Alles Verhandlungssache?

Fremdspielen, Spielbeziehungen und die Liebe

Auf den ersten Blick scheinen BDSMer deutlich entspannter in Beziehungsdingen zu sein als der sprichwörtliche Vanilla: „Fremdspielen“ und „Spielbeziehung“ sind gängige Begriffe. Ob auf Partys oder unter Freunden Subs verliehen werden oder Doms anderer Herren und Ladys Untergebene bespielen dürfen, scheint allenfalls Verhandlungssache zu sein. Ansonsten präsentiert sich die BDSM-Szene als ähnlich vergnügungsorientiert promiskuitiv wie die Swinger- oder Schwulenszene. Doch wie auch dort täuscht der erste Eindruck zuweilen.

Zugleich führt schon dieser erste Blick von außen ins Chaos der Begrifflichkeiten. „Session“, „Spiel“, „Spielbeziehung“ – was ist was, und wie scharf lässt sich das Ganze von einer herkömmlichen Beziehung scheiden? Nur weil BDSMer in Beziehungsdingen aus schierer Notwendigkeit häufiger dazu neigen, miteinander zu reden, heißt das noch nicht, dass das Thema einfacher ist. So vielfältig wie die Möglichkeiten sind auch die Beweggründe.

Einer der häufigsten Anlässe, Erfüllung außerhalb einer Beziehung zu suchen – und dabei nicht selten der Anfang vom Ende ebendieser – ist das Entdecken der Neigung zu BDSM: Plötzlich ist man sich über ein wesentliches Element seiner Sexualität im Klaren, will es ausleben, und muss feststellen, dass der Partner so gar nichts mit Fesseln und Gefesseltwerden, Hauen und Gehauenwerden oder Beherrschen und Sich-Unterwerfen am Hut hat. Vielleicht macht er oder sie ab und zu mit, aber dann eher um des lieben Friedens willen; aber bitte nicht zu hart oder zu abseitig. Irgendwann kommt dann der Gedanke, diese Aspekte mit jemandem anderen auszuloten. Nun wird es spannend, denn egal ob Spiel- oder Fremdbeziehung, Macht und Vertrauen spielen immer eine große Rolle. Eine Frage des Vertrauens

Ein Weg ist der, der viele Männer zu Professionellen gehen lässt: Was meine Partnerin nicht weiß, macht sie nicht heiß, also am besten gar nichts sagen. Jenseits des Problems, dass gerade Bottoms eventuell Spuren verstecken oder wegerklären müssen, ist das freilich ein erheblicher Vertrauensbruch. Derartige Heimlichkeit in so elementaren Dingen bringt eine Beziehung an ihre Grenzen schon bevor solche Ausflüge auffliegen, denn sie beeinflusst das alltägliche Miteinander. Ein anderer Weg bricht nicht Vertrauen, sondern setzt es in hohem Maß voraus: Man erfüllt sein BDSM-Verlangen mit anderen, aber mit dem Wissen des Partners. Die Varianten hier sind vielfältig vom „Mach es, damit Du glücklich bist, aber ich will nicht wissen, was Ihr treibt“ bis zu genau geregelten Abkommen, was mit dem oder der anderen erlaubt ist und was nicht.

Die Bandbreite dieser zweiten Variante ist auch in der Szene zu finden, aus unterschiedlichsten Gründen. Sei es, dass der eine Partner in der Beziehung Switcher ist, aber nur eine seiner beiden Seiten mit dem Partner ausleben kann, und so Dom seine Sub-Seite nur mit anderen austesten oder gelegentlich toppende Sub jeden dominieren darf, aber auf keinen Fall den eigenen Dom. Ein weiterer Anlass kann sein, dass trotz vieler Gemeinsamkeiten Spielarten und Praktiken, die einen Partner kicken, für den anderen langweilig oder sogar No-Go sind. Das müssen nicht einmal extreme Sachen sein – nicht jeder Top ist Sadist, nicht jeder Masochist will mit Psychospielchen dominiert werden, nicht jede Sub will eine Klinge auf der Haut spüren.

Die Vielfalt dessen, was der Begriff „BDSM“ umfasst, erfordert den häufigen Austausch nicht nur bei potenziellen Partnern, sondern auch innerhalb einer stabilen Beziehung: Neugier auf Neues, Grenzen erkennen, definieren, austesten und überwinden, eigene Vorlieben mit denen des Gegenübers vergleichen und abstimmen und was der Dinge mehr sind. Hinzu kommt der Charakter der BDSM-Szene als bei aller Uneinheitlichkeit immer noch überschaubare und vom Mainstream getrennte Gruppierung. Unabhängig, ob ihre Mitglieder sich als Elite oder als ins Ghetto gedrängt empfinden, dieser Aspekt fördert den Zusammenhalt und senkt Schwellen unter Gleichgesinnten.

So sind einschlägige Partys für viele Gelegenheit, sich einmal nicht verstecken zu müssen, sich unbelastet auszutauschen, sich inspirieren zu lassen und neue Erfahrungen zu sammeln. Man ist unter sich, teilt Leidenschaft und Vorlieben und ist zudem dank Umgebung und Losgelöstheit vom Alltag offener. Da BDSM nun einmal eine hochgradig sexualisierte Beschäftigung ist, wird gespielt, es finden Szenen und Sessions in unterschiedlichsten Konstellationen statt.

Dies ist – wie eingangs in der Analogie zu Swinger- und Schwulenszene erwähnt – Ausweis szenetypischer Gepflogenheiten und demonstrierten Gemeinschaftsgefühls. Zugleich zeigt es die Schwierigkeit, das Thema zu fassen, betrachtet man die Spielvarianten auf so einer Party als Beispiele. Hier treffen sich Menschen, die in einer wie auch immer gearteten festen Beziehung leben und auch bei solchen Gelegenheiten nur miteinander zugange sind. Andere kommen mit einem Spielpartner, mit dem sie sich eben nur zu solchen Gelegenheiten treffen. Wieder andere kommen mit regulären Partner, spielen aber an diesem Abend mit anderen. Die einen spielen allein mit Ritualen im Auftritt auf der Party, andere legen mit Seil und Gerte heftig Hand an, für andere wiederum gehört vollendeter Geschlechtsverkehr dazu. Alles ist nur ein Spiel? Wo fängt Fremdspielen an? Wo fängt Sex an? Beim Kopfkino während der Session? Beim Anfassen? Beim Austausch von Körperflüssigkeiten? Sollbruchstelle Eifersucht?

Im Kleinen demonstriert eine Party, dass neben Macht und Vertrauen Eifersucht als dritter Punkt eine Rolle spielt. Jeder der Beteiligten hat die Beziehung in der Hand und muss mit dieser Macht umgehen. Jeder der Beteiligten muss Vertrauen zu den anderen und zugleich das Vertrauen der anderen haben. Und dann muss die Eifersucht im Zaum gehalten werden, auch wenn sie nicht immer unberechtigt ist. Gerade beim BDSMigen Spiel macht Gelegenheit nicht nur Hiebe, sondern gelegentlich Liebe. Vertrauen und Eifersucht sind auch an anderer Stelle von Bedeutung: Aufgrund der doch recht individuellen Vorlieben und der Schwierigkeit, genau passende Partner zu finden, sind BDSM-Beziehungen relativ häufig Fernbeziehungen. Lange Durststrecken zwischen den kurzen gemeinsamen Momenten verführen mitunter dazu, sich gelegentlich anderweitig zu betätigen - was auch im gegenseitigen Einverständnis problematisch werden kann.

Nicht allein deswegen, weil gemeinsam festgelegte Grenzen einseitig überschritten werden, weil ein Partner ständig und vielfältig mit anderen spielt, während der andere mangels Zeit, Lust und Gelegenheit zurücksteckt, aber dann doch eifersüchtig wird, oder sich schließlich Liebe jenseits der Beziehung entwickelt. Vor allem auch, weil selbst eine „just for fun“ veranstaltete Session sehr intensiv und emotional werden kann. Die Achterbahnfahrt der Gefühle zwischen Lust und Schmerz, die anschließende Nähe beim – durchaus gegenseitigen – Auffangen erzeugen im Zweifelsfall eine größere Intimität als ein unverbindlicher One-Night-Stand.

Noch intimer wird es, wenn ein Paar seine Beziehung um gemeinsame Spielpartner erweitert, denn nun holt es mit dem Objekt der Begierde den potenziellen Trennungsgrund in die eigene Schutzzone. Was als Ausleben spannender Fantasien und über die Beziehungsgrenzen hinausreichender Träume beginnt, kann so eine Beziehung wesentlich schneller und tiefgreifender erschüttern als das gelegentliche Spielen etwa auf einer Party. Polyamorie ist in der Theorie ein so elegantes wie rationales Konzept, in der Praxis jedoch in den seltensten Fällen realistisch. Dies nicht zuletzt, weil alle Beteiligten ihre Zeit und ihre Gefühle auf mehr Häupter verteilen müssen und das jeder Beziehung immanente Konfliktpotenzial ebenso mit der Teilnehmerzahl wächst. Chancen wahrnehmen

Sind also Spielbeziehungen und selbst vereinzelte Sessions mit anderen als dem gegenwärtigen Lebensabschnittsgefährten viel zu riskant, als dass man sie wagen sollte? Angesichts der möglichen Stolpersteine drängt sich dieser Eindruck auf. Doch es zeigt sich an vielen realen Beispielen, dass Fremdspielen und Spielbeziehungen sehr wohl mit einer Beziehung zusammengehen und dauerhaft funktionieren. Das klappt allerdings nur, wenn die Begleitumstände passen. Kommunikation, Respekt und Vertrauen sind die Grundsteine einer solchen Konstellation. Und sie wollen mehr als in einer traditionellen Non-BDSM-Beziehung aufgebaut und gepflegt werden.

Der Vorteil, den BDSMer dabei haben: Sie neigen in der Regel eher als der Durchschnitt dazu, neue Erfahrungen zu suchen und starke und unvorhersehbare Reize auszukosten. Dieser Hunger auf Neues trägt dazu bei, sich leichter auf mehr Partner, mehr Spielarten und mehr Zusatzelemente bei Session und Sex einzulassen. Zugleich sind diese Charakterzüge durchaus typisch für Menschen, die sich ihrer Liebe und der Liebe anderer sicher sind. Von dieser Basis aus lässt sich leichter etwas wagen, als wenn man ständig über die Schulter blickt, um zu prüfen, was der andere Part der Partnerschaft gerade tut oder denkt. Ob eine Spielbeziehung ein Prüfstein oder eine Bereicherung ist, hängt davon ab, ob man sich der Risiken bewusst ist und bereit ist, sich ihnen zu stellen.

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