Die Herausforderung

Was für eine Aufgabe sie ihm gestellt hatte – er hatte keine Ahnung, ob er das bewältigen konnte...

Angefangen hatte es vor vier Wochen mit einer Mail seiner Herrin:

„Finde den Namen eines südamerikanischen Dichters heraus. Gestorben ist er 1973. Er hat einige schöne Oden geschrieben, darunter drei an die natürlichen Elemente. Finde heraus, welche das sind, suche dir eins aus und lerne es auswendig.“

Arno verbrachte viele Stunden im Internet, um zu recherchieren, bis er schließlich auf Pablo Neruda und seine Oden stieß... das musste es sein, und das war es auch, wie seine Herrin Martha ihm bestätigte.
Von den drei Elementar-Oden – Wasser, Feuer und Luft – gefiel ihm die Ode an die Luft am besten, nicht nur, weil sie mit 128 Zeilen die kürzeste war, sondern weil es darin um Freiheit ging...
Freiheit, die er in seinen freiwillig angelegten Ketten sehr zu schätzen wusste, und weil einige Zeilen für SM-Freunde geradezu prädestiniert schienen... Martha ließ ihn wissen, dass diese Ode auch ihr Lieblingsgedicht von Neruda sei.

Fast einen Monat lang hatte er nun Zeit gehabt, dieses Gedicht zu lernen, aber – wie es schon zu Schulzeiten gewesen war - wirklich damit angefangen hatte er erst zwei Wochen vor der ‚Deadline’ - dem Besuch einer SM-Party nahe Marthas Wohnort.
Seine Trägheit hatte ihm diverse Strafen eingebracht – darunter das Tragen eines Cockrings und eines Analplugs während der Arbeitszeit und andere nette Dinge, die er mit Freude erfüllte und Martha darüber Bericht erstattete.

Nun saß er im Auto, 150 Kilometer waren es zu seiner Herrin und er nutzte die Zeit sinnvoll, rezitierte laut vor sich hin, kam ins Stocken, fluchte, war aufgeregt, fragte sich, ob es alles so klappen würde, wie sie es sich vorstellte. Immerhin hatte sie ihm gestattet, das Gedicht in ausgedruckter Form mitzunehmen, falls beim großen Auftritt doch noch etwas daneben gehen sollte...

Den ganzen Morgen war er damit beschäftigt gewesen, sein Outfit nach Marthas Wünschen zusammen zu stellen und anzuprobieren. Mit seinen 1,82 Meter war er zwar nicht gerade klein und die schwarze Lederhose, das weiße Hemd und die passende schwarze Lederweste standen ihm gut.
Etwas brav sah er aus, fand er, fast so wie in Konfirmandenzeiten, die nun auch schon über zwanzig Jahre zurück lagen. Immerhin hatte er damals weder Dreitagebart noch sein Kopfhaar auf der gleichen Länge gehabt. Und auch andere Stellen musste er damals noch nicht rasieren.
Aber würde er Marthas Anforderungen genügen? Eines war klar. Wenn sie ihre Heels trüge, würde sie ihn um etwa sechs Zentimeter überragen. Diese Vorstellung erregte ihn, und er lenkte sich wieder mit der Ode ab.

Pünktlich um 20.00 Uhr klingelte er bei Martha.

Die nächste Stunde verbrachten sie damit, Spielzeuge auszuwählen, die zur Party mit sollten: eine von Arno selbst gebaute Peitsche, sein erstes Geschenk an Martha, ein Rohrstock, Ketten, Ledermanschetten, Klammern, Karabinerhaken und eine aus zwei Essstäbchen hergestellte Zungenklemme sollten es sein. Die Atmosphäre war locker und heiter. Arno durfte sogar den Rohrstock ölen, der stundenlang in der Badewanne gewässert worden war.

Sie zogen sich um, Arno sein „Konfirmandenoutfit“, Martha ihr Seidenkorsett und den Frack mit den dazugehörigen Hosen ihres Großvaters, einem Kapellmeister. Dazu trug sie ihre Achtzentimeter-Heels, ihre schulterlangen dunkelbraunen Haare waren locker zu einem Mozartzopf gebunden.
Er fand sie umwerfend. Nicht erst jetzt war er froh, sie getroffen zu haben, erfrischende fünfzehn Jahre älter als er, eine Frau mit Humor und der Reife, die er bei Frauen seines Alters oftmals vergebens suchte.

Sie machten sich auf den Weg nach K., mit Arno als Chauffeur, erreichten nach zwanzig Minuten ihr Ziel: ein altes Fabrikgebäude, umgerüstet zu einem SM-Klub mit vielen Spielmöglichkeiten, einer Bar und einer Diskothek, in der sich hauptsächlich Gothics tummelten.

Der Klub war noch nicht offen und so standen sie auf dem Hof herum, auf Einlass wartend. Eine etwas schwer einzuschätzende männliche Gestalt in Jeans und heller Jacke näherte sich ihnen und fragte etwas Unverständliches. Nach mehrmaligem Nachfragen verstanden sie: „Wird hier SM gemacht und kann man da mitmachen?“
Martha und Arno versuchten ihm zu erklären, dass er in diesem Outfit nicht eingelassen würde, was bei dem Mann völlige Ratlosigkeit auslöste und bei den Beiden ziemliche Heiterkeit, die sie jedoch verbargen, bis er verschwand. Auch später tauchte er nicht mehr auf. Wahrscheinlich gab es keine schwarzen Klamotten in seiner Unterkunft.

Endlich ging die Tür auf und bald war der Klub gut bevölkert. Martha führte Arno durch die Räumlichkeiten und dann an die Bar. Dort trafen sie ein Paar, pensionierte Lehrer, wie sich herausstellte, mit denen sich Martha angeregt unterhielt, während sie Arno die Zungenklemme überstülpte, ihn anwies, neben ihr zu knien und die Ode noch einmal zu memorieren.

Zu viert betraten sie bald darauf den Spielraum, wo es einige interessante Dinge zu sehen gab. Der pensionierte Lehrer wurde von seiner Liebsten an den Pranger gestellt, Kopf und Hände eingeklemmt, so dass er die Vorstellung voll konzentriert genießen konnte.
Arno nahm vor Aufregung nicht viel davon wahr. Er kniete auf dem Boden neben einem wunderschönen Paar, das eine Art akrobatisches Spiel zelebrierte. Die junge Frau hing in einer Brückenposition an Händen und Füßen gefesselt in Ketten, nackt bis auf eine Korsage, ihr schönes Hinterteil mit Kerzen dekoriert. Martha fand, dies sei eine passende Stelle für ihr Vorhaben.

Sie befahl Arno, er solle laut und deutlich – so laut, dass die Schläge übertönt würden - nun die Ode an die Luft aufsagen.
Sein Herz klopfte bis zum Hals, und er fing an. Er hatte keine Ahnung, welchen Eindruck er auf seine Herrin und die anderen Spielenden machte, er bekam keine Luft, es wurde ihm schwindelig, aber die Ode erklang im Raum.

Auf einem Wege wandernd,
traf ich die Luft,
ich grüßte sie und sprach zu ihr
voll Ehrerbietung:
„Ich freue mich,
dass du einmal
abgelegt hast deine Transparenz,
so können wir miteinander sprechen.“

Es fühlte sich an, als würden die Peitschenhiebe der Spielenden leiser, als hielten alle die Luft an, die da so inbrünstig „besungen“ wurde – so kam es Arno vor. Sicherlich war es für alle Anwesenden wohl eine ganz neue Variante des SM.

Ich küsste ihren himmlischen
Herrschermantel,
hüllte in ihre Fahne
aus himmelblauer Seide mich ein
und sprach zu ihr:
Regentin oder Kamerad,
Faden, Blütenkrone oder Vogel,
ich weiß nicht, wer du bist, aber
um etwas bitt ich dich,
verkaufe dich nicht.
Das Wasser hat sich verkauft...

Martha stand stolz und schmunzelnd vor ihrem sub, der sich solche Mühe gegeben hatte, ihre doch etwas subtile Idee in die Tat umzusetzen und dieses Mammutwerk auswendig zu lernen. Sie fand, er machte seine Sache mehr als gut.

lass dich atmen,
lass dich nicht in Fesseln legen...

Wie überaus passend zum Ambiente!

Arno rezitierte flüssig. Zwei kleine Patzer blieben unbemerkt, auch dem aufmerksam lauschenden Publikum. Die meisten Paare hatten inzwischen ihre Spiele unterbrochen und hörten fasziniert zu.

Es wird kommen der Tag,
an dem wir befreien werden
Licht und Wasser
die Erde, den Menschen,
und alles wird dasein
für alle, wie du es bist.

Martha grinste. Diese Zeilen hätten auch von Spartakus, dem Urvater aller aufmüpfigen Sklaven, stammen können. Wie schön, dass ihr Arno so humorvoll und intelligent war, um Spaß an einer solch schwierigen Aufgabe zu haben. Er schätzte solche Herausforderungen genau wie sie auch.

Kurz vor Schluss - der Blackout. Hilflos blickte er zu Martha auf, voller Schamgefühl, im Bewusstsein, versagt, sie enttäuscht zu haben. Ruhig zog sie den Spickzettel aus der Brusttasche seines Hemdes. Ein Blick genügte, und die Worte waren wieder da.

Lass uns dort
hingehn, wo der neue Frühling
in Blüte steht,
und mit einem Windstoß
und Gesang
lass uns die Blumen verteilen,
den Duft, die Früchte,
die Luft von morgen.

Mit diesen Worten beendete Arno die Ode, glücklich, es geschafft zu haben und über den Stolz in Marthas leuchtenden Augen. Sie half ihm auf die Füße, sie umarmten sich und spürten die bewundernden Blicke der anderen Spielenden.

Auch das Lehrerpaar war begeistert. Sie reichte Martha lächelnd ihre Reitgerte, um ihrem Gefangenen ein paar Schläge auf sein inzwischen entblößtes Hinterteil zu verpassen. Martha nahm gern an, und kurze Zeit später zierten ein paar schöne rote Striemen sein Gesäß. Offenbar war es das erste Mal, dass er diese Erfahrung machen konnte, denn Martha hatte den Eindruck, dass die Beiden nicht viel Übung, dafür jedoch umso mehr Spaß an der Sache hatten. SM kennt eben keine Altersgrenze.

Sie gingen alle vier zurück an die Bar, tranken etwas, erzählten, lachten, gingen noch einmal in den Spielraum, wo dann noch die diversen Geräte zum Einsatz kamen und machten sich spät in der Nacht auf den Heimweg.

Ein wunderbarer Abend, der beiden noch lange in Erinnerung bleiben würde.

Verfasserin CataBina
Zitate aus "Elementare Oden" (Odas elementales), 1954, von Pablo Neruda in der Übersetzung von Erich Arendt

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