Die Abgrenzung der "Alten Schule" gegenüber der "Neuen BDSM Schule"

Da ich erst kurz nach der Jahrtausendwende mit BDSM in Kontakt gekommen bin, habe ich mir zwei Co-Autoren an die Seite geholt und nur wenn wir alle drei einer Passage zustimmen konnten, wurde sie freigegeben. Meine Co-Autoren haben ihre ersten BDSM Erfahrungen Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre gesammelt.

Innerhalb der BDSM Szene gibt es eine Strömung, die für sich in Anspruch nimmt, die alten BDSM Werte hochzuhalten. Hier kommen wir zu dem ersten Problem, was sind eigentlich die alten BDSM Werte? Eine einheitliche BDSM Szene gab es zu keinem Zeitpunkt, bleibt also eigentlich nur zu schauen, wie dieser Teilbereich sich abzugrenzen versucht.

Von Old-School-Seite wird das moderne BDSM als hedonistisch und/oder weichgespült dargestellt. Damit meinen sie, dass es zu viel um Sex, Technik und Sicherheit geht und dabei der Kern ihres BDSM verschwunden ist, der aus Emotionen, Gratwanderungen, Gemeinschaftssinn und der Konzentration auf ein BDSM Element besteht. Wie aber was das früher überhaupt mit der Szene?

In den 60er/70er Jahren war die BDSM Szene sehr überschaubar und eine kleine, fast könnte man sagen im Untergrund agierende, Bewegung. Trotz der sexuellen Offenheit, die durch die 68er Bewegung aufkam, blieb BDSM ein Tabuthema. Zugang zur Szene zu bekommen, war alles andere als leicht, besonders wenn man nicht in Städten wie Hamburg oder Berlin lebte. Die Öffentlichkeit von BDSM und die Interaktionsmöglichkeiten von heute gab es damals nicht. Stammtische, Clubbesuche, halböffentliche Playparties, das alles war nicht vorhanden. Die Zusammenkünfte von BDSMlern fanden in privaten Räumlichkeiten statt und eingeladen wurde man nur über private Kontakte.

Durch dieses Etablieren von kleinen persönlichen Netzwerken erhielt ein Teilnehmer einen Einblick in das BDSM, was sich in der Gruppe etabliert hatte. Da man meist nur einem Netzwerk angehörte, hatte der Teilnehmer schnell den Eindruck, es gäbe eben nur diese eine Art von BDSM. Wer damals durch einen beruflichen Wechsel in eine andere Region zog und sich somit mühsam eine neue Gruppe Gleichgesinnter suchen musste, war mitunter sehr geschockt von den Kulturunterschieden. Auch damals gab es also kein einheitliches BDSM, da man aber meist in einer Gruppe blieb (die hohe räumliche Flexibilität, die heute von jungen Menschen bei der Jobsuche verlangt wird, gab es damals einfach nicht), war der persönliche Eindruck oft, es gibt nur dieses eine BDSM, was eben in der Gruppe gelebt wurde.

Partner waren recht schwer zu finden, daher wurden Partnerschaften, auch solche die man heute als Spielbeziehung bezeichnet, mehr geschätzt und auch gepflegt. Das Postulat des jeweiligen Gruppen-BDSM führte zu einer Quasiritualisierung vieler BDSM Elemente. Kam es zu privaten Treffen, an denen BDSM praktiziert wurde (niemand hätte damals gespielt gesagt), war dieses geprägt von einem hohen Maß an Ernsthaftigkeit und es ging meist weitaus härter zur Sache als heute. Nicht jede Gruppe kannte dabei das Konstrukt des Safewords.

Der Zusammenhalt in diesen kleinen Gruppen war naturgemäß sehr stark. Dies aber nicht, weil es so tolle Menschen waren, sondern es waren eher Schicksalsgemeinschaften, die durch den externen Druck, der damals wirklich auf solch einer Gruppe lastete, entstanden. BDSM Neigungen galten schlicht als krank und pervers. Daher war die Gruppe peinlichst darauf bedacht, dass sie unter sich blieb und nichts nach außen drang. Die Angst vor einer Stigmatisierung und der daraus resultierende Untergrundcharakter schweißte auch Charaktere zusammen, die eigentlich gar nicht so gut zusammen passten.

Durch die ersten zaghaften Vernetzungen von Gruppen, die lange vor dem Internet erfolgt sind und die Entstehung einer kleinen Clubszene, Workshops, wie auch die Erhöhung der allgemeinen Mobilität, änderte sich dies. Die Teilnehmer mit nunmehr diversifizierten Kontakten erkannten, dass es mehr als nur das Gruppen-BDSM gab und immer mehr von ihnen entwickelten ein individuell geprägtes BDSM.

Die zweite (sofern man wirklich davon sprechen kann, denn auch in den 1920er, 1930er und 1950er Jahren gab es mit Sicherheit Änderungen, sie wurden aber nicht festgehalten und sind somit verloren) und weitaus schneller vollzogene Änderung der Szene kam durch das Internet.

Mit diesem neuen Medium war es nicht mehr nötig, aus dem Haus zu gehen und somit Kontakt mit einer örtlichen Gruppe aufzunehmen, mit deren Mitgliedern zu interagieren und so deren Gepflogenheiten kennenzulernen und bei Gefallen diesen Verhaltenskodex zu übernehmen um sich der Umgebung anzupassen. Auch wurden nunmehr Stile, die sich in den Gruppen entwickelt haben, sichtbar diskutiert. Dies alles führte zu einem wirklichen Aufbrechen alter Strukturen und durch die neue Öffentlichkeit kamen zudem viele neue ungeprägte Menschen hinein in die Szene.

Vor allem aber ist das Internet anonym. Wer sich falsch verhalten hat, der muss, sofern er nicht eine herausragende Persönlichkeit der Szene ist, keine Sanktion fürchten, kann er mit einem neuen Pseudonym doch fast bei Null wieder anfangen. Das Netz ist weitestgehend anonym und hier kann sich jeder selbst erfinden. Jemand kann sich Sir nennen, auf alte Werte berufen oder auch als erfahren darstellen, niemand kann aber direkt prüfen, passt dieser Schuh denn, der alles andere als klein ist?

Der Vorteil der Zugänglichkeit der Szene ist daher auf Kosten des damals üblichen gemeinschaftlichen Überprüfungsprozesses erkauft worden. Dafür gibt es ein Mehr an Sicherheit durch die aktive Auseinandersetzung mit Sicherheitskonzepten, Covermöglichkeiten und Ähnlichem.

In den letzten 50 Jahren gab es viele gesellschaftliche Veränderungen und dies schlägt eben auch auf BDSM durch. Gesellschaftliche Standards haben sich verschoben, Frauen mehr Rechte erhalten, es gibt mehr Freizeit und persönliche Freiheiten, das Verständnis von Missbrauch und Diskriminierung hat sich zum Glück gewandelt (die Akzeptanz weiblicher Dominas war damals sicher nicht in allen Gruppen vorhanden und eine Vergewaltigung in der Ehe war nicht strafbar). Das BDSM der alten Schule versucht, den Zeitgeist von damals zu retten, verklärt oder übersieht dabei aber womöglich die Schattenseite, wobei ganz sicher nicht alles damals schlecht war und nicht jede moderne Entwicklung gesund zu sein scheint.

Wer wirklich vom BDSM der alten Schule versus dem modernen BDSM sprechen will, sollte vielleicht besser sagen, das Ritual-BDSM einer Gruppe versus Individual-BDSM. War es früher schwierig einen BDSM Partner zu finden, ist es heute eher schwer auszuhandeln, wie man die jeweilige BDSM Beziehung gestalten will. Im Vergleich ist es heute aber deutlich einfacher und damit leider auch schnelllebiger. Dieser Punkt trifft aber auch auf die Vertreter des BDSMs der alten Schule zu, Beziehungen halten nach unserer Betrachtung dort nicht länger als bei Vertretern des „modernen“ BDSMs.

Wie angesprochen, waren gemeinsame BDSM-Standards gut für eine Gruppe, die Interaktion hatte weniger Reibungsprobleme und auch die Gemeinschaft war stärker ausgeprägt. Der Vorwurf der alten Schule, das moderne BDSM sei hedonistisch, schnelllebig und oberflächlich mag in Teilen stimmen, aber eben nur in Teilen. Vorwürfe in die andere Richtung, die durchaus möglich wären, gibt es so gut wie gar nicht. Aber es ist sozial eben auch normal, dass Randgruppen sich aggressiver vom Mainstream abgrenzen müssen, eben da sie sich in ihrer Existenz bedroht fühlen. Auch die Annahme früher war alles besser ist eine Sicht, die man nicht nur in der BDSM Szene antrifft (vgl. spiegel.de/wissenschaft/mensch/nostalgie-warum-frueher-alles-besser-war-a-1120337.html) sondern überall.

In Wirklichkeit gab und gibt es kein Old-School-BDSM und New-School-BDSM, da es weder damals noch heute eine reale Vereinheitlichung von BDSM gab. Es gab früher, vor allem bedingt durch die sozialen Strukturen, nur einen begrenzten Tellerrand, der einen glauben ließ, es gäbe nur dieses einen BDSM. Old und New sind reine Gedankenkonstrukte und wer sich heute als Old-School BDSMler bezeichnet, wäre früher in vielen Gruppen der 60er und 70er Jahre so nicht akzeptiert worden. Dies ist ihnen nur nicht bewusst, da sie in der Regel weder die damaligen sozialen Strukturen noch BDSM Gruppen kennengelernt haben.

Wer wirklich ein Old-School-BDSMler sein will, der dürfte sich gar nicht in der, zugegeben schnelllebigen, anonymen und oberflächlicheren virtuellen Welt rumtreiben, sondern müsste konsequenterweise seine Kontakte auf ein oder zwei kleine Gruppen beschränken und diese nach den alten Gepflogenheiten finden. Daran erkennt man leicht, dass Old-School-BDSM und New-School-BDSM reine Kopfkonstrukte sind, wer meint sich darauf berufen zu müssen, um sich abzugrenzen, soll es tun. Wer sich wirklich als Old-School-BDSMler, der das Internet und moderne Vernetzungen als Ursache für den Untergang der alten Szene verteufelt, durchgehen will, sollte sich konsequenterweise von BDSM Webseiten, größeren vernetzten Stammtischen und anderem Neumodischem BDSM Zeugs fernhalten. Dann hätte er wirklich das „Prädikat“ Old-School-BDSMler verdient.

Betrachte man es unideologisch ist und war BDSM schon immer das was die Beteiligten untereinander festgelegt haben. Sofern gesunde, reflektierte und verantwortungsvolle Menschen miteinander agieren existiert BDSM in einer gewissen "Range" und das wird recht sicher immer so bleiben. Öfters kommt bei mir schnell das Gefühl auf „Old“ und „New“ sprechen von den gleichen Dingen, nutzen dabei aber ein sehr unterschiedliches Vokabular :)

Ergänzung: Nachdem ich nun einiges auf anderen Seiten gelesen habe, Wahl der Qual, Datenschlg, usw. und es die Kritik gab, dass auch wer zu Wort kommen sollte der der alten Garde zugeordnet wird, hier ein Link zu einem Statement von Guy Baldwin, einer Person auf die sich große Teile der Old Guard wie auch Old-School BDSM gern beziehen, leider jedoch in englischer Sprache: Old gods die hard

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