Gehörlosigkeit und BDSM

Im vollen Bus bemerkt keiner, dass ich „anders“ bin, ebenfalls nicht im Flugzeug oder an der Kasse im Supermarkt. Sobald ich meine Hände benutze oder meinen Mund aufmache, dann wird meine Behinderung sichtbar: Ich bin gehörlos. Meine Muttersprache ist die Deutsche Gebärdensprache, die als eigenständige Sprache anerkannt ist. Stumm bin ich nicht, und dieses Unwort: taubstumm trifft auf uns Gehörlosen nicht zu. Ich kann sprechen und Lippenlesen.
Ich lebe sehr selbständig und bin unabhängig. Das Autofahren kann ich, alleine verreisen auch. Ich brauche keine Sonderbehandlung und lehne Hilfen, die mir ungefragt aufgedrängt werden, ab. Außerdem kann ich über TESS ( Relay-Dienst TeSign) barrierefrei telefonieren und kann ebenfalls barrierefrei Behörden, Ämter und Ärzte aufsuchen. Mich begleitet dabei meine Diplom-Gebärdensprachdolmetscherin. Die Kosten für das Dolmetschen übernehmen die Behörden, Ämter und meine Krankenkasse.
Mein Partner, mit ihm ich zusammen bin, ist hörend, wir haben uns in einer Community, bzw. über meinen Blog kennengelernt. Seit einiger Zeit lernt er das Fingeralphabet und kann einige Wörter wie Danke oder Kaffee gebärden.

2008 wagte ich meinen Sprung in die dunkle Welt, vorher habe ich mich viel in der vielfältigen BDSM-Literatur eingelesen und mich gut informiert. Ich meldete mich in einer entsprechenden Community an. Es war mir sehr bewusst, dass es für mich schwierig sein könnte, einen Partner als dominanten Gegenstück zu finden, der meine Muttersprache nicht „spricht“. Die erste Frage stellte ich mir bei der Profilerstellung: soll ich in mein Profil schreiben, dass ich taub bin? Oder nicht? Ich habe mich vorerst entschieden, nichts im Profil darüber zu schreiben. Für mich steht meine Behinderung nicht im Vordergrund und aus eigener Erfahrung weiß ich, dass ich im realen Leben schnell Kontakt zu hörenden Menschen finde, weil sie mich sehen können und auch feststellen, dass es möglich ist mit mir zu kommunizieren. Und auch weil ich in der virtuellen Welt primär als Frau wahrgenommen werden möchte und nicht als behinderte Frau. Des weiteren gab ich im Schriftverkehr mit dem Interessenten meine Behinderung bekannt.
Es dauerte nicht lange, da lernte ich einen Mann kennen, der frei von Berührungsängsten war und sich viel über meine Gehörlosigkeit und Gebärdensprache erkundigte. Er erlernte freiwillig meine Muttersprache und konnte sie in kurzer Zeit gut beherrschen. Mit ihm erlebte ich meine allererste Session, die sehr bezaubernd war. Mein Dom hatte alles gut vorbereitet und er hat sich was Tolles als Passwort für einen Abbruch ausgedacht: den Lichtschalter in meiner Hand, die Lichterkette über dem Bett würde aufleuchten, wenn ich abbrechen wollte.

Was unterscheidet meinen BDSM von einem BDSM ohne Behinderung?
Nicht viel. Nur, für mich ist es wichtig, dass der Mann und ich uns gut verstehen, wir müssen uns richtig verstehen, wenn wir gemeinsam eine Session machen wollen. Es hat mich entsetzt, als man mir sagte: Ach, wir verstehen uns schon oder Es klappt schon mit uns oder Das wird schon mit uns. Das geht für mich gar nicht, das kann in die Hose gehen, wenn der Dom mein Codewort nicht gleich versteht oder mich falsch deutet. Für mich ist es wichtig, dass der Mann und ich uns mehrere Male treffen, gemeinsam etwas unternehmen, bis wir uns in der Kommunikation gut verstehen, dann kann eine Session geplant werden. Vorab wird besprochen, was für Gebärden wir für die Session verwenden, und das Codewort in Lautsprache üben wir vorher, bis er mich ohne Probleme versteht. Oder wir denken uns einen anderen Abbruchsignal aus.
Der Dom muss sich bewusst machen, dass er erst in mein Gesichtsfeld kommen soll, egal auf welcher Ebene wir uns befinden, um mit mir zu kommunizieren.

Die häufigste Frage, die ich bekam war, wie könnte ich knien, weil ich nicht hören kann. Ich kann meinen Kopf senken, ich spüre auch, wenn der Dom mit mir spricht, dann schaue ich auf. Oder er geht in die Hocke. Oder mein Partner hebt mein Kinn hoch, er hat kein kommunikatives Problem mit mir.

Die wichtigste Frage, die mir sehr oft gestellt wird: Wie sieht das Treffen mit mir aus?
Klappt es mit der Kommunikation mit mir?: Es gibt Menschen, die verstehen mich schnell, es gibt auch Menschen, welche erst mal Schwierigkeiten haben mich gleich zu verstehen. Ich nehme stets mein Netbook oder iPad als Kommunikationshilfe, als Einstieg in die Kommunikation mit mir, mit. Der Dom und ich sitzen nebeneinander und schreiben beim Nicht-Verstehen. Ich spreche und gebärde beim Tippen auch gleichzeitig. Oder Papier und Stift können auch als Kommunikationshilfe eingesetzt werden. Stimmt die Chemie zwischen mir und dem Mann, wollen wir uns wieder treffen und gemeinsam etwas unternehmen, dann wird meine Kommunikationshilfe mit der Zeit immer weniger benutzt, da wir uns dann immer besser verstehen und uns gut kennengelernt haben.

Und, meine Kommunikationshilfe wird während der Session überhaupt nicht eingesetzt, das würde nur komisch bzw. lustig aussehen, während ich gefesselt bin und der Dom: Äh? Oh? und er nun ein kommunikatives Problem mit mir hat und dann raus rennt, um das Netbook zu holen, neben mir zu knien oder sitzen, um mit mir via Netbook zu kommunizieren.

Wichtig ist es auch, nach jeder Session eine Metakommunikation mit mir zu führen, dann wird zukünftig jede Session mit mir besser, schöner und aufregender. Der Dom und ich müssen zusammen wachsen, in unserer Kommunikation. Das alles braucht seine Zeit und viel Geduld.

Eine kleine Story zum Abschluss, Virtueller SM:
Ich saß im Schneidersitz im Bett, neben mir mein Frühstück, vor mir mein Laptop und war im Chat mit meinem Dom. Von ihm bekam ich eine Aufgabe, die ich durchführen musste, in seinem Beisein. An diesem Morgen hatte ich keine Lust, war frustriert, weil mein Dom mich seit mehreren Wochen keusch gehalten hat und diese neue Aufgabe würde mich nur wieder wuschig machen. Also gab ich vor, dass ich seine Aufgabe gerade durchführe, während ich frühstückte. Er fragte mich einige Male, ob ich dies und das auch wirklich gemacht habe und ob ich auch brav die Wäscheklammer eingesetzt habe... ja, ja, habe ich, versicherte ich ihm, als ich erstarrte: „Ich kann dich hören!“ stand im Chatfenster. Oh Gott, er hört mich! Er hört mich! Er hört mich! Ich sprang auf, klappte mein Laptop zu, öffnete es wieder, suchte hektisch nach der Einstellung für Lautsprecher, um den Ton auszuschalten. Mein Dom hat sich sehr amüsiert und hat mir verraten, dass er meine Essgeräusche hören konnte.

Bei weitere Fragen können Sie mich über mein Blog kontaktieren oder schreiben Sie mich hier im Forum an, ebenfalls können Sie eine Mail an Gentledom schicken.

 

Grenzgängerin

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