Flügel aus schwarzem Leder

Die blaue Stunde, die Zeit der Dämmerung, in der an klaren Tagen das Blau des Himmels besonders intensiv leuchtet und alles andere daneben in einen goldenen Glanz taucht. Die mystische Stunde, in der sich der Tag verabschiedet und die Nacht ihren ersten Schritt im Zeitenlauf wagt.

Linda saß auf ihrem Balkon. Ein Glas Rotwein stand vor ihr auf dem kleinen Tisch neben ihrem Netbook, mit dem sie bis eben noch mit jenem Mann gechattet hatte, mit dem sie seit Monaten eine Fernbeziehung pflegte. Viele hundert Kilometer trennten sie voneinander und nur hin und wieder konnten sie einander treffen um sich nahe zu sein.
Über all die Wochen und Monate zeigte sich, dass ihr Fühlen und Denken miteinander im Einklang war, dass es mehr gab als ihre gemeinsame Passion und sie beide dadurch auch auf wunderbar menschliche Weise verband. Sie sprachen nur hin und wieder über Themen wie Bondage, Schmerz und Lust. Anderes war ihnen ebenso wichtig.
Die Liebe zur Kunst, gemeinsame Theaterbesuche oder einfach nur die ganz alltäglichen Ereignisse, die Beruf und Erleben im täglichen Auf und Ab mit sich brachten, besprachen sie in einer Vertrautheit, die sich über all die Zeit zwischen ihnen entwickelt hatte.

Als sie sich das letzte Mal vor einem Monat trafen, bekannten sie einander, dass sie ohne den anderen nicht mehr sein mochten, dass es endlich eine Lösung geben müsse, um die allzu große Distanz zu überwinden. Als stellvertretender Geschäftsführer einer angesehenen Firma konnte er es sich nicht leisten, anderen Ortes einen Neuanfang zu wagen.

Linda liebte ihre Arbeit in einer kleinen Buchhandlung der Stadt, in der sie lebte. Nebenbei hatte sie sich immer noch ein wenig Geld zusätzlich verdient, indem sie für einen angesehenen Verlag Lektoratsarbeiten ausführte. Doch sie hatte sich in der Großstadthektik nie wirklich zu Hause gefühlt. Sie sehnte sich nach Stille und den Blick ins Grüne.
Er lebte auf dem Land, jedoch in unmittelbarer Stadtnähe, sodass der Durst nach Kultur und all den Annehmlichkeiten, die eine Stadt zu bieten hatte, durchaus gestillt werden konnte. Nach der Trennung von seiner Frau hatte er sie ausgezahlt, sodass er sein schmuckes Häuschen am Rande eines kleinen Wäldchens ganz allein bewohnte.
Linda hatte sich umgehört, hatte Buchläden und Verlage in seiner Nähe kontaktiert, hatte Bewerbungen geschrieben, hatte gebangt und gehofft und gewartet. Vor einer Woche bekam sie Post von einem der Verlage mit einer Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Ohne ihm etwas davon zu erzählen, fuhr sie die vielen Kilometer.
Wie ein Mantra sprach sie auf der Fahrt immer wieder die Worte: „Ich bin gut. Ich kann das. Ich schaffe das.“ Aufgeregt und voller Hoffnung stellte sie sich vor, zeigte Arbeitsproben, gab sich locker, obwohl ihr all die Zeit das Herz bis zum Zerspringen pochte. Man entließ sie mit dem Hinweis, dass sie voneinander hören würden.

Linda griff nach ihrem Rotweinglas, schaute in den tiefblauen Himmel und lauschte dem Summen der Insekten und dem Abendlied eines kleinen Vogels aus dem nahe gelegenen Park. Ein Lächeln stahl sich in ihre Mundwinkel.
Heute, an ihrem ersten Urlaubstag, bekam sie einen Anruf. Eine freundliche Stimme teilte ihr nach der Frage, ob sie noch immer interessiert wäre, mit, dass der Vertrag zur Unterzeichnung vorbereitet sei. Der Weg zu ihm stand ihr nun offen. Glücklich erzählte sie ihm heute im Chat von ihrem Erfolg. Es irritierte sie, dass von ihm erst einmal keine Reaktion kam. Stille, kein Wort kam von ihm. Nur ein winziges: „Moment bitte.“

Doch dann schrieb und schrieb er, sagte ihr, wie sehr sie ihn überrascht habe, dass er kaum noch damit gerechnet habe, dass sich ein Weg zueinander finden würde. Er schmiedete Pläne und aus jedem seiner Worte sprach seine Freude, sein Glück, seine Liebe zu ihr. Viel zu wenig Zeit hatten sie, da er noch einen geschäftlichen Termin wahrnehmen musste.
Er verabschiedete sich mit den Worten: „Meine Linda, meine Kleine, du wirst in den nächsten Tagen ein kleines Paket von mir bekommen. Was ich dir darin sende, habe ich schon einige Zeit hier liegen. Doch ich wollte es nur der Frau geben, die tatsächlich bereit ist, den wirklichen Schritt zu mir zu gehen. Erwarte keinen Ring oder eines dieser klischeebehafteten Symbole. Erwarten darfst du das Zeichen meiner tiefen Liebe zu dir.“
Er wollte das noch heute in die Post geben, damit sie nicht zu lange darauf warten musste. Bis sie das Paket nicht geöffnet hatte, durfte sie nicht mehr mit ihm chatten oder ihn anrufen. Linda hoffte nur, dass sie nicht allzu lange warten musste.

Aus dem Blau der Dämmerung war inzwischen Nacht geworden und Linda fröstelte. Sie nahm sich ihr Weinglas und ihr Netbook und ging in ihre Wohnung, wo sie sich ein gutes Buch nahm, um ihre Gedanken wenigstens ein bisschen in eine andere Richtung zu lenken.



Zwei Tage musste Linda warten. Zwei Tage, in denen ihr die Minuten wie Stunden vorkamen und die Zeit so gar nicht vergehen wollte. Zwei Tage, in denen sie sich fragte, wie das Zeichen seiner Liebe aussehen mochte.
Als sie endlich das Paket in den Händen hielt, wagte sie zuerst nicht, es zu öffnen. Sie kam sich vor wie damals als kleines Mädchen, wenn zu Weihnachten endlich die Geschenke ausgepackt werden durften und sie diese Stimmung der Vorfreude auf erfüllte Wünsche dadurch verlängern wollte, indem sie das Auspacken so lange hinauszögerte, bis ihre Geduld dann doch nicht mehr ausreichte.

So wie damals löste sie ganz bewusst die Verpackung. Das Paket aufzureißen wäre in ihren Augen ein nicht wieder gutzumachender Frevel gewesen. Nachdem sie das Klebeband gelöst und das Packpapier beiseitegelegt hatte, öffnete Linda den Karton. Sie sah schwarzes Seidenpapier, in dem etwas eingepackt war. Darauf lag ein Briefumschlag, den sie in die Hand nahm. Sie entnahm zwei dicht beschriebene Blätter und begann zu lesen:

Meine geliebte Linda, meine Frau, Partnerin, Freundin und meine Sklavin,

ich hatte schon nicht mehr daran geglaubt, dass für uns beide eine gemeinsame Zukunft möglich wäre. Von dir zu verlangen, dass du alles für mich aufzugeben habest, erschien mir zu vermessen. Ich selbst aber konnte mich auch nicht aus dem lösen, was mein Leben hier ausmacht.
Wir sprachen so oft darüber und suchten nach Lösungen. Umso mehr weiß ich zu schätzen, was es für dich bedeutet, den endgültigen Weg zu mir einzuschlagen, öffnest du damit doch die Tür in unsere gemeinsame Zukunft. In meinen Augen ist das ein eindeutiges Zeichen deiner Liebe und deines Wollens, das mein Herz mit unsagbarer Freude erfüllt. Ich sehne den Tag herbei, an dem ich dich endgültig in meine Arme schließen darf.

Meine kleine Linda, hier und heute möchte ich dir ein Zeichen meiner Liebe schenken, ein Zeichen, das nicht den gängigen Klischees entspricht und ein Versprechen und eine Botschaft an dich beinhaltet. Ich schenke dir Flügel aus schwarzem Leder. Indem ich dich mit ihnen binde, werde ich deine devote Seele befreien und sie zum Fliegen bringen. Sie sind Zeichen meiner Macht und sinnlichen Dominanz, die deine vollkommene Hingabe als die wahre Macht begreift.
Dein Vertrauen wird zu meiner Verantwortung und diese verlangt von mir, deinem Körper, deinem Herzen und deiner Seele Schutz zu bieten und eine Insel der Geborgenheit zu schaffen. Indem ich deinen Körper bändige, werde ich dir so manche Verweigerung bewusst machen, dich an Grenzen und darüber hinaus führen und deine, unsere Lust entfesseln.
Diese Fesseln aus schwarzem Leder werden unser Einssein mit Fordern und Ergeben erfüllen und Spuren auf unser beider Seelen hinterlassen. Durch sie wirst du Halt, Mut und Stärke finden und Heilung so mancher Wunden der Vergangenheit erfahren. Du wirst dich vor mir beugen, denn ich werde deinen Geist und deine Seele berühren. Dadurch werde ich deine Hingabe einfordern und deine Demut wecken. Ich werde von meiner Macht trinken und eine sonst so farblose Welt in allen Farben erstrahlen lassen. Gefesselt und nichts sehend, werde ich die Dunkelheit zum Leuchten bringen und aus deinen Schreien eine Melodie der Lust komponieren.

Ich erwarte von dir, dass du diese Fesseln, diese Flügel aus schwarzem Leder aufrecht und stolz tragen wirst. Nur so wird es mir möglich sein, dich vollkommen für mich anzunehmen, da das der einzige Weg für unser beider Erfüllung ist. Denn nicht nur du wirst mir gehören, sondern auch ich werde ganz der Deine sein.

In Liebe und Ergebenheit

Dein Mann, dein Partner, dein Freund und dein Herr

Linda hatte beim Lesen kaum gewagt, Luft zu holen. So sehr hatten sie seine Worte berührt. Sie legte seine Zeilen beiseite und griff behutsam nach dem schwarzen Seidenpapier, um das Geheimnis um die von ihm beschriebenen schwarzledernen Flügel zu öffnen.
Sie entnahm dem Paket fünf Teile, die sie vor sich auf den Tisch legte. Der Duft nach frischem Leder erfüllte den Raum. Tief berührt ließ sie ihre Finger behutsam, fast zärtlich über das streichen, was er ihr als Zeichen seiner Liebe geschickt hatte.
Vor ihr lag ein Halsband. Es war keines, wie sie es kannte, keines mit dem bekannten O-Ring. Dieses Halsband in edler Verarbeitung zierten drei D-Ringe und Linda sah bereits vor ihrem inneren Auge, was durch diese Ringe möglich wurde. Zu dieser Halsfessel gehörten zwei Handfesseln, die ebenfalls je einen D-Ring trugen, und Fußfesseln mit je zwei Ringen.
Oh ja, sie würde diese Fesseln tragen, voller Stolz und Demut als Zeichen ihrer Liebe zu ihm. Diese Fesseln aus schwarzem Leder, die zu Flügeln werden würden durch seine Macht und ihre Hingabe – Flügel aus schwarzem Leder.

Verfasserin Selina B.

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