Ritual

Rituale haben einen nicht unwesentlichen Einfluss auf das Spiel zweier BDSMler, bei manchen mehr -bei anderen weniger.

Für mich gibt es zwei Wesensmerkmale von Ritualen. Jene, die mich selber betreffen und jene, die meine soziale Interaktion betreffen. Mir selbst geben Rituale Struktur und Sicherheit, im Umgang mit einer anderen Person aber auch das Gefühl der Zusammengehörigkeit.

Mein BDSM ist individuell und daher sind mir durch Dritte vorgegeben Rituale ein Graus. Somit müssen sich meine Rituale aus der gemeinsamen Interaktion und den jeweiligen Vorlieben entwickeln. Ein Ritual, welches in unterschiedlichen Ausprägungen häufig bei mir vorkam, ist das Anlegen des Halsbandes. Ein Halsband, das ich anlege, kann auch nur von mir wieder abgenommen werden, denn es ist das Symbol des Geschenks der Hingabe.

Warum übe ich dieses Ritual aus und welche Bedeutung hat es für mich?
Nach meinem Verständnis von BDSM gibt der devote Part dem dominanten Part die Grenzen vor, in jenen darf sich der dominante Part dann aber frei bewegen. Das Anlegen des Halsbandes ist hierfür ein schönes Symbol. Ich würde niemals eine Frau zwingen, ein rituelles Halsband zu tragen. Würde sie sich dagegen wehren, würde ich es ihr nicht anlegen, denn ein solches Halsband steht nur meiner Sub/Sklavin zu. Genauso wie ich mir ihr Vertrauen erarbeiten muss, muss sie sich mit ihrer Hingabe mein Halsband erarbeiten. 

Um es anlegen zu können, muss ein Konsens zwischen uns bestehen, der lautet: „Du schenkst dich mir und ich erkenne deine Grenzen an.“ Kurz: Das Halsband bindet uns beide aneinander und bindet ganz sicher nicht nur sie. Mit dem Anlegen des Halsbandes überschreiten wir gemeinsam eine Grenze. Der Vorteil liegt auf der Hand, im Alltag gelten andere Regeln, als in diesem Bereich. Wo Grenzen fließend sind, gibt es Abgrenzungsprobleme und somit immer auch Konfliktpotenzial. Je intensiver BDSM betrieben wird, umso größer kann die Diskrepanz zwischen Alltag und BDSM werden. Das Anlegen hat somit Signalwirkung,  wird als Symbolhandlung sofort verstanden und wirkt sich auf das beiderseitige Verhalten  signifikant aus.

Dieses Ritual fördert sehr stark die Paarbindung, denn  es funktioniert nur, wenn  es von allen Beteiligten akzeptiert wird.  Das Halsband symbolisiert in einer materiellen Form die Verbindung von Dom und Sub. Es ist Zeichen des Konsenses, der Unterwerfung und auch der Harmonie. Ich habe in meinem Leben nicht vielen Frauen ein symbolisches Halsband (es gibt auch Funktionshalsbänder die vorwiegend der Fixierung/Optik dienen und für mich keine weitergehende Bedeutung haben) angelegt und diese Personen waren für mich immer sehr besondere Menschen. Daher wäre ich auch nie auf die Idee gekommen, irgendein Halsband oder gar ein bereits getragenes zu nehmen, sondern fertigte ganz individuell ein genau für sie passendes Halsband an.

Oftmals war auch das Anlegen des Halsbandes ritualisiert, es gab also einen Ablauf, der immer sehr ähnlich war.. Wenn ein Ritual eingeführt (=etabliert) ist, hat es eine stark entlastende  Funktion, die Darbietungsform wird bei häufiger Durchführung automatisiert und damit verbunden, findet eine Konzentration auf das Wesentliche statt. Wenn Sub also genau weiß, was zu tun ist, kann das Fallenlassen so bereits zu diesem Zeitpunkt geschehen. Rituale müssen wiederkehrender Natur sein, zum einen, weil es sonst gar keine sind, zum anderen aber auch, damit sie überhaupt als Anker fungieren können. Eine klare Struktur gibt Sicherheit und in meinem beschriebenen Fall sogar für beide Seiten. Die Gedanken werden auf einen Bereich gelenkt und andere Dinge werden ausgeblendet. Das Anlegen des Halsbandes ist damit sinnbildlich ein Urlaub vom Alltag, wenn diese Grenze überschritten wird, erfolgt die Konzentration auf die Rolle als Dom und Sub.

Ein Punkt, der Rituale besonders wirkungsvoll macht ist der, dass diese ganzheitlich wirken, sie wirken ein auf die Emotionen, die Kognition, die Motorik und eben auch auf alle Sinne. Etwas, das so mächtig ist, kann aber auch natürlich sehr leicht missbraucht werden. Der Fahneneid der Nazis und der Bundeswehr wäre hier ein gutes Beispiel. Symbolik und Ablauf sind sehr ähnlich, Inhalt und Intention sind aber grundverschieden.

Es gibt aber neben dem Missbrauch noch andere Punkte, die gegen eine zu starke Ritualisierung sprechen. Wo hier der Punkt erreicht ist, an dem sich der positive Effekt in einen negativen verändert ist individuell.

Vorgegebene Rituale
Manch ein BDSMler lebt nach Regeln und Ritualen, die andere festgelegt haben. Die beliebten „Regeln der O“ zum Beispiel sind angelehnt an einen Roman, in dem die Ausbildung einer Sklavin sehr detailliert beschrieben wird. Der Vorteil liegt auf der Hand, wenn sich alle an diese Vorgaben halten, gibt es eine große Anzahl konformer Spielpartner. Nicht umsonst ist das „Buch der O“ geprägt von dem Thema des verliehen Werdens. Gemeinsame Regeln schaffen eine gemeinsame Basis, also ein „Wir-Gefühl“ unter jenen BDSMlern, eine Gruppenzugehörigkeit, in der zudem ein weitgehender Konsens der Beteiligten besteht, wirkt auf die meisten Menschen immer positiv. Für mich persönlich überwiegen aber die negativen Faktoren. Ich habe keine Lust, als Dom zig Regeln zu überwachen, die ich selbst als unsinnig und zum Teil sogar kontraproduktiv ansehe. Mein BDSM dient meiner Lust und eben auch der meiner Partnerin; Vorlieben sind individuell und ein durch Unbeteiligte vorgegebenes Regelwerk wirkt auf mich einengend, wie ein Korsett von der Stange, welches nie den ästhetischen Anspruch und Tragekomfort einer guten Maßanfertigung erreichen wird. Was mir an BDSM auch gefällt ist, dass ich mich jenseits von gesellschaftlichen Konventionen bewege, würde ich nun fremde Regeln einsetzen, wäre dieser Freiheitsgedanke schnell wieder verflogen.

Viele Rituale
Wie beschrieben bringen Rituale Sicherheit und davon kann man doch eigentlich nie genug haben, oder? BDSM lebt von der Spannung, wenn ich nun alles sicher und berechenbar mache, ist es nicht viel mehr als ein gemeinsam gut einstudierter Tanz, es mag von außen toll aussehen, in Wirklichkeit ist es aber langweilig. Mal ehrlich, was ist erotischer? Ein perfekt einstudierter Walzer oder ein spontaner Tango? Für mich sind Rituale Ankerpunkte, aber ich liebe vor allem das raue, wilde, unberechenbare Meer. Meine Ankerpunkte geben mir die Sicherheit und ich laufe sie gerne für die ruhigen, innigen Momente an. Wenn ich an der Küste entlang von einem Hafen zum nächsten reise, werde ich maximal eine schöne kleine Bucht neu entdecken, wenn ich mich aber aufs Meer hinaus wage, kann ich neue Städte, Länder und vielleicht sogar Kontinente entdecken.

Für mich gibt es nur ein Ritual, auf welches ich nie verzichten werde, wenn ich wirklich auf eine Entdeckungsreise gehe: Eine Absprache vorab. Zum einen das Festlegen der Tabus durch die Sub und zum anderen die Festlegung eines Safewords. Ob es später noch andere Rituale geben wird, entscheidet das gemeinsame Spiel.

Der Unterschied zwischen einem Ritual und einer Regel ist meines Erachtens der, dass Regeln einen rationalen Kern haben, durch Zwang durchgesetzt und von einer Seite bestimmt werden können. Rituale hingegen sind von ihrer Natur her auf einen Konsens ausgelegt, haben eben nicht nur einen rationalen Kern, sondern als wesentliches Element die Symbolkraft.


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