund langer Vorträge und vieler Wiederholungen.” Die Stimme des Gebieters klang eiskalt und schneidend.
"Du warst Zeuge, was ich von Verfehlungen halte. Du wirst die Gelegenheit erhalten, deinen Fehler wieder gutzumachen. Nach deiner Strafe!”

Die folgenden Hiebe, die mir Yussuf auf die Fußsohlen verabreichte, verursachten derart beißende Schmerzen, dass ich in diesem Moment sogar Fauchard und seinen Plan verraten hätte, wenn er mich danach gefragt hätte. Schluchzend kroch ich nach der Pein, dem Beispiel Lailas folgend, auf meinen Gebieter zu und bedankte mich unter Tränen für die Bestrafung.
Zu meiner übergroßen Überraschung nahm er mich in den Arm und wiegte mich tröstend. Shirin glitt aus dem Nichts ins Zimmer und nahm sich meiner geschundenen Füße an. Hastig schlang ich das dargebotene Frühstück unter den beobachtenden Blicken des Gebieters hinunter, immer in der Furcht, etwas Falsches zu tun, das erneut eine Strafe nach sich ziehen würde. Aufs Höchste aufmerksam lauschte ich den Worten, die er nach dem Essen an mich richtete.
“Du wirst jetzt auf dein Zimmer gebracht, wo du bis zum Abend bleiben wirst. Nutze die Zeit bis dahin gut!” Ohne Überlegen griff ich nach seiner Hand und küsste sie ehrerbietig, wie ich es schon mehrfach die Dienerschaft im Hause hatte tun sehen.
Der Anflug eines zufriedenen Lächelns huschte über sein Gesicht und ließ die senkrechte Falte über der Nase nahezu unsichtbar werden. Ohne viel Federlesens warf mich Yussuf wie einen Kohlensack über die Schulter und trug mich in das Zimmer zurück. Rücksichtslos warf er mich aufs Bett und kettete meinen Halsreif ans Kopfende. Betont widerwillig schleuderte er die besagten Papiere neben mich. Für eine Weile stand er mit verschränkten Armen und grimmigem Gesicht neben dem Bett und beobachtete mich unablässig mit stechendem Blick.
Meine Furcht vor ihm wuchs ins Unermessliche. Hastig griff ich nach den Papieren und begann unverzüglich darin zu lesen. Krachend fiel die Tür hinter Yussuf ins Schloss, ebenso laut schloss sich der Riegel. Ohne Zweifel würde er dem Herrn des Haushaltes Bericht über meine Bemühungen erstatten. Die einzige Unterbrechung bis zum Abend war ein kurzer Besuch Shirins gegen Mittag. Mitleidvoll versorgte sie meine geschundenen Füße um ein weiteres Mal und wartete geduldig, bis ich die mitgebrachte Mahlzeit verzehrt hatte.

Qadir Abd al Mudhill hatte nur teilweise die Wahrheit gesprochen. Es gab zwar nicht viele Pflichten, die ich zu erfüllen hatte. Doch die wenigen, die detailliert aufgeführt waren, erschienen mir schwer genug. Warum ich am Morgen bestraft worden war, zeigte sich mir nun klar.
Betrat die Sklavin das Zimmer, in dem der Gebieter weilte oder betrat der Gebieter jenes, in dem sich die Sklavin befand, hatte sich in beiden Fällen die Sklavin unverzüglich niederzuwerfen. Erst auf ausdrücklichen Befehl durfte sie sich auf Knien nähern und ihm zur Begrüßung die Füße küssen.
Die Sklavin hatte den Blick stets zu Boden gesenkt zu halten. Ihr Schweigen durfte sie nur auf Wunsch und Befehl des Gebieters brechen. Tagsüber hätte ich zur ausschließlichen Verwendung durch Qadir Abd al Mudhill zu stehen, ohne dass diese näher bezeichnet wurden. Ab dem frühen Abend bestünde meine Aufgabe darin, als Dienerin den allgemeinen Gästen des Hauses bei der Soiree aufzuwarten oder als persönliche Gesellschafterin meines Gebieters und ausgewählten Gästen in seinen privaten Räumen zu dienen. Leicht zu behaltende, dennoch schwierig zu erfüllende Anordnungen.
Nahezu unerfüllbar erschien die letzte und wichtigste. Die Verpflichtung zu unbedingtem und unverzüglichem Befolgen jedes Befehls. Obendrein mit dem Satz zu antworten, der in unserer Sprache: “Ihren Befehl hören, bedeutet ihn unverzüglich zu befolgen, Gebieter!” heißen würde. Ich zerbrach schier meine Zunge an den persischen Worten. Doch weniger der Klänge wegen, sondern wegen ihrer Bedeutung. Bis zum Abend musste ich ihn zumindest aussprechen können. Die Frage, ob ich ihn jedoch tatsächlich würde befolgen können, ließ mich in tiefe Zweifel und Angst versinken, was meine Zunge zusätzlich lähmte.

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