Nähe und Distanz (Juli 2009)

Die Mischung von Nähe und Distanz und das Finden der zum jeweiligen Zeitpunkt richtigen Mischung ist sicher eins der reizvollsten, aber auch eins der schwierigsten Faktoren in einer Ds-Beziehung – egal, ob es sich um eine Spielbeziehung oder eine Partnerschaft handelt.

Zu viel Distanz bei zu wenig Nähe bringt eine Kälte, eine Lieblosigkeit in das Geschehen, die ein Fallenlassen auf beiden Seiten, aber besonders auf Subseite verhindert oder erschwert. Zu viel Nähe bei zu wenig Distanz weicht das Machtgefälle auf – insbesondere dann, wenn dieses Zuviel an Nähe von der gegenseitigen Zuneigung und Liebe getragen ist.
Schwierig, vor allem, wenn jemand (wie ich) BDSM als eine Möglichkeit sieht, in einer Partnerschaft die größtmögliche Nähe zwischen zwei Menschen zu erreichen. Um dieses Paradox wenigstens ein bisschen aufzulösen, unterscheide ich zwei verschiedene Arten an Nähe: einmal eine emotionale Nähe und einmal eine Nähe auf persönlicher Ebene.

Eine emotionale Nähe ist für mich unbedingte Bedingung einer Ds-Beziehung – und zwar auf beiden Seiten. Sowohl sub als auch Dom müssen ein Mindestmaß an emotionaler Nähe zulassen, damit überhaupt das für eine Session notwendige Vertrauen aufgebaut werden kann. Beide müssen sich, sowohl vor als auch nach einer Session auf ein großes Maß an emotionaler Nähe einlassen, damit das Spiel funktioniert.
Während einer Session – gerade wenn es um Erniedrigungs- oder auch Benutzungsszenarien geht in denen sub zu einem Lustobjekt degradiert wird – kann diese emotionale Nähe genutzt werden, um eine für das Machtgefälle notwendige Distanz zu schaffen.
Meine Submissivität kann ich jedoch nur zulassen, wenn ich weiß, dass emotionale Nähe die Grundlage für das Geschehen bildet und über emotionale Nähe die Distanzierung, die mit der Objektivierung einhergeht, gegen Ende der Session wieder durchbrochen werden kann. So genommen kann ich mich durch emotionale Nähe in meine Submissivität einlassen und sie hilft mir auch wieder aus ihr herauszufinden.
Dom muss immer so viel emotionale Nähe zu lassen, das eine Vertrautheit erreicht wird, die sub auf das Spiel einsteigen lässt und viel wichtiger im Spiel eine Nähe zu zulassen, die sub signalisiert: ich bin nah bei dir, egal was passiert, ich halte dich.
Dies kann durch körperliche Nähe geschehen, diese muss sub allerdings auf emotionaler Ebene erreichen. Die gegenseitige emotionale Nähe signalisiert sub: ich bin bei dir, ich fühle eine Verbundenheit zu dir. Ich teile deine Gefühle, die dich im Moment aufwühlen mit dir.
Und ganz wichtig: Wenn irgendetwas nach der Session hochkommt – im positiven – wie auch im negativen bin ich da, um diese Gefühle mit dir zu teilen. Je intensiver eine Ds-Beziehung wird, desto mehr emotionale Nähe wird auf beiden Seiten zugelassen.

Eine persönliche Nähe im Sinne eines sich öffnen, einem etwas von sich preisgeben ist in einer Spielbeziehung von Dom und sub nicht im gleichen Maße erforderlich. Als sub muss ich Nähe zulassen wollen und auch zu lassen. Damit Dom mit mir als sub spielen kann, muss ich mich als sub öffnen und ihn nahe an mich und meine Persönlichkeitsstruktur; Wünsche, Bedürfnisse etc. heranlassen.
Ich muss ihm die Möglichkeit geben, mich als Person zu erkennen, damit er dieses Wissen dazu nutzen kann, mich im Spiel zu fordern, aber nicht zu überfordern. Als sub muss mir bewusst sein: Dom wird mich im Spiel in Situationen erleben (egal, ob es um benutzt werden, erniedrigen, hingeben, Schmerz erleiden usw. geht), die mich in extremen Situationen zeigen. Situationen in denen ich ihn – gewollt oder ungewollt – nahe an mich und meine tiefsten Empfindungen lasse. In denen ich mich ihm bloßlege, nackt (und sicher nicht nur körperlich nackt) vor ihm stehe.
Ich als sub muss in diesem „Nähe zulassen“ wesentlich mehr Stärke zeigen, als Dom. Denn es kostet Stärke persönliche Nähe zuzulassen und sich zu öffnen. Dieses Öffnen birgt immer Gefahren in sich, da Dom dadurch an meinen innersten Kern sehr nah herankommt.

Dom muss sich in einer Spielbeziehung auf der persönlichen Ebene nicht im gleichen Ausmaß öffnen, denn sub soll ihn ja nicht unbedingt immer durchschauen. Wo bliebe da der Kick?
Dom kann zudem eine persönliche Distanz aufbauen, um diese als Mittel einzusetzen, das Machtgefälle zu stärken. Denn das Zeigen von Unvollkommenheit, von Ecken und Kanten, Schwächen und Fehlern kann durchaus dazu führen, dass auf subseite zwar Verständnis aufkommt, gleichzeitig aber das Vertrauen in den „Glanz“, die „Unfehlbarkeit“, das „Größersein“ sinkt und damit auch das Machtgefälle beeinflusst wird.

Für mich als sub ist so ein Vorgehen, wenn es sich um eine langfristige Spielbeziehung handelt, problematisch, da es für mich wichtig ist, dass ich nicht nur den Dom, sondern auch den Menschen greifen kann. Gerade wenn er es mir ermöglicht, die sichtbaren Ecken und Kanten seiner Person durch andere Stärken zu kompensieren, stärkt dies für mich das Machtgefälle wesentlich mehr als es ein künstliches Aufrechterhalten von persönlicher Distanz könnte.
Je größer die persönliche Distanz, desto weniger authentisch wird für mich die Situation. Außerdem: Mit jedem Schritt, denn man gemeinsam geht, nähert man sich auch an. Denn auch Dom zeigt mir als sub mit jedem Spiel mit jedem weitern Schritt - gewollt oder ungewollt - neue Facetten von sich.

In einer Partnerschaft fehlt diese persönliche Distanz zwischen Dom und sub, die in einer Spielbeziehung möglicherweise ein Machtgefälle unterstützt hat, völlig. Mehr noch: das Verhältnis dreht sich um. In einer Partnerschaft steht nicht mehr wie in einer Spielbeziehung der Dom im Vordergrund, sondern der Mann – mit all seinen Facetten. Das Machtgefälle muss neu definiert werden.
Ein weiteres Problem kann auftreten, wenn Dom beginnt zu lieben. Er kann plötzlich nicht mehr so konsequent sein kann wie vorher. Er ist nicht mehr nur Herr, der verfügt, sondern vor allem Partner, der liebt. Und auch wenn er weiß, dass die sub in seiner Frau bestimmte Dinge braucht, ist dies mit seiner Rolle als Partner auf den ersten Blick nur schwer zu vereinbaren.
Außerdem muss er die Konsequenzen für sein Handeln nun nicht mehr "nur" als Herr, sondern auch als Partner tragen.

Für mich ist gerade dieses tiefe Aufeinandereinlassen zweier Menschen etwas sehr reizvolles innerhalb einer Ds-Beziehung. Ich denke, in keiner anderen Beziehungsform ist ein so tiefes Aufeinander einlassen und Zulassen sowohl emotionaler als auch persönlicher Nähe so notwendig wie in einer Ds-Beziehung.
Wenn das Kunststück gelingt, in einer Partnerschaft die Nähe-Distanz-Problematik zu überbücken, sind die Wege für eine sehr tiefgehende Beziehung geebnet.


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    FREKKJA
    Kurz zu den Fakten: Ich bin 1973 geboren und habe Anfang 2006 angefangen „mein“ BDSM zu leben. In meinem Blog möchte ich euch ein wenig an meinen Gedanken zum Thema BDSM teilhaben lassen.
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