Das Thema Tabus ist ein sehr umstrittenes Thema, zu dem es viele Meinungen, Fragen und Irritationen gibt. Was ist ein Tabu? Was eine Grenze? Darf Dom ein Tabu brechen? Darf er sich daran herantasten? Die tabulose Sklavin? Den tabulosen Dom? Gibt es die? Darf es die überhaupt geben? Ist es gut keine Tabus zu haben? Ist tabulos gleichbedeutend mit willenlos?
Für mich habe ich folgende Unterscheidung gefunden.
Grenzen
Eine von mir ausgesprochene Grenze ist etwas, von dem ich mir zunächst nicht vorstellen kann, dass dies mit mir gemacht wird. Etwas, dass ich (vielleicht auch nur vordergründig) nicht will. Etwas, was mich vielleicht anekelt oder Überwindung kostet. Etwas, dass mich aber eventuell (!) tief im Innern auch kickt, aber das ich nicht einfach so locker tun kann.
Eine Grenze kann sich aber auch plötzlich in einer Session einstellen. Manchmal bei Aktivitäten, die für mich sonst nichts Außergewöhnliches sind. Die aber in dem Moment, in dem Kontext, mit der Person zu etwas äußerst schwierigem werden. Plötzlich geht es nicht mehr nur um den sexuellen Kick, sondern um etwas viel umfassenderes in der Beziehung zwischen Dom und sub.
Grenzen werden bei jedem Gegenüber neu gesteckt. Und auch bei einer Grenze ist ein „ich will das nicht“ zunächst einmal ein klares Signal für Dom, sich hier (wenn überhaupt) mit aller Vorsicht heranzubewegen und sub eventuell darüber hinaus zuführen.
GrenzerfahrungDer Reiz, den BDSM für mich ausmacht sind gerade diese Grenzerfahrungen. Diese Momente in denen ich (für ihn) über mich hinauswachse. Momente, in denen ich ein kleines bisschen mehr gebe, als ich eigentlich denke geben zu können. Diese Situation zeichnen sie sich durch eine besondere Intensität und Tiefe aus.
Zu Beginn einer Dom-sub Beziehung sind diese Grenzen (egal ob es der erste, zweite, dritte... Dom ist) eng gesteckt und man erweitert sie im Optimalfall gemeinsam.
Je besser Dom sub und ihre Signale kennen lernt, je mehr Vertrauen er in sie und sein Kennen ihrer Persönlichkeit fassen kann, desto eher kann er an Grenzen kratzen.
Je mehr Vertrauen sub in Dom fassen kann, je sicherer sie ist, dass er mit ihren Reaktionen umgehen kann, dass er sie während und vor allem auch nach einer grenzüberschreitenden Situation mit ihren Emotionen nicht allein lässt, desto weiter können diese Grenzen gesteckt werden.
Wichtig ist auf beiden Seiten das Wissen darum, dass es immer eine gemeinsame Grenzüberschreitung ist!
Als besonders bedeutend habe ich vor allem nach intensiven Begegnungen immer das gemeinsame Aufarbeiten der Situation erlebt. Unmittelbar danach kann dies ein rein körperliches Auffangen sein. Oft kommen aber die mit der Situation zusammenhängenden Emotionen erst Tage danach hoch und müssen durch ein gemeinsames Reflektieren bearbeitet werden.
TabusWenn von Tabus die Rede ist, werden damit meist Praktiken betitelt, die auf gar keinen Fall mit der jeweiligen sub gemacht werden dürfen. Für mich ist ein Tabu nicht etwas, was ich nicht will, sondern etwas was ich nicht kann.
Beispiel: sub hat panische Angst vor Nadeln und kann sich nicht nadeln lassen. Vielleicht würde sie es ihrem Dom zu liebe gerne wollen, aber es geht nicht, da sie beim bloßen Anblick von Nadeln zusammenbricht. Vielleicht würde sie es für ihn aber gerne zu lassen?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand keine Tabus hat. Aber ich kann mir vorstellen, dass jemand gegenüber seinem Dom keine Tabus haben möchte. Das man einzelne Tabus oder seine Tabus insgesamt in die Hand von Dom gibt.
Das geht aber nur im absoluten Idealfall. Wenn man das höchst mögliche gegenseitige Vertrauen erreicht hat. Wenn beide eine unumstößliche gemeinsame Basis haben. Und wenn Dom von sub genauso abhängig ist wie sub von Dom.
Häufig wird das Thema Tabu aus Sicht der subs diskutiert. Dabei finde ich es mindestens genauso wichtig, was für Dom Tabu ist. Denn wenn sub sich in Doms Hände begibt, dann sind es Doms Tabus, die ihr aufzeigen wie sein Rahmen gesteckt ist, in dem er agiert – ganz unabhängig von subs Grenzen und Tabus. Doms Tabus zeigen ihr, was Dom aus seiner Perspektive niemals tun würde. Doms Tabus können sub einen starken Halt und zusätzliches Vertrauen in ihn geben.
Willenlosigkeit und TabusWenn sub ihre Tabus in die Hände von Dom gibt, dann bedeutet dies nicht, dass sie willenlos ist.
Denn gerade, wenn ich gegenüber jemandem keine Tabus haben möchte, dann ist es MEIN Wille diese nicht haben zu wollen (ob ich sie tatsächlich nicht habe ist noch mal was anderes).
Der Begriff willenlos impliziert, dass jemand keinen eigenen Willen hat. Und dies hat meiner Meinung im Bereich BDSM nichts zu suchen.
Submissivität bedeutet, dass sub sich unterwirft, dass sie ihren Willen jemandem unterordnet. Nicht, weil sie keinen Willen hat, sondern weil sie sich bewusst dafür entscheidet, Rechte an sich abzutreten und jemandem anderen die Entscheidung zu überlassen. Dies kann im abgesteckten Rahmen passieren (Session, sexueller Bereich etc.). dies kann aber auch (je größer das gegenseitige Vertrauen ist), immer mehr ausgeweitet werden.
Und dann kann es auch schrittchenweise in eine "Tabulosigkeit" gegenüber genau diesem einen Menschen gehen. Aber das geht nie ohne subs Willen, Rechte abzutreten. Und auch nie ohne Doms Willen diese verantwortungsvoll zu übernehmen.
Wenn sub Tabus in Doms Hand gibt, heißt das keinesfalls, „Mach mit mir was du willst ohne Rücksicht auf Konsequenzen“. Es heißt, dass sub das Vertrauen hat, sich bei ihrem Dom immer mehr fallen lassen zu können, immer mehr Kontrolle abzugeben. Mit dem Wissen: er geht verantwortungsvoll mit mir um. Er macht nie etwas, von dem ich einen wie auch immer gearteten bleibenden Schaden davontrage.
Auf der anderen Seite muss Dom dieses Geschenk auch annehmen wollen und können. Denn damit geht auch eine Verantwortung und Fürsorgepflicht einher, der er sich gewachsen fühlen muss. Und er muss genügend Vertrauen in sub haben, dass sie sich ihm genügend geöffnet hat, damit er das gegenseitige Miteinander in immer tiefere und intensivere Bahnen lenken kann und verantwortungsvoll mit ihr umgehen kann.