Mein Platz (Erlebnisbericht)

Viele Stunden verbrachten wir damit, Fotografien anzuschauen, die mir einen Blick in sein Leben gewährten. Er führte mich in ferne Länder, erzählte mir von Kulturen, von Freunden, von seiner Familie. Stillschweigend lauschte ich seinen Worten und seiner leisen Stimme, die einen so beruhigenden Klang hatte, wie bei einem Greis, der aus seinem Leben erzählt.
Mir war nicht bewusst, dass ich gerade mit einer von vielen Seiten in Kontakt kam, die Martin prägten. Mir war nicht klar, dass sein innerer Greis dafür verantwortlich war, mir die Geborgenheit zu vermitteln, die ich schon als Kind suchte. Immer dann, wenn ich mich nach Ruhe und Sicherheit sehnte, war er da, um mich mit leiser Stimme in sein Leben zu entführen, was so viele interessante Details enthielt, dass ich alle meine Sorgen im Nu vergaß, ihm nur noch lauschte, so, wie ein Kind einem Vater lauscht.

Irgendwann legte er all die Bilder zur Seite, schaute mich nur an. Nervös durch sein Lächeln drückte ich ihn in die Kissen und setze mich auf seinen Körper. Er lachte, es war ein so bezauberndes Lachen. Ich hatte ganz plötzlich das Gefühl einen Jungen vor mir zu haben, der mir seinen Schalk entgegen warf. Auch die Art, wie er redete, war anders als zuvor. War seine Stimme zuvor noch beruhigend, ja fast hypnotisierend, so verbreitete er nun wilde Energien, die mich durchströmten.
Angesteckt von seinem jugendhaften Charme warf ich mich in seine Arme und begann ihn leidenschaftlich zu küssen. Er ließ es einfach geschehen, berührte ganz leicht meinen Rücken. Ja, er ließ es zu, dass sich mein Körper an seinen rieb, dass ich versuchte, ihn zu verführen, mit meinem Atem, meiner rauhen Stimme, mit der ich leise Worte in sein Ohr hauchte.
Meine Lippen streiften sanft sein Gesicht, liebkosten seinen Hals, indes ich seinen Geruch wahrnahm. Ein Geruch, der mich bald schon dazu bringen sollte, all meinen animalischen Instinkten freien Lauf zu lassen, ein männlicher Geruch, der mir die Sinne raubte, mich in die Knie zwang, mich willenlos macht.

Und wieder war es seine Intuition, die ihn dazu brachte, mich auf den Rücken zu werfen, um selbst die Kontrolle zu übernehmen.
"Schließ die Augen", sprach er leise, während seine Finger meinen Körper ganz leicht, wie eine Feder, berührten, auf und ab glitten. Seine Stimme drang tief in mir ein, um zu dirigieren, wie ich zu atmen und was ich zu fühlen habe.
Es war einzig nur diese Stimme und diese hauchfeinen Berührungen seiner Fingerspitzen, die mich mehr und mehr in Ekstase versetzten.
War ich bisher im Leben die Beherrscherin der Lust, so fing ich nun an, mich selbst in der Lust zu verlieren. Einer Lust, die Schmerzen bereitete, wo mich doch einzig nur Zärtlichkeit umgab.
Immer weiter, immer exzessiver bestimmte seine Stimme meine Lust, bestimmte jeden Atemzug, bis hin zu dem Moment, wo ich einen Orgasmus bekommen durfte, ja bekommen sollte.
Ein jäher Schmerz durchzog meinen Körper, den ich nur hätte ertragen können, wenn er es erlaubt hätte, der Lust mit einem Schrei Ausdruck zu verleihen, doch ich durfte kein Wort sagen, keinen Laut von mir geben, sollte es einfach nur zulassen.
Und so wand ich mich in seinen Armen, gefangen in einem Höhepunkt, der scheinbar niemals aufhören wollte, mein Gesicht mit Tränen bedeckt, seine Hand, die meinen Kopf hielt, indes sich mein Körper aufbäumte.
Jede Faser meines Körpers begann zu betteln nach einem befreienden Laut, der mich erlösen darf, doch ihm stand nicht der Sinn nach Befreiung. Er wollte mich nicht erlösen, er wollte mich in seinen Besitz nehmen. Er wollte, dass ich, wie in diesem Augenblick, immer um Worte ringe, die ich nicht sagen darf. Er wollte, dass seine Stimme die Macht eines Diktators erlangt, mit der er mich, meine Lust, meine Seele beherrschen kann.
Es ging nicht um Erlösung, es ging um den Beginn einer Abrichtung, von der ich längst nicht ahnte, wie schmerzhaft sie sein wird.

Ich ahnte es auch nicht, als er mich nackt vor sich stehen ließ. Als er sich um mich herum bewegte, um meiner Scham und Angst genüsslich zu begegnen.
"Streck deine Hände aus!", sagte er leise, so leise, wie fast all seine Befehle, die mich erreichten. Doch so leise sie auch waren, so unmissverständlich waren sie auch. Es kam mir nicht einmal in den Sinn zu disputieren, zu verhandeln, oder Abwehr zu zeigen. Nicht an diesem ersten Tag, da er die Rangordnung herstellte. Nicht jetzt, da ich entblößt und nackt vor ihm stand. Unfähig eines meiner Spiele zu spielen, oder auch nur daran zu denken.
Ein Leben lang war ich bemüht, meine Nacktheit zu verbergen, oder sie zumindest mit einer Maske zu überspielen, nun aber stand ich da mit zittrigem Körper, mein Gesicht gerötet vor Scham.

"Kein Wort!", verlangte er. Die Stirn leicht in Falten gelegt, schaute er sich meine nach vorne gestreckten Hände an, die nach oben hin geöffnet waren. Stillschweigend sah ich, wie er das Paddel nahm, unsere Blicke begegneten sich. Seine Augen schienen sich in meinen fest zu saugen, als er zuschlug. Mich durchfuhr ein Schmerz, so, als hätte ich in glühende Kohlen gefasst, ein beißender und zugleich ziehender Schmerz.
Ich biss mir auf die Lippen, und schon kam der nächste Schlag. Immer wieder hob sich sein Arm, immer wieder traf das beißende Paddel meine geöffneten Hände, dies mit einer Kraft, wie ich sie nie zuvor in dem Ausmaß zu spüren bekam.
Tränen rannen mir übers Gesicht, mittlerweile bebte mein Körper, meine Augen bettelten um Gnade und signalisierten Angst, die er mehr und mehr in sich aufsog. Immer tiefer grub sich sein Blick in meine Seele ein, es war, als wenn ihn meine Angst ernährte. Eiskalt war dieser Blick, kalt und unberechenbar.
Als er noch kräftiger zuschlug, als zuvor, kam ein erstickender Laut über meine Lippen, und die undeutlichen Worte: "Bitte nein!"
Einen Moment lang schien er zu überlegen, wie er regieren soll, doch dann mit einem Mal bekamen seine Augen einen warmen Glanz. Er legte das Paddel bei Seite, schüttelte den Kopf und zog mich an sich heran. "Komm her. Komm her zu mir.", sprach er sanft.
Mein Weinen war ein hemmungsloses Schluchzen, mein Kopf war gebettet an seinen breiten Schultern, er hielt mich ganz fest, streichelte und liebkoste mich.

Es sollte das erste und auch letzte Mal sein, dass er sich durch meine Tränen beeindrucken ließ. Es war das einzige Mal, dass er von mir abließ, wenn ich zu erkennen gab, dass ich nicht mehr kann. Niemals wieder wurde seine Züchtigung in dieser Weise unterbrochen.

Vielleicht war es die Tatsache, dass ich das erste Mal zu Besuch bei ihm war. Vielleicht musste auch er sich erst einmal an mich heran tasten, bevor er dann seiner Willkür, nach der ich mich sehnte, freien Lauf ließ. Wir waren noch immer Fremde, auch wenn wir das Gefühl hatten, dass wir uns schon ewig kannten, ja schlimmer noch. Es war, als seien wir seelenverwandt.
Alleine an diesem einen Tag hatte ich drei oder vier verschiedene Seiten kennen gelernt, die ihn durch und durch prägten. Den Greis, den Jungen, den Sadisten und den zärtlichen Liebhaber. Und so, wie sich seine Gesichter verwandelten, so verwandelten sich auch meine.
Nur, dass ich es nicht mehr selbst dirigierte. Viel mehr war er es, der mit all meinen Stellvertretern jonglierte, eine nach der anderen heraus lotste, um sie alle kennen zu lernen.

An diesem Abend schlief ich erschöpft ein, mit dem sicheren Gefühl, anzukommen. Ich war an meinem Platz, an seiner Seite, so glaubte ich. Umso verwirrter war ich, als mich mitten in der Nacht seine Hände brutal berührten, mich in eine Stellung zwangen, in der er mich benutzen konnte, ohne jede Rücksicht, ob es mir Freude bereitet oder nicht.
Nein, es bereitete mir keine Freude, es tat einfach nur fürchterlich weh. Raus gerissen aus dem Schlaf, drang er in mir ein, ein Blick in seine Augen verriet mir, dass ich den Sadisten vor mir hatte.
Bevor ich realisieren konnte, dass er mich willkürlich und mit Zwang benutzte, bekam ich die erste schallende Ohrfeige.
Ein kurzes Innehalten, unsere Blicke trafen sich. Einen Moment lang vergaß ich zu atmen, als jedoch der nächste Schlag kam, hörte ich mich selbst laut aufstöhnen. Eine Ohrfeige nach der anderen traf mein Gesicht, immer schneller, immer intensiver. Auch seine Bewegungen wurden immer heftiger, mit denen er in mir eindrang.
Ich hörte meine Stimme, wie sie ihm ein JA entgegen schleuderte, und so schlug er mich zum Orgasmus, von dem ich mich nicht erholen durfte. Nicht, bevor er da war, wo er sein wollte. Am Ende seiner eigenen Lust angekommen.

Danach legte er sich auf seinen Rücken, zeigte müde lächelnd auf den Platz neben seinem Bett.
Ich verstand nicht, also griff er mir ins Haar, um mich vom Bett herunter zu zerren, bis ich mich auf den harten Boden neben seinem Bett einrollte, nichts als ein Kissen für meinen Kopf zur Hand.

JETZT,
dachte ich...
JETZT bin ich auf meinen Platz!

Autorin Marvelous
erlebt 2006, geschrieben 2011

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