Psychologie: Warum BDSM?

Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: Weil es Spaß macht.

Spaß sollte es uns auf alle Fälle machen, denn darum geht es doch ganz grundsätzlich beim Sex und schlussendlich ist BDSM einfach nur Sexualität. BDSM ist eventuell etwas außergewöhnlicher, kreativer oder inszenierter, aber grundsätzlich eine Ausprägung in der Sexualität.

Wie ist das nun genau mit der Sexualität? Sie ist wie alle psychischen Dimensionen sozusagen eine Kurve auf einer Geraden. Man könnte, um es sich leichter vorstellen zu können sagen, es ist ein Kontinuum. Manche befinden sich in der Mitte, das wäre die breite Masse und manche eher weiter links oder rechts. An beiden Enden befindet sich ein Cut Off, der Normalität von Krankheit trennen soll. Ich schätze, dass sich die meisten BDSMler eher am rechten Rand zum Cut Off befinden (also im Bereich der Normalität) und eventuell in manchen Bereichen etwas über den besagten Cut Off hinausreichen.

Sexualität hat drei Dimensionen: Die Fortpflanzungsdimension, die Lustdimension und die Beziehungsdimension. Was haben diese drei Dimensionen mit BDSM zu tun? BDSM befindet sich in der Lustdimension, so wie jede andere Art der Auslebung von Sexualität. In der Beziehungsdimension befinden sich psychosozialen Bedürfnisse (Nähe, Sicherheit, Akzeptanz, Geborgenheit).

Diese drei Dimensionen sind natürlich miteinander verbunden und stehen in Wechselwirkung zu einander. Sehr oft liest man, dass Menschen die BDSM praktizieren, eine Persönlichkeitsstörung haben, in ihrer Kindheit psychisch oder physisch missbraucht oder vergewaltigt wurden, um ein paar klassische Beispiele zu nennen. Die Palette der möglichen Ursachen ist lang und umfangreich. Die eigentliche Problematik besteht jedoch in der Wechselwirkung zwischen den oben genannten Dimensionen und durch diese Pauschalisierung werden ein paar relevante Details übersehen. Ganz oben steht das Wort „kann“. Es kann sein, dass ein traumatisches Erlebnis Menschen dazu bewegt, diese Vorliebe zu entwickeln. Es kann aber auch sein, dass sich ein Waschzwang entwickelt, um ein plakatives Beispiel zu nennen. Es könnte auch eine Depression sein, aber auch Nymphomanie oder Borderline usw. Es gibt dann aber auch den Verlauf, dass einfach nichts passiert. Das die menschliche Psyche das Erlebte mit oder ohne Hilfe verarbeitet und sich keine Störung entwickelt.

Genauso wenig, wie es uns jetzt möglich ist genau zu sagen, warum sich ein Zwang (ich nehme nun den Zwang, weil es ein überschaubares psychisches Konstrukt ist, dass im Verhältnis zu anderen recht gut erforscht ist) entwickelt, genauso wenig ist es uns möglich, rückzuschließen oder sogar vorherzusagen, warum sich BDSM als sexuelle Präferenz entwickelt. Menschen, die BDSM praktizieren, können, genauso wie Menschen, die eine andere sexuelle Präferenz haben, psychische Probleme haben.

Hier könnte man anführen, dass es scheinbar verstärkt im Bereich BDSM zu finden ist. Das kann ja gut sein, nur … Warum entwickeln dann nicht alle Menschen mit traumatischen Erlebnissen diese Vorliebe? Warum entwickelt sich eine Vorliebe für BDSM ohne ein traumatisiertes Erlebnis? Ich will damit keine entwicklungsbezogene Diskussion starten, sondern einfach dazu anregen, die Welt nicht schwarz / weiß zu sehen und der menschlichen Individualität mehr Beachtung schenken.

Der zweite Faktor, der gerne übersehen wird ist jener, dass sich diese Problematiken auf der Beziehungsdimension befinden. Die Beziehungsdimension hat nur wenig mit der Art und Weise zu tun, wie Sexualität gelebt wird. Es ist sozusagen eine ganz andere Baustelle … oder Spielwiese :)

Ein Beispiel für die Beziehungsebene ist das „Nähe-Distanz-Problem“. Diese Problematik hat einfach nichts mit einer Ausprägung in der Sexualität zu tun. Es kann sehr wohl sein, dass die Sexualität – in dem Fall BDSM – als Katalysator genutzt wird. Auch hier sollte das Wort „kann“ beachtet werden und um von jemand anderem schlecht behandelt zu werden, da muss man sich nicht über Internetforen und Stammtische einen Sadisten / eine Sadistin suchen, das bekommen auch die sogenannten Vanillas einfach und leicht hin, weil es eben eine andere Ebene ist. Ich würde gerne schreiben, weil es damit nichts zu tun hat. Aber das kann ich nicht, denn ein wenig spielen die Dimensionen schon in einander – die Frage ist, zu welchem Grad?

Die DSM IV (ein Diagnoseinstrument) beschreibt wie folgt: Eine Paraphilie (Perversion) muss von dem nichtpathologischen Einsatz sexueller Fantasien, Verhaltensweisen oder Objekten als Stimulus für sexuelle Erregung bei Personen ohne Paraphilie unterschieden werden. Fantasien, Verhaltensweisen oder Objekte sind dann paraphil, wenn sie zu klinisch signifikanten Leiden oder Beeinträchtigungen führen […] Daraus erschließt sich, dass es diagnostisch als auch einer logischen Denkweise folgend, sozusagen ein Zustand in dem Interesse an BDSM da ist und dieser auch ausgelebt wird, der aber nicht als psychische Krankheit gesehen oder diagnostiziert werden kann.

Kompliziert wird es, wenn andere Problematiken hinter BDSM stehen oder durch BDSM ausgelebt werden (können). Ich möchte hier nicht mit der Keule der psychischen Störungen winken, denn das würde den Rahmen sprengen und um jene geht es ja auch nicht in diesem Artikel. Jeder sollte genau in sich hinein hören und darauf achten, welche Dinge im Hintergrund wirken und in wie weit das tatsächlich Einzug in die jeweilige Sexualität gefunden hat. Aber auch, wie wichtig ist es nun wirklich? Ist es nicht ein Stück weit egal, ob wir es in einem Putzwahnsinn ausleben oder in einem übertriebenen Ordnungssinn oder ob wir uns in regelmäßigen Abstanden unterwerfen lassen oder andere unterwerfen wollen?

Man sollte auch nicht vergessen, dass es einen alltäglichen unbewussten Sadomasochismus gibt. So manche Paare spielen in ihrem alltäglichen Leben Spiele, die Bedürfnisse des anderen werden bewusst missachtet, man führt sich gegenseitig vor, demütigt sich, beschimpft sich oder verweigert dem Partner Bedürfnisse in Bezug auf Nähe, Geborgenheit und Zwischenmenschlichkeit.

BDSM kann, auch wenn beide Beteiligten damit einverstanden sind, sozusagen gefährlich oder ungesund werden. Wenn nur mehr die Art und Weise des Spiels im Vordergrund steht und es nur mehr um den „Kick“ geht oder wenn sich ein realer Kampf um Macht, Demütigung oder Unterwerfung entwickelt. Leider kann es sein, dass unter dem Begriff BDSM solche Beziehungen länger nicht als solche erkannt werden.

Kann BDMS ein Katalysator für ein anderes Problem sein? Ja – und weiter, ja, dann wird es problematisch. Ein wichtiges Detail jedoch ist, hier geht es dann nicht mehr um BDSM als eine Ausprägung in der Sexualität. Die menschliche Psyche ist keine „Wenn-Dann-Sonst“ Abfolge in dem Sinn, das eine führt unweigerlich zum anderen. Wir kompensieren immer, wie und wohin wir kompensieren, ist individuell. Menschen müssen Erlebtes, positives wie negatives, kompensieren um lebensfähig zu bleiben. Sämtliche neurotische Störungen sollen ihren Ursprung in der Kindheit haben, genauso wie unsere Sexualpräferenz (nicht die Sexualorientierung). Das Entwickeln einer neurotischen Störung kann mit einer nicht gelungen Verarbeitung einer prägnanten Verletzung / Frustration in der kindlichen Entwicklung zusammen hängen. So kann es auch sein, dass BDSM eine Kompensation einer prägnanten Verletzung / Frustration ist. Was sich bei wem wie entwickelt ist wissenschaftlich nicht klar. Man muss aber auch die andere Seite sehen. Es könnte einen härter treffen als mit BDSM. Vor allem kann nicht geklärt werden, was ist mit jenen, die sich nicht mal an ein herausforderndes Ereignis aus der Kindheit erinnern können? Eventuell ist BDSM eine Kompensation, aber nicht unbedingt eine schlechte.

Jeder hat seine Vergangenheit mitzutragen, sein Erlebtes, und jeder muss damit umgehen. Wie man nun genau sein Erlebtes kompensiert und / oder auslebt, kann nicht determiniert werden. Im Grunde ist es ein Teil der (noch) normalen Verarbeitung von Frustration. Also kann man BDSM auch als Folge einer gelungenen Verarbeitung sehen. Wie man hier schon lesen konnte, die menschliche Psyche kann einem auch ganz andere Themen im Leben bescheren und ich würde mit keiner anderen Alternative tauschen wollen. Beispiel: Man wächst in einer offenen, regelfreien und fürsorglichen Familie auf. Es gibt keine bewussten Verletzungen in der Kindheit. Im Laufe des sexuellen Erwachsenwerdens entwickelt man eine Vorliebe für BDSM, welcher sich mit klaren und strengen Regeln auszeichnet. Natürlich kann es ein „Wiedererleben“ sein, und diesmal mit dem Rahmen, den man sich eventuell als Kind gewünscht hat. Die entscheidende Frage ist: Na und? Wäre die Kompensation eine bessere, wenn man eine Sozial - Phobie entwickelt hätte?

Wenn man sich danach sehnt, die Verantwortung an jemand anderen abzugeben – wie lange auch immer – kompensiert man da dann eventuell ein zu frühes Verlassen durch eine wichtige Bezugsperson? Ja, eventuell … und auch hier die viel wichtigere Frage: Na und?

Ich stehe der Lebensform TPE selbst sehr kritisch gegenüber, doch versuche ich auch hier, die Dinge etwas zu relativieren. Wenn man das System TPE zur Spitze treibt, dann müsste Sub jeden Tag die Kleidung herausgelegt bekommen und wenn das Telefon läutet, müsste nachgefragt werden, was zu tun ist – im Sinne „Herr / Herrin, das Telefon läutet, vermutlich ein Anruf, was ist nun zu tun?“

Natürlich kann man jetzt sagen, so ist das aber nicht gemeint, sondern nur bei grundlegenden und wichtigen Entscheidungen – was auch interessant ist, denn dann würde sich die Frage stellen, was ist grundlegend und woran ist das festgemacht? Ob ich heute nackig arbeiten gehe, ja, das würde ich als grundlegend einstufen…. Auch wenn das Finanzamt am Telefon ist … nur woher weiß ich das vorher? Stand der Dinge ist, jeder Mensch trifft andauernd Entscheidungen und egal ob es nur bei den „wichtigen“ Entscheidungen ist oder ob man ein anderes bedeutungsgebendes Wort findet, kann man es ad absurdum führen.

Ich habe selbst keine Erfahrung mit TPE, doch erscheint es mir logisch, dass dies nicht einfach mit irgendwem ausgelebt werden kann, daher setzte ich vor raus, das eine Beziehung die Basis ist, in der die beiden Personen in Liebe miteinander verbunden sind und auch wenn nun eine Person sozusagen das Sagen hat, wird er oder sie – auf Basis der Beziehungsebene, die Wünsche des Partners berücksichtigen. Wenn die Wahl auf das blaue Auto fällt, weil man sich das schwarze nicht leisten kann, hat das wenig mit Dominanz und Unterwerfung zu tun… und schlussendlich ist es egal, wer die Entscheidung trifft, da es zum Wohl beider geschieht. Das eigentliche Grundthema ist, wie weit geht TPE nun echt? Eventuell lässt sich ein Zusammenhang zwischen TPE zu einer psychischen Problematik herstellen, doch beinhaltet es auch die Möglichkeit, einen Weg gefunden zu haben, mit dieser Problematik leben zu können und wie bereits mehrmals erwähnt, es ist auch eine Möglichkeit, Normalität zu leben. In wie weit TPE echt lebbar ist, davon habe ich keine Ahnung, das einzige, was meiner Meinung nach elementar ist, ist dass der sogenannte „Mächtige“ nur in einem wohlwollenden, achtenden und mit Zuneigung ausgezeichneten Rahmen der „Herrscher“ in einer TPE Beziehung sein kann und bleiben wird. Hierzu gehört aber auch ein gefestigter Gegenpart, der mit dem Wohlwollen, Achten und der Zuneigung auch umgehen kann.

Wie man unschwer erkennen kann, ist dieser Artikel ein Plädoyer für die Normalität. Natürlich kann man in der bunten vielfältigen Welt des BDSM’s so manchem Wahnsinnigen über den Weg laufen und ich glaube auch, der Anteil ist eventuell etwas höher (ich bin ja persönlich eher der Ansicht, dass der Anteil der Wahnsinnigen immer gleichverteilt ist – also auch in einer Teilmenge des Ganzen) ist, weil die Welt des BDSM mehr Möglichkeiten bietet, seine Wünsche – woher die auch immer kommen mögen – auszuleben. Es gibt zahlreiche Praktiken, die für mich (und für so manches Diagnosemanual) fragwürdig sind, nur um das geht es hier nicht. Was mich zu nächsten Frage bringt: Was ist nun aber die Alternative? Es bleiben zu lassen? Und damit langfristig einen Teil seiner Sexualität zu vergessen? Dass dies auf Dauer nicht psychisch festigend wirkt, muss ich nicht weiter ausführen.

Ein Rezept um herzufinden, wer einem da gegenüber steht, kann ich nicht bieten. Auch nicht die Antwort auf die Frage „Warum?“. Die Antwort steckt in uns selbst und kann nie von außen kommen. Man kann nur vorsichtig, mit klarem Menschenverstand an die Sache rangehen, sich selbst reflektieren und den anderen genau beobachten. Im Endeffekt werden die gleichen Dinge im Hintergrund triggern, die einen dazu bewegen, sich auf jemanden einzulassen oder nicht. Es ist etwas mehr Vorsicht geboten, da die BDSM Welt schon auch ein Schmelztiegel für alles möglich sein kann.

Ich habe versucht, die Begriffe Sadist, Masochist oder pervers etc. nur sehr sparsam zu verwenden, denn eigentlich beschreiben sie eine psychische Störung und das ist nun wirklich wieder was ganz anderes. In der Szene wird damit ein Rollenverständnis ausgedrückt, doch versuche ich bewusst, diese Wörter nicht als Substantive zu verwenden, denn bei aller Liebe – ich bin doch recht normal.

Die Idee, das BDSM eine Kompensation ist, wird wohl nur eine von vielen sein. Auch jene, dass es eine Form ist, die als gut gelungen gesehen werden kann. Grundtenor des Ganzen ist, dass es sein kann, dass es tatsächlich eine Art von Verarbeitung ist, die nicht „schlecht“ verlaufen ist und das wir BDSM von anderen Problematiken trennen sollten. Stoßen wir auf andere Problematiken, sollten wir uns jene ansehen. Im Zuge dieser Trennung sollten wir uns aber auch immer fragen, ist es wirklich schlimm oder fragwürdig? War es nicht auch ein Weg, ein relativ normaler Erwachsener zu werden? Es könnte sein, dass sich in der jeweiligen Entwicklung ein Thema, eine Situation oder eine Frustration nicht optimal gestaltet hat und dass einen dies später zu BDSM geführt hat. Die Menschen neigen dazu, sich an anderen zu relativieren und auf psychischer Ebene sollte man das auch hier machen. Ich kenne genug BDSMler, die sich jahrelang gefragt haben „Bin ich normal“? Die Frage ob man normal ist, beantwortet aber nicht, warum man BDSM mag ober eben nicht.

Ich kann mein Geschriebenes nicht wissenschaftlich 100 % untermauern, doch habe ich auch viele Stunden damit verbracht, nach einem echten traumatischen Ereignis in meiner Kindheit zu suchen… ich kann nur einen etwas längeren Krankenhausaufenthalt bieten, jener hätte mich aber, nach gängiger Lehrmeinung, aggressiv machen sollen… aber eher in der Pubertät… was wieder ein Anzeichen für eine Depression hätte sein können, außer ich wäre autoaggressiv geworden… dann hätte es Borderline werden können… oder erst später… eventuell ein aggressiver Waschzwang… ich bin dann doch recht normal geworden :)

Bis jetzt habe ich keine andere Theorie gefunden, die es mir erklärlich macht. Wenn ich eine finden sollte, melde ich mich wieder ;)


Autorin Dea

 

Andere Sichtweise: Die psychologische Dynamik hinter BDSM

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