Borderline und BDSM

Seit nun fast 5 Jahren beschäftigt mich BDSM und mir war bis gerade eben gar nicht so bewusst, dass es schon eine so lange Zeit ist...

Mal mehr, mal weniger engagiert, habe ich Kontakt mit verschiedenen Doms aufgenommen, Erfahrungen gemacht und mich auf verschiedene Treffen (einmal sogar mit einem Paar) eingelassen. Auf der Suche nach meinen Vorlieben, dem besonderen Kick, oder einfach nur sexueller Befriedigung und kaum auf der Suche nach einer Partnerschaft.

Im Sommer 2012 habe ich mich mit einem akuten Burn-Out-Syndrom selbst in die Hände einer Psychotherapiestation begeben. Schnell wurde hier deutlich, dass nicht die geistige oder körperliche Erschöpfung allein Ursache für meine verschiedenen Symptome ist, sondern eine Kombination aus Borderline - Narzisstischer Persönlichkeitsstörung und einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD). Komorbitäten wie Dissoziation (Spaltung) und selektiver Mutismus (Verstummen) wurden im Verlauf meines mit Unterbrechungen sieben Monate andauernden teilstationären Aufenthalts behandelt.

In dieser Krise, in dem abgrundtiefen Tal der Einsamkeit und Verzweiflung, habe ich mir oft jemanden gewünscht, der für mich die Verantwortung für mein Leben übernimmt. Einen Mann, der genug Geduld und Feingefühl mitbringt, mich bei sich aufnimmt, sich um meine Probleme kümmert und mir hilft, „besser“ zu werden. Ich hätte mich bereitwillig völlig übergeben, weil die Angst, vielmehr die Last, im Leben zu versagen, nicht erfolgreich genug, nicht gut genug zu sein, viel zu gross war. Es ist nicht schwer zu erraten, dass mein Selbstwert damals auf dem Nullpunkt angekommen ist.

Heute, nach der intensiven Therapie auf der Station und ambulanter Nachsorge, hat sich mein Verhältnis zu mir und meinem Leben verändert.

Ich möchte kurz auf die Krankheit eingehen und versuchen, Euch die Symptome zu beschreiben, um zu erforschen ob es vielleicht einen Zusammenhang zwischen der Krankheit und der dominant/devoten Neigung gibt.

Nicht jeder Borderliner hat auch zwingend alle Symptome, auch sind nicht alle Symptome gleich stark ausgeprägt. Wie wirkt sich also die Krankheit auf die Neigung aus? Denn die Betroffenen sind sowohl Männer als auch Frauen!

 

1. Unbeständige und unangemessen intensive zwischenmenschliche Beziehungen
Ein Mensch mit Borderline - Erkrankung wird sich sehr viel schneller und intensiver auf eine Spielbeziehung oder Partnerschaft mit einem Dom oder Sub einlassen und sie genauso schnell auch wieder beenden, wenn es durch zu grosse Nähe unangenehm oder beängstigend wird. Nähe bedeutet für die Betroffenen tendenziell Gefahr, denn das Ich fühlt sich schnell bedroht, wenn es einem anderen Menschen gegenüber offenbart wird (Idealisierung und Entwertung).

Gefährlich kann es im BDSM Bereich werden, wenn der rationale Denker nicht mehr funktioniert und auf Sicherheitsmassnahmen verzichtet wird. Gespräche über Grenzen und Tabus werden gar nicht erst geführt, weil der Partner ja nicht mit zu vielen Regeln einschränkt werden soll (Sub) oder nicht zugelassen, weil das gemeinsame Spiel dadurch zu viele Einschränkungen erfährt (Dom).

2. Impulsivität bei potentiell selbstzerstörerischen Verhaltensweisen
Hier werden beispielsweise Hochrisikosportarten betrieben, Alkohol und Drogen konsumiert. Auch Spielsucht, Kleptomanie und Essstörungen sind möglich und Ausdruck von starken Gefühlen wie Einsamkeit oder Trauer. Auch auf absolut ungesicherte BDSM Kontakte wird zurückgegriffen, um sich möglicherweise zu beweisen wie stark und überlegen man ist, obwohl vielleicht doch eher Trennungsangst dahinter steckt. Hierzu gehören auch Gedanken wie: "Egal wie sehr du mich misshandelst, meine Seele/mein Ich bekommst du nicht!"

Oft besteht auch der unterbewusste Wunsch das Trauma, das zur Störung führte, zu wiederholen. Es bestätigt die Schwarz/Weiße Denkweise (Sub: Alle Männer sind gleich, sie wollen verletzen und zerstören. Dom: Alle Subs wollen nur hart genug geschlagen und gedemütigt werden). Der von Borderline Betroffene muss seine Denkmuster nicht hinterfragen, wenn die Bestätigung quasi frei Haus geliefert wird. Ein gefährliches Spiel mit dem eigenen Verstand.

3. Starke Stimmungsschwankungen
Mit "starke Schwankungen“ ist genau das gemeint! Die Emotionen können innerhalb von Sekunden umschwenken. Eben noch alles gut, in der nächsten Sekunde Suizid- oder Vernichtungsfantasien. Zuerst grosse Erregung in Erwartung auf das Spiel und eine Sekunde später das Gefühl, wieder das sechs Jahre alte Kind zu sein, das gerade von Papa oder Mama bestraft wird.

4. Häufige und unangemessene Zornausbrüche
Aggressionen habe ich sowohl von männlichen als auch von weiblichen Mitpatienen erlebt. Bei Männern jedoch sehr viel öfter. Gleichzeitig wird die Störung bei Männern leider oft viel zu spät oder gar nicht diagnostiziert. Viele sind bereits straffällig geworden, bevor andere Symptome auftreten, um eine gesicherte Diagnose zu stellen und eine Gefängnisstrafe meist einer Psychotherapie vorgezogen (eine Therapie abzulehnen kann ein Zeichen für die Angst vor zu grosser Nähe oder Autoritäten sein).

5. Selbstverletzungen und Suiziddrohungen/ -versuche
Es gibt verschiedene Motivationen für Betroffene, sich selbst zu verletzen oder Suizid anzudrohen, wobei auch nicht jeder Betroffene auf diese Mittel zurückgreift! In meinem Fall gab es beispielsweise keine Selbstverletzungen und für mich sind auch Suizidandrohungen ein absolutes Tabu.

Oft ist es ein Hilferuf, eine Reaktion auf psychischen Schmerz, eine Strafe für sich selbst oder nahestehenden Personen und vielleicht auch der Versuch, Ängste, Zorn oder Trauer zu verarbeiten. Die Schnittverletzungen an Armen, Beinen usw. sind ein sehr deutlicher Hinweis und können bei der Diagnose einer Borderlinestörung hilfreich sein. Zu selbstschädigendem Verhalten gehören auch Alkohol-, Drogen- oder Nahrungsmittelexzesse. Das Verhalten ist oft ritualisiert.

Somit gibt es leider auch die Gefahr, dass ein Dom zur Selbstschädigung beiträgt und emotionales Leiden mit verursacht. Borderliner manipulieren oft Menschen die Ihnen Nahe stehen, damit das jeweilige Bedürfnis nach Nähe oder Aufmerksamkeit befriedigt wird.

Er sollte seine Sub also sehr gut kennen und einzuschätzen wissen, ob es sich gerade um eine Notsituation handelt, also das zufügen des Schmerzes zur emotionalen Regulation dient, oder als Strafe für das, aus Subs Sicht, Fehlverhalten anderer, also der Manipulation dient. Ansonsten nimmt er ihr beim Zufügen von Schmerzen im Prinzip nur die Arbeit ab und ist anschliessend auch noch der Bösewicht. Ist dem Dom schon bewusst, das seine Sub das Verlangen hat, sich selbst zu verletzen, hat er auch die Möglichkeit sie vor grösseren Schäden zu schützen, indem er selbst die Art, Härte und Zeitpunkt der Strafe bestimmt. Sie erfährt dadurch, dass das Verlangen nach Schmerz in bestimmten Situationen nicht auf Ablehnung stösst, sondern ernst genommen und gemeinsam verarbeitet wird. Das Vertrauen in die Beziehung kann dadurch gestärkt werden.

Sollte Dom sich entscheiden, Sub auch in dieser sehr schwierigen Situation zur Seite zu stehen, solltet Ihr vorher besprechen welche Mittel eingesetzt werden. Nicht erst wenn sie bereits in ihren Emotionen gefangen ist, denn dann ist es für sie kaum möglich, eine durchdachte Antwort zu geben.

WICHTIG: Jedes Mittel oder Verhalten, das in einer schwierigen Situation kurzfristig wirksam ist und dabei langfristig nicht schädlich ist, kann vom Dom angewendet werden. Ob nun die Peitsche, Gerte, Kochlöffel oder einfach nur die Hand eingesetzt wird, liegt bei Euch und Eurer Partnerin. Jede Frau hat ja andere Vorlieben :)

6. Fehlen eines klaren Ichidentitätsgefühls
Hier liegt für mich eines der schwerwiegendsten Probleme der Krankheit. Viele Betroffene wissen nicht, wer oder wie sie sind! Die Auswirkungen sind katastrophal. Ein Mensch, der nicht weiss wer er ist, hat auch keine Idee von den eigenen Stärken, Schwächen, Grenzen, ethischen und moralischen Werten im Leben.

Da sind kein Halt und kein Antrieb. Viele Patienten stürzen sich daher geradewegs von der einen Beziehung in die nächste, weil der Partner die eigene Identität zu definieren scheint, die dem Selbst so unerreichbar vorkommt. Sub läuft hier schnell Gefahr, ihr Ich gänzlich aufzugeben, wenn Dom es verlangt. Der Selbstwert und das Selbstbild basiert also nicht auf dem, was bereits geleistet oder erreicht wurde, sondern auf dem aktuellen Feedback durch Dritte.

7. Chronische Gefühle von Leere und Langeweile
Leere und Langeweile verstärken oft auch das Gefühl, verlassen worden zu sein, es steht absolut im Vordergrund. Um die Einsamkeit nicht mehr spüren zu müssen, greifen viele Betroffene auf Drogen, Alkohol oder Selbstverletzungen zurück. Unnötig zu erklären, dass diese Vermeidungsstrategie zu weiteren Problemen mit Sucht und familiären oder finanziellen Krisen führt.

8. Verzweifelte Bemühungen, die reale oder eingebildete Angst vor dem Verlassen werden zu vermeiden
Vermeidungsverhalten mit der Motivation, das Gefühl der Angst nicht spüren zu müssen, kann beispielsweise totalen Rückzug aus der Gesellschaft bedeuten. Verschiedene Phobien und Zwangsstörungen können sich anschliessend daraus entwickeln.

Hier entsteht für mich auch die dominant/devote Neigung in Verbindung mit der Krankheit.

Als dominant/sadistisch und mit der Fähigkeit, zu manipulieren (wie sie viele Doms besitzen) bindet Borderline-Dom seine Sub an sich und verhindert so dass er verlassen wird. Die Gefahr, das negative Gefühl der Angst oder Einsamkeit spüren zu müssen, ist vermeintlich gebannt.

Devot/masochistisch sein, hingebungsvoll und dienstbereit, ist die manipulative Version der Borderline-Sub, ihren Dom an sich zu binden. Sie muss, in ihren Augen, nur gut genug sein um sein Interesse an anderen Frauen verfliegen zu lassen. Wieder wird die Angst vermieden. Verlassen zu werden scheint weniger bedrohlich, immerhin tut Sub ja alles was Dom will, warum sollte er also gehen?

9. Stressabhängige paranoide Phantasien oder schwere dissoziative Symptome
Zu den paranoiden Fantasien gehören z.B. Verfolgungsfantasien, der Gedanke überwacht, beobachtet oder abgehört zu werden.

Dissoziative Symptome können von aussen betrachtet einer Schockstarre ähnlich sein, während innen beispielsweise ein extremer Konflikt entstanden ist zwischen dem, was man denkt was zu tun erwartet wird und dem, was Sub eigentlich zu tun wünscht (zum Beispiel das Safeword benutzen).

Die Körperhaltung während der Dissoziation: Ein starrer, nach unten gerichteter Blick, angespannte Haltung, der Kopf neigt zum Boden. Die Person ist kaum ansprechbar oder antwortet nicht.

Das ist oft der Absturz der Borderline Sub!

Ich selbst bin während einer ungesicherten Session einmal an diesem Punkt angekommen. Damals leider sehr viel weniger stabil und absolut unfähig mich zu äussern! Ich war in mir gefangen und konnte meine Zustimmung für das Spiel nicht mehr zurück ziehen. Ab dem Moment hat theoretisch bereits Missbrauch stattgefunden, da ich meine Zustimmung zurückzog. Da ich dies nicht mitteilen konnte, ging Dom natürlich davon aus, dass alles einvernehmlich geschieht. Für ihn gab es keine Konsequenzen und für mich einen harten Schlag in Gesicht und Verstand (die Folge dieser 48 Stunden dauernden Session war die PTSD). Liebe Damen, bitte sichert euch immer ab!

Wie ist es nun um die BDSM Szene bestellt? Muss ich mich als Frau nun vor den emotional-instabilen sadistischen Doms in Acht nehmen? Kann eine Sub überhaupt ihre Rolle geniessen wenn sie offenbar nur das Symptom einer psychischen Erkrankung ist?

Nicht jeder Borderliner fühlt sich dominant oder devot veranlagt und ganz sicher ist auch nicht jeder BDSMler an einer Persönlichkeitsstörung erkrankt!

Für mich war die Diagnose und Therapie ein wichtiger Schritt hin zum annehmenden Erleben, statt ablehnender Scham oder Schuldgefühlen wegen meiner devoten Seite. Ein Schritt zur Selbst- statt Fremdbestimmung im Entdecken meiner Fantasien und Wünsche. Ich konnte erfahren wie es ist, sich wieder auf einen Menschen einlassen zu können und das die Welt nicht unter geht, wenn ein Mann auch mal kein Interesse an mir hat oder es irgendwann in der Beziehung nicht mehr passt.

Ich habe gelernt, Nein zu sagen und Grenzen aufzuzeigen. Konsequenzen zu ziehen, wenn es nötig ist. Mein Selbstwert stieg, als ich anfing, mich mehr mit meinen Gefühlen auseinanderzusetzen.

Nach und nach trat meine Vergangenheit in den Hintergrund und ich habe verstanden, dass ich früher oft in Erlebnissen und Emotionen aus meiner Kinder- und Jugendzeit gefangen war, ich aber heute mit 27 Jahren in der Lage bin, anders zu reagieren als ein wehrloses Kind. Die Opferrolle gar nicht erst einzunehmen, weil ich genau so viel Verantwortung für meine Lust am Sex und BDSM trage, wie mein Partner.

Für mich wird es in einer zukünftigen Partnerschaft vielleicht zu einer Herausforderung, das nötige Vertrauen aufzubauen, um mich vollends in seine Arme fallen zu lassen und doch stelle ich mir gerade diese Erfahrung als intensivste und erregendste vor. Wenn mein Partner mich wirklich auffangen kann, weil er sich zuvor darum bemüht hat, sich meine Abgründe anzuschauen.

Ein oberflächlicher One - Night - Stand ist kaum mehr vorstellbar, weil ich mir meiner Verletzlichkeit bewusst bin und mich vor dem Gefühl, billig benutzt worden zu sein, zu schützen weiss (wobei das gleiche Gefühl in einer stabilen Partnerschaft erzeugt, äusserst erregend für mich ist!).

Heute sehe ich die Chance, eine stabile, ehrliche und reflektierte Partnerschaft zu führen, bei der auch DS ein fester Bestandteil sein kann.

Abschliessend biete ich mich gerne an, Eure Fragen zur Borderline Persönlichkeitsstörung zu beantworten, soweit mir dies als Betroffene möglich ist. Vielleicht habt Ihr selbst schon die ein- oder andere Erfahrung gemacht und möchtet euch mit jemandem Austauschen?

 

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