Jacquelines Augen hatten sich mit Tränen gefüllt. Eine Mischung aus Trauer und Wut tobte in ihr. Für einen Moment sah sie vor ihrem inneren Auge Marcel. Er trug Kleidung aus der Zeit Ludwig des XIV. In einem kurzen Moment der Verwirrung verschmolzen Marcel und Fauchard zu einer Person. Erschrocken wischte sie das Bild beiseite. Anscheinend war sie wieder einer inneren Krise nahe.


Auch im Palais d’Auban spürte man im November 1686 die angespannte Atmosphäre. Der Leibchirurg des Königs, Charles Francois Felix, sollte Ludwig durch eine noch nie zuvor gewagte Operation von seiner Analfistel befreien, die ihm seit Jahren die Hölle auf Erden bereitete. Gesandte fremder Mächte kamen und gingen in beinahe rasender Folge im Palais ein und aus. Die Frage, die im Grunde alle bewegte, war die, ob Ludwig die Operation überleben würde. Für den Fall seines Weiterlebens, wie auch für seinen Tod, wurden Vereinbarungen getroffen, diplomatische Winkelzüge debattiert, Geheimverträge unterzeichnet.
Aufgrund der Fülle der Informationen, die ich in der üblichen Weise an die Säule gekettet eher unfreiwillig erhielt, fiel es mir bald schwer, unauffällig Papier für meine Nachrichten an Fauchard zu besorgen. In einer geheimen Botschaft beklagte ich mich auf dem letzten mir verbliebenen Stück Papier über diesen Umstand und wie durch ein Wunder fand sich ein Stoß abgelegtes Papier wie scheinbar zufällig auf einer Kommode im Gang vor der Kammer mit den Brennholzvorräten. Erst nach Ablauf zweier Tage, nachdem es keine Nachfrage wegen des verschwundenen Papiers gegeben hatte, wagte ich es, dieses Papier für meine geheimen Botschaften zu verwenden.

Am 18. November war der große Tag endlich gekommen. Ganz Paris schien in gespannter Unruhe zu vibrieren. Nachrichten und vor allem Gerüchte verbreiteten sich in Windeseile. Ein berittener Kurier war mit einer Botschaft zum Dauphin gesandt worden. Anfang Dezember gab es weitere Operationen, die Maître Felix anscheinend in großer Geschicklichkeit vollführte. Ganz Frankreich schien von einer fiebrigen Nervosität befallen. Die Spannung hielt bis zum elften Januar des Jahres 1687.
Bei einer öffentlichen Promenade in der Orangerie von Versailles nahm Ludwig die Huldigungen und Glückwünsche der Anwesenden zu seiner vollständigen Genesung und dem glücklichen Verlauf der Operationen entgegen. Kurz darauf besuchte Ludwig auf Wunsch seiner Mätresse das Kloster St. Cyr zu einem Dankgottesdienst. Die Nonnen hatten sogar anlässlich des hohen Besuches eigens eine Kantate komponieren lassen. Eine wunderschöne, getragene Musik, zu welcher der Text “Gott schütze den König” vortrefflich passte. Einer der Besucher, den seine Bekleidung unzweifelhaft als Engländer auswies, war von der Kantate so begeistert, dass er noch während der Aufführung wie ein Besessener Musik und Text notierte.
Als Begleitung meines Gebieters war es auch mir gestattet gewesen, an diesem imposanten Ereignis teilzunehmen. Zum ersten Mal konnte ich bei diesem Besuch die Mätresse Ludwigs, die Marquise Maintenon betrachten, die ich bisher nur aus Erzählungen kannte. Auch sie sah einige Male während des Dankgottesdienstes zu mir herüber, was aber ausschließlich auf meinen ungewöhnlichen Aufzug zurückzuführen sein dürfte.
Wie immer, wenn es mir zu den raren Gelegenheiten gestattet war, das Palais zu verlassen, war ich sorgfältig vorbereitet worden. In der üblichen Weise an Händen und Füßen gekettet, stand ich wartend in der Vorhalle. Geduldig ließ ich die Prozedur über mich ergehen, meinen Kopf in das Geschirr mit der goldenen Gesichtsmaske zwängen zu lassen. So unbequem es auch war, die Maske zu tragen, so sicher fühlte ich mich doch darin. Niemand würde je wissen, wer unter dieser Maske verborgen seinen anrüchigen Dienst für Frankreich ableistete.
Eine weite Pelerine mit Kapuze verbarg mein sonstiges Geheimnis und machte mich einem wandelnden Stoffballen nicht unähnlich. Die Feier war sehr ergreifend, auch wenn es in der Klosterkirche eiskalt war. Die äußere Kälte, die mir in jeden Knochen gekrochen war, wurde nach dem Verlassen der Kirche schlagartig durch ein inneres Brennen verjagt. Galant hatte mein Herr mir in die Kutsche geholfen und mich wie üblich an meinem Halsreifen darin angekettet. Ob es Absicht war oder Zufall, vermag ich bis heute nicht zu sagen. Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit ließ er den Vorhang vor dem Fenster einen breiten Spalt offen. Mit gemessenem Schritt entfernte er sich von der Kutsche und ging in Richtung der Kirchentreppe zurück.
Am Fuß der Treppe stand Fauchard. Beide redeten eine Weile intensiv miteinander. Die Unterredung verlief immer heftiger, bis mein Besitzer sich schließlich grußlos entfernte. Selbst aus meiner Entfernung konnte ich erkennen, wie betroffen Fauchard dem sich entfernenden persischen Gesandten nachblickte.

Der Abend im Palais verlief in einer frostigen Atmosphäre. Zum ersten Mal seit meiner Anwesenheit wurde ich zum Schlafen nicht in meinem Bett angekettet. Auch der nächste Tag verrann, ohne das mein Gebieter nach mir verlangte. Eine unheilvolle Vorahnung beschlich mich, ohne dass ich hätte sagen können, was es eigentlich war, das ich da befürchtete.
In den frühen Abendstunden erschien Yussuf, um mich zu holen. Das konnte nur bedeuten, dass meine Anwesenheit bei einem Treffen mit Fremden in der üblichen Weise bevorstand. Aber man hatte mich anscheinend nicht zu Aufwartediensten geholt, denn Yussuf kettete mich sogleich mit hocherhobenen Händen an die bewusste Säule und nur wenige Augenblicke später umschloss auch die goldene Maske meinen Kopf. Man ließ mich eine Ewigkeit allein im Raum stehen, trotzdem hatte ich die gesamte Zeit das Gefühl, beobachtet zu werden. Dann endlich öffnete sich die Tür und mein Gebieter betrat in Begleitung den Raum. Der Boden schien sich unter meinen Füßen zu öffnen wie eine Falltür, ein ungeheurer Schwindel benebelte meine Sinne.

Der Begleiter war Fauchard. Sie nahmen auf den Sitzkissen Platz und speisten während einer belanglosen Konversation, bis mein Besitzer hinter sich griff und eine Schatulle zu Tage förderte, die er dem verdutzten Fauchard vor die Füße stellte. Fragend sah der sein Gegenüber stumm an.
“Mein lieber Fauchard”, der Tonfall Qadir Abd al Mudhills war im höchsten Grad sarkastisch, “Sie wissen doch sicher bereits, dass meine Mission in Frankreich beendet ist? Ich wollte nicht aus Ihrem wunderbaren Land abreisen, ohne Ihnen Ihr Eigentum zurück zu erstatten!” Der Präfekt wurde bleich und rang sichtlich um Fassung. Es gelang ihm erstaunlich schnell, so dass seine Stimme bei der Antwort kühl und sachlich klang.
“Exzellenz, ich würde meine Arbeit höchst nachlässig betreiben, wenn ich nicht um Eure Abreise wüsste. Jedoch ist mir nicht bekannt, dass sich etwaiges Eigentum von mir in Euren Händen befinden sollte.” Er hob das Weinglas mit erstaunlicher Ruhe, um die ich ihn beneidete, an den Mund und trank einen Schluck.
Der persische Gesandte deutete auf die Schatulle, die nach einem gewissen Zögern von Fauchard geöffnet wurde. Mit gerunzelter Stirn griff er hinein und entnahm der Schatulle einige der Papierfetzen, mit denen sie angefüllt schien.
“Greifen Sie nur zu lieber Fauchard. Das sind die Früchte von zehn Jahren schmerzlicher und mühevoller Arbeit.” Immer noch schien Fauchard, im Gegensatz zu mir, nicht zu wissen, was er da in der Hand hielt. In diesem Moment starb ich hundert Tode.
“Das, Herr Präfekt der Geheimen Staatspolizei, sind die Nachrichten, die Ihnen Ihr Spion aus dem Palais d’Auban schmuggeln wollte. Sie dagegen erhielten lediglich Fälschungen, die ich Ihnen untergeschoben habe, wie Sie mir diese wirklich entzückende Hure. Ich habe beides die ganzen Jahre über sehr genossen.” Auf sein Händeklatschen hin erschien Yussuf und verbeugte sich tief. Augenscheinlich wusste er bereits, was sein Herr von ihm verlangte.

Das Entsetzen hatte mich starr werden lassen, so ließ ich willenlos geschehen, was mir mein Gebieter und das Schicksal nun zugedacht hatten. Mit einer eigentümlich aussehenden Zange näherte sich Yussuf meinen Brüsten und öffnete die Ringe, die mich als Eigentum von Qadir Abd al Mudhill auswiesen. Klirrend fielen sie zu Boden. Stück um Stück entfernte der Diener auch meine Fesseln, die mich während der vergangenen zehn Jahre in der Gewalt meines Besitzer gehalten hatten.
Wie eine leblose Statue verharrte ich neben der Säule, die mir soviel Leid und Pein bereitet hatte. Laila erschien und kleidete mich in ein ganz normales französisches Dienstbotenkleid. Es war ungewohnt und fremdartig, nach all den Jahren wieder ein Kleid, dazu noch aus grobem Stoff, zu tragen. Behutsam sammelte sie die nutzlos gewordenen Insignien meiner Sklaverei vom Boden und knotete sie in ein Tuch, das sie mir übergab.
In einem Ansturm der aufwallenden Gefühle stürzte ich zu meinen Gebieter, der mich anscheinend davonjagen wollte und fiel vor ihm zu Boden. Meine heißen Tränen benetzten seine bloßen Füße, die ich mit leidenschaftlichen Küssen bedeckte. All mein Flehen und Bitten war indes vergebens. Ungerührt gab er Yussuf den Befehl, mich unverzüglich in mein altes Heim zu bringen.

Mein Haus hatte offensichtlich die ganzen Jahre über unbewohnt dagestanden, jedoch hatte mein Neffe ab und an nach dem Rechten geschaut. Da saß ich nun in meinem Elend. Bei jedem Geräusch vor dem Haus zuckte ich zusammen, denn ich war mir sicher, dass Fauchard mich holen lassen würde.
In einem Augenblick der Klarheit verbarg ich das zusammengeknotete Tuch mit meinen jetzt nutzlosen Fesseln in einem sicheren Versteck im Keller meines Hauses. Hastig packte ich einige Habseligkeiten und den Rest meiner Barschaft und begab mich umgehend auf die Flucht.
Ein irrwitziger Gedanke beseelte mich. Nach Marseille wollte ich fliehen. Dort ein Schiff besteigen, das mich ins Heilige Land bringen sollte. Von dort, so malte ich es mir aus, würde ich nach Persien reisen, um meinen Gebieter um Gnade anzuflehen. Und wenn ich als gemeine Küchenmagd in seinem Haushalt hätte leben müssen. Es wäre mir gleich gewesen, wenn ich nur in seiner Nähe leben dürfte.

Meine Flucht, und damit alle Träume, endete schmählich am ersten Relais südlich von Paris. Die Schergen von Fauchard erwarteten mich bereits und zerrten mich brutal in eine wartenden Kutsche. In zügiger Fahrt brachte man mich nach Paris zurück, ohne dass sich mir der Hauch einer Chance für eine Flucht geboten hätte. Hatte ich noch inständig gehofft, in das Büro des Präfekten gebracht zu werden, fand ich mich jedoch in den Kerkern der Geheimen Staatspolizei wieder. Der letzte Rest meiner spärlichen Hoffnung entschwand, als man mich umgehend in Ketten legte.
Verglichen mit den Fesseln, die man mir jetzt anlegte, waren die der vergangenen Jahre eine wahre Wohltat gewesen. Schon nach kurzer Zeit hatten die groben Eisenschellen die Haut um meine Hand- und Fußgelenke aufgescheuert. Aus dem Umstand, dass man mir die Eisen angeschmiedet hatte, schloss ich, dass meine Freilassung nicht in absehbarer Zeit anstehen mochte.
Es verging tatsächlich auch mehr als eine Woche, bis man mich aus meinem abstoßenden Kerkerloch in das Gewölbe führte, das mir nur zu gut in Erinnerung war. In erbarmungswürdigen Zustand stand ich vor Fauchard. Hatte er bis dahin anscheinend in unterdrückter Wut auf seinem Stuhl gesessen, tobte er jetzt. Kaum hatte man mich an den Handfesseln in eine mehr als schmerzhafte Position emporgezogen, riss er mir persönlich ungeduldig die Kleider in Fetzen vom Leib. In schäumender Raserei drosch er mit einer Gerte auf meinen ausgelieferten und wehrlosen Körper ein, bis ihm die Kräfte versagten.
Von den Schultern bis zu den Waden hatte er meinen Körper in beinahe eine einzige blutende Wunde aufgeplatzten Fleisches verwandelt. Meine Schreie waren längst verstummt, meinen Körper fühlte ich nicht mehr. Erst in der Kerkerzelle kehrte meine Seele in ihre geschundene Wohnstatt zurück.
Die Wunden begannen schon am Tage darauf zu eitern; ein furchtbares Fieber packte mich und brachte mich dem Tode mehr als nahe. Für über eine Woche schwebte ich im Fieber an der Schwelle von Leben und Tod. Nur langsam kehrte danach das Leben in meinen erbärmlichen Körper zurück.

In diesem Zustand schleifte man mich erneut in das Foltergewölbe. Angeekelt wandte Fauchard sich von mir ab, als mich die Schergen direkt vor seinen Füßen zu Boden fallen ließen und hielt sich sein Taschentuch unter die Nase. Mehrere Eimer Salzwasser schüttete man über mir zum Säubern aus, einige der noch nicht vollständig verheilten Striemen brannten mit heißem Schmerz.
“Armandine! Sie haben Frankreich und mich schwer enttäuscht! Ein nicht wieder gutzumachender Schaden ist durch Ihre Schuld entstanden. Wie konnten Sie nur?” Eine tiefe Regung in mir verlangte danach, ihm ins Gesicht zu spucken. Doch meine Klugheit gebot mir, ihn nicht weiter zu reizen.
So antwortete ich ihm gleichmütig: “Euer Gnaden haben doch für solche Fälle ein probates Mittel. An der Place de Grevès haben Sie mir demonstriert, wie man mit Feinden Frankreichs zu verfahren pflegt.” Erstaunlicherweise behielt er seine Fassung.
“Nein Armandine, so billig kommen Sie mir nicht davon!” drohte er ingrimmig. “Der Tod wäre eine unverdiente Gnade, die ich Ihnen nicht angedeihen lassen werde! Sie werden teuer für die Schmach bezahlen!” Die Aufregung kehrte in ihn zurück.
Mit überschnappender Stimme bellte er einige Befehle, denen man unverzüglich nachkam. So fand ich mich wenig später mit Hals und Händen in einen Pranger eingesperrt wieder. Auch dieses Mal sauste die Gerte in ungezügelter Wut auf meinen Körper nieder, bis mein Schreien endete.
“Du verdammtes Miststück von einer Hure hast Frankreich geschändet, jetzt wird Frankreich dich schänden, du verkommenes Stück Fleisch!” Mit diesen Worten öffnete Fauchard seine Hose und nahm mich mit brutaler Gewalt. Kaum hatte er sich aus mir entfernt und seine Hose gerichtet, winkte er die Folterknechte herbei.
“Bedient euch, sie gehört euch!” Mit einem höhnischen Kratzfuß verabschiedete er sich von mir und verließ das Gewölbe. Die folgenden Stunden waren wohl die erniedrigendsten meines Lebens, selbst bei Qadir Abd al Mudhill war ich solcher Schmach nicht ausgesetzt worden. Mehr tot als lebendig warf man mich wie einen nassen Sack in meine Zelle.
Dieses unwürdige Schauspiel wiederholte sich in schier endloser Folge, bis meine Sinne so abgestumpft waren, dass ich die Berührungen der Männer nicht mehr spürte.

Von diesem Zeitpunkt an ließ man mich in Ruhe. Man schmiedete mir zusätzlich ähnliche Ketten an, wie ich sie im Palais d’Auban getragen hatte. Nur fehlte diesen die Eleganz und Glätte. Eine schwere Kette hielt mein Halseisen mit einem Ring in der Mauer verbunden, so dass ich zwar gerade ohne gewürgt zu werden auf dem Boden davor liegen konnte, schränkte aber meine Möglichkeit zur Bewegung noch weiter ein. Einmal täglich brachte ein Wärter Essen und Wasser, entleerte den Eimer für die Notdurft und kontrollierte meine Ketten. Sonst verirrte sich niemanden in meiner armselige Zelle.
Tag um Tag verging, ich verlor jedes Zeitgefühl. Ein monotones Einerlei stumpfte mich soweit ab, dass ich sagen kann, ich vegetierte in der gleichen Weise dahin wie das Ungeziefer in meiner Zelle. So verfloss die Zeit in einem unbestimmbaren, zähen Morast.

Erschrocken fuhr ich aus meinem Dämmerzustand auf. In meiner Zelle standen mit Fackeln bewaffnete Männer. Voller Furcht wich ich soweit zurück, wie es meine Ketten nur zuließen. Einer der Männer trat vor und näherte sich mir vorsichtig.
“Haben Sie keine Angst, wir tun Ihnen nichts! Wir werden Sie jetzt von Ihren Ketten befreien!” Ungläubig starrte ich ihn an und lallte mit meiner aus der Übung gekommenen Stimme einige Fragen. Er lächelte freundlich.
“Der Präfekt Fauchard? Oh, lassen Sie mich überlegen. Der muss jetzt wohl schon etliche Jahre tot sein. Und warum Sie freigelassen werden? Ja, wissen Sie es denn nicht?” Er unterbrach sich.
“Ich Tor! Natürlich können Sie es nicht wissen. Unser neuer König Ludwig der XV hat zur Feier seiner Thronbesteigung eine Amnestie verkündet! Sie sind frei!” Ungläubig starrte ich ihn an.
Ludwig war gestorben? Für einen Moment schwieg der junge freundliche Mann, als ich ihm meine brennendste Frage gestellt hatte. Fast zärtlich und mit bewegter Stimme antwortete er erst nach einer geraumen Weile. Der Schrecken stand ihm ins Gesicht geschrieben.
“Wie lange sind Sie hier Madame? Seit dem Jahr, in dem Ludwig der XIV an seiner Fistel operiert wurde? Mein Gott! Das ist ja...”, er brach entgeistert ab. Seine Stimme sank zu einem Flüstern herab.
“Madame, das war vor 28 Jahren. Wir schreiben das Jahr 1715!”

Betäubt schloss ich die Augen und ließ ohne Regung geschehen, dass man mich von den Ketten befreite. Der junge Mann kümmerte sich rührend um mich und ließ mich mit allem versorgen, was ich benötigte, um mich in einen zivilisierten Zustand zu versetzen. Unbehaglich bewegte ich mich in den Kleidern. Nach 28 Jahren der erzwungenen Nacktheit kratzte der Stoff unangenehm auf meiner Haut, so dass ich mich fast in meine Nacktheit zurück wünschte.
Mein Befreier brachte mich persönlich zu meinem Neffen, der mich wie eine Erscheinung anstarrte. Mein Haus erwies sich in einem passablen Zustand, alle Möbel sogar noch vorhanden. Das Ersparte, das ich auf einer Bank angelegt und bei meiner überstürzten Flucht nicht hatte mit mir nehmen können, reichte nun aus, um meinen bescheidenen Lebensunterhalt bis zum heutigen Tage, da ich dies schreibe, zu bestreiten.
Doch ich spüre, dass mein Leben sich bald seinem Ende zuneigen wird. Daher schreibe ich ein Testament, in dem ich meinem Neffen alle meine irdischen Besitztümer hinterlasse. Dem Leser oder der Leserin dieser Zeilen jedoch, wer immer dies auch sein möge, hinterlasse ich ein besonderes Erbe.
In dem Geheimfach meines Tisches im Salon habe ich in weiser Voraussicht einen Plan versteckt, der den Ort angibt, an dem sich in einer Schatulle die goldenen Fesseln und die Ringe, die mich als Besitz von Qadir Abd al Mudhill auswiesen, befinden. Mögen sie dem Finder mehr Glück bringen als mir, obwohl die zehn Jahre im Palais d’Auban trotz allen Leides zu den erfülltesten meines Lebens zählten.


Jacqueline Versol klappte mit Tränen in den Augen das Buch zu. Nun konnte sie verstehen, warum die Vorfahrin darauf drängte, dass Jacqueline das Buch zu Ende lesen sollte. Jemand musste ihre Leidensgeschichte erfahren, bevor Armandine de Marillac ihren Seelenfrieden finden konnte. Zögerlich umwanderte Jacqueline den Tisch im Salon. Eigentlich war es mehr als unwahrscheinlich, dass sie den Plan noch finden würde. Denn erstens mochte dies vielleicht gar nicht der Tisch von Armandine de Marillac sein und zweitens musste doch in all den Jahrhunderten jemand den Plan gefunden haben. Und wo sollte sie überhaupt nach dem Geheimfach suchen?
Behutsam klopfte sie auf der Suche nach einem Hohlraum die Tischbeine ab. Alle klangen voll und massiv. Jacqueline richtete sich auf. Ein Schreck durchzuckte sie wie ein Stromschlag. Ihr gegenüber, an der anderen Querseite des Tisches stand Armandine de Marillac. Mit einem freundlichen Lächeln deutete sie stumm auf die Tischkante, bevor die Erscheinung ins Nichts verschwand.
Neugierig betastete Jacqueline die Tischkante, jedoch ohne Erfolg. Suchend fuhren ihre Finger unter den Rand der Platte. Für einen Moment glaubte sie eine Unebenheit zu spüren und drückte und schob. Doch nichts geschah. Mit angehaltenem Atem ging sie in die Hocke und untersuchte die Unterseite der Tischplatte.
Zwei kleine Keile waren direkt an der Randleiste angebracht und schienen die Funktion zu haben, die Leiste zu stützen. Ein kräftiger Druck darauf mit den Zeigefingern führte zu keinem sichtbaren Erfolg. Mit einen Aufschrei, mehr Schreck als Schmerz, rieb sie sich die Stirn. Eine Klappe war aufgesprungen und hatte sie mitten ins Gesicht getroffen. Tastend fuhr Jacqueline mit einer Hand in den Hohlraum und beförderte mit einer Mischung aus banger Neugier und triumphierender Genugtuung eine Schriftrolle zutage.
Sorgfältig glättete sie das entrollte Pergament auf der Tischplatte und versuchte die Zeichnung zu enträtseln. Was sie schließlich zu entdecken glaubte, behagte ihr nicht besonders.

Das Versteck schien sich im Keller des Hauses zu befinden. Widerstrebend stieg sie die Kellertreppe hinab. Einige markante Punkte ließen keinen Zweifel, dass sie an der richtigen Stelle suchte. Immer tiefer drang sie in das alte Kellergewölbe vor, doch dann stimmte der Plan plötzlich nicht mehr mit der Wirklichkeit überein. An einer Stelle sollte sich eigentlich eine Tür befinden, die in einen letzten Raum führte. Aber es gab keine Tür.
Jacqueline hastete zurück und besorgte sich aus der Werkzeugkiste unter der Küchenspüle einen Hammer. Prüfend hämmerte sie an der Kellerwand. Nervös kaute sie auf der Unterlippe. Offensichtlich war die Tür zugemauert worden, denn die Mauer klang an einer Stelle so, als ob es dahinter einen Hohlraum gäbe. Allerdings machte das Mauerwerk einen mehr als stabilen Eindruck. Zu ihrer übergroßen Enttäuschung würde sie bis zur Rückkehr der Handwerker am Montag warten müssen.

Ausgerechnet an diesem Morgen kamen die Handwerker nicht pünktlich. Jacqueline war von der Ungeduld schon beinahe aufgefressen. Trotz ihres Unbehagens Kellern gegenüber ließ sie es sich nicht nehmen, dabeizusein als die Arbeiter mit dem Presslufthammer das Mauerwerk zertrümmerten. Staunend standen alle Beteiligten im Halbkreis vor der Holztür, die hinter dem Mauerwerk zum Vorschein gekommen war. Galant trat einer der Arbeiter neben die Tür und lud Jacqueline mit einer Geste ein, die Tür zu öffnen.
Die Luft in dem Raum dahinter stand vor Moder. Jacqueline rang nach Atem. Aufgeregt sah sie sich im Schein der Baulampe im Raum um. Entgegen ihrer Erwartung war er vollkommen leer. Sie ging zu der Wand, die laut Plan das Versteck beherbergen sollte und untersuchte sie aufmerksam. Die Arbeiter kehrten enttäuscht an ihre Arbeit zurück, da es offensichtlich nichts als einen leeren Kellerraum zu bestaunen gab.

In aller Ruhe klopfte Jacqueline somit ungestört die Wand von oben bis unten ab. Der Ton beim Abklopfen der Wand war überall gleichmäßig, nichts deutete auf einen Hohlraum hin. Nun war es Jacqueline, die enttäuscht den Keller verließ. Den ganzen Tag über verbrachte sie in dumpfem Brüten, das allerdings ergebnislos blieb. Ihre Enttäuschung war maßlos.
Beim Abendessen fiel ihr vor lauter Unachtsamkeit das Messer auf den Boden. Das Metall klirrte beim Aufprall laut auf dem gekachelten Boden. Versonnen starrte sie auf das Messer herab. Undeutlich formte sich eine Erkenntnis in ihrem Inneren. Mit einem Satz sprang sie vom Stuhl auf und rannte in Richtung Keller. Ein letztes Zögern, während sie den Türknauf für den Keller in der Hand hielt, erinnerte sie an ihre Abneigung gegen Keller und entlockte ihr ein Lächeln. Sie schien ein wenig ihre Furcht verloren zu haben.
Eilig durchquerte sie die Räume, bis sie zu dem ehemals zugemauerten Raum kam. Sie hatte Recht gehabt. Überall sonst im Keller war der Boden mit Steinplatten bedeckt, doch hier bestand er aus gestampftem Sandboden. Der Spaten war schnell aus dem Gartenhaus herübergeholt. Vor Anstrengung keuchend grub sie sich wie besessen an der Wand entlang in die Tiefe. Schon nach wenigen Spatenstichen erklang das ersehnte Geräusch. Mit einem dumpfen Laut war der Spaten auf Holz gestoßen. Behutsam grub sie weiter, bis das unförmige Stoffbündel vor ihr fast freigelegt war. Der Stoff zerfaserte bei der Berührung und gab die Sicht auf eine nahezu unversehrte Holzschatulle frei.

Jacqueline trug in fiebriger Aufregung ihre Beute in die Küche und stellte sie auf der Spüle ab. Es war nicht viel Aufwand notwendig, um die Schatulle mit einem feuchten Lappen von den Erdresten zu reinigen. Tränen der Enttäuschung füllten langsam ihre Augen, nachdem sie die Schatulle auf den Tisch im Salon abgestellt hatte. Die Schatulle war verschlossen. Es würde ihr in der Seele weh tun, das schöne Stück bei einem Öffnungsversuch zu zerstören. Somit hieß es wieder warten, bis sie die Schatulle von einem Schlosser öffnen lassen konnte. Doch dann kam ihr eine Idee.
Als Kind hatte sie öfter neugierig versucht, verschlossenen Schränken ihr Geheimnis zu entreißen, indem sie mit anderen Schlüsseln die Schlösser zu überlisten versuchte. Es gab sogar den einen oder anderen Erfolg dabei. Hastig sammelte sie alle verfügbaren Schlüssel zusammen, die in der Größe etwa passen könnten und startete einen Versuch. Jubelnd sprang sie in die Höhe. Einer der zusammengesammelten Schlüssel erwies sich als Erfolg. Ehrfürchtig klappte sie den Deckel auf.

Ein zusammengeschnürtes Stoffbündel lag in der Schatulle. Beim Anheben klapperte Metall auf Metall. Das Herz schlug ihr vor Aufregung bis zum Hals, das Blut rauschte in den Ohren. Mit fahrigen Fingern entwirrte sie den Stoffknoten und entbreitete das Tuch auf dem Tisch. Magisch funkelte das Gold im Schein der Lampe. Andächtig berührte Jacqueline den Halbreifen, der ihr am nächsten lag. Erst nach einer ziemlichen Weile getraute sie sich, die Teile in die Hand zu nehmen und näher zu betrachten.
Es handelte sich wirklich um wahre Meisterwerke der Goldschmiedekunst. Mit besonderer Scheu griff sie nach den Ringen, die ehemals Armandines Brustwarzen durchbohrt und sie als Eigentum des Persers gekennzeichnet hatten. Prüfend wog Jacqueline die Ringe in der Hand. Sie wogen tatsächlich in jeder Beziehung schwer. Mit einem gelinden Schrecken ertappte sie sich dabei, dass sie die Ringe in Höhe ihrer eigenen Brustwarzen gehalten und sich dabei begutachtend in der Glasvitrine gespiegelt hatte. Der Schreck vergrößerte sich, als sie spürte, dass ihre Brustwarzen dabei steif geworden waren. Verschämt legte sie die Ringe auf den Tisch zurück.
Auch die schimmernde Goldmaske verbreitete eine so magische Atmosphäre, dass es Jacqueline innerlich fast zerriss. Der Drang, die Maske zu probieren und die gleichzeitige Scheu davor rangen in ihr, bis die Scheu die Oberhand gewann. Und ein zweites Mal errötete sie an diesem Abend schamhaft, als sie einen unbändigen Drang verspürte, ihr Handgelenk in einen der Halbreifen zu legen.
Armandine hatte es vollkommen richtig beschrieben; es war beinahe angenehm, auf der Haut zu spüren, wie sich das kühle glatte Gold durch die Körpertemperatur langsam erwärmte. Im letzten Moment ertappte sie sich dabei, beinahe den Fehler zu begehen, die Hälften um ihr Handgelenk zusammenzudrücken. Es war erstaunlich, aber der Reifen würde wahrscheinlich wie angegossen passen. Damit war ihre Neugier unstillbar entfacht.
Als Erstes probierte sie aus, ob sich die Reifen wirklich nicht mehr öffnen ließen, wenn man sie zusammenschob. Mit einem trockenen Klicken rasteten die Hälften ineinander. Jacqueline zog und zerrte mit aller Kraft mit beiden Händen an dem Reifen, um ihn wieder zu trennen. Mit hochrotem Kopf und außer Atem musste sie aufgeben. Es war also gefährlich, die Hälften am Körper zusammenzubringen. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als die weiteren Versuche auf die Halbreifen zu beschränken.
Staunend stellte sie fest, dass alle Reifen auch ihr ziemlich genau passen müssten. Nachdenklich verstaute sie alles wieder in der Schatulle. Im hintersten Winkel des Kleiderschrankes fand die Schatulle ein sicheres Versteck. Die Brustringe dagegen lagen auf dem Nachttisch.

Gleich nach dem Frühstück des nächsten Tages fuhr Jacqueline in die Innenstadt. Der Juwelier, dem sie die Ringe vorlegte, sah für einen Moment verunsichert in ihr Gesicht und brachte sein Staunen über die sorgfältige Arbeit zum Ausdruck. Mit offen zur Schau gestelltem Stolz unterwies er Jacqueline im Umgang mit einer Spezialzange, mit der man mit einiger Mühe den Schließmechanismus der Ringe  wieder öffnen konnte. Zu einem sicherlich überteuerten Preis überließ er seiner Kundin die Zange und rieb sich wahrscheinlich innerlich die Hände.
Jacqueline konnte es kaum abwarten, wieder nach Hause zu gelangen. Sie zog bei ihrer Rückkehr noch nicht einmal die Jacke aus, sondern stürzte sich unverzüglich auf den Inhalt der Schatulle. Es gelang ihr beinahe auf Anhieb, den geschlossenen Reif wieder in seine zwei Einzelteile zu trennen. Da die Handwerker aber noch immer im Haus rumorten, entschied sie verschämt, alles Weitere auf den Abend zu verschieben. Ungeduldig fieberte sie dem Feierabend der Handwerker entgegen. Endlich lag das Haus in stillem Frieden.

Mit bebender Ungeduld und doch gleichzeitig zögerlich breitete Jacqueline den Goldschatz auf dem Salontisch aus. Versonnen betrachtete sie ihr Werk. In der entsprechenden Reihenfolge angeordnet lagen die Halbreifen da und funkelten verlockend im Licht. Griffbereit daneben versprach die Zange Hilfe. Stück um Stück probierte sie den Mechanismus aller Reifen, um sicher zu sein, dass sie sich ohne Ausnahme tatsächlich wieder öffnen ließen. Wieder ordnete sie die Reifen auf dem dunklen Holz des Tisches.
Zweifel tauchten in ihr auf, ob sie den nächsten Schritt gehen sollte. Der innere Kampf tobte beinahe eine Stunde. Ein schmerzendes Ziehen überall im Körper begleitete die widerstreitenden Gedanken, die nahezu unkontrolliert durch Jacquelines Kopf rannen. Das Ziehen steigerte sich, bis zusätzlich ein kribbelndes Gefühl im Nacken dazukam. Ihr wurde abwechselnd heiß und kalt. Feiner kalter Schweiß trat in winzigen Perlen aus den Poren der Haut und ließ Teile der Kleidung an ihr kleben. Begleitet von einem innerlichen Ruck trat die Entscheidung ein.
Mit einem hellen Klicken rasteten die beiden Halbreifen um ihr linken Handgelenk zusammen. Fast augenblicklich griff Jacqueline nach der Zange und öffnete mit vor Spannung angehaltenem Atem den Verschluss. Erleichtert strömte die Atemluft hörbar aus ihrer Nase ins Freie. Der Reifen ließ sich mit ein wenig Kraftaufwand nahezu problemlos wieder in seine beiden Hälften trennen. Ihr war inzwischen heiß geworden, die Kleidung wies an etlichen Stellen dunkle Flecken auf. Mit steigendem Unbehagen spürte sie die unangenehme Feuchtigkeit des durchgeschwitzten Stoffes auf der Haut Sie glühte innerlich und sehnte sich nach einer Abkühlung. Hastig entledigte sich Jacqueline daher ihrer gesamten Bekleidung. Gleichzeitig war sie so perfekt für die weiteren Schritte ihres Experimentes vorbereitet. Sorgsam legte sie einen Reifen nach dem anderen an und ließ die Verschlüsse einrasten.

Das kalte Metall, das ihre innere Hitze aufzusaugen schien, erwärmte sich trotzdem nur langsam. Jacqueline schauerte, aber nicht nur wegen der Kälte des Metalls auf ihrer Haut. Ihr Atem war kaum noch spürbar, flach und beinahe ohne Bewegung der Muskeln. Diese Bewegungslosigkeit hatte aber nicht nur ihren Atem erfasst, ihr ganzer Körper schien erstarrt. Eine feine Bewegung ließ ein leises Klingeln eines der Ringe an einem Reifen ertönen. So leise das Klingeln auch war, es erschreckte sie bis tief ins Innere und ließ sie endgültig erstarren.
Ein Brausen, das in ihren Ohren tönte, erweckte sie aus der Starre. Langsam und vorsichtig, als ob die Reifen durch die Bewegung abfallen könnten, ging sie zum Ankleidespiegel im Flur. Ungläubig bestaunte sie das Bild im Spiegel. Eine eigentümliche Wärme stieg entlang ihrer Wirbelsäule in Richtung Kopf nach oben. Für den winzigen Bruchteil einer Sekunde spürte sie eine ungeheure Erregung. Aus heiterem Himmel brach sie in Tränen aus und rannte in den Salon zurück. Mit zitternden Händen riss sie sich förmlich die Reifen vom Leib und flüchte, nackt wie sie war, ins Bett. Haltlos schluchzte sie ins Kopfkissen, bis die Tränen versiegten.
Es war auch ein Stück Mitleid an dem Schicksal der Vorfahrin gewesen, das die Tränen fließen ließ. Den eigentlichen Anteil daran hatte aber sicher die plötzlich einsetzende Abscheu vor sich selber. Die Scham über die Empfindung einer lustvollen Erregung verursachte ihr eine unterschwellige Übelkeit. Mit dem festen Entschluss, den gesamten Goldschatz am nächsten Tag an einen Juwelier zu verkaufen, schlief Jacqueline auf der Stelle versöhnt ein.

Ein wirrer Traum weckte sie gegen halb drei in der Früh. Sie fror. Bibbernd und mit Zähneklappern schlüpfte sie in den Schlafanzug und kuschelte sich in die wärmende Decke.
Am Morgen erwachte sie mit einem glühenden Fieber, das ihren ganzen Körper in Brand gesetzt zu haben schien. Mühsam schleppte sie sich ins Bad und nahm ein Aspirin. Wie betäubt fiel sie daraufhin erneut in Schlaf. Bis auf wenige Pausen verschlief sie den ganzen Tag bis zum folgenden Morgen. Jacqueline fühlte sich so elend, dass sie den Besuch beim Juwelier vorläufig im Geiste verschob. Erst gegen Ende der Woche fühlte sie sich wieder einigermaßen frisch und gesund.
Besorgte Freunde hatten in der Zwischenzeit nach ihr gesehen und sie mit dem Nötigsten versorgt. Aber die drängendste Sorge hatte ihr keiner der Freunde nehmen können: Die Schatulle mit den goldenen Fesseln. Eine Woche lang stand die Schatulle unbehelligt im hintersten Winkel des Kleiderschranks. Nach Ablauf der nächsten Woche schien die Schatulle aus Jacquelines Gedächtnis verschwunden und stand weiter unbeachtet im Kleiderschrank.
Die Woche war anstrengend gewesen, das Wochenende daher mehr als willkommen. Der Abend sollte so richtig gemütlich werden. Erschöpft ließ sie sich auf die Couch fallen und schaltete den Fernseher ein. Elektrisiert fuhr sie in die Höhe. Eine Sendung über archäologische Funde in Südamerika präsentierte eine goldene Maske aus der Zeit der Inkas. Diese Maske sah fast genau so aus, wie die Maske aus der Schatulle.
Mit zitternden Fingern schaltete Jacqueline den Fernseher abrupt aus. Wie ein Echo ihres vergangenen Fiebers glühte es in ihr. Schluchzend sank sie in sich zusammen. Ihre Kraft reichte für einen geordneten Widerstand nicht mehr aus. Mit tränennassen Augen und gelegentlichem Nasehochziehen trug sie die Schatulle aus dem Schlafzimmer in den Salon hinüber. Mit innerer Spannung und Herzklopfen breitete sie den Inhalt auf dem dunklen Holz des Tisches aus.

Es kam ihr plötzlich wie ein Verrat vor, die goldenen Fesseln ihrer Vorfahrin in den Schmelzofen wandern zu lassen. Die Verkrampfung in ihrem Brustkorb löste sich augenblicklich, als sie einen erneuten Entschluss fasste. Diesmal den Entschluss, alles zu behalten. Zögerlich näherten sich ihre Fingerspitzen der Maske und strichen sachte über das glatte Metall. Wie in Trance zog sie die Maske näher. Bis jetzt hatte eine tiefe Scheu sie davon abgehalten, die Maske näher zu untersuchen. Doch der Moment war jetzt gekommen. Ohne innere Gefühlsregung betrachtete sie die Schmiedearbeit. Prüfend drehte sie die Maske in den Händen. Kein Verschluss wie bei den Fesseln. In einem Scharnier bewegliche Bügel, die das geformte Vorderteil am Kopf befestigten, trafen sich am Hinterkopf in einer Öse. Ein Vorhängeschloss würde die Bügel unverrückbar in ihrer Position halten und damit die Maske unentrinnbar auf dem Kopf.
Im Werkzeugkasten unter der Küchenspüle fand sich ein unbenutztes Vorhängeschloss. Ein paar Mal ließ sie nervös das Schloss zuschnappen und öffnete es wieder. Abrupt wuchtete sie sich an der Tischkante in den Stand und wäre fast gestürzt, weil der Blutdruck absackte. Nach einem Moment des Taumels fing sie sich und ging ins Schlafzimmer hinüber. In einen Koffer mit abgelegter Kleidung fand Jacqueline, was sie gesucht hatte.
Zögerlich kehrte sie aus dem Schlafzimmer in den Salon zurück. Minutenlang stand sie am Tisch und starrte die Maske an. Bedächtig atmete sie durch die Nase und spürte den warmen, feuchten Luftstrom auf der Oberlippe. Die seidene Sturmhaube aus den Tagen des gemeinsamen Motorradfahrens mit Marcel speicherte die Wärme und ließ ein leichtes Jucken unter den Haaren entstehen. Prüfend strich Jacqueline über den glatten, dunklen Seidenstoff, der ihren Kopf mit Ausnahme des Sehschlitzes faltenlos umhüllte. Die Seidenhaube würde zuverlässig verhüten, dass die Haare in die Bügel oder das Schloss gerieten.

In der einen Hand die Maske, in der anderen das Schloss, ging sie langsam in den Flur und blieb vor dem Ankleidespiegel stehen. Entgegen ihres ursprünglichen Vorhabens gelang es ihr selbst mit großer Mühe nicht, die Augen offen zuhalten, als sie die Maske auf den Kopf gleiten ließ. Tastend und spürend ordnete sie den Sitz, bis sie zufrieden war. Das Klicken des Schlosses in ihrem Nacken drang deutlich an ihr empfindungsgesteigertes Gehör und rief einen kleinen Schauer hervor. Die Arme verharrten noch längere Zeit wie eingefroren hinter ihrem Kopf. Erst als die Schultern zu schmerzen begannen, löste sie sich behutsam aus dieser Stellung. Übervorsichtig ließ sie die Arme im Zeitlupentempo an den Seiten herabsinken.
In dieser Haltung blieb sie mit immer noch geschlossenen Augen stehen, bis sie sich einen inneren Ruck gab. Unwillkürlich prallte sie einen Schritt rückwärts, als ihre Augen das Bild im Spiegel erfassten. Einzig ihre Augen in den Sehlöchern verrieten, dass eine lebende Person vor ihr stand. Die Maske verwandelte ihren Ausdruck in eine vollkommen unpersönliche Gestalt, die im Gesicht keinerlei Merkmale für eine Identifizierung bot
 Jacqueline war vor lauter Faszination unfähig, ihren Blick vom Spiegelbild abzuwenden. Gebannt hingen ihre Augen für eine Ewigkeit an dem Anblick. Mechanisch griff sie nach ihrem großen Umschlagtuch, das wie immer an der Garderobe hing und umhüllte ihren Kopf. Unwillkürlich weiteten sich ihre Augen. Mit diesem Aussehen wäre sie die Königin auf jedem venezianischen Maskenball. Wenig später kramte sie mit befreitem Kopf in der Wohnung auf der Suche nach geeignetem Polstermaterial. Die Maske saß an einigen Stellen zu locker und drückte doch an einigen anderen. Im Sekretär wurde sie fündig. Mit Klebestreifen befestigte sie das Innere eines Versandkuverts in der Maske. Diesmal ging sie entschlossener vor. Neugierig verfolgte sie ihr Tun im Spiegel. Alles saß perfekt.

Eine Art Tollkühnheit bemächtigte sich ihrer. Trotzdem vergewisserte sie sich sorgfältig, dass die Tür verschlossen und alle Rollos heruntergelassen waren, bevor sie aus der Kleidung schlüpfte. Wieder spürte sie mit einem inneren Staunen nach, wie sich das kalte Metall der Fesseln langsam auf ihrer Haut erwärmte. Kokett wendete Jacqueline sich vor dem Spiegel und bewunderte sich selber. Das Gefühl von Abscheu und Perversion war durch die Faszination des Anblicks weit in den Hintergrund gedrängt worden, jedoch nicht wirklich verschwunden. Ihr Herz setzte unvermittelt aus. Das Telefon klingelte.
Augenblicklich kehrte das ungute Gefühl mit Macht zurück. Schon griff sie panisch nach der Zange, um die Reifen zu entfernen, als das Telefon verstummte. Mit klopfendem Herzen kauerte sie in der Hocke auf dem Boden neben dem Telefon und fand nur langsam wieder zu sich. Aber nur, um in einen Zustand der Verwirrung hinüberzugleiten. Im Rhythmus des heftig pochenden Blutes in ihren Schläfen hämmerten Worte in ihrem Kopf. Ein gleißender Stromstoß durchzuckte ihren Körper, als sie den Worten gehorchte und sich in einer unterwürfigen Pose hinkniete.
Der Schlag schien sie in zwei Hälften getrennt zu haben. Eine sachliche Hälfte, die mit beinahe wissenschaftlicher Akribie registrierte, was geschah, und eine Hälfte, die aus purer Emotion bestand. Bewertende oder kommentierende Gedanken der üblichen Art hatten in diesem Moment keinen Platz in diesem Gefüge. Auch das stellte sie mit einer distanzierten, kühlen Beobachtung fest. Langsam neigte sich die Waagschale auf die emotionale Seite. Eine noch nie zuvor gespürte Mischung verschiedener gleichzeitiger Empfindungen, die jede ihrer Zellen in Vibration zu versetzen schien.
Der Moment des Rückschlags kam unvermittelt. Weinend befreite sich Jacqueline in hastiger Eile von den Fesseln und verkroch sich in die Badewanne. Immer wieder ließ sie heißes Wasser nachlaufen. Die Kerze, die für die einzige Beleuchtung im Badezimmer sorgte, nahm in gleichem Maße ab wie der Inhalt der Rotweinflasche auf dem Hocker neben der Badewanne.

Der nächste Morgen fühlte sich grauenvoll an. In jämmerlichem Zustand hockte Jacqueline am Nachmittag auf einem der unbequemen Stühle im Wartezimmer ihres Therapeuten. Mit Erleichterung und gleichzeitiger Furcht bedankte sie sich im Behandlungsraum für den schnellen Termin. Um so größer war fünfundvierzig Minuten später ihre Enttäuschung. Für die Allgemeinplätze, die ihr der Psychologe mit auf den Weg gegeben hatte, hätte sie ihn nicht aufsuchen brauchen. Außerdem hatte ihr der Mut gefehlt, sich ihm wirklich zu öffnen und die konkreten Dinge anzusprechen, die sie bewegten.
Immer noch voll Groll über den Therapeuten ließ sie sich einfach durch die Straßen treiben; eine Buchhandlung verschluckte Jacqueline sanft ins Innere. Planlos trödelte sie durch die Reihen der Bücherregale, nahm sich hier und da ein Buch zur Ansicht. Keines der Bücher sprach sie wirklich an. Gelangweilt wühlte sie in einem Haufen Sonderangebote.
Das Buch fiel ihr beinahe aus der Hand. Verstohlen versuchte sie das Buch auf dem Weg zur Kasse vor den Blicken möglicher Neugieriger zu verbergen. Mit hochrotem Kopf legte sie es der Kassiererin auf den Tisch. Mit dem Bemühen unverdächtig zu wirken, fragte sie betont beiläufig nach einer Quittung als Fachbuch für die Steuer. Die Kassiererin kaute weiter unbeteiligt auf ihrem Kaugummi und schob ihr gelangweilt die Quittung zu, während sie gleichzeitig nach dem Buch des nächsten Kunden griff.
Jacqueline verstaute das Buch sicher in der Handtasche und fuhr umgehend heim. Obwohl sie eigentlich todmüde war, konnte sie sich nicht von dem erworbenen Buch losreißen. Als sich das erste Morgengrauen zeigte, kam sie beim Schlusswort an. In einem wunderbaren Gefühl der Beruhigung ließ sie gleichzeitig erschöpft und erleichtert das Buch sinken. Tränen der Erleichterung rannen langsam die Wangen herab. Sie war nicht so allein, wie sie geglaubt hatte. Es gab andere Menschen, die in ähnlicher Weise empfanden und die doch nicht krank waren.
Ein Ratgeber, der in einfühlsamer Weise die Sorge und Ängste von Menschen beschrieb, deren Sexualleben mit dem Erleben von Dominanz und Unterwerfung verknüpft ist. Die Tränen gingen in ein befreites Lachen über. Einiges in dem Buch war für sie zwar abstoßend und unvorstellbar geblieben, aber in vielem hatte sie sich wiedergefunden. Immer wieder haltlos vor sich hinkichernd ging sie zu Bett.
Gegen Nachmittag wachte sie erfrischt auf. Alles sah heiter und gelöst aus. Während des Essens las sie einige Passagen in dem Buch erneut. Das gleiche warme Gefühl der Erleichterung breitete sich in ihr aus, wenn auch nicht so heftig wie zuvor in der Nacht. Ein sanftes Glühen erfüllte sie. Ein eigentümlicher Gedanke schob sich in ihr Gehirn und ließ sie prustend lachen. Was ihr zu ihrer vollständigen Befreiung anscheinend fehlte, war jemand, der sie in Ketten legte.
In das Lachen mischte sich augenblicklich die Furcht davor, an den Falschen zu geraten. Möglicherweise einen Fauchard, dem es Freude bereitete, andere zu quälen. Eine willenlose Marionette zu sein, die ohne Rücksicht auf die eigenen Gefühle obendrein noch freudig alles mit sich machen ließe, was ihr ein launischer Kerl antun wollte, wäre nicht ihre Sache. Dann könnte sie auch genau so gut zu Marcel zurückkehren. Schwärmerisch seufzte sie tief.
Liebe musste schon dabei sein. Jemand, dem sie sich vertrauensvoll hingeben könnte. Und der bereit war, mit der ihm übertragenen Verantwortung sorgsam umzugehen.

In diesem Moment fiel ihr ein Buch ein, das Marcel ihr vor langer Zeit geschenkt hatte. Schon nach dem Vorwort hatte sie das Buch weggestellt und nicht mehr angerührt. Er hatte sie zwingen wollen, es zu lesen und war furchtbar wütend geworden. Eiskalt hatte sie ihn abblitzen lassen. Auch sein Versuch, sie mit Bitten und moralischen Erpressungen zum Lesen zu bringen, war auf Granit gestoßen. Aber das geschah in der Zeit, als schon nichts mehr von ihrer ursprünglichen Zuneigung übriggeblieben war.
Suchend wanderten ihre Finger über das Bücherregal. Jacqueline liebte Bücher über alles. Selbst ein Buch, das sie von Marcel geschenkt bekommen hatte, erhielt ein Bleiberecht. Die nächsten Abende las sie also die Geschichte der O. Auch hier erging es ihr wie mit dem anderen Buch. Es gab durchaus Stellen, die sie faszinierten und andere, die sie abstießen. Was blieb, war die Erkenntnis, dass sie selber kein abartiges Monster war, sondern dass es Schicksalsgefährtinnen gab.
Von nun an fiel es Jacqueline eine Spur leichter, sich den Emotionen hinzugeben, die unweigerlich auftauchten, wenn sie sich gelegentlich an einem freien Abend dem hingab, was sie heimlich für sich allein tat und insgeheim den Namen Übungsstunde bekommen hatte. Nach einer rituellen Vorbereitung, zu der unter anderem auch eine ausgiebige Entfernung der Körperhaare an Beinen, Achseln und Scham gehörte, legte sie Fesseln und Maske an und diente einem imaginären Gebieter, der von ihr strenge Unterwerfung verlangte. Immer wieder tauchten jedoch Zweifel und Ängste auf, die dazu führten, dass die Übungsstunde nicht sehr oft stattfand.
Aus einer Laune heraus begann Jacqueline nach einer Phase des Zweifelns damit, Armandines Brustringe als Ohrringe zu tragen. Das Gefühl, diese Ringe zu tragen und als einzige die Geschichte, die damit verbunden war, zu kennen, bereitete ihr ein erregendes Prickeln. Sie genoss das Lob ihrer Umgebung für die schönen Ohrringe und dem der Außenwelt unbekannten Widerspruch der wahren Bedeutung in dem Maße, dass sie zu ihrer eigenen Verwunderung in diesen Momenten erregt wurde.
Bei den sporadischen Treffen mit verschiedenen Männer halfen die Ohrringe ausgezeichnet, um in eine lustvolle Stimmung zu kommen, aber das in der Regel schale Gefühl nach den Treffen verhinderte zuverlässig eine längerfristige Bindung. Keinem öffnete sich Jacqueline jemals soweit, dass ihr Geheimnis zu Tage trat. Niemand entsprach ihrem Wunschtraum auch nur annähernd. So blieb ihr nur der gestaltlose Gebieter während der Übungsstunde, dem sie mit Inbrunst diente. Aber auch hier stellte sich mit der Zeit eine gewisse Schalheit ein.
Für eine Weile half Jacqueline sich damit, ihre eigene Befreiung von den Fesseln und der Maske schwieriger zu gestalten. Zange und Schlüssel wanderten in die abschließbare Schublade des Schreibtisches. Der Schlüssel dazu in einem Gefäß in den Gefrierschrank. Zumindest für die Dauer bis zum Auftauen war Jacqueline so etwas wie eine Gefangene. Schließlich verblasste der gestaltlose Gebieter jedoch immer mehr, bis er nur noch selten nach den Diensten von Jacqueline verlangte.


Der Sommer näherte sich mit Macht. Die Stadt wurde immer heißer und stickiger. Jacqueline war daher über die Einladung ihrer Freundin mehr als glücklich. Endlich der Hitze des Sommers zu entfliehen und bei der Freundin zwei Wochen in Roanne Urlaub zu verbringen. Sie freute sich auf das Wiedersehen mit ihrer Freundin, auf die Landschaft der Loire, die gemütliche Behäbigkeit von Roanne, aber vor allem darauf, Paris für eine Weile verlassen zu können. Obwohl sie inzwischen wieder eine regelmäßige Arbeit angenommen hatte, waren seit der Scheidung und der Renovierung des geerbten Hauses ihre Mittel ziemlich beschränkt. An einen Urlaub wäre daher sonst nicht zu denken gewesen.
Verschwitzt und vollkommen außer Atem, weil sie wie üblich beinahe zu spät gekommen war, ließ sich Jacqueline in den Sitz des TGV nach Lyon fallen. Der Platz neben ihr schien belegt, obwohl im Moment niemand dort saß. Eine Jacke am Haken und eine Aktentasche auf dem Sitz erhoben aber deutlich Anspruch auf den Platz. Nachdem sie wieder zu Atem gekommen war, stand sie auf, um ihr Gepäck in der Ablage zu verstauen.
“Sie erlauben?”, eine angenehme Stimme ließ sie herumwirbeln. Ohne eine Antwort abzuwarten, nahm ihr der Mann die Reisetasche aus der Hand und hievte sie in die Ablage. Jacqueline sank in den Sitz und starrte fassungslos schweigend auf den Boden vor ihren Füßen.
‚Das durfte doch wohl nicht wahr sein?‘ Ein Gefühl von Ärger kroch unaufhaltsam in ihr hoch. Der Kerl hatte ihr mit der schweren Reisetasche offensichtlich nur geholfen, damit er ungehindert seinen Platz einnehmen konnte. Sie warf verstohlene Seitenblicke auf ihren Nachbarn. Der saß völlig unbeteiligt und uninteressiert da und las konzentriert in Papieren, die er seiner Aktentasche entnommen hatte. Ihre neugierigen Blicke wurden immer offensichtlicher, aber ihr Sitznachbar schien sie völlig zu ignorieren.
Die Fahrt verlief weiterhin schweigend. Jacqueline spürte eine seltsame Nervosität in sich aufsteigen. Auf der einen Seite köchelte sie vor Wut über den arroganten Kerl neben sich, auf der anderen Seite ging von ihm eine unerklärliche Anziehungskraft aus. Schließlich gab sie resigniert auf und sackte seufzend in sich zusammen. Nicht einmal darauf zeigte er eine Reaktion. Unbeirrt las er weiter.
Wieder schlug ihre Stimmung um. Ein eigentümliches Gefühl von Hilflosigkeit kroch langsam von den Füßen bis in ihr Hirn. Nervös begann sie auf ihrem Sitz zu rutschen. Es wäre gut gewesen, wenn sie selber etwas zu Lesen mitgenommen hätte, aber das hatte sie wieder einmal vergessen.

Die vorüberfliegende Landschaft bot wenig Anhaltspunkte und verstärkte eher ihre Stimmung. Die Zeit verrann trotz der Hochgeschwindigkeitsfahrt unendlich zäh. Erleichtert nahm Jacqueline daher die Gelegenheit wahr, sich einen Kaffee zu bestellen. Eine Entschuldigung murmelnd stellte sie den Becher umständlich auf dem Sitztischchen ihres Nachbarn ab und begann hektisch in ihren Taschen nach Geld zu wühlen. Das Portmonee befand sich anscheinend in der Reisetasche. Hastig sprang sie auf, um dort nach dem Geld zu suchen.
Der unterdrückte Fluch neben ihr verhieß nichts Gutes. Vernichtet sank sie in den Sitz zurück, nachdem sie sich linkisch an den Reinigungsversuchen des Kellners beteiligt hatte. Tränen schossen in ihre Augen. Daraus wurde ein richtiger Strom, als der Sitznachbar mit unaufgeregter Stimme einen Ersatzkaffee bestellte und ihn auch noch sofort bezahlte. Ihr hilfloses Gestammel, dass eine Entschuldigung werden sollte, schnitt er im Ansatz mit der kühlen Bemerkung ab, dass man auf einer schwarzen Hose Kaffeeflecken Gott sei Dank nicht sähe.
In brütendes Schweigen versunken ließ Jacqueline die weitere Fahrt über sich ergehen. Unruhig sah sie öfter auf die Armbanduhr. Immer noch über eine halbe Stunde bis Lyon. Ein heißkalter Schreck durchzuckte sie. Der Mann neben ihr hatte sie angesprochen. Schon wieder war sie gezwungen, eine Entschuldigung zu murmeln. Ein feines Lächeln umspielte seine Lippen, das sie magisch anzog. Unverwandt starrte sie auf seinen Mund und sah nur diese Lippen, während er redete.

“Oh, ich wollte Sie nicht aus Ihren tiefen Gedanken reißen!” Sein Lächeln war nicht so arrogant wie er. “Ich hatte nur gefragt, ob diese wundervollen Ohrringe Ihnen gehören?”
Eine instinktive Handbewegung ließ sie mit einer Hand an den ihm zugewandten Ohrring greifen, als ob sie den Ring vor einer näheren Betrachtung schützen wollte. Ihr stummes Nicken interpretierte er anscheinend als Zustimmung zum Weiterfragen.
“Und Sie? Gehören Sie wirklich Qadir Abd al Mudhill?” Jacqueline hielt den Atem an. Ihr Blick riss sich augenblicklich von diesen Lippen los und landete in seinen Augen. Das selbe Brennen, wie sie es bei Herrn Nabastari und dem persischen Koch empfunden hatte, loderte in ihrem Körper. Sie war einer Ohnmacht nahe und schloss die Augen.
“Sie können lesen, was auf den Plaketten steht?”, hauchte sie tonlos, obwohl die Frage überflüssig war. Der Mann lachte herzhaft.
“Warum denn nicht? Ich werde doch wohl meine Muttersprache können!” In diesem Augenblick beschloss Jacqueline, die Ohrringe nie wieder in der Öffentlichkeit zu tragen. Diese peinliche Situation durfte nicht wieder eintreten.
Verstimmt kniff sie die Lippen aufeinander. Mit spitzen Fingern nahm sie die angebotene Visitenkarte entgegen und ließ sie achtlos in die Jackentasche gleiten.
“Wenn Sie jemals daran denken sollten, die Ringe zu verkaufen, rufen Sie mich bitte vorher an. Ich werde Ihnen einen guten Preis dafür bezahlen!” Grimmig stieß sie eine schnippische Antwort hervor.
“Wissen Sie denn, was die überhaupt wert sind?” Sein Grinsen wurde breit.
“Ich denke schon. Für persische Antiquitäten des, hm ich schätze mal siebzehnten Jahrhunderts Ihrer Zeitrechnung, muss ich sicher mehr kalkulieren als für ein Paar neue goldene Ohrringe. Wobei ich nebenbei der festen Überzeugung bin, dass Sie die Ringe an der falschen Stelle tragen!” Seine Überheblichkeit reizte Jacqueline bis aufs Blut.
“So? Wo sollte ich die denn Ihrer Ansicht nach sonst tragen?”, fauchte sie ihm in unverhohlener Wut entgegen. Er lachte unbeeindruckt. Irritiert folgte sie seinem Blick auf ihre Brust und errötete. Er konnte also nicht nur die Inschrift lesen, er kannte anscheinend sogar das Geheimnis der Ringe. Selten im Leben hatte sie sich so ertappt gefühlt.

Mit einem rätselhaften Lächeln lehnte er sich in den Sitz zurück und nahm unbeteiligt seine Lektüre wieder auf. Ein paar Mal wollte Jacqueline ansetzen, um die Auseinandersetzung weiter zu führen, doch ihre Zunge schien ihr nicht mehr zu gehorchen. Der Ansatz zum Reden erstickte jedes Mal in einem tiefen Atemholen.
Höflich verabschiedete sich ihr Sitznachbar kurz vor der Einfahrt in den Bahnhof und stand auf. Sie sah ihn nach dem Verlassen des Zuges noch einmal kurz auf dem Bahnsteig, dann verschluckte ihn die Menge. Ihre Freundin erwartete sie freudestrahlend am Ausgang und vertrieb dadurch unbewusst die dunklen Wolken.

Die zwei Wochen in Roanne führten zu einer herrlichen Entspannung, die sich auch in ihrem Inneren breit machte. Nur in wenigen Augenblicken brach die Erinnerung an das Ereignis im Zug in die Idylle ein, zerstob aber sofort wieder. Der Abschied von der Freundin verlief tränenreich, die Zugfahrt erfreulich ereignislos.
Fröhlich vor sich hinsummend versorgte Jacqueline nach der Heimkehr das Reisegepäck. Prüfend glitten ihre Hände in die Taschen der Kleidung. Versonnen hielt sie die Visitenkarte in der Hand. Die Gedanken schweiften ab und ein leichtes Echo der Zugfahrt hallte in ihr nach. Aufmerksam las sie den Aufdruck. Ihre Zugbekanntschaft schien laut Visitenkarte ein Kunsthistoriker zu sein. Immer wieder las sie halblaut seinen Namen. Malik Gulistani. Die Anschrift des Institute du Monde Arabe, des Museums, für das er tätig war, stand auf der Rückseite. Keine private Anschrift, nur eine Telefonnummer.
Wie automatisch wählte sie die Nummer. Nach einigen Rufzeichen meldete sich eine Stimme. Seine Stimme. Panisch unterbrach Jacqueline die Verbindung. Zweifel und wirre Gedanken fegten durch ihren Kopf. Ein weiteres Mal unternahm sie einen Versuch, den sie aber bereits abbrach, bevor noch das Rufzeichen ertönte.


Den freien Sonntag nutzte Jacqueline dazu, das Museum aufzusuchen. Als sie danach in der Nähe des Museum in einem Straßencafe am Quai Saint Bernard saß, ärgerte sie sich über sich selber. Sicher war das Museum schön gewesen, aber es handelte sich um eine Schnapsidee, ihn dort wie zufällig zu treffen. Natürlich würde er in seiner Position mit Sicherheit am Sonntag nicht arbeiten. Sie genoss die Sonne und träumte mit geschlossenen Augen vor sich hin.
“Sie erlauben?” Dieser Satz und diese Stimme gingen ihr durch Mark und Bein und ließen sie fast vom Stuhl fallen. Er setzte sich dagegen hin, ohne die Antwort abzuwarten.
“Einen Kaffee?” Seine Stimme klang eher belustigt als spöttisch. Jacqueline blinzelte gegen die Sonne, um sein Gesicht besser erkennen zu können.
“Nein danke, lieber eine Schokolade!” Innerlich verkrampfte sie sich immer mehr, obwohl sie nach außen einen entspannten Eindruck zu erwecken versuchte.
“Oh weh!” Er lachte und sah auf seine Hose. Eine naturfarbene Leinenhose. Befreit stimmt sie in sein Lachen ein.

Sorgsam musterte sie ihn verstohlen, während sie genüsslich die Schokolade schlürfte. Er trank einen Espresso mit viel Zucker. Gepflegte, sensible Hände. Am rechten kleinen Finger einen auffälligen goldenen Ring. Den Dreitagebart hatte er im Zug noch nicht gehabt. Ein weißes Hemd mit Stehbündchen statt eines Kragens. Die Weste war aus dem selben Material wie die Hose. Elegante rehbraune Jodhpurstiefel.
Ein leichtes Ziehen in der Brust irritierte Jacqueline. Den Gedanken, sich verliebt zu haben, schob sie innerlich ärgerlich beiseite. Und doch tauchte er im Lauf der eher belanglosen Plauderei immer wieder auf. Sie ertappte sich sogar bei der Frage, ob er wohl verheiratet sei.
In demselben Moment, als sie sich eigentlich verabschieden wollte, lud er sie zu einem Spaziergang ein. Jacqueline bemühte sich diszipliniert, ihre Begeisterung darüber zu verbergen. Gemeinsam bummelten sie durch den nahe liegenden Jardin des Plantes, sorgsam auf einen Abstand zueinander achtend. Das Gespräch gestaltete sich zwar gelöst, aber nicht vertraulich. Eine unsichtbare Grenze verlief zwischen ihnen.
Für einen kurzen Moment tauchte in Jacqueline der Gedanke auf, dass es, aus welchen Gründen auch immer, angebrachter gewesen wäre, wenn sie ihm im Abstand einiger Schritte folgen würde, statt so direkt neben ihm zu gehen. Ärgerlich schob sie den Gedanken beiseite. Malik Gulistani war zwar Orientale, aber sie eine emanzipierte Europäerin. Und eine Beziehung bestand zwischen ihnen ebenfalls nicht.
Wieder schob sich ein Gedanke dazwischen. Ein beinahe sehnsüchtiges ‚noch Nicht‘. Die Sehnsucht flackerte wieder auf, als er sich unvermittelt an der Metrostation Jussieu von ihr verabschiedete, da er zu seinem Bedauern heim müsse. Sie sah ihm mit einem leisen Anflug von Wehmut nach, als er die Treppe zur Metro hinabging.

Im Laufe der folgenden Woche ertappte sie sich immer wieder dabei, dass sie unablässig an ihn denken musste. Sie sah ihn vor sich, wie er ihr am Tisch des Cafés gegenübersaß. Distanziert und doch so nahe. Am Freitagabend verlangte aus heiterem Himmel und ohne jede Vorankündigung der gestaltlose Gebieter nach ihren Diensten. Die Übungsstunde verlief unerwartet streng und unbarmherzig.
Vollkommen ausgepumpt, aber zum ersten Mal seit längerer Zeit glücklich, kniete Jacqueline neben dem Sofa im Salon, nachdem die Übungsstunde beendet war. Und ebenfalls zum ersten Mal überhaupt entfernte sie nicht unmittelbar nach der Übungsstunde die Fesseln und die Maske. Sie genoss das Gefühl des harten, glatten Metalls auf ihrer nackten Haut. Versonnen strich sie mit einem Finger über die Reifen des gegenüberliegenden Armes.
Da sie stark verschwitzt war, warf sie den Bademantel über und kauerte sich unschlüssig wieder auf den weichen Teppich neben die Couch. Fast im selben Moment durchflutete sie eine weiche Welle von Zufriedenheit. Träumerisch stellte sie sich vor, dass Malik Gulistani über ihr auf der Couch säße. Statt dem gestaltlosen Gebieter würde sie seinen Befehlen gehorchen und ihm dienen. Ihre Hände fanden auf dem Rücken zueinander; die Ringe klirrten leise, als die Reifen sich berührten. Ihr Kopf sank seitwärts auf die Sitzfläche der Couch und ruhte dort. Für einen Moment strich zärtlich eine imaginäre Hand über ihre Haare und die Ohrmuschel. Jacqueline seufzte.
Nach etwa einer Viertelstunde der Träumerei schlief ihr rechtes Bein ein. Ächzend stand sie auf. Beinahe bedauernd entfernte sie die Fesseln und nahm die Maske ab. Wie in Trance griff sie nach dem Telefon und wählte.

Der Anrufbeantworter teilt kühl und sachlich mit, dass Malik Gulistani im Moment nicht erreichbar sei. Die Nachricht erleichterte sie auf der einen Seite, denn was hätte sie ihm eigentlich wirklich sagen wollen?
‚Ich saß hier gerade in den Fesseln meiner Vorfahrin und träumte davon, Ihnen zu Diensten zu sein?‘ Innerlich schüttelte sie sich bei der Vorstellung.
Jacqueline stammelte eine sinnlose Nachricht auf den Anrufbeantworter und ging duschen. Das Telefon klingelte, als sie sich bereits eingeseift hatte. Mit einem umgeschlungenen Handtuch rannte sie klatschnass zum Telefon. Eine Frauenstimme mit orientalischem Akzent entschuldigte sich und legte auf. Für Jacqueline stürzte in diesem Moment eine Welt zusammen. Er war also verheiratet.
Zwei Tage später fand sie bei der Heimkehr eine Nachricht von Malik Gulistani auf ihrem Anrufbeantworter vor. Er lud sie zu einem Vortrag im Museum ein, den er am nächsten Sonntagvormittag halten würde. Jacqueline kochte innerlich. Kurz entschlossen rief sie im Museum an, um ihm die Meinung zu sagen. Die Sekretärin teilte ihr freundlich mit, dass Herr Gulistani nicht im Museum sei, sondern zu Hause arbeite. Jacquelines Wut schaukelte sich langsam hoch, während sie in der Metro saß und in Richtung Clichy fuhr. Geschickt hatte sie der Sekretärin im Museum unter einem Vorwand die Privatadresse aus der Nase gezogen und befand sich nun wie ein wutschnaubender Racheengel auf dem Weg dorthin.
Noch in der offenen Tür begann Jacqueline Malik Gulistani zu beschimpfen. Seine grinsende Ruhe mit der er, auf der Lehne eines Sessels sitzend, grinsend ihren Vortrag über Männer im allgemeinen und verheiratete im Besonderen verfolgte, reizte sie bis aufs Blut. Drohend trat sie weiter schimpfend einen Schritt näher auf ihn zu.

Sein Grinsen war im gleichen Moment einer abweisenden Miene gewichen. Unvermittelt sprang er auf, packte Jacqueline mit der rechten Hand wie ein Schraubstock im Genick und schleifte sie in ihrer verblüfften Wehrlosigkeit zur Tür. Sekunden später fand sie sich fassungslos vor der verschlossenen Eingangstür im Flur. Ihr Tritt gegen die Tür brachte außer der Schramme in dem empfindlichen Leder des Schuhs keinen Erfolg. Erbost rannte sie aus dem Haus.
Die Leute in der Metro wichen vor ihr aus, als ob sie ein verunstaltetes Monster wäre. Niemand hatte anscheinend den Mut, sich neben sie zu setzen und die Leute blieben lieber stehen. Erst zu Hause hatte sie die Fassung einigermaßen wieder gewonnen.
Das Erlebnis nagte im Lauf der Woche an ihr wie Autoabgase an Sandstein. Ihre heiße Wut und ihr kalter Widerstand zerbröckelten zusehends. Am Sonntag saß sie bemüht unauffällig in der letzten Reihe, als Malik Gulistani seinen Vortrag hielt. Er war ein brillanter Redner und nahm den Schlussapplaus eher selbstverständlich entgegen. Die Menge verlief sich. Einige Minuten vergingen. Er stand vorne an das Rednerpult gelehnt, sie saß noch immer auf ihrem Stuhl in der letzten Reihe. Eine Art Machtspiel begann.

Die Spannung stieg. Das Scharren des Stuhls dröhnte durch den kahlen Raum, als sie aufstand. Zögerlich ging sie mit gesenktem Kopf nach vorne. Sein Blick schien zu brennen. Jacqueline meinte, durch eine Feuerwand gehen zu müssen. Nur mit Mühe gelang es ihr, ihrem drängenden Verlangen nicht nachzugeben, vor ihm in die Knie zu sinken und ihn um Vergebung für ihr Verhalten zu bitten. Für den Bruchteil einer Sekunde schien der gestaltlose Gebieter in den Körper Malik Gulistanis geschlüpft zu sein.
Mit kläglicher Stimme trug sie ihre Entschuldigung vor und vermied es, ihm dabei ins Gesicht zu sehen. Er schloss sie in die Arme und ließ es zu, dass sie sich eng an ihn presste. Das Gefühl von einem Paar Flügel statt von Armen umhüllt zu werden, ließ ihre Knie weich werden. Eine seiner Hände fand suchend ihr Genick und hielt sie. Nicht so fest wie bei ihrem Rauswurf aus seiner Wohnung, trotzdem löste der Griff ein Rieseln in ihr aus. Die andere Hand wanderte nach vorne und hob Jacquelines Kinn an. Sie sah ihm in die Augen und löste sich darin auf. Kleine lilafarbene Wölkchen zogen vor ihren Augen entlang. Jacqueline schwebte mit den Wolken in eine unendliche Ferne davon. Er hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn. Willig ließ sie sich an der Hand aus dem Saal führen.

Die knapp dreihundert Meter in das Restaurant Le Petit Pontoise schwebte Jacqueline immer noch wie auf Wolken. Das Mittagessen verbrachten sie in angeregtem Gespräch, wobei Jacquelines Hinauswurf sorgsam ausgeklammert blieb. Zu ihrem Leidwesen allerdings auch die Frage, ob er nun verheiratet war oder nicht.
Nach dem abschließenden Kaffee schlenderten sie gemeinsam zur Metrostation. Zu Jacquelines Verblüffung, aber auch großer Freude, schlug er vor, sie nach Hause zu begleiten. Während der Metrofahrt lehnte sie an seiner Schulter und träumte vor sich hin. Die Fahrt verging für ihren Geschmack viel zu schnell. Immer noch hielt eine innere Scheu sie davon ab, ihrem Wunsch nachzugeben und von sich aus nach seiner Hand zu greifen. Linkisch wies sie auf die Eingangstür.
“Hier wohne ich”, war alles, was sie herausbrachte. Die Enttäuschung brach wie eine dunkle Welle über sie herein, als er sich höflich von ihr verabschiedete. Verzweifelt sah sie ihm nach, bis er um die Ecke verschwand. Erst in diesem Moment liefen die Tränen über ihre Wangen. Tränenblind stocherte sie im Schlüsselloch, bevor es ihr gelang, die Tür zu öffnen. Die Verzweiflung hielt sie auch im Inneren des Hauses mit eiskaltem Würgegriff gepackt.
Fast im selben Moment verlangte der gestaltlose Gebieter nach ihr. Auf eine Art erleichtert, trottete sie mit gesenktem Kopf ins Bad, um sich vorzubereiten. Eine knappe halbe Stunde später kniete sie in Fesseln und Maske auf dem weichen Teppich vor der Couch im Salon. Aber dies war nicht der Ort, an dem der gestaltlose Gebieter sie sehen wollte. Zu ihrer Überraschung befahl er sie auf den Dachboden.
Stumm und duldsam stand sie unter dem Dachbalken, bis die Kirchturmuhr in der Ferne zur vollen Stunde schlug. Es kostete sie einige Anstrengung, die Ringe der Handgelenkfesseln in den Schraubhaken einzuhängen, der weit über ihrem Kopf in dem Holz verankert war. Selbst mit ausgestreckten Armen war es nötig, dass sie sich dazu auf die Zehenspitzen stellte. Erleichtert sank sie auf die nackten Fußsohlen zurück. Bereits nach kurzer Zeit begannen die Schultern und Arme zu schmerzen. Nach ihrer Schätzung konnten höchstens fünf Minuten vergangen sein. Stöhnend pendelte sie ein wenig hin und her, um das Gewicht zu verlagern. Es dauerte eine Ewigkeit, bis die Kirchturmuhr mit einem einzelnen Schlag das Verstreichen einer Viertelstunde verkündete.
Jacqueline stieg wieder auf die Zehenspitzen, um sich vom Haken zu lösen. In diesem Moment sauste ein imaginärer Hieb auf ihr Gesäß nieder, dann noch einer. Die Stimme des gestaltlosen Gebieters schien sich verwandelt zu haben. Seine Stimme klang jetzt beinahe wie die Malik Gulistanis.

“Habe ich dir etwa erlaubt, dich zu befreien?” Sie beeilte sich aus Furcht vor weiteren Schlägen zu antworten.
“Nein, entschuldigen Sie bitte meine Eigenmächtigkeit, Gebieter!”, murmelte sie undeutlich hinter der Maske und versuchte über die Schulter nach hinten zusehen. Der gestaltlose Gebieter hatte nicht nur die Stimme Maliks angenommen. Jacqueline schauderte. Verzweifelt schloss sie Augen. Die Stimme drang wie Nadeln in Jacqueline ein.
“Und wie lange sollst du da stehen?” Da sie zögerte, halfen weitere Hiebe, eine Antwort hervorzustoßen.
“Eine halbe Stunde, Gebieter?” Mehr fragend als feststellend presste sie die kaum verständliche Antwort hervor und wusste doch im gleichen Moment, dass dies die falsche Antwort war. Sie versuchte den Hieben zuvorzukommen, doch er kannte keine Gnade.
Unter Tränen stieß sie so vehement hervor: “Ich muss hier solange stehen, wie es Ihnen gefällt Gebieter!”, dass sie ihren heißen Atem vom Metall vor ihrem Gesicht zurückprallen spürte. Erst jetzt schien er zufrieden. Durch das Tosen in ihren Ohren wäre ihr beinahe entgangen, dass die Kirchturmuhr mit zwei Schlägen eine halbe Stunde markierte. Möglichst unauffällig versuchte sie den gestaltlosen Gebieter zu entdecken. Ein paar brennende Hiebe über ihr Gesäß unterstrichen seine Drohung.
“Denke nicht mal dran, dich zu befreien!” Verzweifelt stöhnte sie auf. Tränen rannen ohne Kontrolle unter der Maske und durchtränkten den Stoff der Seidenhaube darunter. Entgegen ihrer Hoffnung brachte auch der Dreierschlag der Kirchturmuhr keine Erlösung von der Qual. Nicht nur die Schultern und Arme peinigten sie; ihr ganz Körper hatte sich in eine Quelle des Schmerz verwandelt. Erst als vier Glockenschläge die volle Stunde anzeigten, gestattete der gestaltlose Gebieter ihre Befreiung.
Mit zitternden Beine wuchtete sie ihren schmerzenden Körper aufwärts, um die Ringe aus dem Haken zu befreien. Langsam sank sie zu Boden auf die Knie.

“Denkst du, das war schon alles?” Erschrocken sah sie nach oben. Direkt vor ihr stand der gestaltlose Gebieter und schlug im gereizten Rhythmus mit der Gerte an sein Bein. Hastig sprang sie auf.
Etwa fünfzehn Minuten später saß sie auf dem antiken Lehnstuhl im Arbeitszimmer. Anscheinend ließ der gestaltlose Gebieter heute keinerlei Gnade walten. Das Wachstuch unter ihrem Gesäß sammelte die Hitze und führte dazu, dass der Schweiß juckend auf der Haut brannte. Jacqueline hätte sich gerne gekratzt, oder den Schweiß abgewischt. Aber jede Bewegung war nahezu unmöglich.
Eine lange Kette schlang sich um Beine und Lehnen des Stuhls und war dabei so kunstvoll durch die Ringe der Fesselreifen geführt, dass Jacqueline erzwungenermaßen wie eine steife Puppe auf dem Stuhl thronte. Ein Vorhängeschloss in Reichweite ihrer rechten Hand sicherte die Kette. Der Schlüssel dazu befand sich ebenfalls in Reichweite. Was ihr aber nichts nützte, da der Eisblock, in den er eingefroren war, in frühestens einer Stunde soweit geschmolzen sein würde, dass sie an den Schlüssel kam. Der Schlüssel hatte wie immer bereits schon lange vorher in seinem kalten Gefängnis geruht. Das entsprechende Schloss lag stets geöffnet und griffbereit in der Schublade bei der Zange. Nach dem Einrasten des Bügels blieb nur Warten, bis das Eis geschmolzen war.
Jacquelines Blick hing gebannt an dem Eisblock und seinem Einschluss. Es waren noch keine zehn Minuten vergangen, als ihr ein plötzliches Drängen in Erinnerung rief, dass sie vor Aufregung vergessen hatte, vorher auf die Toilette zu gehen. Von Minute zu Minute steigerte sich der Druck in ihrer Blase. Die ganze Situation und der teuflische Druck löschten in einem einzigen Moment ihren Verstand aus. Es blieb nur noch Fühlen übrig. Wellen durchrannen ihren Körper und trieben sie an den Rand eines Orgasmus. Kurz vor dem Erreichen riss der Druck der Blase sie wieder von der Schwelle zurück.
Ein teuflisches Oszillieren trieb Jacqueline ständig zwischen der Blase und einem Orgasmus hin und her. Die Amplituden wurden immer schneller, bis sie sich in einem gewaltigen Höhepunkt entlud. Der scharfe Geruch des Urins riss sie ins Bewusstsein zurück. Ungläubig starrte sie auf die Lache zu ihren Füßen und spürte das langsame Erkalten der Flüssigkeit auf Beinen und Füßen.
Eine heiße Welle von Scham durchzog ihren Körper und setzte doch gleichzeitig ihren Unterleib in Flammen. Unruhig rutschte sie auf dem nassen Wachstuch umher. Das prickelnde Brennen trieb sie beinahe in den Wahnsinn. Für einen Moment überlegte sie, nach dem inzwischen deutlich kleiner gewordenen Eisblock zu greifen, um den Schlüssel schneller zu befreien. Ihre Hand blieb jedoch direkt davor in der Schwebe. Schon einmal hatte sie in einer ähnlichen Situation nach dem Eisblock gegriffen. Das feuchte Eis glitschte ihr einfach aus den Fingern. Zum Glück saß sie damals nicht auf einem Stuhl, sondern lag auf Befehl des gestaltlosen Gebieters in einer unbequemen Fesselstellung auf dem Fußboden. Mit einiger Mühe gelang ihr damals die Befreiung trotzdem. Aber in ihrer jetzigen Lage wäre ein Verlust des Schlüssels ein nahezu unüberwindbares Hindernis für ihre Befreiung.

Vor ihrem inneren Auge entstand ein Horrorszenario. Morgen Früh gegen zehn Uhr würde wie jeden Montag die Putzfrau erscheinen, um die wöchentliche Grundreinigung zu erledigen. Laut und falsch vor sich hinpfeifend, würde sie sich unter Getöse mit den Putzutensilien an die Arbeit machen. Da sie meist im Arbeitszimmer begann, würde ihre erste Entdeckung die nackte, gefesselte Jacqueline sein, die in ihrem eigenen Urin schwimmend in bizarrer Aufmachung unbeweglich auf dem Lehnstuhl angekettet saß. Vor Scham würde sie wie auf einer Theaterbühne samt ihrem Stuhl im Boden versinken. Die Geschichte von einem perversen Einbrecher, der sie überfallen hatte, würde ihr mit Sicherheit niemand abnehmen. Die Zeit schlich im Schneckentempo dahin.


In einem Wirbel der Emotionen verschiedener Natur kroch die Zeit dahin. Der Spannungsbogen zwischen Abscheu und Erregung näherte sich unaufhaltsam einem Punkt, an dem er zu bersten drohte. Ein unkontrolliertes Zittern erfasste ihren ganzen Körper und ließ sie endgültig Abstand von dem Plan nehmen, den Schlüssel vor dem Auftauen an sich zu bringen.
Erst zu dem Zeitpunkt, als der Schlüssel vollkommen befreit im Wasser der kleinen Schüssel lag, griff Jacqueline danach. Mit zitternden Fingern und immer noch schamerfüllt löste sie die Fesseln von der Kette. Der Drang, sich zu reinigen war so beherrschend, dass sie sofort unter die Dusche sprang, ohne vorher die Reifen oder die Maske zu entfernen. Vorsichtig, mit einer seltsamem Furcht, die Reifen zu berühren, tupfte sie sich mit dem Handtuch trocken. Es erschien ihr nur angemessen, die Fesseln bei der Reinigung des Arbeitszimmers zu tragen.
Das Gefühl beim Putzen verwirrte sie. Schon vor ihrer Ehe mit Marcel hatte sie Putzen und Aufräumen gehasst, was in der Ehe ab und zu für einen Streit gesorgt hatte. Ganz besonders im letzten Jahr. Die damalige Wohnung schien eine Widerspiegelung ihres Verhältnisses zu sein. Ungepflegt, verworren und versunken im Chaos ohne klärende Perspektive.
Jetzt kniete sie hier auf dem Boden und reinigte mit inbrünstiger Sorgfalt die Verschmutzungen. Und sie empfand dabei auch noch so etwas wie Befriedigung. Anstelle der Putzfrau genügten offensichtlich die Reifen, um Ordnung im Haus zu schaffen. Bei diesem Gedanken musste Jacqueline hinter der Maske laut lachen. Zufrieden betrachtete sie ihr Werk. Kaum noch etwas deutete auf den peinlichen Zwischenfall hin, bis auf einen großen feuchten Fleck, der aber beim Trocknen langsam immer kleiner wurde.
Jacqueline ging ins Bad, um sich für die Nacht fertig zu machen. Die Zange und der Schlüssel lagen auf der Konsole unter dem Badezimmerspiegel und warteten dort schon geduldig auf ihre Verwendung. Sie wollte bereits nach dem Schlüssel für die Maske greifen, als ihre Hand mitten in der Bewegung innehielt.

Jacquelines Blick versank im Spiegelbild. Die Fremde im Spiegel erschien ihr mit einem Mal als die wirkliche Jacqueline. Sie hatte beinahe den Eindruck, als ob das Gesicht unter der Maske in Wahrheit die Maske sei. Ihre Hand sank langsam herunter, ohne nach dem Schlüssel zu greifen. Mit einem Gefühl der inneren Aufregung ging Jacqueline ins Bett. Tastend fuhren ihre Hände in angespannter Nervosität unter der Bettdecke über die metallenen Reifen an ihrem Körper. Unruhig wälzte sie sich im Bett umher. Die Maske drückte an einigen Stellen. Auch die Reifen schienen plötzlich von alleine enger zu werden und begannen zu kneifen. Panik erfasste sie. Schon wollte sie emporschnellen, um sich zu befreien, als urplötzlich der gestaltlose Gebieter neben dem Bett stand.
Es war nicht nötig, dass er irgendeinen Befehl erteilte, Jacqueline wusste auch so, was er in diesem Moment von ihr verlangte. Langsam spreizten sich ihre Beine weit auseinander, bis ihre Füße die Bettkante erreicht hatten. Die Hände glitten ans Kopfende und bewegten sich dort ebenfalls bis an den Bettrand. Ihr Atem ging tief und erregt, die Bauchdecke hob und senkte sich in schneller Folge. Ihre Hände griffen nach den Stäben des metallenen Gitterbettes und hielten sie umklammert. Jacqueline schloss die Augen.
Ein ungeheures Prickeln erregte sie, aber sie widerstand der Versuchung, sich zu berühren. Als ob ihre Extremitäten wirklich gefesselt wären, lag sie unbeweglich da. In dieser Stellung schlief sie ein. Der Schlaf war unruhig und von wirren Träumen durchzogen.

Jacqueline wachte schon früh am Morgen von allein auf, noch bevor der Wecker klingelte. Trotz einer gewissen Müdigkeit fühlte sie sich gelöst und zufrieden. Mit einigem Schrecken beobachtete sie nach ihrer Befreiung im Badezimmerspiegel zwei Druckstellen von der Maske im Gesicht. Auch die Reifen hatten im Fleisch Abdrücke hinterlassen.
Nach dem hastigen Frühstück kontrollierte sie im Bad noch einmal ihren Körper. Die Abdrücke der Reifen waren nahezu verschwunden und würden in absehbarer Zeit nicht mehr zu sehen sein. Im Gesicht sah es jedoch dagegen anders aus. Die Druckstelle direkt am Haaransatz leuchtete unübersehbar in tiefem Rot. Die nicht ganz so deutlich sichtbare Druckstelle an der Nasenwurzel ließe sich notfalls mit einer Brille entschuldigen. Entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit trug sie daher kurz entschlossen ein Camouflage Make-up auf, das sie sonst nur für festliche Gelegenheiten verwendete. Die Abdeckung war nahezu perfekt, wie ein letzter prüfender Blick in den Spiegel bestätigte, bevor sie das Haus verließ.

Bei ihrer Heimkehr am frühen Abend begrüßte sie der blinkende Anrufbeantworter. Malik Gulistani bedankte sich für den netten Sonntag und wünschte ihr eine angenehme Woche. Er selbst sei die Woche über für das Museum in Marokko unterwegs. Er würde sich aber freuen, sie danach wiederzusehen.
Jacqueline fiel in eine abgrundtiefes Loch. Nur die Aussicht darauf, ihn eventuell am Wochenende sehen zu können verhinderte, dass sie nicht auf der Stelle in Tränen ausbrach. Die Nachricht am Donnerstag, die sie auf ihrem Anrufbeantworter vorfand, führte dazu, dass die Tränen doch noch in Strömen flossen. Die Sekretärin teilte ihr im Auftrag mit, dass sich die Verhandlungen in Fes länger hinzogen und Herr Gulistani erst Ende nächster Woche zurückkehren würde.
Kaum war Jacqueline am Freitagabend nach dem Feierabendeinkauf fürs Wochenende heimgekehrt, schlug der gestaltlose Gebieter unbarmherzig zu. Er entließ sie erst am Sonntagabend aus seiner Gewalt. Nur zum Essen hatte sie kurz die Maske abnehmen dürfen. Auch das war keine wirkliche Erleichterung, denn er hatte nur zweimal am Tag eine karge Mahlzeit und ein wenig Trinken erlaubt. Dank einer verbesserten Polsterung der Maske erwiesen sich die Schäden bei der eingehenden Begutachtung am Sonntagabend als so gering, dass am Montagmorgen keinerlei Maßnahmen zur Vertuschung notwendig waren.
Der Montag stürzte sie trotzdem in eine tiefe Verzweiflung. Die Ungewissheit, ob Malik Gulistani verheiratet war oder nicht, nagte beständig an ihr. Direkt nach der Arbeit nahm sie aus einer plötzlichen Eingebung heraus nicht die Metro nach Hause, sondern fuhr nach Clichy hinaus. Erst nach mehrmaligem Klingeln, und nachdem sie den Entschluss gefasst hatte, wieder zu gehen, öffnete sich die Tür und eine verschlafene Frau stand im Türrahmen.
Jacqueline blieb das Herz stehen. Obwohl die Frau schlaftrunken war, sah sie wunderschön aus. Und jung.

“Entschuldigen Sie bitte die Störung Madame, ich wollte Sie nicht aufwecken! Ich wollte eigentlich Malik, äh, Herrn Gulistani...” Bevor sie weiterreden konnte, hatte die Frau sie hineingebeten. Jacquelines Zögern wollte sie nicht gelten lassen und zog sie sanft an der Hand in die Wohnung. Die Stimme der Frau klang so schön, wie sie aussah. Jacqueline fühlte sich immer unbehaglicher und minderwertiger.
“Nein, Sie stören überhaupt nicht, ich wollte sowieso gerade aufstehen! Sie trinken doch einen Tee mit mir?” Jacqueline nickte stumm und sank in einen Sessel. Aus der Küche waren klappernde Geräusche zu hören. Trotz der unangenehmen Situation ließ Jacqueline ihren Blick um sich schweifen.
Das Zimmer war geschmackvoll mit offenbar ausgesuchten Stücken dekoriert, aber nicht überladen. Kostbare Teppiche bedeckten den Boden. Bei ihrem letzten Besuch hatte sie vor lauter Aufregung der Wohnung keine Beachtung geschenkt. Ein versonnenes Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie an ihren damaligen Auftritt denken musste. Automatisch wanderte ihr Blick zu Wohnungstür.
Ein Geräusch zog unvermittelt ihre Aufmerksamkeit an sich. Die Frau kam mit bloßen Füßen lächelnd aus der Küche geschlurft und deckte den Tisch.
“Greifen Sie nur zu, Madame...?” Die Frage nach Jacquelines Namen schwang unverkennbar mit.
“Oh, danke! Entschuldigen Sie bitte, ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Jacqueline Versol. Eigentlich wollte ich ja, wie schon gesagt, zu Herrn Gulistani. Aber er ist wohl im Moment gerade nicht da?” Flunkern konnte sie eigentlich schon immer gut. Und dann kam die Antwort, die sie mit bangem Herzen und angehaltenem Atem erhofft hatte.
“Oh, da muss ich Sie enttäuschen. Mein Onkel ist zur Zeit in Marokko, geschäftlich. Ich hüte nur seine Wohnung, bis er wieder da ist!” Jacqueline wäre ihr am liebsten um den Hals gefallen.

Die Unterhaltung wurde schnell vertraulich. Sie lachten viel zusammen. Die Zeit verstrich wie im Flug. Jacqueline saß in einem Taumel von Seligkeit in der Metro und verpasste prompt ihre Station. Unbedarft hatte seine Nichte so einiges über ihn ausgeplaudert. Er war geschieden und lebte schon seit längerem allein. Zusammen mit seinen Eltern war er ebenso wie Herr Nabastari beim Sturz des Shahs aus Persien geflohen. Malik Gulistani wuchs danach in Paris auf und hatte auch hier Kunsthistorik studiert. Das Wichtigste war jedoch, dass sie Flugnummer und Ankunftszeit erfahren hatte.
Alles war an diesem Freitag perfekt vorbereitet. Jacqueline hatte sich extra frei genommen. Die Wohnung war aufgeräumt, alles zum Essen vorbereitet. Das Bett frisch bezogen. Kritisch begutachtete sie sich selber im Ankleidespiegel. Die neu gekaufte Spitzenunterwäsche stand ihr gut. Zupfend ordnete sie den Strumpfrand der Strapsstrümpfe an ihren Oberschenkeln. Lächelnd schlüpfte sie in das knöchellange durchgeknöpfte Leinenkleid. Ein paar elegante Lackpumps vervollständigten ihre Aufmachung. Es war einfach soweit.
Fluchend kämpfte sie sich mit dem Auto durch den Pariser Verkehr. Das hatte sie nun von ihrer Idee, Malik Gulistani unbedingt mit dem eigenen Auto vom Flughafen abzuholen. Außer Atem erreichte sie gerade noch rechtzeitig die Ankunftshalle.

Sein Erstaunen bei ihrem Anblick war nicht zu übersehen. Doch seine Miene erhellte sich umgehend. Sein feines Lächeln, mit dem er ihre Einladung annahm, schien mehrdeutig. Jacqueline begann, unsicher zu werden. Verärgert biss sie sich im Auto auf die Unterlippe. Wie immer, wenn sie unsicher wurde, hatte sie zuviel geredet. Er hätte sie auch dezenter darauf hinweisen können, dass sie zuviel redete. Die Fahrt verlief nach dieser kleinen atmosphärischen Störung recht einsilbig. Beinahe tat es ihr schon leid, dass sie ihn eingeladen hatte.
Neugierig und interessiert  ließ er sich das Haus zeigen. Seine fachkundigen Kommentare zeigten deutlich seine Ausbildung als Kunsthistoriker. Amüsiert saß er auf einem der hohen Küchenhocker, ein Bein abgewinkelt auf der Querstange, und sah ihr beim Kochen zu. Von dem angebotenen Rotwein nippte er nur ab und zu. Immer wieder nickte er, während er sich von ihr etwas über sich selbst erzählen ließ. Irgendwie wurde Jacqueline das Gefühl nicht los, als ob dies eher ein Verhör als ein Gespräch war.
Das Essen verlief anfangs in einer leicht angespannten Atmosphäre, die sich aber im Verlauf immer mehr lockerte. Er erzählte über seinen Aufenthalt in Marokko, aber wenig über sich. Trotzdem schmolz Jacqueline dahin. Die Zeit verging, ohne dass Langeweile aufkam. Plötzlich schlug die Standuhr im Salon Mitternacht. Es hatte im Verlauf des Abends die eine oder andere gegenseitige Berührung gegeben, aber entgegen ihrer Hoffnung keine weiteren Schritte. Der einzige erkennbare Fortschritt war, dass sie sich inzwischen vertraulich anredeten. Mit dem Mut der Verzweiflung ging Jacqueline zum Angriff über.

“Willst du eigentlich nicht mit mir schlafen?” Er sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. Das lastende Schweigen dauerte eine Ewigkeit. Jacqueline fühlte sich immer kleiner werden.
“Hast du dir das auch gut überlegt?” Seine Frage warf sie fast um. Mit offenem Mund sah sie ihn an. Das hatte sie noch nie einer gefragt. Verwirrt nickte sie stumm. Er lächelte. Verschämt starrte sie auf den Boden, während sie aufreizend langsam das Kleid aufknöpfte. Mit einer einzigen Bewegung ließ sie es über die Schultern zu Boden gleiten und trat elegant heraus. Wieder zog er die Augenbrauen hoch, lächelte aber dabei. Unbeholfen, doch gleichzeitig kokett, strich sie mit einem Finger über ein Stück des nackten Fleisches zwischen Strumpf und Gürtel. Noch immer saß er schweigend da und beobachtete sie, das Kinn auf die rechte Hand gestützt. Zu ihrer Erleichterung brach er das Schweigen
 “Ah! Ich sehe, du hast es dir schon lange vorher überlegt.” Sein zustimmendes Lächeln ließ sie trotz der Antwort dahinschmelzen. Etwas verschüchtert blieb sie stehen, bis er aufgestanden war. Langsam folgte er ihr ins Schlafzimmer.

Noch bevor sie irgend etwas unternehmen konnte, hatte er sich auf die Bettkante gesetzt und winkte sie zu sich. Langsam und bedächtig begann er, sie an den unbedeckten Stellen ihres Körpers zu streicheln. Jacqueline wand sich unter seinen Fingern und bekam eine leichte Gänsehaut. Der BH fiel neben ihr auf den Boden. Malik setzte das Streicheln fort und bezog nun auch ihren Busen ein. Verschämt griff sie nach seinen Händen. Sein tadelndes Zungenschnalzen ließ ihre Hände zurückzucken, aber nur um gleich darauf wieder einzugreifen.
Malik schien ein wenig ungehalten, als sich das Spiel öfter wiederholte. Seine Stimme klang ruhig, aber doch gab es einen drohenden Unterton.
“Wenn du nicht stillhältst, muss ich wohl deine Hände festbinden, oder?” Es war auch eine Art von Provokation, dass sie in diesem Moment ihre Hände nicht unter Kontrolle hielt. Mit weitaufgerissenen Augen sah sie ihn seinen Gürtel aus der Hose ziehen. Malik zog sie mit einer so heftigen Bewegung an sich heran, dass sie wegen der hohen Pumps ins Stolpern geriet, griff einfach um sie herum und schlang den Gürtel um ihre Handgelenk. Es dauerte fast eine Minute, bis sie sich von ihrer Verblüffung erholt hatte und einen Schritt zurücktrat.
“Das ist nicht lustig! Lass mich sofort frei!” Ihre Stimme klang eher kläglich als wütend. Sein Lächeln erlosch dadurch nicht.
“Ich hatte dich gewarnt!” Zufrieden grinste er sie an und schüttelte dabei belustigt den Kopf.
Jacqueline zerrte probehalber an ihrer Fesselung. Überrascht stellte sie dabei fest, dass es sich nicht um eine leere Drohung handelte. Der Gürtel hielt ihre Hände unnachgiebig hinter dem Rücken zusammen. Mit keuchender Anstrengung verstärkte sie ihre Bemühungen. Mit einem Mal durchzuckte sie eine eiskalte Erkenntnis. Sie war ihm hilflos ausgeliefert. Auf Gedeih und Verderb in eine Situation geraten, die sie nicht mehr unter Kontrolle hatte.

Ihre Augen öffneten sich riesig weit, mit offenem Mund starrte sie Malik an, unfähig ein Wort zu sagen. Zerrissen zwischen Verzweiflung und Verlangen verlegte sie sich aufs Bitten und Flehen, um ihre Freilassung zu erreichen. Er setzte unbeeindruckt sein Streicheln fort. Jacqueline verlegte sich aufs Wimmern. Gleichzeitig aufs Äußerste erregt, wand sie sich unter seinen Händen.
Mit quälender Langsamkeit zog er ihr den Slip herunter und berührte sie dabei wie zufällig immer wieder in der Nähe ihres entflammten Geschlechtes. Jedes Mal durchzuckte eine Art Stromstoß ihren Unterleib und erhöhte ihre ohnehin schon kaum erträgliche Erregung. Bereitwillig stieg sie mit seiner Hilfe aus dem Slip und versuchte schwankend auf den Pumps das Gleichgewicht wieder zu erlangen. Beinahe wäre sie im Erdboden versunken. Neugierig hielt er den Slip in sein Blickfeld und starrte auf das Innere. Jacqueline lief rot an.
Eine deutliche Spur einer hellen Flüssigkeit glitzerte im Schein der Nachttischlampe. Achtlos ließ er den Slip neben sich aufs Bett fallen und setzte sein Streicheln fort. Seine Finger näherten sich gefährlich nahe ihrem Geschlecht. Und doch wieder nicht nahe genug.
Jacqueline meinte vor Lust und Verlangen wahnsinnig zu werden. Doch all ihr Flehen und Bitten prallten wirkungslos an Malik ab. Er räusperte sich. Erschrocken riss sie die Augen auf und sah ihn an. Der Schrecken fuhr ihr noch tiefer in die Glieder, als sie in sein Gesicht sah. Er schien verärgert.
Auf seiner Stirn stand eine Falte, die senkrecht von der Nasenwurzel bis fast zur Mitte der Stirn aufragte. Wie die Falte von Qadir Abd al Mudhills. Vor Überraschung öffnete sie den Mund und wollte zum Reden ansetzen. Diesen unbedachten Moment nutzte Malik aus und schob ihr einfach ihren eigenen Slip in die Mundhöhle. Bevor sie noch irgend etwas unternehmen konnte, fischte er nach dem BH auf dem Boden und knotete ihn einfach um ihren Kopf. Mit einem Seufzer ließ er sich aufs Bett zurückfallen. Jacqueline starrte ihn ungläubig an.

Er lächelte ihr beruhigend zu und nickte mit dem Kopf.
“Ich denke, jetzt können wir ungestört weitermachen?” Sein Augenzwinkern beruhigte sie tief im Inneren.
Mit dem Gefühl der Erleichterung ließ sie sich einfach gefühlsmäßig fallen. Augenblicklich überflutete die Lust die Gegenwart. Jacqueline gab sich seinen Händen hin. Er schien Tausende davon zu besitzen, überall auf ihrem Körper spürte sie ihn. Langsam füllte sich ihr Mund mit dem Geschmack der Flüssigkeit, die in ihrem Slip so verräterisch geglitzert hatte.
Mit einem Aufschrei klappte sie nach vorne zusammen. Ohne Vorwarnung war einer seiner Finger in ihr Geschlecht eingedrungen. Dann ein zweiter, dem umgehend ein Dritter folgte. Bedächtig bewegte er seine Finger in ihr. Ein schwacher Orgasmus rollte durch ihren Unterleib.
Vertrauensvoll ließ Jacqueline die Augen geschlossen, als Malik sie anhob und aufs Bett legte. Kraftvoll drang er in sie ein und bewegte sich in ihr. Schon nach wenigen Stößen verschlang eine heiße Welle ihr Bewusstsein und riss sie mit sich in einen Orgasmus.
Schweißnass kamen beide zur Ruhe. Langsam zog er sich aus ihr zurück. Enttäuscht riss sie die Augen auf und sah seine funkelnden Augen. Mit sanfter Stimme befahl er ihr, sich auf die Seite zu drehen. Nur mit seiner Hilfe gelang es ihr, dem Befehl nachzukommen. Sie schrie in den Knebel, als er von rückwärts wieder in sie eindrang. Ohne sich in ihr zu bewegen, langte er von beiden Seiten um ihren Oberkörper und griff nach ihrem Busen. Mit wechselnder Intensität knetete er die Brüste rhythmisch. Jacqueline stöhnte und wand sich unter seinem Griff. Die Bewegung setzte ihren Unterleib in lodernde Flammen.
Aber anscheinend konnte oder wollte er ihre Bitten nicht verstehen. Sie versuchte trotz des Knebels verständliche Worte hervorzubringen. Aber er ignorierte ihr Flehen und blieb still liegen. Immer wieder bearbeitete er ihren Busen und hielt urplötzlich inne.

Jacqueline schien kurz vor dem Platzen. Ohne Vorwarnung ließ er sie los und packte mit einem eisernen Klammergriff von beiden Seiten um ihre Taille. Wie eine Maschine stieß er ohne Unterlass kräftig zu. Jacqueline verglühte in einem Taumel, bis sie die Besinnung verlor.
Als sie wieder erwachte, lag sie schweißverklebt in seinen Armen. Der durchnässte Slip oberhalb ihres Kopfes auf dem Kissen. Malik schien zu schlafen. Mit einem Gefühl der Wärme, das in ihrem ganzen Körper sanft glühte, sah sie in sein schlafendes Gesicht. Sachte, damit sie ihn nicht störte, rieb sie vorsichtig die juckende Nase an seiner Schulter. Er atmete tief ein, und schlug die Augen auf. Seine Hand streichelte sanft ihre Wange. Beide versanken in den Augen des jeweils anderen.
Nach einer Ewigkeit machte er eine hastige Bewegung, um sich aufzurichten. Jacqueline ahnte, was er vorhatte und versuchte ihn zurückzuhalten.
“Bitte! Nein, lass es so, wie es ist.” Hauchte sie ihm ins Ohr. Malik verstand sofort und ließ sich zurücksinken. Fürsorglich zog er die Bettdecke über sie beide und löschte die Nachttischlampe. Ihre Münder fanden sich in der Dunkelheit und trennten sich erst nach einer Weile. An seinen regelmäßigen Atemzügen erkannte Jacqueline, dass er wieder eingeschlafen war. Mit einem Seufzer schmiegte sie sich enger an ihn. Es war eigentlich absolut unbequem, mit auf den Rücken gefesselten Händen einzuschlafen. Aber sie genoss das Gefühl, so geborgen in seinem Arm zu liegen. Langsam trieb sie in den Schlaf hinüber.

Am Morgen weckte ein Klappern aus der Küche Jacqueline. Der Geruch frisch aufgebrühten Kaffees lag in Luft. Zu ihrer Verwunderung konnte sie die Hände frei bewegen. Der Platz neben ihr war leer. Sie schlüpfte in den Bademantel und schlurfte verschlafen in die Küche.
Malik zauberte gerade ein umfangreiches Frühstück aus ihren Vorräten und begrüßte sie mit einem strahlenden Lächeln. Verschämt schlich sie zu ihm und vergrub sich in seinem Körper.
“Meine Hände sind ja frei”, sagte sie statt einer Begrüßung. Er lachte aus ganzem Herzen.
“Entschuldige bitte, aber ich brauchte meinen Gürtel für was anderes! Da du aber nichts zu bieten hattest, was meinen Gürtel von seinem Nebenberuf erlösen konnte, bist du eben frei!” Ein eiskalter Schrecken durchfuhr sie. Sollte sie ihm jetzt schon beichten, was in der Schatulle in der hintersten Ecke ihres Kleiderschrankes versteckt war?
In etwas gedrückter Stimmung setzte sie sich zum Frühstück mit ihm an den Tisch. Einsilbig beteiligte sie sich an der Unterhaltung, bis er plötzlich innehielt.
“Ist hier irgendwas nicht in Ordnung?” Jacqueline beeilte sich abzuwiegeln und gab sich Mühe, fröhlicher zu wirken. Aber die Stimmung schien gestört.
“Ich muss noch mal kurz nach Hause, bin aber zum Kaffee wieder zurück. Ist das o.K.?” Jacqueline nickte stumm. Wieder erschien diese Falte auf seiner Stirn.
“Oder soll ich nicht wiederkommen?” Seine Stimme klang ernst. Das Bedürfnis, sich ihm zu offenbaren schnürte ihr die Kehle zu.
“Bitte”, sie begann zu schluchzen, “Bitte komm wieder! Es ist etwas anderes, aber das kann ich im Moment...”, hilflos brach sie ab.
Malik kam auf sie zu und schloss sie in die Arme. Erleichtert presste sie sich an ihn und ließ den Tränen freien Lauf.

Zu ihrer Erleichterung klingelt es um kurz nach drei Uhr nachmittags an der Haustür. Malik stand mit einer kleinen Reisetasche vor der Tür. Der Nachmittag verlief ruhig. In entspannter Stimmung saßen sie miteinander auf der kleinen Gartenterrasse und tranken Kaffee. Malik hatte ein paar wunderbare Erdbeertörtchen mitgebracht. Als ob er es gewusst hätte genau die, die Jacqueline so sehr liebte. Das Tortenförmchen innen mit Schokolade ausgekleidet, eine Füllung aus Vanillepudding. Oben drauf ein Sahnehäubchen. Unversehens landete ihr Gespräch beim gestrigen Abend.
“Es war das erste Mal in dieser Weise nicht wahr?”, fragte Malik mit sanfter Stimme. Jacqueline nickte stumm. Dann begannen die Tränen schon wieder zu fließen. Aufschluchzend folgte sie seiner Geste und warf sich in seine Arme. Nebeneinander saßen sie auf der Gartenbank und schwiegen.
“Und? Würdest du es wieder tun?” Seine Stimme klang ganz ruhig und sachlich. Ein paar Tränen glitzerten noch in ihren Augenwinkeln, als sie den Kopf hob und Malik ansah. Leise nickte sie stumm.
“Dann sag es!” Seine Aufforderung hatte einen solch fordernden Unterton, dass sie sich einfach nicht länger verweigern konnte.
“Ja, es war so schön! Aber ich habe Angst!” Wieder versagte ihr die Stimme.

Kaum eine halbe Stunde später lagen sie erschöpft und zufrieden im Bett. Eigentlich hatte sie gehofft, dass er sie wieder fesseln würde, aber gleichzeitig war sie erleichtert, dass er es nicht getan hatte.
In gelöster Stimmung saßen sie zum Abendbrot zusammen. Langsam wuchs die gegenseitige Vertrautheit zwischen ihnen, obwohl ein Rest Distanz erhalten blieb. Langsam wechselten sie nach dem Essen in den Salon hinüber. Und es dauerte nicht lange, bis sie auf dem weichen Teppich vor der Couch in Zärtlichkeiten verstrickt waren. Jacqueline begann sich immer störrischer der Zärtlichkeiten zu erwehren, bis Malik innehielt und ihr streng ins Gesicht sah. Sie streckte ihm frech die Zunge heraus.
Wortlos stand er auf und kehrte mit der Reisetasche in der Hand aus dem Flur zurück. Ohne sich um ihren erbitterten Widerstand zu kümmern, warf er Jacqueline mit einem gekonnten Catchergriff auf den Bauch und setzte sich einfach auf sie. Mit einer Hand angelte er nach der Reisetasche, während er sich mit der anderen Jacquelines Attacken zu erwehren versuchte.
Plötzlich spürte sie etwas Kaltes ihr Handgelenk umschließen, Sekundenbruchteile später auch ihr anderes. Je mehr sie sich zur Wehr setzte, desto fester biss das Kalte um ihre Handgelenke zu.
“Au, das tut doch weh!” Ihr Protest verhallte ohne Reaktion. Mühsam bäumte sie sich auf, um einen Blick auf ihre Handgelenke werfen zu können. Der Atem stockte ihr im selben Moment.

Stählerne Polizeihandschellen hielten ihre Hände gefesselt auf dem Rücken. Ihre Gegenwehr erlahmte im gleichen Moment. Trotzdem setzte Malik sein Werk fort. Als er endlich aufstand, fühlte sie sich wie ein Kalb, das beim Rodeo eingefangen wurde. Und doch gleichzeitig glücklich.
Ihre Füße lagen kreuzweise übereinander und waren stramm mit einen Strick gefesselt. Ein weiterer Strick schlang sich um ihre Taille und zog die Füße unbarmherzig in Richtung Gesäß. Suchend wanderte Malik durch die Wohnung und sah ab und zu bei seinem hilflosen Opfer vorbei. Mit einen Seidenschal, den er an der Garderobe gefunden haben musste, verband er ihr die Augen. Von nun hörte sie nur noch an den Schritten, dass sie nicht allein in der Wohnung zurückgelassen worden war.
Endlich schien er gefunden zu haben, was er suchte. Gekonnt streifte er Jacqueline die Lackpumps, die noch von gestern im Flur standen, über ihre immer noch gefesselten Füße. Erst danach löste er den Strick, der ihre Füße so unbequem gefesselt gehalten hatte. Erleichtert ließ sie die Beine aus der starken Beugung im Knie wieder in die Gerade schnellen.
“Komm, ich helfe Dir auf!” Zögerlich folgte sie seinem Befehl. Unter Taumeln und nur mit seiner Unterstützung gelang es ihr aufzustehen. Am Klang der Absätze ihrer Schuhe erkannte sie, dass Malik sie in die Küche führte.
“Hab keine Angst!”, flüsterte er ihr ins Ohr und hob sie gleichzeitig an. Jacqueline versteifte sich augenblicklich, da sie trotz seiner beruhigenden Worte Angst bekam. Mit den tastenden Finger ihrer gefesselten Hände erkannte sie, dass Malik sie auf einen der hohen Küchenstühle gesetzt hatte. Ihre Füße baumelten frei in der Luft und schlugen mit den Fersen an die Querstange des Hockers. Instinktiv hob sie die Füße an und setzte sie auf der Stange ab.
Malik machte sich hinter ihrem Rücken zu schaffen. Behutsam dirigierte er ihre gefesselten Hände über die Rückenlehne und band sie dort fest. Jacqueline zerrte verstohlen an den Fesseln. Zu ihrem Entsetzen saß sie unverrückbar auf dem hohen Küchenhocker fest. Im gleichen Atemzug versteifte sich ihr Körper aus Angst mit den Hocker umzufallen. Mit einem leisen Aufschrei spürte sie, dass Malik mit seiner warmen Hand ihr rechtes Fußgelenk umgriffen hatte und den Fuß mit Nachdruck nach außen schob. Dort angekommen, setzte er ihren Pumps mit der Sohle so auf der Querstange ab, dass der Absatz daran fest anlag.
Minuten später hielt ein Strick ihren Fuß gleichzeitig auf der Querstange und an dem rechten Stuhlbein fest. Während er sich am linken Fuß zu schaffen machte, versuchte sie probehalber den rechten zu bewegen. Der Fuß saß wie festgenagelt fest. Nachdem auch ihr linker Fuß gefesselt war, herrschte einige Minuten Stille. Dann rückte irgendwo ein Stuhl.
Die kalte Kunstledersitzfläche des Küchenhockers fühlte sich inzwischen durch Jacquelines Körperwärme nicht mehr so unangenehm an, dafür entstand das vertraute Gefühl des juckenden Schweißes in der Gesäßfalte. Übervorsichtig rutschte Jacqueline ein wenig auf dem Sitz. Die nackte Haut schien mit dem Kunstleder verklebt. Die Haut schmerzte beim Lösen von der Sitzfläche.
Urplötzlich verschwand der Schal vor ihren Augen. Mühsam blinzelte Jacqueline im hellen Licht, um etwas zu sehen. Ihr wurde heiß. Die gesamte Wohnung war in tiefe Dunkelheit gehüllt. Nur sie saß auf ihrem Küchenhocker im gleißenden Lichtkegel eines einzelnen Deckenfluters. Wie auf einer Bühne. Der Gedanke schoss ihr sofort durch den Kopf. Erbarmungslos präsentiert und der Begutachtung preisgegeben.

Jacqueline schämte sich beinahe zu Tode. Ängstlich rief sie nach Malik. Seine Antwort kam von irgendwo aus der undurchdringlichen Dunkelheit. Doch die Stimme beruhigte sie nicht. Denn die Stimme begann Fragen zu stellen. Fragen, deren Beantwortung ihr unsagbar peinlich waren. Stockend, dann aber immer bereitwilliger antwortete sie auf die Fragen, die Auskunft über die so lange versteckte Jacqueline forderten. Unter Tränen beichtete sie alles. Und dann brach der Damm. Wie aus einer nie versiegenden Quelle sprudelte das ganze Geheimnis über Armandine und den gestaltlosen Gebieter aus ihr heraus.
Als sie tränenüberströmt endete, war Malik aus der Dunkelheit neben sie ins Licht getreten und bedeckte ihren wehrlosen Körper mit Küssen.


Der folgende Sonntagmorgen war friedlich und still. Jacqueline glitt sanft aus dem Schlaf ins Wachsein und begann sich zu erinnern. Ein leichtes, prickelndes Schauern durchzog ihren Körper, als das Echo des gestrigen Abends durch ihre Gedanken zog. Fast spürte sie den harten Biss der metallenen Handschellen um ihre Gelenke, das Einschneiden des Baumwollstrickes, der ihre Füße zur Untätigkeit verdammt hatte.
Das Schmerzen der Gelenke und Muskeln, als sie im Ungewissen wartend, hilflos mit verbundenen Augen wie ein paketartiges Etwas auf dem Fußboden gelegen hatte. Ihre Beichte, die sie gleichzeitig beschämte und erlöste. Die zarten Küsse, mit denen Malik ihren Körper bedeckte, bevor er sie von ihren Fesseln befreite. Die leidenschaftliche Vereinigung im Bett, bis sie beide schweißnass und erschöpft von einander abließen. Ihre zögerliche Bitte, ihm die Reifen vorführen zu dürfen. Sein wohlwollendes Lächeln, mit dem er einwilligte, aber gleichzeitig die Vorführung auf den folgenden Morgen verschob. Seine wahrscheinlich eher scherzhafte Ergänzung, dass er dann auch erwarte, dass sie ihm diene.
Malik schlief noch. Sein Atem ging ruhig und regelmäßig, sein Gesicht schien eine bisher unentdeckte Sanftheit zu besitzen. Gebannt starrte Jacqueline ihn an; dieses Bild brannte sich irgendwo tief in ihrem Inneren fest. Als ob er es im Schlaf bemerken würde, drehte er sich mit einem brummenden Geräusch von ihr weg auf die Seite. Vorsichtig ließ Jacqueline sich auf das Kissen zurücksinken und starrte nun statt dessen an die Decke. Eine körperliche Unruhe ergriff von ihr Besitz. Je mehr Widerstand sie dagegen leistete, desto unruhiger wurde es in ihrem Inneren. Nur mit äußerster Mühe konnte sie sich beherrschen, nicht im Bett umherzurutschen.
Dann kam der Moment, an dem sie es einfach nicht mehr aushielt. Übervorsichtig glitt sie aus dem Bett und schlich zum Schrank hinüber. Das leise Knarren der Schranktür erschreckte sie bis tief ins Mark; augenblicklich erstarrte sie. Mit angehaltenem Atem hielt sie inne und horchte.
Malik atmete unverändert ruhig weiter. Der Spalt reichte zu ihrer Erleichterung aus, um die Schatulle aus den Tiefen des Schrankes ans Tageslicht zu befördern. Wie eine Diebin schlich Jacqueline auf Zehenspitzen aus dem Zimmer; sie warf noch einen letzten prüfenden Blick über die Schulter zurück, bevor sie das Zimmer verließ. Malik schlief immer noch. Voller Anspannung und Konzentration schloss sie die Tür zum Schlafzimmer.

Wie ein lautloser Schatten huschte sie ins Badezimmer. Obwohl Malik sicher wohl kaum noch Geräusche durch die geschlossene Schlafzimmertür hören konnte, zog sie mit der gleichen Vorsicht die Badezimmertür hinter sich zu, um ganz sicher zu gehen.
Jacquelines Atem ging flach und oberflächlich, sie bemühte sich, möglichst geräuschlos zu arbeiten. In atemloser Hast führte sie die schon so oft geübten Schritte aus. Dieses Mal jedoch nicht für den gestaltlosen Gebieter. Prüfend fuhr ihre Hand leicht über die Haut. Keine Härchen trübte die Glätte ihres Unterleibes. Versonnen reinigte sie den Rasierapparat. Mit der gleichen Sorgfalt inspizierte sie Achselhöhlen und Beine. Die Enthaarungscreme hatte hier vollkommene Arbeit geleistet.
Während sie unter der Dusche stand, betete sie darum, dass Malik von dem Geräusch nicht aufgeweckt werden möge. Noch vor dem Abtrocknen öffnete sie die Tür vorsichtig einen Spalt und horchte mit angehaltenem Atem prüfend in die Wohnung. Nichts deutete darauf hin, dass Malik erwacht war. Beruhigt zog sie die Tür wieder zu.
Kleine Wasserlachen auf den Fliesen glitzerten im Licht des Halogenstrahlers. Nach dem Abtrocknen fiel sie auf die Knie, um die Lachen aufzuwischen. Ein Widerhall zog in ihren Gedanken für einen kurzen Moment durch ihr Inneres. Schon wieder erledigte sie auf den Knien Hausarbeit. Verwirrt stand sie auf. Für einen kurzen Moment sammelte sie sich und atmete tief durch. Ihr Entschluss stand fest.
Hastig legte sie Reifen um Reifen an, sorgsam bemüht, das Klingeln der Ringe daran unter Kontrolle zu behalten. Mit aufkeimender Panik versuchte sie, ihre widerspenstigen Haare unter der seidenen Sturmhaube zu ordnen. Mit einem Seufzer der Erleichterung fielen ihre Arme entspannt seitwärts herab, nachdem das Vorhängeschloss der Maske mit dem üblichen hellen Klicken eingerastet war. Wieder horchte sie angestrengt durch den vorsichtig geöffneten Türspalt. Immer noch schien alles unverändert ruhig.
Aufgeregt hastete sie unter dem leisen Klingeln der Reifen in die Küche. Dort erstarrte sie augenblicklich und hielt mit dem Atmen inne, bis sie sich sicher war, dass sie Malik nicht aufgeweckt hatte. So leise wie möglich bereitete Jacqueline das Frühstück vor und deckte sorgfältig den Tisch. Zufrieden betrachtete sie ihr Werk. Das einzelne Gedeck verlor sich beinahe auf dem Tisch. Die Lebensmittel liebevoll in Griffweite arrangiert; der Duft der frisch aufgebackenen Croissants lag noch in der Luft. Eine einzelne Rose in einer schlanken Glasvase. Davor auf einer kostbaren Leinenserviette, die sie von ihrer Großmutter geerbt hatte, die Zange zum Öffnen der Reifen und der Schlüssel für die Maske. Alles war an seinem vorgesehenen Platz.

Leise schlich sie zum Schlafzimmer und kniete neben der Tür nieder. Die Uhr im Salon schlug gerade zur vollen Stunde. Die bange Erinnerung an die Bestrafung durch den gestaltlosen Gebieter auf dem Dachboden kroch in ihr hoch und würgte sie. Die Panik drohte sie zu überwältigen. Alles in ihr drängte darauf hin, ins Badezimmer zu flüchten und sich ihrer Fesseln zu entledigen.
Die Knie begann zu schmerzen, die Muskeln fingen an sich zu verhärten. Langsam kroch ein taubes Gefühl erst in den rechten Fuß, dann auch in den linken. Jacqueline versuchte das Gewicht zu verlagern, um sich Erleichterung zu verschaffen. Die Standuhr im Salon schlug an, dass gerade erst eine Viertelstunde verstrichen war. Mit einem Mal verflogen alle Beschwerden. Aus dem Schlafzimmer drangen Geräusche.

Malik blieb wie vom Blitz getroffen in der geöffneten Tür stehen. Bevor Jacqueline eilfertig den Blick zu Boden geworfen hatte, konnte sie erkennen, dass Malik erbleichte. Die Zeit stand still. Das Ticken der Uhr drang überdeutlich aus dem Salon durch die angespannte Ruhe. Das Schlagen der halben Stunde dröhnte förmlich.
Malik räusperte sich, er schien die Fassung inzwischen wiedergewonnen zu haben.
“Das ist aber eine angenehme Überraschung! Da gleitet man doch ganz beschwingt in den Morgen.” Seine Stimme klang belegt.
“Lass dich anschauen!” Mühsam erhob sich Jacqueline mit seiner Hilfe. Unsicher schwankte sie auf den beinahe tauben Fußsohlen, bis sich das unangenehme Gefühl langsam gelegt hatte. Immer noch blickte sie verschämt unverwandt zu Boden. Tastend und untersuchend fuhren seine Hände über ihren nackten Körper und hinterließen eine leichte Gänsehaut. Fast scheu berührte er die Reifen. Zu ihrem inneren Entsetzen richteten sich genau in ihrem Blickfeld ihre Brustwarzen unübersehbar zu praller Größe auf. Auch Malik entging das nicht, er lächelte und strich versonnen sanft darüber.
Jacqueline versank in einem Strudel. Fielen die Worte wirklich oder waren sie nur ein inniger geheimer Wunsch von ihr selber?
“Noch nicht, Liebes. Noch nicht!” Der Fußboden schien sich in eine morastige Masse zu verwandeln, in die sie langsam aber unaufhaltsam versank. Maliks Zeigefinger, mit dem er in den Ring an ihrem Halsreifen griff und sie zu sich heranzog, war die einzige Rettung vor dem Versinken. Wieder fühlte sich Jacqueline wie von Flügeln umhüllt, als er seine Arme um sie legte und sie fest an sich gepresst hielt. Langsam schien sich ihr Körper aufzulösen und ein Teil von seinem zu werden. Eine Welle der Ruhe und der Zufriedenheit brachte alles Andere zum Erlöschen.

Der erneute Schlag der Standuhr riss sie in die Gegenwart zurück. Mit einer einladenden Geste lud sie in ihrer durch die Maske erzwungenen Stummheit Malik zum Frühstücken ein. Aber er schien sich nur mit Mühe von ihr trennen zu wollen. Langsam folgte er Jacqueline zum Frühstückstisch. Sein Erstaunen war unübersehbar. Nachdenklich nahm er noch im Stehen die Zange in die Hand.
“Das ist die Zange zum Öffnen der Reifen, von der du gestern Abend erzählt hast?” Seine Augenbrauen zogen sich begutachtend nach oben. Mit der anderen Hand griff er nach dem Schlüssel...
 Ich bin überwältigt von deinem Vertrauen, das du mir schenkst. Ich verspreche dir feierlich, mich zu bemühen, es nicht zu missbrauchen!” Er schwieg nachdenklich. Jacqueline meinte so etwas wie eine Träne in seinen Augenwinkeln zu sehen. In diesem Moment wusste sie, dass sie sich nicht getäuscht hatte und atmete innerlich erleichtert auf. Alle Anspannung fiel mit einem Schlag von ihr ab. Noch immer stand er vor dem Tisch, ohne sich zu setzen. Genau so schlagartig wie sie abgefallen war, setzte die Anspannung wieder ein.
Tausende Gedanken purzelten durch ihr Gehirn. Vor Sorge, dass sie etwas Wichtiges bei der Vorbereitung vergessen haben könnte, verkrampfte sie sich vollkommen. Behutsam legte er unterdessen Zange und Schlüssel auf die Serviette zurück und versank in Gedanken. Mit einem Anflug von Furcht beobachtete Jacqueline ihn. Das urplötzlich einsetzende Lächeln erwärmte sie wie ein Sonnenstrahl.
“Du hast es perfekt gemacht. Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll.” Er schien tief bewegt.
“Nur an deinem Benehmen müssen wir anscheinend noch ein wenig feilen!” Seine Stimme klang ruhig, sein Gesicht war ernst, aber es gab ein Lächeln in seinen Augen.

Jacqueline durchlief es heiß. Die Aufregung hatte ihr einen Streich gespielt. Eigentlich hatte sie aus eigenem Antrieb vor ihm niederfallen wollen. Es jetzt auf seine Bemerkung hin zu tun, war ihr unendlich peinlich. Das Blut rauschte in ihren Ohren, als sie mit dem Kopf den Boden berührte. Der Befehl kam überraschend knapp.
“Deine Hände!” Trotzdem streckte sie ihm gehorsam ihre Hände aus dem Knien entgegen. Mit einer unendlich langsamen Bewegung rutschte der Gürtel aus den Schlaufen seiner Hose. Innerlich zuckte Jacqueline zusammen. In Erwartung einer Strafe drehte sie die Handflächen nach oben und streckte sie ihm entgegen. Reflexartig biss sie die Zähne aufeinander und kniff die Augen zusammen.
Für einen kurzen Moment tauchte eine Erinnerung aus ihrer frühen Schulzeit auf. Monsieur Ricochet. Der alte Lehrer in der kleinen Dorfschule weit außerhalb von Paris, in der sie die ersten 3 Schuljahre verbracht hatte. Drei grauenvolle Jahre, die ihre ohnehin vorhandene Abneigung gegen die Schule ins Unermessliche vertieft hatte. Bei der geringsten Verfehlung kam dieser Satz: “Deine Hände!” Und schmerzhafte Hiebe mit dem Holzlineal auf die Handinnenflächen.
Innerlich verkrampfte Jacqueline noch mehr. Doch statt des befürchteten klatschenden Geräusches und dem nachfolgenden sengenden Schmerz ertönte ein leichtes Klirren. Erstaunt riss sie die Augen auf. Malik zog bedächtig seinen Gürtel durch die Ringe ihrer Handgelenkreifen und schloss einfach nur die Schnalle.
Seine Stimme klang sanft: “Steh auf und komm!” Bereitwillig ließ sie sich am Gürtel in die Höhe ziehen und folgte dem Zug an ihren Handgelenken zum großen Eichenschrank.

Malik öffnete eine der Türen einen Spalt breit und zog Jacqueline noch näher heran. Gehorsam hob sie auf seinen Befehl hin die Arme weit über den Kopf. Sorgsam ordnete er den Gürtel und warf ihn über die obere Türkante. Ein heftiger, schneller Stoß ließ die Tür schlagartig zufallen. Mit einer ebenso schnellen Bewegung verschwand der Türschlüssel nach dem Abschließen in seiner Hosentasche. Maliks leichter Biss von hinten in ihre linke Schulter verursachte auf der gesamten Körperhälfte eine Gänsehaut.
“In Ermangelung einer Säule müssen wir uns eben damit behelfen, nicht wahr? Aber ich denke, es ist ein fast vollwertiger Ersatz.” Sein Biss in ihre rechte Schulter, direkt am Halsansatz riss ihr fast die Beine weg. Quiekend bog sie sich zusammen; ihre Knie knickten ein. Mit einem Ruck wurde die Bewegung abrupt unterbrochen. Jacquelines Handgelenke wurden förmlich nach oben gerissen, als sie an dem Gürtel baumelte. Unverrückbar hielt der eingeklemmte Gürtel ihre Hände weit über dem Kopf am Schrank fest.
In aller Seelenruhe schlenderte Malik zum Tisch und nahm Platz. Überrascht wendete sie ihren Kopf über die Schulter und sah, wie er mit dem Frühstück begann. Er schien keinerlei Notiz von ihr zu nehmen, denn er widmete sich ausschließlich dem Essen. Ein Anflug von Wut stieg in ihr auf. Die angestrengte Haltung, um ihn zu beobachten, war nicht lange zu halten. Die Schultermuskeln schmerzten schon nach wenigen Minuten. Dann erweiterte sich der Schmerz auf die Arme. Obwohl sie versuchte, die Hände ohne Kraftaufwand locker am Gürtel hängen zu lassen, ließ sich die Unbequemlichkeit nicht beheben.
Unruhig tippelte Jacqueline von einem Fuß auf den anderen. Immer wieder flog der Kopf über die Schulter, in der Hoffnung, Maliks Aufmerksamkeit und Mitleid zu erregen. Ab und zu sah er zu ihr herüber, aber ungerührt setzte er das Frühstück fort. Verzweifelt zerrte sie an dem Gürtel. Doch der saß bombenfest. Ihre Wut verstärkte sich im gleichen Maß, wie die Schmerzen in Armen und Schultern.
Zweifel stiegen in ihr auf. Die Unruhe wuchs. Je öfter sie verzweifelte Blicke zum Tisch hinüber warf, desto mehr wuchs ihre Befürchtung, doch eine falsche Entscheidung getroffen zu haben. Zuerst leise, dann immer lauter, begann sie hinter der Maske mit undeutlicher Stimme gegen ihre Behandlung zu protestieren. Die Art und Weise, wie er sie berührte, ließen die Zweifel wie Eis in der Sonne schmelzen. Er war aufgestanden und hinter sie getreten. Langsam glitten seine Hände über ihren ausgelieferten Körper, massierten die schmerzenden Glieder, wanderten abwärts bis zu ihrem Unterleib und trieben dort ihr Unwesen. Keuchend verbog sie sich unter den zupackenden und fordernden Händen.
Schweißperlen bedeckten ihren Körper, doch Jacqueline spürte die Kühle nicht, die sie verbreiteten. Ihr ganzer Körper stand in Flammen. Entzündet von dem Brandherd, der in ihrem Unterleib loderte.

“Ich würde eigentlich gerne in Ruhe zu Ende frühstücken!” Seine Stimme traf ganz dicht neben ihrem Kopf an ihr Ohr. “Aber wenn du so einen Lärm machst, geht das nicht.”
Immer schneller glitten die Hände über ihren wehrlosen Körper. Ihr Keuchen verstärkte sich und war trotz der Maske vor ihrem Gesicht deutlich zu hören.
“Diese Störung ist eine Ungehörigkeit, die ich nicht dulden kann. Das siehst du doch wohl ein?” Dass er keine Antwort erwartete, bedurfte keiner Überlegung.
Erstens hatte er Recht und zweitens konnte sie wegen der Maske keine verständliche Antwort geben; das war auch ihm sicher bewusst. Trotzdem beeilte sich Jacqueline heftig mit dem Kopf bestätigend zu nicken. Er schien damit zufrieden.
“Gut. Und wenn es eine Ungehörigkeit ist, eigentlich sogar eine unverschämte Frechheit, habe ich dann nicht die Pflicht und das Recht, erzieherisch einzugreifen und dich dafür zu bestrafen?”
Das folgende Schweigen wurde vom Schlagen der Standuhr unterbrochen. Jacqueline zuckte zusammen. Verschämt wendete sie Kopf auf die andere Seite, um ihn nicht ansehen zu müssen. Für einen Moment setzte ihr Herzschlag aus. Neben ihr stand Armandine de Marillac und nickte ihr freundlich zu.
“Jacqueline, du musst dich jetzt entscheiden. Wenn du nein sagst, wirst du straffrei ausgehen, aber ein Teil von dir wird für immer unerfüllt bleiben. Gestehst du ihm aber das Recht zu, werden weitere Bestrafungen, die möglicherweise schwer zu ertragen sind, dieser folgen. Aber du gewinnst einen Gebieter, der dir helfen kann, deine noch schlummernden Teile zu entdecken. Wähle gut, liebe Jacqueline, wähle gut! Wähle aus den zweierlei Glück das Größere!” Damit löste sich das Bild ins Nichts auf.

Jacqueline drehte den Kopf zur anderen Seite und sah in Maliks Augen. Heiße Tränen stiegen in ihre Augen und sammelten sich darin, bevor sie herunterliefen und vom Seidenstoff der Haube aufgesogen wurden. Auch Maliks Augen glitzerten verdächtig. Ihre Blicke versanken für eine Ewigkeit ineinander.
“Du räumst mir dieses Recht ein?” Seine Stimme klang heiser.
In diesem Moment verwünschte Jacqueline die Maske. Sie hätte ihm gerne so geantwortet, so viel gesagt, so viel geschworen. Im gleichen Atemzug genoss sie ihr erzwungenes Schweigen, dass der Situation viel angemessener erschien. Stumm nickte sie und versuchte sich an ihn zu lehnen.
Mit einem Kuss auf ihrem Oberarm riss er sich von ihr los. Mit schnellen Schritten kam er aus der Küche zurück, in der Hand ein nasses Handtuch. Klatschend fuhr das Handtuch auf ihrem Körper nieder, traf ihr Gesäß, die Oberschenkel, ihre Schultern. Biss mit sengendem Brennen zu und setzte ihre Haut in Flammen.
“Und jetzt würde ich gerne ungestört zu Ende frühstücken!” Malik ging zum Tisch hinüber und setzte seine unterbrochene Mahlzeit fort.
Jacqueline fühlte sich im wahrsten Sinne des Wortes zerschlagen. Ergeben wartete sie trotz der Schmerzen in ihren Armen und Schultern. Das Brennen ihrer Haut nach der Auspeitschung ließ nur langsam nach und schien sich statt dessen an einem anderen Ort zu versammeln.
Verstohlen presste sie ihre Brustwarzen an das Holz der Schranktür. Die Angst, Malik könnte auch dieses Mal ihre Erregung nicht übersehen, weckte eine ungeheure Scham in ihr, die sie nicht für möglich gehalten hatte. Im selben Moment hörte sie das Scharren des Stuhls. Malik kam zu ihr. Sein Lachen beschämte sie noch mehr, als wenn er sie getadelt hätte.

“Hör gut zu! Du wirst jetzt hier alles aufräumen, dann gehst du auf die Toilette. Anschließend meldest du dich bei mir im Schlafzimmer!” Er sah auf die Armbanduhr.
“Und zwar in genau zehn Minuten. Jede Sekunde Verspätung wird dir im wahrsten Sinne des Wortes leid tun!” Jacqueline nahm sich nicht einmal die Zeit, ihre schmerzenden Arme zu massieren, nachdem Malik sie befreit hatte. Ohne Verzögerung stürzte sie sich unter seinen wachsamen Augen aufs Aufräumen.
Erst in dem Augenblick, als sie auf der Toilette hockte, bemerkte sie, wie voll ihre Blase eigentlich war. Mit einem erschreckten Blick auf die Uhr hastete sie in Richtung Schlafzimmer. Pünktlich auf die Sekunde erreichte sie außer Atem dem Raum. Malik wartete bereits.
“Du hast vergessen zu spülen! Also...” Der Satz blieb unvollendet, aber Jacqueline ahnte auch so, was Malik von ihr verlangte. Beinahe wäre sie mit ihren nackten Füßen ausgerutscht, als sie in Richtung Badezimmer spurtete. In einem aberwitzigen Moment musste sie an Marcel denken. Wie oft hatte sie sich während ihrer Ehe über seine Nachlässigkeit im Umgang mit der Spülung geärgert, vom meist offengelassenen Toilettendeckel ganz zu schweigen.
Wut kroch in ihr hoch. Marcel war jedoch nur der Auslöser. Die Wut weitete sich auf Malik aus. Sie ließ sich doch nicht auf diese Weise von ihm wie ein kleines, unerzogenes Kind behandeln. Betont gemächlich schlenderte sie ins Schlafzimmer zurück und betrat es provozierend langsam.
Die hochgezogenen Augenbrauen verhießen nichts Gutes, trotzdem blieb sie einfach in einiger Entfernung vom Bett stehen. Malik winkte sie zu sich; trotzig bewegte sie sich keinen Millimeter. Die senkrechte Falte auf seiner Stirn entging ihr in diesem Moment.

Wenige Minuten später hatte sich ihre Wut auf ihr Bett ausgedehnt. Der altmodische Metallrahmen mit seinen Stangen und Gitterstäben war ihr als Maliks Verbündeter heimtückisch in den Rücken gefallen. Verstohlen versuchte sie sich zu bewegen. Er schien tausend Hände besessen zu haben. Anders konnte er es nicht bewerkstelligt haben.
Jacqueline lag eigentlich bequem auf dem Bauch. Das Hinderliche an ihrer Lage war, dass ihre weit ausgestreckten Gliedmaßen an die Bettpfosten gefesselt waren. Gedämpft stöhnte sie auf. Malik war dabei, die zusammengeknüllte Bettdecke so unter ihr zu platzieren, dass sich ihr Gesäß provozierend in die Höhe reckte. Das Schloss in ihrem Nacken klickte laut und vernehmlich. Behutsam zog er die Maske von ihrem Kopf, dann die Sturmhaube.
“Binde mich sofort los, du Schuft! Was denkst du dir eigentlich dabei, so mit mir umzugehen?” Jacqueline funkelte ihn aus wutblitzenden Augen an.
Er setzte sich zu ihr auf die Bettkante. Behutsam strich er beruhigend über ihren nackten Oberarm. Ihre Abwehrbewegung war zwecklos.
“Das klang vorhin alles noch ganz anders. Was ist los?” Der Ärger sprudelte nur so aus ihr heraus. Über Marcel, die ihrer Meinung nach ungerechte Behandlung wegen des Klos. Das gewaltsame Festbinden ans Bett. Malik hörte schweigend zu. Die Beschwerden wurden immer kläglicher im Ton, bis sie erstarben.
“Könnte es nicht so gewesen sein? Du hast einen Fehler begangen. Nämlich vor lauter Unachtsamkeit vergessen zu spülen. Und dadurch bist du zu spät gekommen. Aus Angst vor der fälligen Strafe für das Zuspätkommen, versuchst du nun, andere für dein Versagen zu beschuldigen. Statt dich dafür zu entschuldigen und die angekündigte Strafe dafür entgegen zu nehmen, begehst du weitere Ungehorsamkeiten. Was soll ich davon halten?” Er schwieg wieder. Erst nach einer Weile redete er weiter.
“Ich werde jetzt noch einen Kaffee trinken und dann die Zange holen. Du kannst die Zeit nutzen, um zu überlegen. Wenn du bei meiner Rückkehr immer noch der Meinung bist, dass du ein Opfer von Ungerechtigkeit und Willkür bist, dann werde ich dich sofort befreien.”

Aus der Küche klang das Rattern des Mahlwerks der Kaffeemaschine. Zischend sprudelte der Kaffee. Dann war alles still. In Jacqueline arbeitete es unablässig. Ein Räuspern ließ ihren Kopf auf die andere Seite wirbeln. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Aber anstelle von Malik saß Armandine auf der Bettkante.
“Liebes, du bist, mit Verlaub gesagt, ein Dummkopf!” Armandine lachte herzhaft.
“Wie kann man nur so leichtsinnig sein Glück aufs Spiel setzen? Wenn ich an deiner Stelle wäre! Keinen Augenblick würde ich zögern. Aber bitte, wenn du meinst. Sag ihm nur, dass du frei sein willst. Und ich verspreche dir, du wirst frei sein. Aber nur von deinen Fesseln. Das Andere, Liebes”, sie schwieg bedeutungsvoll eine Weile, bevor sie weiter redete. Ihr Gesichtsausdruck war ernst geworden.
“Das Andere wird trotzdem in dir sein und dich dein Leben lang quälen, weil du ihm die Existenz verleugnest. Du wirst dich immer härter abmühen müssen, es zu unterdrücken und einzusperren. Ja, es einzusperren in dem dunklen Kerker, der sich in deinem Inneren befindet. Länger als der vermaledeite Fauchard mich einsperren ließ. Nämlich bis zu deinem Tod. Und manchmal geht das sogar über den leiblichen Tod hinaus.”
Jacqueline drehte ihren Kopf auf die andere Seite und ließ ihren Tränen freien Lauf. Irgendwo in einer anderen Welt klapperte eine Kaffeetasse.

Das Räuspern kam dieses Mal von Malik. Mit tränenblinden Augen sah sie ihn an. Ihre gestammelte Entschuldigung ließ ihn erbleichen. Er schluckte schwer, während er zärtlich ihren hilflos ausgelieferten Körper streichelte. Der dünne Lederriemen, mit dem er sie schlug, biss erbarmungslos und schmerzhaft zu. Ihr bemühter Versuch, die Schläge im Inneren mitzuzählen, ging im Kreuzfeuer der Schmerzen zugrunde. Verzweifelt zerrte sie an den Fesseln und wand sich, um den Einschlägen zu entkommen. Je mehr sie sich erfolglos wehrte, desto deutlicher spürte sie ihre Hilflosigkeit. Je mehr ihr aber das Gefühl von Hilflosigkeit ins Bewusstsein drang, desto mehr drängte dies den Schmerz in den Hintergrund, bis er hinter einer Wand aus Lust und Erregung fast verschwand.
Endgültig ausgelöscht wurde das Empfinden des Schmerzes, als Malik in sie eindrang und sie nahm. In diesem Augenblick verschwand die ganze Welt in einer Kugel aus gleißendem Licht. Mit Erstaunen registrierte Jacqueline, dass sie sich frei bewegen konnte. Dass sie keinen Traum erlebt hatte, verdeutlichte ihr der stechende Schmerz am Gesäß. Stöhnend griff sie vorsichtig tastend nach hinten.
Der Geruch von Essen lag in der Luft. Zerzaust und abgekämpft schlurfte sie in die Küche. Malik stand am Herd und bereitete ein Mittagessen. Überglücklich lehnte sie sich an ihn. Seine Augen strahlten in einem eigentümlichen Glanz, als er ihren Blick erwiderte.
“Schau, wie du mich zugerichtet hast! Ich werde bestimmt drei Tage nicht sitzen können!” Der Vorwurf in ihrer Stimme passte nicht zu der stolzen Präsentation ihres geschundenen Hinterns. Malik grinst frech.
“Ich wette, du kannst es mindestens vier nicht! Deshalb habe ich dir ein weiches Kissen auf deinen Stuhl gelegt. Komm essen!” Ihrer beider Lachen mischte sich.
Mit einem Bärenhunger stürzte sich Jacqueline auf das Essen. Scheu sah sie immer wieder über den Tisch zu Malik hinüber. Es erschien ihr immer noch fremd und beschämend, sich ihm nackt und in den Fesseln zu präsentieren. Noch unangenehmer war es ihr, mit ihm nach dem Essen auf der Veranda zu sitzen. Sie konnte sich hundertmal einreden, dass niemand sie von außen sehen konnte. Dazu kam das Gefühl, dass sie sich ihm gegenüber in diesem Zustand vollkommen entblößt vorkam. Verlegen sprach sie ihre Gefühle an.
Ein längeres Gespräch entwickelte sich, in dessen Verlauf sich dieses Empfinden noch verdeutlichte. Je länger sie darüber redeten, desto mehr veränderte sich das Gefühl und wurde klarer. Sie kam sich ihm gegenüber schutzlos und ausgeliefert vor. Und genau das war der Auslöser ihrer Erregung, die sie nur schwer eingestehen konnte. Wie zur Verdeutlichung wuchsen ihre Brustwarzen.
Schamhaft versuchte sie in einer Reflexgeste, die erigierten Brustwarzen vor seinem Blick zu verbergen. Fast im nächsten Moment verhinderte das arbeitslose Vorhängeschloss der Maske weitere Versuche dieser Art. Es hielt nun die Handreifen hinter Jacquelines Rücken unverrückbar zusammen. Was wiederum zu einer Vertiefung der Peinlichkeit führt, da als Reaktion auf die gesteigerte Hilflosigkeit die Brustwarzen an Umfang zulegten.
“Wir könnten es auf die einsetzende Abendkühle schieben?” Seine Frage führte dazu, dass Jacqueline feuerrot anlief. Mit gesenktem Kopf trottete sie hinter ihm her ins Haus.
Mit einer Mischung aus Bedauern und Erleichterung stand sie still wie eine Schaufensterpuppe, während er die Reifen entfernte. Der romantische Abend im von Kerzen erleuchteten Salon verlief in samtener Ruhe.

“Ich muss nach Hause!” Der Satz traf Jacqueline wie ein Messerstich. Flehend sah sie Malik an und wusste doch im gleichen Augenblick, dass der Satz unumstößlich war. Die Verabschiedung in der geöffneten Haustür zog sich in die Länge.
“Warte bitte!” Jacqueline eilte ins Haus zurück. Verschämt reichte sie ihm nach ihrer Rückkehr ein in Leder gebundenes altes Buch. Die Aufzeichnungen der Armandine de Marillac. Ihr Räuspern klang verlegen.
“Du als Kunsthistoriker findest es vielleicht interessant, so ein altes Buch zu lesen.” Ihre Stimme klang fragend und unsicher.
Statt einer Antwort umschlossen sie ein Paar Engelsflügel. Ein leiser körperlicher Schmerz stach in ihrer Brust, als die Flügel sich lösten. Diesmal wendete er sich beim Gehen und warf ihr eine Kusshand zu.


Die einzelnen Tage der Woche krochen in zäher und eintöniger Langsamkeit dahin. Nahezu jede Minute der Tage verbrachte Jacqueline damit, auf ein Zeichen von Malik zu warten. Die quälend wenigen Telefonate verstärkten ihren Eindruck, dass die Zeit langsamer verstrich als sonst üblich. Mit banger Unruhe hockte Jacqueline in zermürbender Regelmäßigkeit abends neben dem Telefon und wartete auf einen erlösenden Anruf, zu sonst nichts anderem fähig.
Am Freitagabend hatte die Qual einen Höhepunkt erreicht. Jacqueline fühlte sich mitten in einen Zeitlupenfilm versetzt. Jede Bewegung, jedes Ereignis schien sich endlos in die Länge zu ziehen. Alles Denken und Handeln wurde von der Empfindung beherrscht, dass sie langsam und unaufhaltsam in ein immer enger werdendes Loch glitt, das mit licht- und schallschluckendem schwarzem Sand angefüllt war.
In einem Anflug von Humor sah sie sich selber in einer riesigen Sanduhr gefangen. Unerbittlich rutschte sie in zäher Langsamkeit der Engstelle zwischen den beiden Behältern entgegen. Eine Spur Bangigkeit stieg in ihr auf. Immer wieder kreisten ihre Gedanken um die Frage, was sie wohl nach dem freien Fall auf der anderen Seite der Sanduhr erwarten würde.

Mit einem Ruck fuhr sie zusammen. Es hatte an der Tür geklingelt. Irritiert schlurfte sie antriebslos zur Haustür. Jubelnd sprang sie Malik um den Hals. Es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis sie sich voneinander lösten.
Mit einem Mal kehrte sich Jacquelines Erleben ins Gegenteil. Wie in einem Zeitrafferfilm arbeitete sie daran, sich zum Ausgehen zu richten. Malik wartete im Salon. Jacqueline bebte innerlich. Bevor sie davoneilte, um sich herzurichten, hatte er ihr eindeutige Anweisungen gegeben. Mit zitternden Händen rasierte sie die spärlich nachgewachsenen Haare ihrer Scham. Sicherheitshalber ließ sie im Anschluss den Rasierer über die Haut der Achselhöhle und der Beine gleiten. Ihr Blick traf wieder im Spiegel ihre Augen. Im gleichen Moment errötete sie schamhaft.
Malik hatte von ihr verlangt, dass sie sich mit Demselben kleiden solle wie an ihrem ersten gemeinsamen Abend. Allerdings habe sie den Slip wegzulassen. So stand sie nun also im Badezimmer und spürte verlegen ihren nackten Unterleib unter dem Leinenkleid. Gemäß seiner Anweisung wartete sie mit dem Öffnen des kleinen Päckchens, das er ihr in die Hand gedrückt hatte, bis sie sonst alle Vorbereitungen erledigt hatte.
Nach Fassung ringend starrte sie auf den Inhalt des Päckchens, den sie nach dem Auspacken in der Hand hielt. In diesem Moment der Fassungslosigkeit betrat Malik ohne anzuklopfen das Badezimmer. Unsicher und fragend streckte sie ihm wortlos den Inhalt des Päckchens entgegen. Seine Antwort bestand in einem frechen Grinsen. Auf ihrer flachen Hand lag ein seltsam geformtes kurzes, dickes Kunstglied aus glänzendem Stahl, an dem einige Kettchen baumelten.
“Ich habe im Archiv des kunsthistorischen Museums in den entsprechenden zeitgenössischen Schriften aus der Zeit deiner Ahnin gestöbert! In dieser Zeit war das ein beliebtes Accessoire der feinen Damen der Gesellschaft. Besonders beliebt bei abendlichen Essen in männlicher Begleitung. Das hier habe ich von unserer Museumswerkstatt nachbauen lassen.” Ratlos starrte ihn Jacqueline mit offenem Mund an. Noch immer konnte sie sich nicht erklären, welchem Zweck das Ding in ihrer Hand dienen sollte. Malik erkannte ihre Ratlosigkeit.
“Natürlich! Du hast die Unterlagen ja nicht gelesen. Aber besser als seine Handhabung zu erläutern, ist, Taten sprechen zu lassen!” Lächelnd bedeutete er ihr sich vornüber zu beugen und nahm ihr dabei das stählerne Etwas aus der Hand.
Zielstrebig packte er den Saum des Kleides und stülpte es einfach über ihren nach unten pendelnden Kopf. Blind und in der Bewegung eingeschränkt blieb ihr nur noch das Spüren.

Mit einem Arm umgriff er von seitwärts ihre Taille und hielt sie fest umklammert. Jacqueline schrie auf und versuchte zu strampeln. So kalt, als ob ein Eiszapfen in sie eindringen würde, durchbohrte etwas den Schließmuskel ihres Afters und glitt immer tiefer. Ein weiterer Schrei entrann ihrer Kehle. Ein ziehender Schmerz und das Gefühl zerrissen zu werden, ließen sie nach Atem ringen.
Malik nestelte an ihrem Körper, auch dort wurde es kühl. Mit einem Klaps auf das Gesäß ermunterte er sie zum Aufrichten. Jacqueline wunderte sich in Momenten wie diesen. Sie kannte Malik noch nicht sehr gut, aber etwas war ihr aufgefallen. So ruppig er auf der einen Seite vorging, so freundlich konnte er andererseits sein. Ein zärtlicher Kuss auf die Stirn; dann bückte er sich, um ihr Kleid ordentlich zu richten. Sorgfältig strich seine Hand den Stoff ihres Kleides glatt.
“Gehen wir?” Seine Frage klang gut gelaunt. Jacqueline zögerte. “Ich kann wohl noch froh sei, dass ich nicht die Reifen und die Maske anlegen muss, oder?” Ihre Frage klang weniger gut gelaunt.
“Was hast du da mit mir gemacht?” Seine Laune fiel um ein paar Grad.
“Das solltest du gemerkt haben! Ich habe dir einen Dildo in den Hintern gesteckt. Und damit wir, besser damit du ihn nicht verlierst, habe ich ihn ein bisschen befestigt.” Seine Antwort klang so, als ob es das Selbstverständlichste der Welt sei, jemandem einen stählernen Dildo in den After zu stecken. Er bemerkte ihren verdatterten Gesichtsausdruck. Ab der Höhe der Taille begann er die Knöpfe des Kleides nach unten bis zum Saum zu öffnen und schlug die Teile auseinander.
Im Spiegel sah Jacqueline kaum etwas Auffälliges. Zwischen ihren Beinen führten von der Rückseite her zwei dünne, aber stabile Kettchen aufwärts in Richtung Taille, wo sie an einer um die Taille laufenden Kette befestigt waren. Unübersehbar baumelte in der Mitte ein kleines Vorhängeschloss. Mit einer Hand schlug Jaqueline selbst einen Teil des Kleides zurück und verdrehte sich, um auch ihr Hinterteil im Spiegel zu betrachten. Dort war noch weniger zu sehen.
Aus dem Nichts tauchte eine Kette auf und verlief durch die Gesäßfalte direkt nach oben, wo sie auf die Taillenkette traf. Das Unsichtbare an der Konstruktion war aber um so deutlicher in ihrem Inneren zu spüren. Jacqueline ließ den Stoff fallen. Behände knöpfte Malik das Kleid wieder zu.
Verstört folgte sie ihm zum Auto. Jeder Schritt versetzte den Eindringling in Bewegung und löste eine Folge eigentümlicher Gefühle aus. Ein Pendeln zwischen schmerzhaftem Ziehen und lustvollen Zuckungen; völlig ihrer Kontrolle entzogen durchströmte es ihren aufgewühlten Unterleib. Mitten im Gehen musste sie anhalten. Mit Mühe unterdrückte sie ein Stöhnen. Vorsichtig ging sie weiter.
Malik wartete bereits am Auto und hielt galant die Tür auf. Jacquelines Blick fiel unbewusst auf das Badezimmerfenster ihres Hauses. Das Licht brannte noch. Malik lehnte am Auto und sah ihr interessiert bei den Bemühungen zu, möglichst vorsichtig ins Haus zurück zu laufen, um den Eindringling in ihr nicht zu sehr zu reizen. Mit zusammengekniffen Beinen rannte sie ins Badezimmer. Sie nutzte die Gelegenheit, um die Toilette zu benutzen. Die Gefühle dabei verwirrten sie vollständig.
Der Schließmuskel ihres Afters kämpfte beim Urinieren verzweifelt aber erfolglos gegen den Stahlstab an. Erschreckt über sich selber sprang sie von der Toilette auf. Beim Reinigen hatte sie versehentlich die Grundplatte des Stahlstabes berührt, die im Schritt ruhte. Der Druck darauf löste eine Welle von Empfindungen aus. Erregt drückte sie einige Male auf die Platte und staunte über die körperlichen Reaktionen.
Vor dem Haus erklang eine Hupe. Hastig begann sie ihre Hände zu waschen. Sie steckte den auf dem Waschbecken abgelegten Ring an den Finger und beeilte sich. Eine Entschuldigung murmelnd ließ sich Jacqueline auf den Beifahrersitz fallen. Als das Gefühl langsam abklang, erschien ein komischer Gedanke. Wie bei dem berühmten Schleudersitz in dem Auto von James Bond. Es wäre nicht verwunderlich gewesen, wenn sie durch das Autodach nach oben geschleudert worden wäre; jedenfalls empfand sie den Kontakt mit der Sitzfläche so. Nur langsam lösten sich ihre verkrampften Finger vom Sitzpolster. Verstohlen beobachte sie Maliks Gesicht. Ein schelmisches Lächeln umspielte seine Lippen, ansonsten steuerte er konzentriert den Wagen durch die Straßen. Das Lächeln vertiefte sich; nur ab und zu warf er ihr einen liebevollen Seitenblick zu. Jacqueline schwieg.

Das Laufen fiel ihr nach dem Aussteigen leichter, weil sie sich bei Malik unterhakte. Ein eiskalter Schreck durchfuhr sie, als sie erkannte, wohin er sie geführt hatte. Das persische Restaurant des Herrn Nabastari lag direkt vor ihnen. Mit klopfendem Herzen betrat sie an seinem Arm das Restaurant.
Malik wurde überschwänglich begrüßt. Mit erstaunter Miene begrüßte Amin Nabastari Jacqueline und griff höflich nach ihrer Hand, um ihr die Hand zu küssen. Seine Gesichtszüge zeigten noch mehr Verwunderung.
“Guten Abend, werte Freundin! Sie kennen Malik? Welche eine Überraschung. Das haben Sie mir gar nicht erzählt!” Er schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn und sprudelte einige hastige Sätze auf Persisch hervor. Zwischen ihm und Malik entspann sich unvermittelt ein aufgeregter Wortwechsel. Dann erschien auch noch der Koch aus dem Nichts und beteiligte sich an der Unterhaltung.
“Entschuldige Liebes, wir haben gerade noch was zu klären, setz dich doch schon. Ich komme gleich.” Sie ging zu dem empfohlenen Tisch und setzte sich. Schon wieder hatte sie vergessen, dass es angebrachter gewesen wäre, sich vorsichtig hinzusetzen. So brachte sich der stählerne Eindringling nachdrücklich in Erinnerung. Ihre Hände verkrallten sich in der Tischplatte; ein zischender Laut stieß zwischen ihren Zähnen hervor.
Nur langsam klang die Empfindung ab, verlagerte sich dafür aber nach vorne. Ohne ihr Zutun zogen sich anscheinend alle Muskeln ihres Unterleibes rhythmisch pumpend zusammen. Je deutlicher sie ihr Ausgefülltsein spürte, desto leerer fühlte sich ihr Geschlecht an. Ein mächtiges Verlangen führte dazu, dass sie sich unbändig danach sehnte, dass es genau andersherum sein möge. In diesem Moment wünschte sie sich, dass Malik sie ohne Rücksichtnahme an Ort und Stelle benutzen würde. Doch dann wurde ihre Aufmerksamkeit wieder auf das aufgeregte Gespräch der Männer gezogen.
Verstört beobachtete Jacqueline die persische Unterhaltung, ohne auch nur ein Wort oder gar den Inhalt zu verstehen. Malik kam aufgewühlt herüber und schwieg. Herr Nabastari kam ebenfalls an den Tisch.

“Entschuldigen Sie Jacqueline. Ich werde Ihnen etwas Wunderbares zum Essen bringen lassen, das muss gefeiert werden. Was möchten Sie trinken?” Er entfernte sich, um das Gewünschte zu überholen.
Jacqueline beobachte besorgt Malik. Nur langsam schien er seine Fassung wiederzugewinnen. Amin Nabastari kam mit den Getränken zurück und setzte sich nach einer Aufforderung wieder zu ihnen an den Tisch. Jacqueline wäre eigentlich lieber mit Malik allein gewesen, aber andererseits fraß ihre Neugier sie fast auf.
“Um was ging es eigentlich gerade bei dem Gespräch?” Begierig sah sie von einem zum anderen. Auf einen Wink von Malik hin antwortete Herr Nabastari.
“Erinnern Sie sich noch an den Abend, an dem Wali diese rätselhaften Dinge sagte?” Mit Spannung lauerte er auf ihre Bestätigung.
“Als ich vorhin sah, dass Sie den Ring wieder tragen, da...” Entgeistert starrte Jacqueline auf ihre rechte Hand. Am kleinen Finger funkelte der Goldring. Sie musste ihn geistesabwesend angesteckt haben, als sie sich zu Hause die Hände gewaschen hatte.
Ein eiskalter Hauch rann ihr die Wirbelsäule empor. Der Ring lag eigentlich seit der letzten Begegnung mit Herrn Nabastari tief in einer Schachtel verborgen in der Schreibtischschublade des Arbeitszimmers. Wie war er auf das Waschbecken im Badezimmer geraten?
“Nun, der Juli ist vorbei und Sie sind dem König begegnet! Jetzt fehlt nur noch das Geschenk ihrer Ahnin, das hinter einer Tür verborgen auf Sie wartet.” Sein Gesicht strahlte vor Begeisterung. Jacqueline konnte seine Begeisterung immer noch nicht nachvollziehen.
“Ja, ja, Wali sagte, ich soll den Ring nicht vor Juli tragen, da er mir erst zustünde, wenn ich den König getroffen habe. Ich habe aber keinen getroffen! Allerdings traf ich Malik.” Sie lächelte ihn selig an. Bei ihrer Antwort schwang aber ein gewisses Unbehagen mit, da zumindest der Teil der Aussage zutraf, bei dem es sich um das Geschenk hinter der Tür handelte. Bedeutungsvoll sah Herr Nabastari seinen Tischnachbarn an.
“Malik bedeutet übersetzt ‚der König‘, wissen Sie das nicht?” Man hätte an dem Tisch eine Stecknadel fallen hören.

Mitten in die Stille hauchte Jacqueline tonlos: “Mein Gott, was sagen Sie da? Herr Nabastari, wenn Sie nur wüssten! Das ist dann noch längst nicht alles! Im Keller meines Hauses habe ich hinter einer zugemauerten Tür tatsächlich ein wertvolles Erbe meiner Vorfahrin entdeckt.”
Herr Nabastari ächzte laut und sank in sich zusammen. Malik hatte sich als erster gefangen und legte seine Hand auf Jacquelines. Sie sah ihn an und spürte wieder dieses Brennen, das in eine friedvolle Stimmung überging.
Amin Nabastari starrte Jacqueline immer noch entgeistert an. Die Stimmung änderte sich schlagartig. Wali war mit dem ersten Teil der speziell zubereiteten Köstlichkeiten an den Tisch getreten. Offensichtlich erzählte man ihm, was vorgefallen war. Sein zufriedenes Lächeln war wissend und zeigte keinen Anflug von Überheblichkeit. Nicht einmal Überraschung über das Eintreffen seiner Vorhersagen konnte man seinem Gesicht ablesen. Er zwinkerte Jacqueline zu und sagte etwas zu ihr, bevor er sich vom Tisch entfernte. Herr Nabastari beugte sich vor.
“Wali freut sich mit Ihnen über den glücklichen Verlauf. Und er zitierte ein altes Sprichwort. Wahre Freiheit ist nicht das zu tun, was man liebt, sondern das zu lieben, was man tut.” Wieder schleppte Wali Köstlichkeiten herbei. Sein Lächeln erschien Jacqueline überirdisch. Bescheiden lehnte er die Einladung ab, sich zu ihnen zu setzen. Und noch einmal richtete er das Wort direkt an Jacqueline. Diesmal übersetzte Malik, da Herr Nabastari aufgestanden war, um seinen Pflichten als Kellner nachzukommen.
“Pir Wali Isfahani sagte, dass nur der Frieden findet, der bereit ist, seine Schatten zu erkennen. Und er erinnerte an eine Geschichte über den Propheten Muhammad, in der erzählt wird, dass der Prophet über den Teufel, den jeder von uns im Inneren besitzt, gesprochen hatte. Ein Mann, der das hörte, fragte neugierig: ‚Und was ist mit deinem, oh Muhammad?‘ Der lächelte und sagte: ‚Meiner hat sich zum Islam bekehrt‘.” Malik lächelte ein seltsam entrücktes Lächeln. Sie sah ihn verständnislos an. Mit hochgezogenen Augenbrauen erkannte Malik ihre stumme Frage.
“Das Wort Islam bedeutet übersetzt Unterwerfung!” Sein herzliches Lachen löste die Spannung.

Eine seltsame Atmosphäre legte sich über das Essen. Jacqueline fühlte sich zerrissen zwischen dem Gefühl einem rätselhaften Akt des überirdischen Schicksals beizuwohnen und dem eher irdischen Gefühl in ihrem After. Unruhig rutschte sie während des Essens auf der Sitzfläche und versuchte mit den Bewegungen eine möglichst reizarme Stellung für sich zu finden. Doch jede ihrer Bewegungen zog sie tiefer in ihre körperlichen Empfindungen hinein.
Malik beobachtete ihren verzweifelten Kampf mit amüsiertem Lächeln. Der Wandel kam unvermittelt und vollkommen überraschend. Jacqueline stand von einer Sekunde zur anderen in Flammen, die in einem Feuerwerk alle Gedanken verbrannten und nur Fühlen hinterließen. Selbst die Kontrolle über ihre Stimme schien sie verloren zu haben. Einige sinnlose Worte gurgelten aus ihrem leicht geöffneten Mund hervor. Das Grinsen in Maliks Gesicht hatte die Ausmaße eines Vollmondes angenommen.
Der ungewohnt scharfe Ton in Maliks Stimme ließ sie zusammenzucken. Für einen Moment kehrte das Denken zurück. Ohne ihr Zutun waren ihre Hände unter dem Tisch zwischen ihre geöffneten Schenkel geglitten. Mit Mühe gelang es Jacqueline, dem Befehl Maliks zu folgen. Gesittet kehrten ihre Hände neben den Teller auf dem Tisch zurück. Unfähig, weiter zu essen oder sich an einer Unterhaltung zu beteiligen, saß sie stumm und bewegungslos wie eine Marionette, deren Fäden man gekappt hatte, in dieser Stellung am Tisch, bis Malik sie zum gehen aufforderte.
Herr Nabastari verabschiedete sich überschwänglich. Unsicher stolperte Jacqueline an Malik geklammert zum Auto.

Kaum hatte sich bei der Heimkehr die schützende Haustür hinter ihnen geschlossen, fiel sie noch im Flur über Malik her. Abrupt löste er sich von ihren verlangenden Küssen und drückte sie vor sich auf die Knie zu Boden. Entgeistert und doch bei klarem Bewusstsein nahm sie wahr, wie sie auf seinen Befehl hin die Spitzen seiner Schuhe küsste und mit vernehmlicher Stimme einen Satz sprach. Dieser Satz hämmerte unablässig auf dem Weg ins Schlafzimmer in ihr. Er hämmerte in endloser Wiederholung weiter, als sie mit zitternden Händen die Holzschatulle aus dem Schrank zerrte. Auch als sie sich entkleidete, klang er in ihr weiter. Für einen Moment glaubte sie verrückt zu werden und sah sich bereits als Insassin einer Anstalt.
“In einer Zwangsjacke gefesselt in eine Gummizelle gesperrt. Das würde dir doch wohl gefallen, oder?”, höhnte eine Stimme in ihrem Inneren. Jacqueline sprang förmlich aus ihrer Kleidung und legte in aller Eile die Fesseln an, als ob sie ein Talisman gegen die Stimme in ihrem Inneren darstellten. Erst die Maske brachte auch die innere Stimme zum Schweigen. Ein Echo erscholl, als sie sich im Salon vor Malik niederwarf.
“Ihren Befehl hören, bedeutet ihn unverzüglich zu befolgen, Gebieter!” hauchte sie mit tonloser, unhörbarer Stimme hinter der Maske. Seine warme Hand fuhr über ihren bebenden Körper und suchte sich sanft streichelnd ihren Weg über ihre Haut.

Etwa eine Viertelstunde später staunte Jacqueline über sich selber. Sie kniete in einiger Entfernung vom Kamin auf dem dicken, weichen Teppich. Den Oberkörper bequem auf ein Sitzkissen gelegt. Eher unbequem ihre sonstige Stellung, die sich ergab, weil die Hände mit den Fußfesseln zusammengekettet waren. Wirklich unbequem jedoch war der Besenstiel zwischen ihren Fußgelenken, der dazu missbraucht wurde, ihre Beine weit auseinander zu spreizen. Jede Bewegung des Kopfes spannte die Kette, die vom Halsreifen unter dem Sitzkissen hindurch zu der Holzstange führte.
Genauso zweckentfremdet zeigte sich ihr langes Umschlagtuch, das nun dazu diente, ihren Oberkörper an das Sitzkissen zu fesseln und sie vollends am Aufstehen zu hindern. Die Hitze in ihrem Gesäß entsprang nur zum Teil der Wärme des Kaminfeuers, die von hinten an ihre Lenden schlug. Das Kunstglied in ihrem Geschlecht, das sie nun zusätzlich ausfüllte, musste unübersehbar sein.
Jacqueline kniff verzweifelt die Augen zu. Malik konnte oder wollte das nicht sehen, denn er las ungerührt mit lauter Stimme weiter. Jacqueline stöhnte gequält auf. Den Abschnitt aus dem Buch von Armandine de Marillac kannte sie nur zu gut. Das anschließende Schweigen lastete drohend im Salon.
Jacqueline brach der Schweiß aus. Ihr Körper verspannte sich und das Blut begann in den Ohren zu tosen. Maliks Schritte näherten sich unerbittlich. Sein Fuß fand die Stäbe in Jacqueline und übte einen leichten Druck aus. Ein tiefes Grunzen trieb ihn weiter an. Wie mit einem Gaspedal, das den Motor aufheulen lässt, spielte sein Fuß mit den Kunstgliedern.
In aufgelöster Panik erinnerte sich Jacqueline an die weiteren Geschehnisse in dem soeben vorgelesenen Textabschnitt. Tatsächlich fand sie sich kurze Zeit später mit dem Rücken an das Sitzkissen gelehnt in der geschilderten Position wieder. Das selbe Gefühl von Schamlosigkeit, wie es Armandine beschrieben hatte, überfiel auch Jacqueline.

Malik ging in die Küche und werkelte dort geräuschvoll. Das Grinsen bei seiner Rückkehr verhieß nichts Gutes. Er trat ganz nahe an sie heran und musterte sie eingehend. Jacqueline schloss beschämt die Augen. Die Bewegung, mit der er die Befestigung der Dildos löste, ließ sie aufschrecken.
Maliks ruhige Stimme las wieder aus dem Buch vor: “Mit einem schmatzenden Geräusch zogen sich die beiden Besatzer ohne jedes Zutun aus ihrem eroberten Terrain zurück. Achtlos schob Qadir Abd al Mudhill sie mit dem Fuß zur Seite. In diesem Augenblick wusste ich nicht, was schlimmer war. Die Stäbe in mir zu spüren oder ihr Fehlen. Yussuf kehrte mit dem Essen zurück und starrte unverwandt zwischen meine Beine, bis unser Gebieter ihn fortschickte.”
Jacqueline versank fast vor Scham im Boden. Denn das Zitat war nichts anderes als die Widerspiegelung dessen, was in diesem Moment geschehen war. Sie fühlte sich ertappt. Sachte strichen Maliks Finger über ihren hilflosen Körper und verstärkten das innere Vibrieren.
Plötzlich hielt er inne und las weiter: “Wie ein hilfloses Kind musste ich mich von Qadir Abd al Mudhill füttern lassen. Anscheinend kleckerte er absichtlich, um einen Vorwand zu haben, meine nackte Brust zu reinigen. Ähnliches geschah während meines Aufenthaltes im Palais d’Auban noch mehrfach, doch immer war es mir peinlich, dass meine Brustwarzen so verräterisch keck ihren Kopf dabei hoben. Nach dem Essen rückte er dicht neben mich und liebkoste ausführlich meine Brüste. Unfähig auch nur den Hauch einer Gegenwehr zu leisten, gab ich mich ihm hin, obschon ich an den Fesseln zerrte. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, genoss er das Spiel mit meiner Hilflosigkeit.
“Nun”, er machte eine bedeutungsvolle Pause, während er doch gleichzeitig seine Liebkosungen fortsetzte, “gegen Ende des Sommers werden deine Brüste ihre bisherige Unversehrtheit verlieren. Es sei denn, du änderst deine Meinung und bittest um deine Freilassung. Willst du?”
Die Frage lastete schwer im Raum. Gedanken durchhuschten mein Gehirn. Würde Fauchard sich mit den Nachrichten zufrieden geben, die ich bisher liefern konnte? Würde er mich dann in Frieden lassen? Die Antwort fiel nicht schwer. Mit Sicherheit würde Fauchard toben, wenn er erführe, dass ich meinen Auftrag aus eigenem Antrieb niedergelegt hätte. Und was dann mit mir geschehen würde, bedurfte keinerlei Fantasie.
Qadir Abd al Mudhill war aufgestanden und sah mich ernst an. Für einen Moment vergaß ich meine schamlose Zurschaustellung und meine Fesseln und verlor mich in seinen Augen. Ich würde bleiben und seine Sklavin werden. Nicht aus Angst vor Fauchard und dem was er mir antun würde, sondern weil ich meinen Herrn liebte, trotz allem was ich in diesem Haus erdulden musste.
“Es steht mir nicht zu, darüber zu entscheiden, Herr. Euren Befehl hören, bedeutet ihn unverzüglich zu befolgen, Gebieter!” Seine Miene erhellte sich, meine Augen füllten sich mit Tränen.
“Wenn Ihr es wünscht, werde ich mit Freuden und Stolz die Zeichen meiner Unterwerfung unter Euren Willen tragen!” In diesem Augenblick wäre ich ihm so gerne um den Hals gefallen, oder ihm zu Füßen. So blieb mir in meinen Fesseln, die mich unbarmherzig gefangen hielten, nichts als ein sehnsüchtiger Blick. Und eine eindeutige Geste, die er sofort verstand. Langsam beugte er sich über mich und begann meinen wehrlosen Körper, den ich ihm bereitwillig hingab, mit Küssen zu bedecken.”


Behutsam nahm Malik ihr die Maske vom Kopf. Es war, als ob er mehr als nur ein Stück bearbeitetes Metall entfernte. Mit geschlossenen Augen ließ sie sich widerstandslos mit der Joghurtspeise füttern. Die Kleckereien auf ihrer nackten Brust trafen mit einem übertriebenen Gefühl der Kälte auf ihre glühende Haut. Sein zärtliches Wischen ließ ihre ohnehin erregten Brustwarzen wie Sprungteufel zu ungeheurer Härte aufschnellen.
Jacqueline zerrte aufgeregt an ihren Fesseln. Sie wollte sich Malik zu Füßen werfen, ihn bitten, mit ihr zu tun, was ihm beliebte. Für einen kurzen Moment riss sie die Augen auf und spürte seinen Blick körperlich. In einer Welle von Hitze schloss sie die Augen wieder und gab sich dem Brennen hin. Etwas Kühles schlug an ihre Brüste und ein kleiner ziehender Anflug eines Schmerzes erst an der einen, dann der anderen Brustwarze ließ sie die Augen aufreißen.
Behutsam hatte Malik ihre steil aufgerichteten und angeschwollenen Brustwarzen durch die Aufhängung der Brustringe ihrer Vorfahrin gezwängt. Ihre Erregung sorgte dafür, dass die Ringe an Ort und Stelle blieben. Ungläubig starrte Jacqueline auf ihre geschmückte Brust. Sie hob den Blick. Mit offenem Mund staunte Jaqueline.
Mit einem Mal stand in der Nähe des Kamins eine Marmorsäule, in die in ziemlicher Höhe ein Metallring eingelassen war. Malik löste die Stange zwischen ihren Beinen und befreite ihre Hände. Mit einer Mischung aus Glück und Entsetzen folgte sie Malik in den Keller. Hinter der massiven Holztür des letzten Kellers, die Malik vor ihr öffnete, stand ein altmodisches Himmelbett mit stabilen Pfosten. An den Wänden lauerten darin verankerte Eisenringe. Der Raum hatte sich in ein fensterloses Verlies verwandelt, in dem nach dem Schließen der Tür vollkommene Dunkelheit herrschen würde. Mit einer beklemmenden Macht wurde ihr der Atem abgewürgt.
“Hier werde ich von nun an leben müssen?” fragte sie mit versagender, zitternder Stimme. Ein schwarzer Strudel erfasste sie und riss sie mit sich fort.

Ein langer Kuss lockte sie in die Wirklichkeit zurück. Sie lag in ihrem Bett im Schlafzimmer. Besorgt beugte sich Malik über sie.
“Ich glaube, das war heute ein bisschen viel für dich?” Seine Stimme klang zärtlich und liebevoll.
Jacqueline nickte stumm. Er glitt zu ihr ins Bett. Sie riss ihm voller Ungeduld beinahe die Kleidung vom Körper. Eng umschlugen kamen sie nach einer stürmischen Vereinigung zur Ruhe. Malik löschte die Nachttischlampe und nahm Jacqueline in den Arm. Ihr Herz begann wie eine laute Trommel zu schlagen. Die Unruhe in ihr wuchs ins Unermessliche. Sie rutschte näher an sein Ohr und begann zu flüstern.
Ein beklemmendes Schweigen und eine Bewegungslosigkeit nach ihrer Beichte verunsicherten sie zutiefst. Dann endlich suchte eine zärtliche Hand nach ihren schon wieder erregten Brustwarzen und streichelte sie sanft.
Die Stimme neben ihr flüsterte in der Dunkelheit: “Gegen Ende des nächsten Sommers werden deine Brüste ihre bisherige Unversehrtheit verlieren. Es sei denn, du änderst deine Meinung und bittest um deine Freilassung. Willst du?”
Sie rutschte wortlos aus dem Bett und kniete daneben. Ihre Stimme drang klar und deutlich, wenn auch leise durch die Dunkelheit.
“Es steht mir nicht zu, darüber zu entscheiden, Herr. Euren Befehl hören, bedeutet ihn unverzüglich zu befolgen, Gebieter!” Für einen Moment verstummte jedes Geräusch im Zimmer. Dann hörte sie den aufgeregten Atem im Bett. Nachdem der Atem sich beruhigt hatte, sprach sie weiter.
“Wenn Ihr es wünscht, werde ich mit Freuden und Stolz die Zeichen meiner Unterwerfung unter Euren Willen tragen!” Eine Hand suchte in der Dunkelheit tastend nach ihr und fand ihr Kinn. Sanft streichelte Malik über ihre Wange. Die Hand glitt in Jacquelines Nacken und packte sie fest. Ein Kribbeln durchzog sie bis in die Zehenspitzen. Erleichtert folgte sie dem Druck der Hand und schlüpfte zu ihm ins Bett zurück. Sie war angenommen.

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