Die ersten Schritte

Es will mir irgendwie immer noch nicht in den Kopf, wie sich meine Welt innerhalb weniger Wochen so verändern konnte. Mal abgesehen von der ein oder anderen Schwierigkeit im Leben hielt ich mich eigentlich immer für eine relativ normale Frau, oder besser gesagt, für eine Frau, die gerne normal sein wollte...

Das ist wohl der bessere Begriff dafür. Jahrelang habe ich versucht, die „normalen“, wünschenswerten Eigenschaften an mir zu fördern und die unerwünschten, die „dunklen“ Triebe auszumerzen. Ich habe in meinem Leben immer nur gekämpft – mal gegen die Umstände, mal gegen mein Umfeld, aber hauptsächlich immer gegen mich selbst und meine Unzulänglichkeiten.

Ich habe alles versucht, so wie die anderen zu sein. Genauso treu, pflichtbewusst, immer lächelnd und NORMAL! Und oh Wunder! Obwohl Glück alles war, was ich immer suchte, ging es mir nie richtig gut dabei. Nicht nur, dass ich mir jahrelang das Leben versagt habe, das meiner Persönlichkeit wirklich entsprochen hätte – ich habe auch alles unterdrückt, was nicht in dieses „normale“ strahlende Bild hineingepasst hat. Stattdessen habe ich immer an die „anderen“ gedacht.
Was würden sie denken, wenn sie wüssten... Was würden sie sagen? Meine Bekannten, meine Eltern, mein Partner? Das war viele Jahre lang das Wichtigste in meinem Leben. Die Angst, entlarvt zu werden – die Angst, dass andere erfahren könnten, was WIRKLICH in mir vorgeht... Die Angst, das jemand herausfinden könnte, wer und was ich wirklich bin.

Ich hatte diese devote Ader schon immer – aber schon als Kind musste ich besonders stark tun, damit es nur keinem auffiel... ich fühlte mich regelrecht bedroht von dem Wunsch, mich zu unterwerfen, ausgeliefert zu sein, deshalb tat ich ALLES, damit es bloß niemandem auffiel. Das änderte sich auch später nicht – ich war eigentlich immer auf Provokation getrimmt.
Mit dem Resultat, dass ich nur nette Jungs anzog, die auf der Suche nach einer starken Frau an ihrer Seite waren. Ich schoss einen nach dem anderen ab, ohne überhaupt zu wissen, was da genau schieflief, was mir eigentlich fehlte. Stattdessen hasste ich mich selbst, weil ich dachte, ich sei beziehungsunfähig. Ich konnte es mir einfach nicht eingestehen... Es war, als würde allein schon das Aussprechen dieser Wünsche mich zu einem schlechten Menschen machen, über den man nur den Kopf schütteln konnte. Emanzipation und so. Richtige Mädels haben stark und selbstbewusst zu sein. Die Frau von heute steht ihren Mann - und über ihm...
Und irgendwie verkörperte ich das, obwohl es gegen meine allertiefsten Überzeugungen stand. Denn in meinem Inneren wollte ich einen Mann, der mir gewachsen, mir sogar über ist. Der mich beschützt – und der mich führt. Ein Konflikt, der mich fast auffraß mit seiner (scheinbaren) Widersprüchlichkeit. Denn wenn ich einen überlegenen Mann wollte, musste ich ja automatisch schwach sein, oder? Und das passte nicht in mein Weltbild...
Deshalb sperrte ich, ohne es zu wollen, jeden aus, der mir ernsthaft nahe kommen wollte. Mein wahres Leben, mein wahres Ich – die fanden nur im Vorführsaal meines Kopfkinos statt. Ich war überzeugt davon, dass jemand, der diesen wunden Punkt an mir entdeckte, diesen zwangsläufig ausnutzen und mir ernsthaft wehtun musste.
Selbst später, als ich lernte, wenigstens in Teilbereichen zu meinen Bedürfnissen zu stehen, blieb ein großer Teil meines Innenlebens für Außenstehende und sogar für meinen Partner verschlossen. Bis jetzt...

Jetzt stehe ich auf einmal da und schaue fassungslos auf den Kokon, der von mir abgefallen ist. Ich mag nicht mehr. Ich will nicht mehr verstecken müssen, wer ich bin, will keine Angst mehr davor haben, was andere über mich denken könnten. Dafür ist mir Sklavin in mir, die ich in den letzten Wochen besser kennenlernen durfte, zu wichtig geworden.
Diese Frau, die ich da im Spiegel sehe – die steht zu ihren Wünschen, ihren Sehnsüchten, noch zögernd zwar und ängstlich, aber zunehmend selbstbewusster. Und dieses neue Selbstbewusstsein ist viel echter, viel lebendiger als es aufgesetzte Stärke jemals sein könnte. Denn wahre Stärke bedeutet nicht, andere Menschen mit einer Mauer oder einer Maske auf Abstand zu halten um sich sicher fühlen zu können. Wahre Stärke ist es vielmehr, wenn man andere Menschen (nicht alle, aber wenigstens einige wenige) in die eigenen Tiefen hineinblicken lassen kann – ohne Angst vor dem, was sie dort finden könnten.
Ich möchte zulassen können, dass jemand mein ureigenes wahres Selbst erblickt – und ich hinterher noch in den Spiegel sehen kann, selbstbewusst und stolz auf das, was ich bin... Und ich denke, auch wenn der Weg dahin noch längst nicht zu Ende ist, die ersten größeren Schritte sind gemacht. Und vielleicht wird es mir bald schon gelingen, die jahrelang verhasste Sklavin endgültig in mein Seelenleben zu integrieren.


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