SSC & Co - Wie brauchbar sind die klassischen Sicherheitskonzepte?

Des öfteren wurden in der Vergangenheit im Gentledomforum die klassischen Sicherheitskonzepte diskutiert. Nach meinem Empfinden bezeichnen sich die meisten Mitglieder der Community als SSCler, ein kleinerer Teil outet sich als Anhänger des RACK und eine verschwindend geringe Minderheit gibt "no limit" im Profil an.

Ich kann mich nach wie vor nicht mit einem der Klassiker der "Sicherheitskonzepte", SSC, RACK, no limit, so identifizieren, als dass ich mich als Anhänger eines bestimmten bekennen könnte. Nichts davon erscheint mir stimmig. Aus diesem Grund war ich auch heillos überfordert, in der GD Com diesbezüglich eine Angabe in meinem Profil zu machen. Bedauerlicherweise fehlte als Auswahloption des Drop Down Menüs: Gesunder Menschenverstand, Kommunikationstalent, Verantwortungsbewusstsein und ausgeprägtes Interesse an meinem Wohlergehen. – DAS sollte es bei mir "no limit" geben.

Warum eines dieser Konzepte für mehr oder weniger Sicherheit sorgen soll, kann ich nicht so ganz nachvollziehen - Vor allem, wenn man bedenkt, dass jeder etwas anderes unter SSC & Co. versteht und dadurch Missverständnissen Tür und Tor geöffnet sind.

Nachfolgend ein paar Gedankenfetzten meinerseits zu den jeweiligen "Konzepten":

 

SSC – Safe, Sane, Consensual:

Schon das erste S, das Safe bereitet mir Bauchschmerzen. Denn was ist denn schon im Leben sicher? Würde ich nur Dinge unternehmen, die sicher sind, könnte ich mein Leben auch umgehend beenden. 100% Sicherheit gibt es nicht im Leben. 

Das zweite S, Sane, übersetzt "gesunder Menschenverstand" halte ich für ein durchaus wünschenswertes Attribut.

Doch wer, der über einen gesundem Menschenverstand verfügt, würde behaupten: ich bin befähigt jegliche Handlung jederzeit sicher zu gestalten? - Keiner. Somit schließen sich m. E. die beiden S gegenseitig aus und SSC verkommt zum (wohlgemeinten) Lippenbekenntnis.

 

RACK – Risk Aware Consensual Kink:

Das RA, also Risk Aware, postuliert ein Risikobewusstsein. Schön, gut, löblich – sinnvoll. Aber es gibt neben der Unischerheit, die unmittelbar mit den Risikobegriff verknüpft ist, noch die sogenannte Ungewissheit. 

Unsicherheit bedeutet: mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit kann ein bestimmtes Ereignis einzutreten oder nicht. 

Bei Ungewissheit besteht Unwissen in Bezug auf das, was überhaupt eintreten kann. Sozusagen ein unberechenbarer Faktor, die berühmte black box. Das, was ungewiss ist, kann nicht richtig erfasst werden – es liegt außerhalb des "normalen" Vorstellungsraums. Für diese "Möglichkeit" des Eintretens unkalkulierbarer, überraschender Ereignisse sensiblisiert RACK nicht hinreichend genug.

Mein weiterer Kritikpunkt ist die Einschränkung auf das K, Kink. Denn BDSM ist nicht nur Kink - jedenfalls für mich.

 

No Limit:

Kurz und knapp: Jeder Mensch hat Grenzen – Limitationen. Wie soll man dann bitte no limit leben können? Das ist ein Widerspruch in sich.

 

Meiner Meinung nach geht es bei BDSM um Menschen, deren Beziehungen und Gefühle. Nimmt man dies zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen in Bezug auf die Sicherheitskonzepte, so wird offensichtlich, dass ein reines Bedenken von gefährlichen vs. ungefährlichen Techniken (beliebtes Diskussionsthema ist hier z. B. die Atemkontrolle) viel zu kurz greift. Ausgerechnet SSC scheint dazu zu verführen, sich vorwiegend über Techniken Gedanken zu machen statt über die sogenannten ‚softeren’ psychischen, emotionalen Faktoren.

Meine Auffassung ist, dass es letzten Endes auf die Menschen ankommt, die miteinander umgehen und wie sie miteinander umgehen (wollen). Im Fokus des gelebten/praktizierten BDSMs muss somit immer der Mensch stehen: seine Psyche, Physis und die Beziehung zum anderen. Damit sollte bewusst, achtsam und verantwortungsbewusst umgegangen werden, so dass es dem Wohl eines jeden gereicht. Daher plädiere ich für die Einführung neuer Konzepte, die da lauten könnten RAPOL (Relationship and Partner Oriented Life) oder CL (Conscious Love & Conscious Life).

 

Wie seht ihr das? Haltet ihr eines der klassischen Sicherheitskonzepte für sinnig? Vertretet ihr ein bestimmtes? Eure Gedanken, Überlegungen, Eure Kritik würde ich sehr gerne erfahren.

Liebe Grüße,

Luna


© www.Gentledom.de

Kommentare:


Legat schrieb am 08.07.2019


Hallo erstmal zusammen,

so als zurück gekehrter Neuling in der Community sollte ich auch mal meinen Senf irgendwo dazu geben. Ich fang mal hier an.

Wahrscheinlich gleich bei dem Thema wo sich meiner Erfahrung die Geister am meisten scheiden.
Wo fängt die Sicherheit denn an und wo hört sie auf?

Es gibt in der Szene so viele Sprüche, Ratschläge und weis der Teufel dazu, das man den Überblick verlieren kann. Ich finde die Grundsätze von Luna gut auf den Punkt gebracht. Aber es kann keine Patentlösung geben. Ich in meiner Verantwortung als Dom, sehe es so dass ich (wie Zimt es schreibt) reden muss. Egal ob ich eine Anfängerin oder erfahren belastbare Sub an meiner Seite habe. Natürlich gehe auch ich bei einer Frau mit Erfahrung und ich rede hier von Erfahrung in der Szene, nicht von Lebensjahren, davon aus das sie defienirien kann wo Tabus, Grenzen usw. liegen. Wobei das aber auch nicht verlässlich ist, wenn jeder von uns alles gleich machen würde gebe es keinen Partnerwechsel. Ich denke es macht Sinn sich wenn es soweit ist das Konzept, aus dem was an Sicherheit geboten werden kann, zusammenzustellen.
So wie Ruby schreibt ( wobei ich mich hier echt frag was sie für einen harten Hintern hat das der Dom sich die Hand brechen könnte, Ok spaß bei Seite) ist es auch an der Sub, sich über die Risiken klar zu sein, egal wie sie sich hingeben möchte. Ich würde sogar weiter gehen und sagen wenn sie merkt dass der Dom eine schlechte Tagesverfassung hat dies auch zu erwähnen, was natürlich auf Ablehnung stoßen kann. Wobei sich bei einer Frage wie „ wie gehst dir“ der Dom hier über sein EGO Gedanken machen sollte wenn er da nicht damit umgehen kann. Genauso sollte diese Frage vom Dom an die Sub kommen.

Wobei ich wieder dabei bin Reden und Beobachten, vorher, während dessen und vor allem!! danach. Das Auffangen und Reflektieren ist das A und O, ich wurde schon als Softie beschimpft weil ich meine Sub danach im Arm hatte und mit ihr gekuschelt hab. Das dass aber ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit gibt, was ein guter Start für das nächste Mal ist vergessen leider viele. Nur so, meiner Meinung nach, die nötige Kommunikation zu Stande, das der Aspekt Sicherheit auch gewährleistet sein kann und man sich die Punkte schafft die nötig sind , von beiden Seiten, egal in welcher Spiel Variante.


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Zimt schrieb am 23.06.2019


In Bezug auf die Sicherheit setze ich auf...
... reden, reden, reden - im Vorfeld.
... das Vertrauen in meinen Partner, dass er die gesetzten Grenzen einhält und Tabus nicht bricht sowie für den Notfall eine Safe-Wort- bzw. -Handlung (zb. etwas in der Hand halten und dann fallen lassen können wenn man geknebelt ist - während des Spiels.
... und reden, reden, reden im Nachhinein um die Sicht und das Gefühl während des Spiels mitzuteilen und das vom Partner kennen zu lernen.

Daraus ergibt sich allerallermeistens ein gutes Gespräch und ein tieferes miteinander-vertraut-werden, das dann immer weiter wächst und die Intensität der Intimität steigert. Für mich ist es wichtig, die Gefühle und Wünsche meines Partners zu kennen, auch wenn ich in der "passiven Rolle" zu Hause bin.
Wenn sich ein Partner weigern würde, über das Spiel zu reflektieren hätte ich große Probleme mich dauerhaft wirklich auf ihn einzulassen.


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TS233 schrieb am 20.09.2015


Ich finde SSC durchaus schlüssig und besonders für den Top sinnvoll und wichtig. Safe & Sane sorgen dafür, dass man sich immer seiner Verantwortung bewusst ist und beim Spiel beispielsweise Drogen weggelassen werden und die Sicherheit der Bottom im Blick bleibt. Und Consensual ist auch zentral - Top und Bottom können das Spiel jederzeit abbrechen (oder ggf. verlangsamen). Also aus Anfängersicht würde ich sagen, dass SSC ein sehr einfaches Konzept ist, dem man auch irgendwie folgen kann.


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Ruby schrieb am 09.06.2015


Hallo Luna,

danke für den interessanten Beitrag.

Also eigentlich sage ich für mich das ich Rack bin, weil ich mich mit den Dingen gerne beschäftige, was kann, was geht, was kann passieren und so weiter und ich lasse mich dann bewusst drauf ein, das es an mir gemacht oder mit mir probiert wird. So wie mir auch bewusst ist, das bei allem was passieren, so wie das sich Dom beim Spanken die Hand brechen kann. Also Risiko gibt es überall,jedoch gibt es auch Dinge, wo man "Rack" benötigt und SSC versagt, denn bei den Dingen muss Sub genauso bescheid wissen was da alles wirken kann und nicht nur darauf vertrauen, Dom wird das schon machen.

Den Gesunden Menschenverstand setze ich grundsätzlich voraus, das mich überhaupt jemand anfassen darf. ^^

Und jetzt zu dem eigentlichen, denn wenn ich mit jemanden spiele, dann haben wir eher die Tatsache des "Bring mich ans Limit und wenn du willst, geh darüber hinaus". Das Rack bleibt dennoch dabei bestehen, denn mir ist bewusst was dann passiert, wenn man über das Limit geht und breche bewusst dann nicht ab oder will nicht das abgebrochen wird.

Wo soll ich mich also selber einroden? Ach ich mache es mir einfach und Packe es in meine "EverMore" Variante. Denn das ist meine rosa Welt und da herrschen andere Tatsachen. ^^

Aber wenn ich mal als alter Hase aus meinem Nähkästchen plaudere, ich habe mir nie darüber Gedanken gemacht beim Spielen ob das jetzt SSC, Rack, No Limit oder was weiß ich war, ich habe es einfach erlebt. Denn in Wirklichkeit sind die Begriffe nur die Theorie zur Praxis und wie man diese dann umsetzt ist eine ganz andere Sache.

Aber egal was man jetzt für sich als richtig und vertretbar empfindet, man sollte sich immer mit den Dingen beschäftigen, die man auch mal erleben will, man sollte immer eine eigene Meinung haben und vor allem selber denken (Das missfällt ja den Meiste(r)n DE....N Doms, wenn Sub eine eigene Meinung hat. ^^). Dann ist es völlig egal ob es SSC und Co. sein sollte.

Ganz Liebe Grüße,
Ruby


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dag schrieb am 08.06.2015


Liebe Luna,

danke für Deine Ausführungen. Ich bin ja schon was länger dabei und habe erst mit dem Gang ins Internet von den "Sicherheitsschubladen" erfahren.

Ich stimme Dir...
(Zit: Meine Auffassung ist, dass es letzten Endes auf die Menschen ankommt, die miteinander umgehen und wie sie miteinander umgehen (wollen). Im Fokus des gelebten/praktizierten BDSMs muss somit immer der Mensch stehen:)

...absolut zu.

Gerade deswegen aber braucht es keine neuen Konzepte.


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Melanie schrieb am 06.06.2015


Hallo Luna,

in meiner Sichtweise wirfst du gerade Dinge durcheinander.

Gefühle und Beziehungen zwischen Menschen sind toll und die Menschen geben da sicherlich ihr bestes. Aber tun sie das nicht immer? Oder sollten sie es in einer gesunden Beziehung nicht immer tun? Wie sollten da Konzeptabgrenzungen aussehen? Ich bin immer für sub da vs. sie darf mich nur Mittwochs von 12-13Uhr mit ihren Problemen ansprechen?

Es gibt da keine Differenzierung in der Communitiy, denn jeder möchte einen Partner, der sich Mühe gibt und auf das Gegenüber achtet.
Somit fällt dieser Bereich für die Sicherheitskonzepte raus bzw. kann nicht als Differenzierung herhalten, sondern wird Allgemein vorausgesetzt. Deinem Konzept fehlt da einfach die Abgrenzung von verschiedenen Vorgehensweisen.

Damit sind wir dann zwangsläufig bei der Frage: Wenn wir aufeinander aufpassen und unser Bestes geben, welche Risiken sind wir bereit einzugehen? Und da sind wir dann eben im großen Teil bei Techniken, weil sie relativ einfach zu beurteilen sind und in nachgeordneter Form auch bei psychischen Risiken, die über das emotionale Risiko einer normalen Beziehung hinaus gehen. Ich denke hier gerade vor allem an psychische Abhängigkeit. Wobei diese auch schon wieder schwierig zu fassen ist, denn sie wird nur zum Teil wie ein Schlag bewusst herbeigeführt und ergibt sich eben auch oft implizit und unkontrollierbar. So wie eben in einer Partnerschaft auch jemand mehr lieben kann als der andere.

Auf jeden Fall finde ich Sicherheitskonzepte sehr wichtig und sinnvoll, denn sie sagen zum Beispiel aus, ob ich bereit bin gewisse Risiken eben einzugehen (Cutting, Nadeln, Atemkontrolle usw.). Das gibt auch meinem Gegenüber eben Sicherheit. Bei SSC wäre meiner Meinung nach all die Techniken nicht machbar, denn sie sind nicht Safe. Genauso wie Impact Play nur sehr begrenzt safe ist, denn es können ab einen gewissen Level einfach bleibende Spuren entstehen. Aber es gibt eben Menschen, die solche Risiken nicht eingehen wollen. Da ist SSC vermutlich die richtige Wahl.

RACK halte ich für mich für ein sinnvolleres Konzept. Ich informiere mich (so gut es eben möglich ist, denn wir leben in einer unvollkommenen Welt) über Risiken und entscheide mich bewusst dafür, dass ich eben Narben davon zurückbehalten kann, dass ich Bondage so toll finde, dass die geringe Chance auf Nervenschäden für mich akzeptabel ist und dass ich in Kauf nehme für Monate mich nach einer Trennung durchs Leben kämpfen zu müssen, eben weil ich psychisch so abhängig bin.
"Kink" bezeichnet im englischen Sprachraum übrigens den gesamten BDSM-Bereich, dass du da nun individuell eine andere Defintion hast ist da eher von peripherer Bedeutung.

Ja, natürlich kann und muss man das im Detail mit dem Partner eben absprechen. Aber das muss man mit Neigungen und persönlichen Vorlieben auch. So geben SSC, RACK und andere Konstrukte einen ersten Eindruck, so wie es Schlagwörter wie Dominant oder Sadistisch tun. Und in dieser Funktion empfinde ich sie als sehr gut und wichtig.

PS: Ohne dich angreifen zu wollen, habe ich einfach den Eindruck, dass diese Theorie, die du aufstellst aus einer "ich probiere mal mit meinem Partner Dinge aus"-Mentalität heraus geboren sind und mit gemeinsamem Herantasten vielleicht gut funktionieren mag. Trifft man sich schon auf der BDSM-Schiene, hat schon Erfahrungen und steigt damit auf einem höheren Level ein und setzt viel voraus, dann helfen diese Konzepte um grundsätzliche Standpunkte einschätzen zu können.


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