Warum die Kinder Bescheid wissen...

Ich bin das, was man neudeutsch vielleicht am ehesten mit Lifestyle-Sadomasochist umschreiben kann. In meinem Leben gibt es allerdings auch noch eine Menge anderes außer dem Sadomasochismus. Dazu gehören vor allem meine drei Kinder, von denen ich zwei weitgehend alleine erziehe, meine Hobbies, meine Partnerinnen und meine Arbeit.

Die Jungs sind übrigens inzwischen fast erwachsen. Kinder, Familie und Freunde wissen über die Sache mit dem Sadomasochismus seit Jahren Bescheid. Auch Rituale wie Knien oder Halsband anlegen gehören zum gelebten Alltag bei uns, der vor den Kindern nicht versteckt wird. Mein Schlafzimmer ist voller Spielzeug und einschlägiger Literatur und für jeden in der Wohnung frei zugänglich, zwei dicke Haken zieren den Deckenbalken im Wohnzimmer.

Warum das bei uns so ist? Nun, als uns mein Ältester im Alter von 6 bei einer intensiven Session "erwischte", gab es eigentlich nur zwei Möglichkeiten. Das Verstecken, Beschwichtigen, Verheimlichen oder aber die altersgerechte Erklärung dafür, wie Papi mit Mami umgegangen ist. Das wichtigste war mir, dass ihm klar wurde, dass die Eltern einander nicht im Streit, sondern aus liebevoller Lust so behandelten.

Nach dem Scheitern meiner Ehe stellte sich die Frage erst recht, ob und in wie weit ich meine Kinder Anteil nehmen lassen sollte an dem, was mein Leben in weiten Teilen bestimmt. Ich habe mich dazu durchgerungen, völlig offen zu leben.

Das heißt jetzt nicht, dass bei uns der Geschlechtsverkehr auf dem Wohnzimmertisch während der Tagesschau stattfindet und die Rohrstöcke in der Küche neben dem Besen gelagert werden. Es heißt aber sehr wohl, dass die Kinder wissen dürfen, was passiert, wenn wir abends die Wohnzimmertüre abschließen oder uns für eine Bardeparty aufbrezeln.

Sie wissen über die grundsätzlichen Dinge wie Machtgefälle, SSC und Rollenverteilung Bescheid und kennen sich mit der Symbolik der Ringe und Halsbänder aus, denn sie haben auf alle Fragen fast immer eine offene und ehrliche Antwort erhalten.
Sie kennen meinen Freundeskreis, wissen was SMart bedeutet und sind immer gut damit umgegangen, wenn ich mal wieder drei Abende die Woche zum Thema "SM unter Karnickelzüchtern" unterwegs sein musste oder die Wohnung voll schwarz gekleideter Gestalten war.

SM ist bei uns Alltag und wird dadurch auch für sie etwas Alltägliches, dem man nicht mit Misstrauen begegnen muss. Einfach war das für mich ganz sicher nicht. Ich bin über die Jahre mit einiger Ablehnung konfrontiert worden, was die Offenheit gegenüber den Kindern betrifft.
Oft genug habe ich mich selbst gefragt, ob das Überschreiten gesellschaftlicher Konventionen in diesem Rahmen nicht doch aus Egoismus geschieht, und den Kids mehr schadet als nutzt. Doch es gibt für mich eine Reihe von guten Gründen, den vermeintlich schwierigeren Weg zu wählen.

Ich möchte, dass meine Kinder offene und freie Menschen werden, die ihre sexuellen Wünsche nicht unter einem Deckel scheinheiliger Moral verstecken müssen. Ich kann nicht für die gesellschaftliche Anerkennung von Sadomasochismus streiten und gleichzeitig die Neigung vor den eigenen Kindern geheim halten, die ja selbst Teil dieser Gesellschaft sind.

Meine Kinder sollen spüren, dass ich ihnen und ihrem Urteil vertraue. Das bedeutet unter anderem, dass ich ihnen zwar klar mache, was es für Konsequenzen haben kann, wenn sie mit den seltsamen Neigungen ihres alten Herrn hausieren gehen, ihnen aber keine Verbote mit auf den Weg gebe.
Ich möchte keine Lügen oder Heimlichkeiten mit mir herumschleppen, schon gar nicht gegenüber meinen Kindern. Solche Lügen haben die Angewohnheit zu wachsen. Immer kompliziertere Gebilde der Halbwahrheit im Kopf verstellen irgendwann den Weg zu offener Kommunikation und mindern das Vertrauen.

Sie sollen sich stets sicher sein, dass aus wichtigen Themen keine Geheimnisse gemacht werden, wie es in vielen Familien der Fall ist. Die Jungs sollen so gut es geht lernen, dass sie die Wahl haben und, im Rahmen der Gesetze und der üblichen zwischenmenschlichen Rücksichtnahme natürlich, selbst entscheiden können, wie sie leben wollen. Nicht die Meinung der Nachbarn soll im Zweifelsfalle maßgebend sein, sondern der Einklang mit sich selbst.

Inzwischen haben wir alle miteinander einen sehr entspannten, humorvollen Umgang mit diesem Thema gelernt. Die Burschen kommentieren das Geschehen schon mal sehr selbstbewusst mit klugen, witzigen Sprüchen, die schon so manche Szene gesprengt und in allgemeine Heiterkeit aufgelöst haben.
Einer von beiden ist neulich ganz selbstverständlich mit in den Baumarkt gegangen, um beim Aussuchen diverser Eisenteile dabei zu sein, die wir für den Bau einer neuen Spreizstange benötigten. Beide sind offen gegenüber "abweichenden" Formen der Sexualität und haben die Phase "Schwule sind schrecklich" sehr viel schneller hinter sich gebracht als ihre Altersgenossen.

Dabei sind sie durchaus selbstbewusst darin, dass sie SM für sich selbst nicht haben wollen. Sie sind insgesamt toleranter, was andere Lebensformen betrifft. Dadurch, dass das Thema Sex und SM nie tabuisiert worden ist, können sie heute relativ sicher mit der ganzen Materie umgehen.
Sie sind weder verklemmt, noch ist Sex für sie das Überthema, wie es in ihrem Alter oft üblich ist. Sie können das, was sie aus unserem 24/7 Spiel zu sehen bekommen, ziemlich gut beschreiben und nehmen auch die liebevollen Nuancen und Gesten wahr.

Was mir am sichersten das Gefühl vermittelt, richtig gehandelt zu haben ist, dass die Jungs sowohl mich als auch meine Partnerin ganz selbstverständlich und unverkrampft als mögliche Nachfrage-Stelle für ihre eigene Sexualität in Anspruch nehmen, was ja für Eltern-Kind-Beziehungen keineswegs die Regel ist.
Wir haben auch auf anderen Gebieten viel Vertrauen zueinander. So erzählen sie z.B. ohne allzu große Hemmungen von sich aus von ihren ersten Erfahrungen mit Alkohol, wohl wissend dass ich zwar die Stirne runzeln, ihnen im Zweifelsfalle aber erst einmal die gleiche Freiheit einräumen werde, wie ich sie für mich selbst in Anspruch nehme.

Nachtrag vom 11.03.2009:

Seit dem Schreiben dieses Textes sind nunmehr einige Jahre vergangen. Inzwischen sind die Kinder längst erwachsen und flügge. Ich bin dennoch der Auffassung dass inhaltlich nichts zu ändern ist...

Verfasser Sven

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