„Wenn du willst, komm doch abends mit auf die Burg“, meint Visage_deux und lächelt mir aufmunternd zu.
Wir sitzen in der Lounge seines Studios und besprechen, was am Folgetag passieren wird. Mein erstes Bondage – ich bin total aufgeregt. Und dann soll ich hinterher noch auf eine BDSM-Party gehen? Vielleicht bin ich ja völlig down nach der Begegnung mit den Seilen. Kann mich nicht mehr rühren oder so in etwa … Andererseits – was kann mir Besseres passieren, als ausgerechnet mit ihm und seiner Begleitung den Einstieg in die Szene zu wagen? Mit jemandem, von dem eines seiner Bunnys sagt, an seiner Seite wäre man in solchen Situationen so was von safe ...
„Okay.“ Ich nicke. Augen zu und durch. Meinem ersten Club-Besuch vor Jahren muss ich unbedingt einen zweiten entgegensetzen. Und der wird ganz einfach gut sein. Das hab ich im Gefühl.
Als wir am darauffolgenden Abend auf dem Parkplatz ankommen, hab ich noch immer keine Idee, was mich erwartet. Aber die Riesenkerzen, die Fackeln und brennenden Kohlebecken, die den Weg über die Stufen zum Burgportal beleuchten, schaffen eine geheimnisvolle Atmosphäre. Schwarzes Kleid ist okay, hatte Visage_deux gesagt, als ich nach dem Dresscode fragte. Drea, seine Begleiterin, muss sich an ihm festhalten. Keine Ahnung, wie hoch ihre bleistiftdünnen Absätze sind. Auf jeden Fall sind es Heels der Extraklasse. Was gäbe ich drum, auf so was laufen zu können …
Kaum haben wir den Empfang passiert, sind wir mittendrin in der Party. Und es ist, wie es sich für eine Burg gehört. Unverputzte Wände, Fackeln und Balken, gedämmtes Licht. Auf dem über die Jahrhunderte uneben gewordenen Boden liegen rote Kokosläufer und dicke Teppiche. Unauffällig installierte Heizstrahler sorgen für angenehme Temperaturen.
Visage_deux, der die Location gut kennt, zeigt uns den Rittersaal und führt uns gleich im Anschluss hinunter in das Burggewölbe, zu den Spielräumen. Es riecht, wie es riechen muss – nach Keller. Ich mag das. Ich mag alles Morbide. Alte Kirchen, alte Burgen, alte Friedhöfe. Das hier ist ganz nach meinem Geschmack. Das Geräusch, das ich gleich darauf wahrnehme, ist ein lautes, regelmäßiges Klatschen, begleitet von tiefen Seufzern. Einer der ersten Gäste nutzt die Gunst der ruhigen Stunde und versohlt seine Frau. Sie scheint es zu mögen. Ihre Scham glänzt im Dämmerlicht.
Nach einem kurzen Blick auf die Szenerie schlendern wir weiter durch die Gänge, vorbei an mit rotem Stoff verhängten Nischen, in die man sich zurückziehen kann, wenn man es etwas intimer braucht. In dem einzigen wirklich großen Bereich hier unten stehen ein Andreaskreuz, ein Pranger, ein Strafbock – wie ich später feststellen werde, genügend Möbel, um mehrere Leute hinlänglich mit bizarren Vergnügen zu beschäftigen.
Unser Rundgang endet, wo er angefangen hat, im Rittersaal. Die meisten Partygäste sind beim Essen. Man beobachtet sich, tauscht sich aus, bleibt aber zurückhaltend und abwartend. Ich überlege, ob es so etwas wie ein Programm gibt, das eine Art Startschuss symbolisiert. Visage_deux schüttelt grinsend den Kopf. Kein Programm. Man ißt, trinkt, spielt und vergnügt sich. Das ist schon alles.
Meine Nervosität hat sich inzwischen gelegt. Hatte ich befürchtet, die einzige Beobachterin zu sein, so werde ich durch ein paar andere Gäste eines Besseren belehrt. Längst nicht jeder ist zum Spielen hier. Und nicht jede barbusig oder vollkommen nackt. Im Gegenteil. Vom raffinierten Abendkleid, über ausgefallene handgearbeitete Outfits aus Metall bis hin zu sexy Lingerie ist alles vertreten. Manche Damen tragen Masken. Manche Herren ihr bevorzugtes Schlaginstrument. Visage_deux hat eines seiner Seile am Gürtel hängen.
Wir reden, trinken etwas, begrüßen Bekannte. Und wo man sonst vielleicht in einem Sessel sitzt, hocken Drea und ich auf der Polsterung eines großen Käfigs. Nicht weniger bequem, als das Sofa hinten in der Ecke oder der Thron direkt neben den Ketten, die an einem Bondage-Haken von der Decke hängen. Als Visage_deux dorthin schlendert und neugierig die Trensen begutachtet, die daran befestigt sind, schauen wir Frauen uns an. Alles klar. Kein Programm. Aber mit ziemlicher Sicherheit wird Drea heute Abend noch unter der Decke baumeln.
Die beiden verschwinden zum Rauchen nach draußen. Ich bleibe allein im Rittersaal zurück. Da sitze ich also auf diesem Käfig, die Beine übereinander geschlagen, mein Weinglas leer. Die Gäste ziehen sich nur zögerlich in die Gewölbe zurück. Ich überlege, ob ich ihnen folgen soll. Beschließe dann aber, so lange sitzen zu bleiben, wie ich mich nicht unwohl fühle unter den Blicken der anderen. Schließlich nimmt mir Visage_deux die Entscheidung ab. Er schickt mich in den Erker und kündigt mir eine Performance im Keller an.
Der Erker neben dem Rittersaal hat einen Glasboden. Ich setze mich auf einen der Stühle am Rand und schaue in die Tiefe. Unter mir ist Visage_deux bereits damit beschäftigt, Drea an das Wagenrad zu fesseln, das in der Decke verankert ist. Weitere Gäste gesellen sich zu mir. Unten uns, der Erker hat nicht mehr als vier Meter im Durchmesser, wird es ebenfalls eng. Ein professionelles Bondage will sich niemand entgehen lassen. Nach der langen Session, bei der ich gestern zugeschaut habe, und nach meiner eigenen am Mittag ahne ich, wie es sich für Drea anfühlt.
Visage_deux bindet schnell. Er ist eigentlich privat hier. Aber was soll's. Wo die anderen Doms ihre Subs an den Spielgeräten vorführen, macht er dasselbe mit seiner am Bondagehaken. Nur bei der Zahl der Zuschauer ist er den anderen gegenüber im Vorteil. Seile faszinieren eben. Als Drea sich in Trance um die eigene Achse dreht, schaut er zu mir hoch und winkt mir grinsend zu. Ich fühle mich nach wie vor sicher. Er hat mich selbst bei seinem Spiel im Blick.
So sicher, dass ich später allein in den Keller hinuntergehe. Ich habe längst wieder vergessen, wie ich mich orientieren muss. Die Gänge sind schmal. Aber die Geräusche, Stöhnen und Seufzer, und letztlich auch die herumschlendernden Zuschauer weisen mir die Wege durchs Labyrinth. Als ich einen Mann dabei beobachte, wie er seine unter einem Ring gefesselte Frau mit Federteasern streichelt, bin ich unschlüssig, ob ich mich als Voyeur wohlfühle. Ähnlich ergeht es mir mit dem Paar, das in ein Spiel mit Reizstrom vertieft ist. Die maskierte Frau am Strafbock allerdings weckt mein Interesse. Ihr Dom traktiert sie mit Hieben einer Gerte, die zur Spitze hin dünn zuläuft. Sie ist nur an den Händen fixiert, windet sich. Nach jedem Schlag beruhigt er sie.
Neben mir tauchen plötzlich zwei Männer auf, die ihre Frauen in einen in die Mauern eingelassenen halben Käfig sperren. Aber auch sie sind wohl nur zum Schauen hier. Sie ziehen schnell weiter. Währenddessen wird meine eigene Aufmerksamkeit von einer Szene am zweiten Andreaskreuz angezogen. Ein großer, kräftiger Mann schlägt zwei blonde Frauen gleichzeitig. Die eine steht mit dem Rücken zu ihm, die andere ist rücklings ans Kreuz gebunden. Er schwingt eine kurze Bullwhipe, deren Treffer ich nur an den Reaktionen der Frauen verfolgen kann. Jedesmal, wenn die hintere zuckt, bin ich überrascht darüber, wie er sie erreichen konnte. Die drei spielen auf eine amüsante Weise. Sie reden dabei, lachen und sind im nächsten Moment wieder komplett ernst.
Ich glaube, das ist dann für mich der ausschlaggebende Punkt. Ich kann deutlich erkennen, dass es hier und an diesem Abend um Lust geht. Sicher schmerzen der Rohrstock oder die Klammern. Aber die Lust überwiegt. Und das ist für mich als Newbie entscheidend. Am Vormittag habe ich bereits eine Grenzerfahrung gemacht. Ich muss keine Angst davor haben, mich auf weitere einzulassen. Und diese Party hier, der lustvolle und gleichzeitig faire Umgang der Leute miteinander, unterstreicht diese Erkenntnis. Ich fühle mich kein bisschen deplaziert. Nicht falsch angezogen und nicht aufdringlich beobachtet. Ich kann mich auf die Situation in meinem ganz eigenen Tempo einlassen. Als wir gegen zwei Uhr losfahren, hoffe ich bereits auf ein nächstes Mal ;-)
Das ist Teil 1 meines Berichts. In einem 2. Teil stelle ich für alle Neugierigen ein paar Infos zusammen, die vielleicht helfen, euren ersten Party-Besuch zu planen oder euch überhaupt darauf einzulassen.
Liebe Grüße, eure Vicky
Gerwalt Richardson schrieb am 22.09.2015
Wie? Die haben keine kleinen Kinder gefressen? Und keiner hat dich unsittlich in eine Ecke gezerrt?
Im Ernst: Schön, dass es so harmonisch bei deiner zweiten 'Premiere' ablief.
*lach ... Na gut, ich gebe zu, dass ich angesprochen wurde. Von einem Paar, das wie ich auf Beobachtungstour war. Sagte er jedenfalls. Aber egal, was deren tatsächliche Absichten waren - es war dezent und unaufdringlich. Ich habe mich nicht belästigt gefühlt, sondern eher bestätigt in meinem Wohlgefühl ;-)