Hundsgemein

Er saß auf dem hölzernen Bänkchen vor den Metallspinden und sah, wie sein Knöchel hinter glitzernder Fassade verschwand. Tati oder Lady Tatjana, wie er sie nun vor dem Lord nennen sollte, kniete vor ihm.
Öse um Öse arbeiteten sich ihre schwarz-lackierten Fingernägel an der Schnürung seiner Stiefel nach oben und mit jedem Zug, mit dem sich das Lackleder fester um seine Füße schloss, fühlte er den Moment der Genugtuung näher heranrücken.

Er würde es diesen Biestern heimzahlen, dass seine Tati wochenlang sauer auf ihn war. Auch wenn er zugeben musste, dass sich ihr Zorn in den letzten Tagen merklich abgekühlt hatte und heute war sie sogar so liebenswert und schnürte ihm sein hochhackiges Schuhwerk, obwohl sie seinem Faible für Absätzen noch nie besondere Begeisterung entgegenbringen konnte.
Aber es waren nicht so sehr die Stiefel, die Tati in Rage brachten, sondern seine damit verbundene strikte Weigerung, in der Öffentlichkeit zu kriechen. Stundenlang hatten sie darüber debattiert, ob es einem Sub zustand, in dieser entscheidenden Frage sein Veto einzulegen.
Noch in der letzten Woche, als er in seinen neuen Ballerinas immer wieder vor dem großen Spiegel im Gang auf und abgetrippelt war, hatte sie ihm giftig zugerufen: „Ja, trainier nur, wenn du schon nicht kriechen willst wie Daisy und Trixi!“

Oh, wie er dieses unheilige Dreigespann hasste. Daisy, Trixi und ihr komischer Lord. Der schien sowieso Tati den Kopf gänzlich verdreht zu haben. Nicht nur, dass sie ihm erlaubt hatte, bei der letzten Party Hand an ihn zu legen, sondern bereitwillig war sie auch noch auf seine Einladung eingegangen, doch mal auf einen Tee vorbei zu kommen und dann mit Daisy und Trixi Gassi zu gehen. Sie hatte zum Glück auf seine Anwesenheit bei dieser Teerunde verzichtet; allerdings nur unter der Bedingung, dass er sie am Wochenende begleiten würde.
So saß er nun in seinem schwarz-gepunkteten Dalmatinerkostüm und Tati, die gerade die Fesseln seiner Stiefel mit den kleinen Schlössern versiegelte, lächelte zu ihm auf.
War es die Vorfreude auf den Lord, der ihrer Laune so plötzlich Auftrieb gegeben hatte? Gerne hätte er ihr noch mehr Grund zur Freude gegeben, aber bei aller Liebe, Kriechen in der Öffentlichkeit konnte er noch nie leiden und jetzt, wo es darauf ankam, den beiden Hexenbesen eine Lektion zu erteilen, kam das schon gar nicht in Frage. Daisy und Trixi, diese Biester, wie hatten sie ihn gedemütigt und wie dumm von ihm, auf sie reinzufallen.

Es war an einem heißen Augustabend gewesen, als Tati sich nach einigen Rum-Cola erinnerte, dass ja an diesem Abend eine Pet-Play-Party stieg. Er konnte nicht behaupten, dass ihm die Aussicht, an diesem Tierkarneval teilzunehmen, in Begeisterung versetzte. Tati dafür umso mehr. Ihr schien der Rum zu Kopf gestiegen und im Minutentakt bombardierte sie ihn mit den wildesten Kostümvorschlägen.
Nach einer Viertelstunde heftigster Diskussion beschloss sie, dass es am besten wäre, wenn er als Dalmatiner gehen würde, da dies mit Hilfe von Puder, Kajal und den Resten der Faschingsschminke schnell zu machen sei. Er stimmte ihr zu; allerdings nur unter der Bedingung, dass er wie gewohnt auf zwei Beinen unterwegs sein durfte.

Auch heute war er wieder gezeichnet von den charakteristischen schwarzen Punkten, doch Tati hatte diesmal auf Anraten des Lords auf eine Eigenkreation verzichtet und ihn wie Daisy und Trixi in Lycra gekleidet.
Im Gegensatz zu Tatis künstlerischer Hundeversion hatte dies den Vorteil, dass man auch noch nach Stunden auf überfüllten Partys wie ein Dalmatiner aussah und nicht wie ein verschmierter Köter vom Schrottplatz.

Wie lieb doch Tati heute war. Sie schien wie verwandelt im Gegensatz zu den letzten Wochen, lächelte ihm zu und stützte ihn sogar bei seiner noch etwas unsicheren Premiere in seinen Ballerinas. Nicht einmal das Getuschel der anderen Gäste, die sich eifrig darüber belustigten, dass ihr Hund auf zwei Beinen unterwegs war und seine Herrin um Kopfeslänge überragte, brachte sie heute aus der Ruhe.
Er hingegen genoss die vielen Blicke und fühlte wieder dieses wunderbare Gefühl der Erhabenheit in sich aufsteigen. Blickte mit gekonnter Arroganz auf all das andere Getier, das zu Seiten oder unter ihren Besitzern herumkroch.

Als sie das Kaminzimmer durchquerten, wandelten sich seine Emotionen jedoch schlagartig. Schmach mischte sich beim Anblick der Ledercouchen mit wilder Rachlust. Hier waren sie bei der letzten Party auf den Lord mit seinen Lieblingen getroffen.
Tatjana und Ed verstanden sich auf Anhieb prächtig und auch Daisy und Trixi nahmen sich des neuen Spielgefährten zunächst liebevoll an. Während Trixis Zunge sich nach kurzem Schnüffeln seinem Ohr näherte, strich Daisy mit ihrer Pfote zärtlich über seine Lippen. Eine Zunge fand den Weg in seinen Mund. Küsse bedeckten seinen Hals.
Wenig später riss ihn jedoch ein schmerzhafter Zungenbiss aus den aufsteigenden Traumlandschaften seiner Begierden. Er schrie auf und schubste Trixi im Affekt wütend gegen den Getränketisch. Unter lautem Gewinsel flüchteten die beiden zu Füßen ihres Herrn.
Die Indizien waren für Tati und Ed eindeutig und unter dem hämischen Gegrinse der Biester machte sein Arsch wenig später Bekanntschaft mit der Reisegerte des Lords.

„Komm, lass uns weitergehen!“, drängte ihn Tati, da er wie angewurzelt vor den Ledercouchen innegehalten hatte. Schnell verwischte er die Bilder der Schmach und noch süßer schien ihn nun der Geschmack der Rache. Gestützt auf die Schulter seiner Herrin betraten sie den Ballsaal. Nur kurz konnte er die auf ihn gerichteten Blicke genießen, dann drängte das eiserne Voliere in der Mitte des Raumes abrupt in seine Gedanken und führte ihn wieder zu jenem Abend.
Zusammen mit Daisy und Trixi hatte er in diesem Käfig den Rest des Abends zugebracht. Ihm, dem Übeltäter, hatte der Lord die Hände an die Gitterstäbe gefesselt, um seine Lieblinge vor weiteren Übergriffen zu bewahren. Während Ed anschließend mit Tati in der Bar verschwand, schlossen Daisy und Trixi nahtlos an ihr Präludium aus Lust und Schmerz an. Dabei führte ihn eine von beiden weiterhin mit Zunge oder Hand in wollüstige Ebenen, während die andere seine aufkommende Lust durch einen schmerzhaften Biss oder Krallenschlag sofort wieder abkühlte.

„Von wegen Lieblinge“, stöhnte er in sich, als sich die Fingernägel von Trixi schmerzhaft in sein Glied bohrten und damit die durch Daisys zärtlichen Zungenspiel an seiner linken Brustwarze aufsteigende Geilheit abrupt in ihre Schranken wiesen. Hochgradige Sadisten waren diese Biester und im Gegensatz zu Tatjana zeigten sie sich von seinem Gejammer nicht beeindruckt.

„Oh, schau mal, da drüben ist Ed mit seinen süßen Rackern!“, rief ihm Tati begeistert zu. Schlagartig kehrten seine Gedanken in die Gegenwart zurück. Nun sah auch er sie. Sie ruhten wie die Unschuldslämmer auf ihren Hinterläufen zu Seiten des Lords und blickten zu ihnen herüber.
Rache blitzte in seinen Augen auf. Bald schon würden ihre Handrücken die Bekanntschaft mit seinen schwindelerregenden Absätzen machen. Unter ihre gepuderten Näschen würde er ihnen seine neuen Stiefelchen drücken. Mal sehen, ob ihre Zungen auch auf Lack so flink waren wie auf seiner Haut.
Tatjana löste sich von ihm und eilte dem Lord entgegen. Er versuchte ihr in Würde nach zu stöckeln, was ihm zunächst auch gelang. Doch als er nur noch wenige Schritte von ihnen entfernt war, geschah es. Er hörte zunächst nur ein leichtes Knacken, schwankte, ruderte wild mit seinen Armen und fiel dann vornüber auf seine Handflächen. Stürzte herab aus seinen lichten Höhen wie ein Engel, der sich in Hybris über die Herrschenden erhoben hatte.
Die Blicke aller waren nun auf ihn gerichtet. Er hätte im Boden versinken wollen.

„Wechsle deine Schuhe!“, hörte er Tatis schneidend kalte Stimme, als der Schlüssel aufs Parkett schlug. Dann ging alles ganz schnell. Trixi preschte nach vorne, zerrte an der Leine und brachte den völlig überraschten Lord Sussex an den Rand eines Sturzes. Noch bevor er reagieren konnte, schnappte sie mit ihrer Vorderpfote nach dem Schlüssel, legte ihn genüsslich auf ihre Zungenspitze, genoss für einen Augenblick seinen entsetzten Blick und schluckte ihn dann genüsslich hinunter. Der völlig entgeisterte Lord versuchte noch das schlimmste zu verhindern.

„Trixi, zum Teufel! Was ist denn in dich gefahren! Los, aus jetzt! Gib den Schlüssel! Sei eine brave Trixi.“
Aber selbst, wenn sie gekonnt hätte, hätte Trixi diesen Schlüssel unter keinen Umständen wieder herausgerückt. Tatjana legte ihren Arm um seine Hüfte und versuchte ihn zu beruhigen.
„Nicht so schlimm, dann muss er eben schauen wie er mit einem Absatz klar kommt. Oder“, und da verzog sich ihr Mund zu einem Grinsen, indem sich aufgestaute Genugtuung spiegelte, „er muss sich wohl oder übel den Gewohnheiten der anderen Vierbeiner anpassen.“

Dem Lord, der die Situation noch nicht aus dieser Perspektive zur Kenntnis genommen hatte, dämmerte es, dass ihn diese zwangsläufig vierbeinige Fortbewegung des Gefallenen durchaus mehr behagte als sein arrogantes Herumstolzieren. Liebevoll kraulte er nun seine Trixi am Hinterkopf.
Wenige Stunden später, als Trixi und Daisy zu Füßen von Ed und Lady Tatjana ruhten und immer noch versuchten, den anderen Vierbeiner aufzumuntern, hatte Lady Tatjana die Einladung zum Breakfast bereits angenommen und sie musste dem Lord mit seiner Altersweisheit recht geben:

„Wenn schon die Hunde auf zwei Beinen gehen, dann ist das Ende nicht mehr weit!“, hatte er ihr bei einem Whisky zugeraunt. Sollte sich ihr hochnäsiger Dalmatiner ruhig noch ein wenig Schuldgefühle wegen des gebrochenen Absatzes machen.
Trixi hatte ihr versichert, dass sie ihn schon wieder aufpäppeln würden. Und wer konnte schon sagen, wie lange sich ein Frühstück hinziehen konnte. Aus einem Breakfast wurde schon schnell einmal ein Brunch und aus einem Brunch ein Lunch. Wer wusste das schon so genau, was da noch alles kommen konnte, bevor der zu Hause ruhende Ersatzschlüssel den Weg ins Schloss finden würde. Und wenn sie es sich recht überlegte, dann war der Lord mit Ausnahme seiner Hakennase eine durchaus attraktive Erscheinung.
Vielleicht lohnte es sich, sogar noch etwas länger seine Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen. In diesem Fall lag die einzige Hoffnung ihres nun vierbeinigen Begleiters darin, dass Trixi schnell kackte und man musste kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass sie dies mit Gewissheit nicht tun würde.

Der Abend war also zur vollen Zufriedenheit verlaufen. Der manipulierte Stöckel war im richtigen Moment gebrochen und Trixi hatte ihren Part ausgezeichnet gespielt. Es hatte Tatjana übrigens erstaunlich wenig Überredungskunst gekostet, um Trixi beim Gassigehen von ihrem Vorhaben zu überzeugen.


Verfasser Delomelanicon

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