Wortlos
„Lynn, es ist unser Tag, komm schon.“ Theos Finger fanden gar keine Ruhe mehr, seine Nägel kratzten Linien in die Lackierung des Holztisches. Auf der anderen Seite blieb es still.
„Lynn?“ Erst nach ein paar Sekunden antwortete sie, er konnte hören, wie unwohl sie sich fühlte.
„Ich muss noch nachdenken“, brachte sie schließlich hervor.
„Ich will dich sehen. Oder wenigstens darüber reden.“ Theo würde nicht locker lassen.
„Wir können später noch mal telefonieren, ich muss jetzt die Wäsche abhängen.“ Sie legte auf, bevor er protestieren konnte. Er biss sich auf die Lippe.
Vor fast einem Jahr war endlich in Paar aus ihnen geworden, monatelang hatten beide einander stumm gefallen, hatten sich scheu aus den Augenwinkeln heraus beobachtet und es viel zu lang nicht gewagt, den ersten Schritt zu gehen. Theodor war schließlich von einer gemeinsamen Freundin regelrecht dazu gezwungen worden, sie auf einen Kaffee einzuladen. Zum Valentinstag, ganz klassisch. Von diesem Tag an gehörte sie ihm. Seine Lynn, seine wunderschöne Lynn. Ihre hellbrauen Haare fielen ihr in weichen Locken über die Stirn wenn sie las und wann immer sie nervös war, setzte sie dieses unsicheres Lächeln auf, das er so gern küsste. Lynn war perfekt, sie glaubte nur weniger daran als er.
Das vergangene Jahr war zweifellos das schönste seines Lebens gewesen. Mit Lynn an seiner Seite hatte er sich endlich getraut, zu reisen. Sie waren in London gewesen, in Moskau und dann mit dem Fahrrad bis nach Prag gefahren. Mit Theo an ihrer Seite hatte Lynn sich endlich getraut, einen Tanzkurs zu besuchen. Er hatte gelernt, sie zu führen und sie hatte gelernt, ihm zu vertrauen.
Theodor ließ das Telefon nicht aus den Augen, obwohl er wusste, dass sie nicht wieder anrufen würde. Lynn war in sich eingesunken, nachdem sie sich verraten hatte, sie wagte es nicht, mit ihm zu sprechen.
„Das ist es, was du willst?“ Er verfluchte sich für diese Worte, sie waren ihm einfach herausgerutscht, vor Unglauben, vor Überraschung. Lynn hatte ihn aus großen, erschrockenen Rehaugen heraus angestarrt, ganz versteift war sie gewesen, dann rannte sie hinaus. Theo hatte ihr einen Brief geschrieben, auf den Anrufbeantworter gesprochen und mit ihren Freunden gesprochen, doch der Panzer aus Schweigen und Angst war zu dicht, als dass seine Worte hindurchdringen konnten. Nun zerfraß ihn der Gedanke, Lynn könnte ihn verlassen.
„Wir können es versuchen, wirklich!“, war die erste SMS gewesen, auf die sie reagiert hatte.
„Ich weiß nicht, das bin doch nicht ich. Es könnte uns kaputt machen. Ich rufe dich nach der Arbeit an.“ Aber sie hatte ihn nicht angerufen und auch nicht auf seine Anrufe reagiert.
Morgen was Valentinstag, ihr Tag. Theo wählte ihre Nummer und entschied sich um. Lynn würde nicht abnehmen, er musste es anders angehen. Schließlich schrieb er ihr.
„Ich will dich morgen sehen. Kommst du zu mir, wenn ich dir schwöre, kein Wort zu sagen?“
Die Minuten wurden schwerer, bis endlich ihre Antwort kam.
„Ein Wort von dir, und ich werde gehen.“ Er schloss die Augen und lächelte dabei.
Lynn schloss die Augen und verfluchte sich dabei. Das würde doch nicht helfen, dachte sie bei sich, was sollte das schon ändern? Natürlich vermisste sie ihn, gerade heute. Sie hatte sich zu sehr daran gewöhnt, dass er ihr Beschützer war, wenn sie sich fürchtete. Lynn fürchtete sich vor so vielem. Nun war es Theo, vor dem sie sich verstecken wollte. Seine warmen Arme waren ihr Schutzschild geworden, sein ruhiger Blick ihr Anker. Sie wusste, er würde seine Lynn immer lieben, immer verstehen. Das Problem war nur, dass sie nicht die Lynn war, für die er sie hielt.
„Ich werde dich immer beschützen“, hatte er versprochen, als sie das erste Mal vor ihm weinte, „Und ich werde immer an deiner Seite sein.“ Würde er das zurücknehmen, wenn er verstand, was sie sich von ihm erhoffte?
Lynn zweifelte nicht daran, dass Theo es ehrlich meinte, doch sie war sich sicher, dass er nicht begreifen konnte, wie ernst es ihr war. Er hatte die Peitsche gesehen und auch das Halsband, den Blick in seinen Augen würde sie niemals vergessen. Versteinert hatte sie mit angesehen, wie sein Blick zu ihrem Rechner gewandert war, nur zu eindeutig war alles gewesen. Hätte sie ihm bloß niemals ihren Schlüssel gegeben.
Lynn zog sich ihren wärmsten Pullover an, als würde sie sich damit gegen das Kommende wappnen können. Sie wusste genau, wie es ablaufen würde. Natürlich würde er reden. Er würde Verständnis haben, furchtbares, liebevolles Verständnis. Sie würde ihm glauben und mehr erzählen, über das, was sie sich wünschte. Er würde lachen, Interesse zeigen.
„Aber sicher probieren wir das aus“, würde er sagen und sie würde lächeln und immer mehr preisgeben, bis sein Lächeln erfroren war. Dann würde er sehen, dass es ihr nicht um dekorative Handschellen und einen Klaps auf den Po ging, dann würde er einsehen, dass es nichts war, dass man einfach spielen konnte. Und dann… Lynn zog sich ihre wärmsten Socken an.
Es war Valentinstag, ihr Tag und Lynn machte sich auf den Weg. Sie wollte gut aussehen, allem zum Trotz, sie hatte ihre grauen Stiefel und den schwarzen Mantel angezogen. Einige ihrer noch dunkleren Sachen hatte sie in ihrer Tasche, wie zum Beweis. Schneeregen ließ sie frieren, dabei war der Weg gar nicht weit.
Sie zog ihre Handschuhe schon aus, als sie klingelte. Ein bisschen hoffte sie, er würde fragen, wer da sei. Dann könnte sie einfach wieder gehen. Kein Wort, hatte er gesagt. Es war seine Regel, daran musste er sich halten. Es summte, und mit zitternden Händen stieß sie die Tür auf. Zwei Stockwerke ging es nach oben, dann stand sie vor seiner Tür. Einen Spalt breit war sie geöffnet. Lynn zog ihre Schuhe aus und faltete den Mantel über dem Arm zusammen, dann trat sie ein.
Natürlich war es warm, wunderbar warm, und das Licht dutzender Kerzen zeichnete sanfte Schatten an die Wände. Sie roch den Duft von Sandelholz, den sie so mochte, dann auch den Kuchen, er hatte für sie gebacken.
Theodor trat aus dem Wohnzimmer zu ihr und er lächelte, obwohl sie blass wurde.
„Tu das nicht“, versuchte sie es ganz leise und schüttelte den Kopf, „Das ist kein Spiel.“
Unbeirrt schloss er die Tür hinter ihr und verlor sein Lächeln nicht. In den Händen hielt er einen Ballknebel, in orange, ihrer Lieblingsfarbe.
„Ich will nicht, dass du es mir zuliebe tust“, wehrte sie ihn ab, „Dann… ist es nichts wert.“
Theodors Blick blieb fest, als er vor ihr auf die Knie sank. Er hielt ihr den Knebel hin, und rührte sich nicht mehr von der Stelle, bis sie endlich ihre Hand danach ausstreckte. Lynn war verzweifelt.
„Du wirst mir gehören, sobald ich ihn dir angelegt habe. Ich meine es ernst damit. Das ist kein Spiel. Du wirst mir gehorchen und ich werde dich führen, ich werde dir wehtun. Ich werde dir wirklich wehtun, Theo, auch wenn es dir nicht gefällt.“
Unbeirrt lächelte er und legte seine Hände hinter den Rücken. Lynn schloss für einen Moment die Augen und ihr Herz begann zu rasen. Sie hatte noch nie einen Mann besessen, nicht außerhalb ihrer Gedanken. Mit vorsichtigem Griff legte sie den Riemen um seinen Kopf und besiegelte sein Versprechen, stumm zu bleiben.
„Steh auf“, befahl sie leise und er gehorchte. Ungebrochen war der Wille in seinem Blick. Sie reichte ihm ihren Mantel und ihrer Geste folgend hängte er ihn auf.
„Wenn ich auf den Boden zeige, wirst du dort vor mir niederknien“, sie hatte schon viel darüber nachgedacht, schon bevor sie Theo überhaupt kannte, „Wenn ich nicke, darfst du dich wieder erheben. Wenn du mit mir sprichst… also, wenn du mit mir sprechen kannst… wirst du mich „Herrin“ nennen. Wenn ich dir einen Befehl gebe, wirst du ihn ausführen, ohne zu zögern. Und jetzt zieh dein Hemd aus.“
Theo blinzelte überrascht, er hatte das Gefühl, ihre Stimme noch nie so schneidend gehört zu haben. Gehorsam knöpfte er sein Hemd auf, während sie an ihm vorbeischritt.
„Warte, bis ich dich rufe“, wies sie ihn noch an, dann war sie im Wohnzimmer verschwunden. Theo wünschte, er könnte ihren Gesichtsausdruck sehen, doch erst nach fünf Minuten befahl sie ihn zu sich. Zugegeben, die Seile hatte er extra für sie gekauft, er hatte nie darüber nachgedacht, wie es wäre, gefesselt zu sein. Doch die Männer auf Lynns Bildschirm hatten ihn überzeugt.
Lynn saß im Sessel, die Beine überkreuzt. In ihrer Hand hielt sie die Peitsche mit roten Bändern, seine übrigen Spielsachen lagen scheinbar unberührt auf dem Bett. Ihre Augen hatten sich verändert, sie huschten nicht mehr nervös über sein Gesicht, sondern schienen ihn nun regelrecht fixieren zu wollen. Sie zeigte vor sich auf den Boden und zögerlich kniete er zu ihren Füßen nieder. Ihre Finger legte sich unter sein Kinn und lenkte seinen Blick hinauf zu ihr.
„Wem gehörst du?“, fragte sie und obwohl sie so leise sprach wie immer, hallten ihre Worte in seinem Kopf nach. Speichel rann sein Kinn herab, als er versuchte, sich verständlich zu machen.
„Na sag schon, wem gehörst du?“ Sie lächelte.
Theo schluckte und senkte den Kopf, seine Stirn schmiegte sich in ihre Hand. Sie strich ihm mit der anderen sanft durch sein Haar. Es war ihr Antwort genug.
Lynn schickte ihn in die Küche, während sie sich weiter mit dem beschäftigte, was er auf seinem Bett ausgebreitet hatte. Die Ledermanschetten gefielen ihr und der Plug würde ganz gewiss noch zum Einsatz kommen. Nun fürchtete sie sich vor sich selbst.
Theo kam mit einem Stück Orangenkuchen zurück, den sie langsam verzehrte, während sie fieberhaft darüber nachdachte, was als nächstes geschehen sollte. Die Gedanken jagten sich in ihrem Kopf. Was erwartete er von ihr? Was wollte er für sich und was nur für sie? Was fühlte er in diesem Moment? Sie zwang sich ruhig zu bleiben. Er gehörte ihr, das war alles, war zählte.
„Gut gemacht“, lobte sie seine Backkünste und stellte den Teller beiseite. „Was fange ich denn nun mit dir an?“ Ihre Finger fuhren durch sein Haar, seinen Hals hinab und über seine Brust. Sie spürte, wie schnell sein Herz schlug. Sie gestattete es ihm, aufzustehen
„Zieh dich ganz aus.“
Theo erhob sich und streifte seine Kleider ab. Es fühlte sich ungewohnt an, ganz nackt vor ihr zu stehen, während sie keine Anstalten machte, es ihm gleich zu tun. Zufrieden glitt ihr Blick über seinen Körper, er musste dem Drang wiederstehen, sich mit den Händen zu bedecken. Er gehörte ihr.
„Mein schöner Mann“, flüsterte sie und stand ebenfalls auf. Liebevoll streichelte sie seinen Rücken und zog ihn zu sich heran. „Mein schöner, starker Mann.“ Ihm war nicht entgangen, dass sie die Peitsche wieder in der Hand hielt.
„Du wirst kein Safeword aussprechen können, aber ich will nicht darauf verzichten. Darum lasse ich heute deine Hände frei. Wenn du zweimal klatschst, höre ich sofort auf, das verspreche ich dir.“
Sie klang, als wollte sie ihm die Angst nehmen, das war neu für ihn. Als sie aber die Peitsche schwang und beißender Schmerz auf seiner Haut brannte, war er dankbar für ihr Versprechen.
Lynn war zierlich und nicht gerade groß, doch sie war stärker, als es den Anschein hatte. Das Zielen hatte sie geübt und nun da sie kein Kissen, sondern die nackte Haut ihres Geliebten vor sich hatte, fühlte sie ein unbekanntes Hochgefühl in sich aufsteigen. Theodor zuckte, wenn sie ihn traf, er schnaubte und sie sah, wie er zu schwitzen begann, doch er wich nicht vor ihr zurück. Mit geschlossenen Augen ertrug er den Schmerz, bis beide außer Atem waren.
„Mein schöner, tapferer Mann“, keuchte sie und küsste seine Schultern. Sie küsste ihn lang, denn sie fürchtete sich davor, in sein Gesicht zu sehen. Seine Haut glühte, überall, und als sie seine Brust mit den Lippen berührte, hörte sie sein Herz schlagen. Endlich wagte sie es.
Theodors Augen lächelten nicht mehr, doch sie fand auch keine Angst daran. Er sah sie mit einer Tiefe an, die sie schaudern ließ, er glühte, er brannte, er fühlte wie sie. Sie nahm ihm den Knebel ab und legte ihm dafür das Halsband an. Der Stolz in seinem Blick ließ sie alle Ängste vergessen. Er stöhnte, als sie ihn fesselte, er biss sich auf die Lippen, als sie ihn schlug und er zitterte, als endlich auch sie sich aus ihren Kleidern befreite, um sich berühren zu lassen, doch kein Wort kam ihm über seine Lippen. Sie versanken ineinander und gaben sich Halt. Lynn lernte, ihn zu führen und Theodor lernte, ihr zu vertrauen.
Das Geräusch der Türklingel traf sie wie ein Schlag ins Gesicht. Lynn war nackt, Theo lag halb gefesselt neben ihr, rote Striemen zeichneten seine Haut. Wachs, dachte Lynn, oh mein Gott, da ist Wachs auf seiner Stirn! Es klingelte wieder.
„Theo, ich sehe deine Schuhe, mach auf, oder ich komm rein!“, drang die Stimme seiner Schwester dumpf zu ihnen durch. Lynn erbleichte. Sie hatte einen Schlüssel.
Angsterfüllt sah sie zu Theo, der nicht weniger perplex war als sie. Die Spielsachen, dachte Lynn, sie liegen überall! Es waren zu viele, es waren einfach zu viele. Panisch sah sie sich um, wollte sich verstecken, wollte davonlaufen. Ihr Körper gehorchte ihr nicht mehr, so erstarrt war sie vor Angst. Sie hatte eine Peitsche in der Hand, dort lag der Knebel, ein Seil, der Plug! Das Geräusch des Schlüsselbundes trieb ihr stille Tränen der Verzweiflung in die Augen. Sie hatte gewusst, dass es falsch war.
„Theo…“, flüsterte sie und hielt sich die Hände vors Gesicht. Theodor sprang auf. Seine Füße waren gefesselt, doch mit schnellen Sprüngen schaffte er es rechtzeitig ins Bad. Noch während er hörte, wie Emma den Schlüssel ansetzte, schlang er die Handtücher um sich und schloss die Wohnzimmertür mit einem Knall.
„Meine Güte, was ist denn bei dir los?“ Emma stand verwundert vor ihm, „Ich dachte du bist am Valentinstag entweder bei deinem Mädel oder heulst dich hier schief?“
„Es ist alles gut“, sagte Theodor mit fester Stimme und überprüfte mit einer beiläufigen Handbewegung, ob das Halsband auch ganz verdeckt war. „Wir treffen uns gleich, ich mach mich nur hübsch für sie.“ Auf sein Zwinkern hin schüttelte sie lachend den Kopf.
„War ja klar, nachdem du so ein Theater gemacht hast! Ich sag doch, mit Frauen muss man reden, egal, worum es geht!“
„Ich ruf dich morgen an, ja? Grad hab ich es ein wenig eilig.“
„Sicher, entschuldige, dass ich einfach so reingeplatzt bin. Ich dachte nur, du hockst vielleicht im Wohnzimmer und ignorierst mich.“
„Kein Problem.“ Theodor lächelte und legte die Hand an die Tür. Ihr Blick huschte zu seinem Handgelenk, an dem noch die Ledermanschette hing und sie setzte zu einer Frage an, doch schon drängte er sie hinaus. „Bis morgen dann!“
Erst, als die Tür verschlossen war, atmete er aus. Seine Hände zitterten und sein Kopf fühlte sich an, als wäre er mit Blei gefüllt. Er lehnte sich an die Tür und ließ sich daran herabsinken. Nach einigen Minuten hörte er, wie Lynn zu ihm kam, fast schlich sie.
„Ist sie weg?“
Er nickte und hielt seine Arme auf. Wie eine Katze rollte sie sich darin ein und gemeinsam blieben sie auf dem Boden hocken, bis sich ihr Atem wieder beruhigt hatte. „Ich werde dich immer beschützen“, versprach er ihr, „Und ich werde immer an deiner Seite sein.“
Lynn küsste ihn und schloss ihre Augen. Sie drückte sich ganz fest an ihn, streichelte über seinen Kopf und packte seine Haare mit eisernem Griff, so das er gezwungen war, sie direkt anzuschauen.
„Herrin“, fügte er hinzu und sie lächelten.
Autorin Nia
(Gewinnerbeitrag des Geschichtswettbewerbs 2016 Thema Valentinstag)