Nana & Kaoru - Fesselnde Liebe

Viele Leute denken bei "Manga" und "Erotik" noch immer an kritisch-kindliche Charaktere mit überproportionierten Augen und Brüsten, bizarren Tentakelsex, Massenvergewaltigungen und düstere Dämonen.

Das alles hat die Mangareihe "Nana & Kaoru - Fesselnde Liebe" aus der Feder von Ryuta Amazume nicht.

Stattdessen liefert Amazume eine im Grunde altbekannte und -bewährte romantische Liebeskomödie, die wie unzählige andere Mangas ihres Genres (sogenannte "Seinen"-Manga für junge erwachsene Männer) verläuft. Mit der großen Ausnahme, dass die Hauptcharaktere anders als gewohnt nicht nur in eine Liebes-, sondern auch in eine D/S-Beziehung hineinwachsen.

Unser männlicher Hauptcharakter heißt Kaoru Sugimura und ist ein eher unansehnlicher Oberschüler, den außer seinen Enthusiasmus für Pornografie und BDSM im Speziellen zunächst einmal nicht viel auszeichnet. Er gibt sein weniges Geld für Leder-Accessoires und Spielzeug aus und tauscht die neuesten Pornovideos mit seinen besten Kumpels. Heimlich schwärmt er für seine Nachbarin von nebenan, Schulkameradin und alte Sandkastenfreundin* Nana Chigusa, eine fleißige, sportliche junge Frau mit guten Noten, die sich in der Schule nebenbei noch für allerlei Nebenprojekte engagiert, sei es das Oberstufenkommitee, die Sport-AG oder sonstige anfallende Nebentätigkeiten, die sie sich auflastet.

Obwohl Nana und Kaoru sich schon seit Kindertagen kennen, haben sie sich privat längst aus den Augen verloren und begegnen sich nur noch gekegentlich in der Schule oder in ihrer gemeinsamen Nachbarschaft. Die schöne Nana scheint für Kaoru unerreichbar weit weg.

Der Beginn, der die ganze wunderbare Geschichte ins Rollen bringt, ist zugegebenermaßen sehr konstruiert und absurd - ich konnte dennoch getrost drüber hinwegsehen:

Kurz vor einer wichtigen Prüfung verzweifelt Kaorus Mutter einmal mehr an ihrem lernfaulen und nichtsnutzigem Sohn und sammelt entschlossen all seine SM-Spielsachen und Schmuddelheftchen ein, um ihn zum Lernen zu bringen. Sie gibt die Sachen in einer Tüte verpackt in Nanas Obhut, damit Kaoru nicht auf die Idee kommt, zu Hause danach zu suchen.

 

Doch auch Nana hat so ihre Probleme. Zwar ist sie gut in der Schule, kann aber keine Bitte abschlagen und hilft ihren Mitschülern bei vielen großen und kleinen Projekten, obwohl sie selbst mit dem Lernen, Schul-AGs und Alltag genug zu tun hat. Auch ihre Lehrerin bemerkt, dass Nana sehr überfordert wirkt und rät ihr, sich ein Ausgleichhobby zu suchen, um sich mental nicht bloß mit der Schule befassen zu müssen.

Völlig durcheinander vom Rat der Lehrerin und von Neugier getrieben schaut Nana abends natürlich in die Tüte und findet eine erotische und sehr freizügige Lederkombination, die sich mit einem kleinen Schloss verschließen lässt. Die Neugier lässt Nana trotz des ersten leichten Schocks nicht los und sie probiert das Wäscheset an und schließt sich versehentlich darin ein. Der passende Schlüssel befindet sich nicht in der Tüte und Nana kommt aus der Lederkombi nicht mehr alleine heraus.

Wohl oder übel muss sie Kaoru davon berichten und der wittert die vielleicht einzige Chance seines Lebens, eine echte Frau, noch dazu seinen heimlichen Schwarm, in solcher Kleidung live zu sehen. Nana muss sich ihrem Nachbarn also so sexy zeigen und von ihm lange ansehen lassen... Kaoru steht zum ersten mal vor der großen Verantwortung eines (angehenden) Doms, das Vertrauen einer ihm ausgelieferten Person nicht zu missbrauchen.

Am nächsten Tag ist Nana wie ausgewechselt und meistert völlig entspannt ihre Prüfung, wodurch sie Lob und Anerkennung durch ihre Lehrerin bekommt. Nana führt ihre entspannte Stimmung auf den abwechslungsreichen Abend mit Kaoru zurück und überwindet sich, ihn nach regelmäßigen "Abwechslungen" zu fragen, die natürlich streng geheim sind und von denen vor allem die Mitschüler nichts erfahren dürfen. Und so führen die beiden im Alltag weiterhin das distanzierte Leben, treffen sich aber von nun an regelmäßig, um immer wieder neue BDSM Spiele miteinander zu spielen. Kaoru denkt sich immer neue Dinge aus und lässt sich von seinen vielen Geschichten japanischer BDSM Meister inspirieren. Nana fasst immer mehr Vertrauen zu Kaoru und gibt sich ihm immer wieder aufs Neue hin. Für lustige und sexy Einlagen sorgt immer wieder eine hübsche Sexshop-Angestellte namens Tachibana, die Kaoru immer wieder Spielzeuge empfiehlt oder ausleiht und ihm mit weisem Rat stets zur Seite steht.

Der Leser erlebt die Entwicklung dieser (Spiel-)Beziehung in vielen Etappen. Vom ersten gemeinsamen unbeholfenen Bondage, zum ersten mal ein Halsband tragen, das erste aufregende Spanking, bis hin zum ausgiebigen Petplay.

Schon früh mischt sich eine weitere Mitstreiterin namens Ryoko Tachi in die Beziehung ein. Das aufgeschlossene, athletische und quirlige Mädchen mit den kurzen Haaren kommt hinter die erotischen "Abwechslungen" von Nana und Kaoru und wird zur Komplizin und Mitspielelerin. Obwohl Ryoko und Nana Freundinnen werden, wird Nanas Eifersucht durch die aufgeweckte Ryoko immer wieder angefacht. Doch Nana bringt es nicht fertig, sich einzugestehen, dass sie längst tiefere Gefühle für ihren so unattraktiven Kindheitsfreund entwickelt hat und der als Dom und engster Vertrauter soviel neue Seiten aus ihr hervorlockt.

 

Erwähnenswert ist hierbei, dass die Reihe trotz der freizügigen Themen und dem Erotikschwerpunkt niemals explizit wird und sich stets "FSK16" bewegt. Die äußerst detailreichen und liebevollen Zeichnungen der SM-Accessoires und Kleidungsstücke sind von einer Qualität und Ausarbeitung, wie man sie im erotischen Manga eher selten findet. Mit den zwei sehr unterschiedlichen weiblichen Figuren Nana und Ryoko werden unterschiedliche Geschmäcker der Leser angesprochen. Die Reihe ist vor allem für BDSM-Neulinge und Interessierte sehr empfehlenswert, sofern sie sich für Comics begeistern können und sich von der teilweise durch und durch japanischen Mentalität der Geschichte nicht abschrecken lassen. So erscheint es für westliche Leser auf den ersten Blick zunächst seltsam, dass Nana zwar bereits im ersten Band der Reihe vor Kaoru auf den Boden uriniert, sich aber über die weiteren Bände hinweg nicht traut, ihm ihre Gefühle zu offenbaren. Als ebenfalls westliche Leserin, die sich schon seit vielen Jahren mit Mangas und der japanischen Kultur beschäftigt, kann ich es selbst nur schwer in Worte fassen. Japaner zeigen selten tiefe Gefühle und offenbaren diese lediglich z.B. gegenüber engsten Freunden. Noch immer ist es verpönt, Liebesbekundungen wie Händchenhalten oder Küsse in der Öffentlichkeit zu zeigen. Auch dass Ryoko, die schon länger vollständig in die Spiele von Nana und Kaoru involviert ist, erst sehr spät mit ihrem Vornamen (Ryoko) und nicht mehr mit ihrem Nachnamen (Tachi) angesprochen wird, mag zunächst einmal sehr absurd wirken. Hier zeigt sich aber einmal mehr umso deutlicher das bereits vertraute Verhältnis zwischen Nana und Kaoru, die sich seit Beginn der Geschichte mit ihren Vornamen ansprechen.

Eigentlich ist "Nana und Kaoru" in ihren Grundelementen eine sehr stereotypische Love-Comedy Mangareihe für junge erwachsene Männer und ältere Teenager, die viele schon oft verwendete Zutaten verwendet:

Ein bestenfalls mäßig attraktiver Loser verliebt sich in seine Sandkastenfreundin, mit der er durch einen bestimmten Umstand nach längerer Zeit Funkstille wieder in Kontakt geraten ist. Mit der Zeit verlieben sie sich (wieder) ineinander, aber beide trauen sich nicht, sich ihre Gefühle zu gestehen. Meist wird das Paar immer wieder durch lustige Situationen gestört, nicht selten haben sie mit mindestens einer weiteren potentiellen Liebeskandidaten zu tun, die charakterlich und äußerlich das komplette Gegenteil des Hauptcharakters ist. In vielen Serien gibt es von diesen Frauen gleich mehrere, damit für wirklich jeden Geschmack der hauptsächlich männlichen Leser eine passende dabei ist. Dass Nana hier nur mit einer einzigen echten Konkurrentin zu tun hat, ist fast schon eine Ausnahme. Über kurz oder lang und nach vielen Missverständnissen landet der trottelige Held letztendlich trotz vieler Verführungen von wilden/ausländischen/offenherzigen Mädchen dann doch bei seiner wahren Liebe: dem leicht schüchternen, japanischen Mädchen, das er schon so lange kennt und liebt.

Bis Nana und Kaoru auch als offizielles Liebespaar zueinander finden, ist es ein langer Weg, der noch nicht beendet ist. 2008 erschien der erste Band in Japan und wurde 2010 auf deutsch vom Panini Verlag veröffentlicht. Aktuell sind 10 der insgesamt 12 Bände auf deutsch erschienen (Stand Mai 2014) und die erfolgreiche Reihe ist auch in Japan noch nicht abgeschlossen. Bisher gibt es für Fans noch eine Spin-Off-Reihe namens "Nana & Kaoru - Black Label", die ein Ferienabenteuer der beiden beschreibt, in dem sie auf Kaorus großes SM-Idol und Autor Sarashima-Sensei treffen. Dessen Sub und Geliebte ist keine geringere als Mitsuko Tachibana, die Angestellte aus Kaorus Stamm-Sexshop. Er und Nana dürfen mit dem erfahrenen Paar verreisen und bei dessen BDSM-Sessions zuschauen. Vor allem Nana lernt, was es heißt, solch eine D/S Beziehung langjährig gemeinsam zu leben und immer neue Grenzen zu erforschen.

Zusätzlich wurden mehrere Kapitel der Haupt-Mangareihe in zwei Realfilmen verfilmt und auch einen kurzen, aber hübsch animierten Anime (Zeichentrickfilm) gibt es bisher.

Immer wieder wird kritisiert, dass BDSM in "Nana und Kaoru" als Zeitvertreib abgetan wird, dass es als verharmlosend daher kommt, weil gerade zu Beginn der Beziehung noch keine Vertrauensbasis da sein kann. Das kann man wohl sicher so sehen, aber an dieser Stelle möchte ich nun etwas ausführlicher auf die sehr japanische Sache mit der *Sandkastenfreundin im Manga eingehen:

Die Sandkastenfreundin aus Kindertagen ist ein immer wiederkehrendes und äußerst beliebtes Phänomen in den romantischen Lovecomedies für Jungen und Männer. Sie ist so reizvoll, weil der "Held" sie schon so lange kennt, auch ihre alten, vielleicht damals schüchternen Seiten. Somit teilen sie vielleicht Geheimnisse oder alte Versprechen, die die zwei miteinander verbinden. Manche Sandkastenfreundinnen machen in der Zeit, in der sich das Paar nicht sieht, krasse Entwicklungen durch, werden vom wilden Tomboy oder schüchternen Mauerblümchen plötzlich zu eleganten, beliebten Damen. Oft entwickeln sie sich auch von ausgelassenen lieben Mädchen zu fleißigen, erfolgreichen Frauen, denen gegenüber der Held sich selbst nicht mehr gleichwertig sieht.

Der Hauptcharakter kennt aber dennoch all ihre Facetten und Seiten, nicht nur das heutige Ich der Frau und umgekehrt ist es genauso.

DIE Eine, die einen schon das Leben lang kennt, vielleicht, bevor man in der Schule ein Loser und unattraktiver Trottel war, weil das in der Kindheit völlig unwichtig war beim harmlosen, unschuldigen Spielen.

Nana ist nun also Kaorus Freundin aus Kindertagen. Kaoru ist Nanas erste wichtige Erinnerung, die ihr kommt, als sie an unbeschwerte und ausgelassene Tage denkt, in der die Schule mit all ihren Verpflichtungen sie nicht überfordert hat. Hier wird deutlich, wie viel Gutes sie mit ihrem damaligen Freund verbindet und so subtil die kurze Szene ist, so kann man sie doch als Zeichen eines gewissen Grundvertrauens verstehen, das Nana noch immer in Kaoru hat, denn sie spricht nicht mit ihren Freunden aus der Schule über ihre Probleme, sondern denkt an Kaoru, mit dem sie eigentlich nicht mehr viel gemein hat.

Wieso ist die Reihe nun also so besonders?

Bei der Vielzahl von japanischen Erotikmangas könnte man meinen, dass sämtliche Themen, insbesondere aus dem SM-Sektor schon mehrfach in gezeichneter Form vorhanden waren. Doch tatsächlich suchen Fans von "Nana und Kaoru" weltweit nach einer Mangareihe, die ähnlich und auch nur annähernd so gut ist.

Den besonderen Reiz machen sicher die typischen Lovecomedy-Elemente aus. Hier entwickeln sich mehrere Charaktere über einen längeren Zeitraum hinweg und es geht keineswegs nur um das Zeigen von sexuellen Handlungen. Der Leser erlebt, wie sich der unansehnliche Kaoru vom faulen Nichtsnutz zu einer Person entwickeln will, die mit Nana auf Augenhöhe steht. Er arbeitet an sich als Schüler, als Mann und auch als Dom, der Verantwortung übernimmt. Auch, wenn es in dieser Serie kein Safeword gibt, erleben wir, wie Kaoru verantwortungsvoll und konzentriert bei der Sache ist und immer wieder über sich selbst hinauswächst.

Auch der BDSM-unerfahrene Leser bekommt teils tiefe Einblicke ist die Gedanken und Praktiken hinter einer SM-Session - Was für ein Gefühl verschafft ein Bondage? Was fühlt eine Person, die sich ihrem Partner völlig hingibt und sogar schlagen lässt? Worin besteht der Reiz beim Petplay? Auf welche Sicherheitsmaßnahmen muss man achten? Letztendlich ist "Nana und Kaoru" aber eine erotisch-romantische und teils lustige Liebesgeschichte und kein Anleitungs-Manga für BDSM-Praktiken.

Hier geht es nicht darum, den Leser anzumachen, sondern mit den Charakteren und ihren liebevollen Eigenschaften und Fehlern mitzufiebern. Im Unterschied zu vielen Genrevertretern (auch aus dem Erotikbereich) erzählt die Reihe aber außerdem die Entwicklung einer D/S Beziehung zwischen zwei unerfahrenen Figuren, die sich in ihre Dom- und Sub-Rollen erst noch langsam einfinden müssen. Und dieser Aspekt ist bisher in der Tat neu und unverbraucht gewesen.

 

Nana & Kaoru - Fesselnde Liebe

Deutsch bei Planet Manga bei Panini Comics

Bisher 10 Bände auf deutsch erschienen

s/w, je ca. 200 Seiten

€7,95 pro Band

 

Bilder: © Ryuta Amazume/HAKUSENSHA, Inc., Tokyo

Deutsche Ausgabe © Panini Verlags GmbH

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