Von der Schwierigkeit, sich selbst zu erkennen und zu akzeptieren

Geschrieben von Serenity

Für mich war nicht schon immer klar, dass ich dominant bin. Keine geheimen Kinderfantasien oder Jugendträume, zumindest nichts, was mir damals schon klar gewesen wäre. Ich bin da auch gar nicht so einfach drauf gekommen. Klar, ich wusste, dass es BDSM gibt. Ich habe sogar eine zeitlang (ich glaube, mit 15 oder so) die zugehörigen Wikipedia-Artikel rauf und runter gelesen und war fasziniert davon, dass Menschen das toll finden. Ich habe auch die ein oder andere gute BDSM-Geschichte gelesen. Einen Bezug zu mir selber habe ich allerdings nicht hergestellt.

Das kam erst ein paar Jahre später. In der Zwischenzeit hatte ich den jugendlichen Selbstfindungsprozess durchlaufen, hatte mein Selbstbild gefestigt und wusste in etwa, wer ich bin, wie ich bin und was ich will – dachte ich zumindest. Ich bin „von Haus aus“ gerne nett, freundlich, auch hilfsbereit und generell ein sanfter, kompromissbereiter Mensch. Das liegt mir einfach, ich handle gerne so, ich bin so. Man sieht es mir sogar an, weil ich einfach lieb und nett aussehe und wirke, und das passt mir sehr gut. Dieses Selbstbild war nicht immer so, als Jugendliche wollte ich „stark und hart“ sein, da mochte ich diese weiche Seite nicht. Mit der Zeit habe ich mich in diesem hauptsächlich weichen Bild wiedergefunden, weil ich ja wusste, dass ich im Notfall auch darüber hinauswachsen kann und die Härte nicht betonen muss.

 

Tja, und dann gab es vor ein paar Monaten den Zeitpunkt, an dem sich ein paar Puzzleteile zusammengesetzt haben. Ich erinnere mich noch an den Moment, das war mitten während einer Sexfantasie. Viele meiner Fantasien waren nämlich mit ausgeprägtem D/S-Kontext, den ich immer dadurch weit von mir geschoben habe, dass ich mir die Szenarien immer nur für Fantasiefiguren (PC-Spielcharaktere, Pen&Paper-Rollenspiel-Charaktere) vorgestellt habe. Die waren es dann, die das getan haben und denen dies und jenes passiert ist, nicht etwa ich. Bis mir plötzlich aufging: „Hey, du stehst da ja wirklich drauf!“ Hat lange genug gedauert, das nach all den Jahren der Fantasien mal zu bemerken, aber es war trotzdem eine neue Erkenntnis für mich. Als ob ich zuvor blind gewesen wäre.

 

Mit diesem Gedanken fing der neue Selbsterkenntnisprozess erst richtig an. Erstmal fielen mir lauter Situationen und Erlebnisse ein, die ebenfalls in Richtung BDSM wiesen. Zum Beispiel, dass es mir gefällt, wenn andere zu mir aufsehen und wollen, dass ich sie anführe. Dass mein Charakter beim Pen&Paper Anführer der Gruppe war und letztendlich alle auf mich hören mussten. Dass Standard-Tanz nie wirklich gut geklappt hat, weil ich entweder die Führung übernommen, oder aber bei gut führenden Tanzpartnern mich widersetzt und nicht genug auf deren Führung reagiert habe. Dass es mir, als mich jemand aufgefordert hat, ihn doch mal mit einem Lineal zu schlagen, richtig Spaß gemacht hat. Und so weiter.

Das alles passte nun überhaupt nicht zu meinem vorher beschriebenen Selbstbild. Ich bin kompromissbereit und freundlich und wünsche mir Gehorsam, ich bin hilfsbereit und sanft und habe vielleicht Spaß am Schlagen? Das bin doch nicht ich, dachte ich mir. Ich bin schließlich lieb und nett. Zu mir würde es doch viel eher passen, aus eigenen Schmerzen Lust zu ziehen, mich selber zu erniedrigen als daran, andere gerne leiden, knien, dienen zu sehen. Andere können ja gerne dominant sein, aber ich? Nein, das passt nicht.

So in etwa waren meine Gedanken dazu.

 

Ich wusste, dass dieses anerzogene „man schlägt keine anderen Menschen“ und so weiter im BDSM-Kontext hinfällig ist, wenn beide Beteiligten es wollen. Trotzdem war die Hemmung riesengroß, auch nur die Gedanken zu akzeptieren, ich könnte das wirklich ausüben wollen, anstatt es als Kopfkino zu belassen. Ich hatte ein, denke ich, vernünftiges Bild von BDSM, hielt es weder für unnatürlich noch überhaupt für seltsam, aber trotzdem hatte ich Schwierigkeiten, meine Neigung zu akzeptieren. Es war nicht der Gedanke „ich bin krank/pervers/etc.“, sondern der, dass ich es einfach überhaupt nicht mit mir selbst vereinbaren konnte, dominant zu sein. Ich wünschte mir beinahe, devot zu empfinden, weil das viel besser dazu gepasst hätte, wie ich mich selber sah – aber das ging nicht, denn das fühlte ich einfach nicht.

 

Das hieß dann: Doch nochmal zurück zu dem Gedanken, vermutlich aus Machtausübung Lust zu ziehen. Denn mich selber belügen, wenn ich einen Selbsterkenntnisprozess durchlaufe, will ich ja auch nicht. Geholfen hat mir dabei eine dominante und sadistische Freundin, die diesen mir damals unüberwindbar erscheinenden Kontrast gut in sich vereint. Geholfen hat mir auch ein Freund, mit dem ich über diese Gedanken sprach, der meinte, er nehme mich sehr wohl auch als dominant war, nämlich in dem Sinne, dass ich sehr genau wisse, was ich wolle und das auch eigentlich immer durchsetze – nur eben durch meine liebe Art statt durch Strenge, mit Zuckerbrot statt Peitsche.

Damit kam zum ersten Mal der Gedanke, dass ich nicht nur hart und streng sein muss, um dominant zu sein. Zu der Zeit hatte ich mich auch schon im Gentledom-Forum angemeldet und dort Ähnliches gelesen: Dominanz kommt auf verschiedenen Wegen, stellt sich unterschiedlich dar. Soweit, so gut. Ich konnte mittlerweile akzeptieren, dass ich „so“ bin, aber es gab noch ein anderes Problem. Denn natürlich wusste ich rein rational, dass es viele Menschen gibt, die devot sind und sich einen dominanten Partner wünschen. Ich las deren Beschreibungen und Schilderungen im Forum, im Blog und in anderen Medien, sodass ich mir immerhin vorstellen konnte, was sie wollen. Trotzdem konnte ich nicht verstehen, dass sie es wollen, ich konnte mich nicht in sie hineinversetzen. Ich wollte verstehen, wie devote Personen im Augenblick der Unterwerfung empfinden, denn auch wenn ich wusste, dass meine Wahrnehmung natürlich kein allgemeingültiger Maßstab ist, bereitete mir trotzdem die Vorstellung Unbehagen, jemandem etwas anzutun, das für mich schlimm und kaum aushaltbar wäre. „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu“ hat da seine Spuren hinterlassen.

 

Eine Freundin brachte mich in Kontakt mit einem Paar, damit ich mich persönlich mit dem Sub unterhalten konnte. Die dominanten Gefühle kannte ich ja schon, mir fehlte die Sichtweise der „anderen Seite“. Praktischerweise ist er auch mehr devot als masochistisch und konnte mir daher genau das beschreiben, was mich am meisten interessierte. Er schilderte mir, wie er sich damit fühlte, seine Freundin als Dom zu haben, sowohl während eines Spiels als auch was es generell für ihn bedeutet. Es direkt zu hören, ist für mich doch nochmal etwas anderes, als Beschreibungen zu lesen. Die devoten Gefühle, die er schilderte, kann ich hier nicht wiedergeben – so gut kann ich mich auch jetzt nicht da rein versetzen, als dass ich es treffend beschreiben könnte – aber es war auf jeden Fall so eindrücklich, dass ich nicht nur hörte, sondern richtig merkte, dass es genau das ist, was er will, braucht und womit er sich wohlfühlt. Diese Realisierung war für mich ganz wichtig, also das nicht nur theoretisch zu wissen. Denn im Hinterkopf hatte ich zuvor einfach noch dieses: „Ich kann mir nicht vorstellen, wie man aus Unterwerfung Lust ziehen kann. Wie ist das möglich? Was sich mir nicht erschließt, kann gar nicht so richtig wahr sein“ und das, obwohl ich wie gesagt ja weiß, dass mein Empfinden nicht der Maßstab für das anderer Leute ist.

Bei Dingen, die mich nichts angehen, fahre ich gut damit einfach zu sagen „jeder so, wie es ihm gefällt“, selbst dann, wenn ich es absolut nicht nachvollziehen kann. Denn es trifft ja nicht mich, da muss ich es auch nicht nachvollziehen und nachempfinden können. Hier ist es plötzlich so, dass ich, um meine Fantasien ausleben zu können, darauf angewiesen bin, dass tatsächlich Leute devot empfinden. Damit ich guten Gewissens meine Dominanz akzeptieren kann, muss ich tief drinnen realisieren, dass es Menschen gibt, die sich eben diese Dominanz von mir wünschen. Das theoretische Wissen darüber reicht nicht mehr. Dafür war das persönliche Gespräch mit einem devoten Menschen sehr wichtig, dadurch konnte ich auch diese Hürde überwinden.

Denn da es andere Menschen gibt, die sich von ihrem Partner genau das wünsche, was ich bin und machen will, ist ja alles prima und ich bin mit mir im Reinen.

 

Geschrieben von Serenity


Kommentare:


Tiefgang65 schrieb am 26.05.2015


Toll beschreiben, wie Du lange ignoriert und geradzu verleugnet hast, was an sich offen erkennbar war.
Ich kenne das aus männlicher Sicht auch! Ich bin in einem Frauenhaushalt großgeworden. Meine Mutter musste sich Anfang der 70er-Jahre als Alleinerziehende durchschlagen, als dies noch ungewöhnlich und von niemanden unterstützt wurde. Gleichzeitig war sie beseelt von den Gedanken der sog. 68er-Generation, die Emanzipation und Feminismus mitbrachten. Für sie war klar: im Gegensatz zu ihrem Ex, der chauvinistisch, alkoholabhängig, untreu und manipulativ war, sollte ich mal ein "besserer Mann" werden, ein "Frauenversteher" werden. Und was will ein kleiner Junge, der gerade den Vater verloren hat, mehr, als wenigestens der Mutti zu gefallen - aus Angst, sonst vollkommen verlasen zu sein.
Es ist mit einer solchen Prägung und in einem gesellschaftlichen Umfeld, dass Männer als "alles Schweine" verdächtigt, nicht leicht, seine Männlichkeit gesund zu entwickeln. Schon "normale Männerrituale" galten mir als Jugendlicher als suspekt und primitiv. Erst recht aber, Frauen offensiv mit meiner Lust zu konfrontieren und dabei auch meine Kraft, Geilheit und latente Aggression offen zu zeigen. Gar schlagen? - UNDENKBAR ;-)
Auch ich brauchte als erwachsener Mann das konkrete Erlebnis, das wohlige Zittern einer devoten Frau zu spüren, wenn ich ihr fest in den Nacken fassen, um meine Dominanz endgültig und quasi zärtlich als "für manche Menschen liebenswerte Form der Sexualität" selbst anzunehmen :-)
Tristan


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cuisi schrieb am 01.05.2015


Hallo ;)
Ich habe deinen Beitrag auch in mich hinein geschlungen weil ich zwar meine und etlich andere Heran-und Umgehensweisen mit der devoten Neigung kenne, aber mit nichten Erfahrungen in Sachen der dominanten Neigung nachweisen kann.
Spannend finde ich daran, dass ich für mich immer dachte, das ICH arme devote Frau so ein schweres Los gezogen habe, weil sich meine sexuelle Neigung natürlich auch nicht mit dem versteht, was ich a.) für mich im Alltag empfinde und b.)die Gesellschaft von mir "erwarten" könnte.
Deine Schilderung hat mir hierzu ein Lächeln auf die Lippen gezaubert. Danke dafür.


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Feuerpferd schrieb am 30.04.2015


Sehr schöner Beitrag! :)
Da ich selbst Switcherin bin, fand ich es interessant, zu lesen, dass Du Dich so überhaupt nicht in die Rolle des Subs hineinversetzen konntest.
Grinsen musste ich , als ich das Tanzproblem las. Dazu neige ich auch.
Der Mann, der mich führen kann, muss schon sehr dominant sein, :D

Danke, dass Du Deine Gedanken mit uns geteilt hast.


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