Warum Tagebuch führen mehr als ein Ritual ist
Eigentlich kennt man es nur noch aus den Kindheitstagen: man setzt sich an den Schreibtisch oder ins Bett, zaubert sein kleines Büchlein aus dem geheimen Schränkchen hervor, schaut aus dem Fenster und überlegt sich, was man heute erlebt hat, was man erleben will und sich wünscht. Dann legt sich der Füller langsam aufs Papier und die Worte kullern nur so hinaus. Für einen winzig kleinen Moment scheint es fast so, als stünde die Zeit kurz still und für einen Augenblick ist man aus der sich immer schneller drehenden rastlosen Welt hinausgetreten und in die Welt der Worte eingetaucht und innerhalb von 15 Minuten, wenn die letzte Tine getrocknet ist, legt man das wertvolle Büchlein zurück und tritt mit einem zufriedenen Lächeln wieder zurück in den Alltag.
Als mein Dom mir damals vorschlug ein Tagebuch zu führen, hatte ich genau diese Szene von früher vor Augen und da ich sowieso besser und intensiver mit geschrieben Worten umgehen kann, als mit gesprochenen, willigte ich natürlich ein und führe es bis heute.
Was bringt mir ein Tagebuch also und wieso ist es gerade für Anfänger geeignet?
In erster Linie schreibe ich das Tagebuch für mich. Wie habe ich die letzte Session persönlich empfunden? Was war wirklich toll, was kann man verbessern und was fand ich nicht so gut? Ich schwärme oft von meinem Dom oder auch von Überbleibseln der Session. In den Minuten, die ich nur mit dem Schreiben beschäftigt bin, konzentriere ich mich nur auf mich und dieses Tagebuch. Ich verarbeite das Erlebte, setze mich mit mir auseinander und entdecke manche Wünsche oder schreibe Anmerkungen, von denen ich weiß, dass sie mir bei einem Gespräch vermutlich nie oder erst ganz spät eingefallen wären. Obwohl mein Dom und ich ein sehr eingespieltes Team sind, kann er dennoch nicht in meinen Kopf schauen und dementsprechend von manchen Dingen, die da so umherschwirren gar nicht wissen.
Gemeinsam haben wir außerdem ausgemacht, dass ich nicht weiß, ob er überhaupt mein Buch liest (ja, ich bin noch oldschool und schreibe alles handschriftlich auf). Es liegt in der Wohnung an einem vereinbarten Platz. Wenn ich einen Wunsch habe, dann schreibe ich es ebenfalls hinein – ob mein Dom den Wunsch erfüllt oder nicht, ist ihm überlassen. Auch meine Anmerkungen muss es natürlich nicht beachten. Doch das Tagebuch bringt noch mehr. Es hilft ihm außerdem einzuschätzen, was ich möchte, wie ich mich weiterentwickelt habe und und und. Da sich mit der Zeit auch einige Wünsche und Anmerkungen sammeln, kann er vieles in zukünftige Sessions einbauen. Ich persönlich möchte mein Tagebuch nicht mehr missen, aber das liegt vermutlich auch daran, dass ich mich eben erst dann voll und ganz auf mich konzentrieren kann, wenn ich alleine mit einem Stift in der Hand vor einem Buch sitze.
Gerade frischen Partnern kann das helfen sich aufeinander einzustimmen, den anderen besser einschätzen zu können und so den ganzen Verlauf zu optimieren. Auch wenn eine Sub zu schüchtern ist, um alles zu äußern, kann diese Möglichkeit einen anderen Weg bieten. Nicht zu wissen, ob Dom das Tagebuch wirklich liest, kann dabei helfen wirklich nur für sich und somit vertiefter zu schreiben. Man kann das Tagebuch auch in den Alltag einfließen lassen. So kann Dom zum Beispiel Aufgaben im Tagebuch selber hinterlassen, die Sub über den Tag erledigen muss. Das kann handschriftlich geschehen, oder eben über den Pc - je nachdem wie die Entfernung eben gerade ist.
Ihr könnt gerne berichten, ob ihr selber Tagebuch führt und wenn ja und nein, warum. :-)
Ich finde es auf jeden Fall toll und kann es nur empfehlen und nebenbei kann es auch nicht schaden sich ein bisschen Zeit aus dem stressigen Alltag zu picken und sich ganz und gar auf sich selber zu konzentrieren.
devote Wölfin schrieb am 11.05.2020
Ich war zum 1. Mal Sub und total unsicher anfangs, ständig im Fluchtmodus, wenn etwas Neues auf mich zukam und hatte stets ein "wenn" und "aber" auf den Lippen. Irgendwann wurde meinem Herrn mein ängstliches und negatives Denken zuviel und er wies mich an, ab sofort alles niederzuschreiben, was mir im Umgang mit ihm gefällt und was es in mir auslöst.
Dadurch entstand ein positiv geführtes Tagebuch, welches er einmal pro Woche lesen wollte. Wenn wir uns trafen, brachte ich es mit, an den anderen Wochenenden scannte ich es ein und schickte es ihm per Mail. Negatives besprachen wir mündlich oder im abendlichen Chat, das fiel also nicht unter den Tisch.
Ich merkte schon ab und an, dass er bestimmte Dinge, Sätze, Anweisungen verstärkt einbaute, von denen er aus meinen Aufzeichnungen entnehmen konnte, dass sie postitive Gefühle in mir auslösten. Die Bandbreite war allerdings so enorm, dass er genug Auswahl hatte und ich ihn nicht hätte manipulieren können, selbst wenn ich das gewollt hätte.
Inzwischen sind wir nicht mehr zusammen, die Tagebücher habe ich jedoch nicht entsorgt. Sie zeigen mir meine Entwicklung und auch meine Erfolge, wie ich die anfangs negativen Gefühle in positive umwandeln konnte. Hätte ich ein "übliches" Tagebuch führen müssen, hätte ich auch negativ empfundene Ereignisse dort verschriftlicht und die Aufzeichnungen hätten mich immer wieder in die damals empfundene negative Gefühlswelt zurückkatapultiert,
Hallo devote Wölfin,
danke für deinen ausführlichen Bericht - das freut mich wahnsinnig zu lesen. :-)
Liebe Grüße
Mia
xdeni96x schrieb am 01.02.2018
Ich finde das Thema total spannend und auch interessant.
Anfangs wusste ich nicht, ob ich Tagebuch führen möchte oder nicht. Mein Dom hat mir zwar nicht den Vorschlag dazu gemacht, aber ich habe vor kurzem dann doch mal angefangen.
Da wir nicht zusammen wohnen, kann er es natürlich auch nicht lesen, aber wenn ich zu ihm fahre, dann habe ich es natürlich immer in der Tasche und er könnte theoretisch jederzeit darauf zurückgreifen und es lesen, ob er das macht oder nicht weiß ich selbst meistens nicht.
Vorher stand ich dem Thema immer mit kritischer Miene gegenüber, da ich es nicht so toll fand, wenn ein anderen mein Tagebuch liest oder zumindest die Möglichkeit dazu hat, aber mittlerweile ist mir das so wichtig geworden, dass ich es auf keinen Fall mehr missen möchte. Und es hat doch auch so seinen Reiz nicht zu wissen, ob der Dom es denn nun gelesen hat oder nicht. Besonders da Dom das Gelesene ja nicht zwingend in die nächste Session einbauen muss, sondern damit ja auch warten kann bis man selbst eventuell nicht mehr daran denkt oder nicht damit rechnet.
Eine andere Sub hat mir auch mal erzählt, dass sie ihr Tagebuch als eine Art eigene Website hat und somit eigentlich jeder Zugriff darauf hat (sofern die Seite nicht passwortgeschützt ist, und ja das geht ;-)). Das wäre mir persänlich dann doch etwas zu öffentlich, aber für sie scheint das ja auch ein Reiz zu sein.
Liebe Grüße :-)
Fortis Submissive schrieb am 27.01.2018
Hallo....
Wie schoen das Ihr so offen hier schreibt. Ich und mein Dom stehen auch in der Anfangsphase....
Das Tagebuch ist ein muss fuer mich...es erlaubt alles....nimmt meine Gedanken auf...mein Dom wird es lesen und mit mir besprechen da wir nicht zusammen leben...
Meine erste Aufgabe habe ichheute bekommen....
Liebe Guess
Fortis Submissive
Igraine schrieb am 18.11.2017
Danke für dieses Thema.
Selbst noch Anfängerin haben wir uns gemeinsam entschlossen, dass ich Tagebuch führe und die letzte Session aus meinem Blickwinkel schildere.
Dabei entdecke ich besser meine Empfindungen; insbesondere sehe ich auch die Stellen, wo es nicht so gut gelaufen ist und wir anders ansetzen sollten.
Alles in allem kein leichtes Thema.
Natürlich gibt ein Tagebuch Möglichkeit mal reflektiert auf sich zu schauen. Die Dinge auch beim Namen zu nennen. Und es bietet die Chance sich kennenzulernen und einzugreifen.
Soweit so gut.
Dennoch gibt es auch die Kehrseite - für Anfänger noch mehr?
Alles schön mit einer unerfahrenen Sub. Aber wenn man auch einem unerfahrenen Dom gegenübersteht, ist das nicht so einfach.
Dom ist von der Rolle her überlegen, dominant, sicher, souverän.
Das Auszustrahlen und auch über Unsicherheiten hinwegzugehen und im Spiel zu bleiben, ist sicherlich keine einfache Sache. Gerade wenn man neu beginnt.
Und dann kommt mit einem Tagebuch auch nochmal alles aufs Tablett, was verbesserungswürdig war.
Und dann fragt sich Dom doch vielleicht: "Wer hat eigentlich hier das Sagen? Muss ich alles so gestalten, dass es ihr auch gefällt? Oder was ist wenn es ihr nicht gefällt?" Es kann einfach zusätzlich verunsichern.
In diesem Gefüge sich zurechtzufinden und ein Spiel zu spielen, wo beide mitspielen sollen, aber einer den roten Faden spinnt, ist gerade als Anfänger auf beiden Seiten sehr schwierig.
Ich halte am Tagebuch fest. Sehe aber sehr wohl Ambivalenzen, weil es zu gewissen Zeiten auch mal hinderlich sein kann, zu viele Baustellen zu haben. Sich zu sehr in Frage zu stellen.
Mein BDSM liegt daher momentan brach, weil beide Seiten sich nochmal Gedanken machen müssen, wie sie miteinander umgehen können, was sie erwarten, was sie erwarten können. Und zwei Anfänger ist eine herausfordernde Kombination, die auch mal Zeit braucht, zu wachsen. Es ist eine Aufgabe die Bedürfnisse des Partners zu erfassen. Und wie Ceerny schon schreibt: Dom kann nicht in ihren Kopf schauen.
Danke für das Thema, wie eingangs schon gesagt. Es bringt uns nämlich zur Frage: Wie lernen wir in einem solchen Gefüge die Bedürfnisse des Gegenüber kennen und zu erfüllen?
Und Tagebuch ist eine Möglichkeit.
Ehrlich: Und jetzt wäre ich gespannt, wie so ein Tagebucheintrag bei Euch aussieht. ;-)
Hallo Igraine,
danke für Deinen Kommentar. :-)
Ich finde es gut, dass du auch die negativere Seite betrachtet, denn Du hast recht. Ich habe mir auch zu Beginn sehr viele Gedanken darüber gemacht und ich sehe es wie Du, denn so ein Tagebuch kann auch Verwirrung stiften. An dieser Stelle sollte Sub ihre Worte wohl sehr bedacht wählen und auch sehr viel Lob aussprechen. Ich hatte bei meinem Dom bisher auch nur Kleinigkeiten, die ich angemerkt habe, sodass wir immer eine gute Balance hatten. Ich finde es besonders wichtig, dass ich ihm mit meinen Worten nicht im Weg stehe, wenn er sich frei entfalten möchte und sich etwas neues traut.
Ich gebe Dir auch recht, denn ich kann mir vorstellen, dass es nicht ganz einfach ist, wenn sich zwei Anfänger an die Materie wagen. Da hilft nur viel reden und viel Zeit, denn gemeinsam kann man alles schaffen, wenn man es will.
Das wäre mal eine Idee - vielleicht stelle ich mal einen Tagebucheintrag online...so als Beispiel! :-)
Ich grüße Dich!
DomMacherin schrieb am 12.11.2017
Diese Selbstreflektion, die einsetzt, wenn man solch ein Tagebuch führt, macht das Leben und auch das Erleben zu etwas Besonderem. Die Zeit verrinnt nicht einfach so. sondern Geschehenes wird noch einmal durchdacht und ggf. aufgearbeitet.
Die Idee, dass Sub nicht weiss wann und ob Dom mitgelesen hat, finde ich besonders schön. Ja, ich denke solch ein Tagebuch ist eine wirklich gute Idee.
Bei uns gibt es das in Mailform, da wir nicht zusammen leben. Aber ich weiss auch nie wann ER es liest. Ich bin mir aber sehr sicher, dass Er es liest. Denn oft genug bekomme ich Rückmeldungen in Form von Aufgaben, oder er spricht ganz direkt Sachen an, die unklar geblieben sind. Und wenn ich ab und zu mal zurückblättere und alte Mails anschaue, dann merke ich wie weit wir uns tatsächlich gemeinsam entwickelt haben, und welche Grenzen doch nach und nach verschoben wurden, ohne, dass ich das tatsächlich immer realisiert habe.
Ein schönes Erinnern, und eine beeindruckende Dokumentation des gemeinsamen Weges.
Hallo DomMacherin,
danke für deinen Kommentar. Mir geht es genauso wie dir! Wie schön, dass du ansprichst, dass man dadurch auch die gemeinsame Entwicklung sehen kann. Auch ein sehr wichtiger und schöner Punkt. :-)
Viele Grüße
Ceerny