BDSM das schlummert und irgendwann doch zugelassen wird
Wo fängt man eine verrückte Geschichte an? Wie alle, vermutlich am besten am Anfang und der Anfang liegt eine Weile zurück.
Wie so manches, war auch der Beginn meiner Beziehung zu meinem Mann, etwas ungewöhnlich. Wir sind vor 30 Jahren fast genauso unvermittelt und zufällig ineinander gestolpert, wie ich im letzten Jahr über meine devot-masochistischen Neigungen. Während der Reise eines Vereins begegneten wir uns in Spanien, haben uns verliebt und sind aneinander hängen geblieben. Während der Reise sind wir miteinander ins Bett gegangen und da hatte ich auch einen der sehr wenigen Orgasmen beim Sex mit ihm. Er war mein erster Mann (ich war da 17), vorher gab es nur ein bisserl Knutscherei und Petting. Und er war nicht sehr erfahren. Sex zwischen uns war im Prinzip immer langweilig und wenig bis gar nicht erfüllend. Nach 5 Jahren Beziehung haben wir geheiratet, nach weiteren 5 Jahren ein Kind bekommen. Beide haben wir immer sehr viel gearbeitet, waren in der Freizeit ehrenamtlich massiv engagiert, erst habe ich ein berufsbegleitendes Studium absolviert, später er. Nach nur 1 ¼ Jahren Erziehungsurlaub begann ich wieder zu arbeiten – war durch den Umzug in eine neue Stadt auch die beste Lösung – für Mutter und Kind. Das Leben war anstrengend, Kindererziehung, Arbeit, Ehrenämter, Weiterbildungen, etc. – Sex selten, oft lustlos. Ich hatte irgendwann mal versucht, da etwas Pepp reinzubringen – erfolglos. Gemerkt habe ich schon früh, dass mich das ganze sehr sanfte überhaupt nicht erreicht, langweilt, nervös macht. Aber auch irgendwie nicht gewusst, was es sonst gibt. Und wenn ich’s gewusst hätte?
Vor 15 Jahren, da war ich 35, hat mein Mann von einem Tag auf den anderen jeden sexuellen Kontakt eingestellt. Warum? Keine Ahnung, er hat es mir nie gesagt. Am Anfang habe ich öfter nachgefragt, was los ist, tränenreich oft. Es kam nichts, irgendwann habe ich aufgegeben. Und irgendwann mich selbst verloren im endlosen Rad aus Funktionierenmüssen. Vor so ungefähr 6, 7 Jahren habe ich dann gemerkt, dass das so nicht geht, mir etwas unendlich fehlt. Ich wäre zu dem Zeitpunkt reif für eine Affäre gewesen. Aber da standen mir die Grundsätze im Weg: Don’t fuck the company und man lässt die Finger von Männern im Freundeskreis. Zu dem Zeitpunkt begann ich mit regelmäßiger, sehr regelmäßiger Selbstbefriedigung. Was auf Dauer auch keine Lösung, aber zu dem Zeitpunkt die einzige, war. Die Sehnsucht nach Berührung wurde immer schlimmer, bis mir das körperlich Weh tat. Der Mensch geht ein wie eine Blume, wenn er nicht berührt wird. Das ging dann bis Sommer letzten Jahres. Ein Arztbesuch war der erste Schritt, mir die Augen zu öffnen und klar zu machen, dass ich noch einiges selbst in der Hand habe.
Und dann kam eine ganz, ganz tiefe Krise, ausgelöst durch die Kombination eines Todesfalls im Bekanntenkreis und kompletter Überarbeitung. Im Rahmen dessen habe ich mich hingesetzt und überlegt, an welchen Stellschrauben ich drehen kann, wo Veränderungen herbeigeführt werden können und wo nicht. Erster Schritt: Sport und abnehmen. Zweiter Schritt: Ich habe mir eingestanden, ich will und brauche Sex. Mit SM/BDSM hatte das noch nicht mal ansatzweise zu tun. So, die Frage, wie stelle ich das an? An meinen Grundsätzen hatte sich nichts geändert. Da zu meinem Job Recherche gehört, habe ich genau das gemacht: Recherchiert. Und bin dann zum allerersten Mal auf das Thema Casual Dating gestoßen – nie zuvor davon gehört. Und wusste: Das isses, die Lösung für mich: Unverbindlich, ohne im Nahbereich suchen zu müssen, keine zufälligen Begegnungen.
Nach der Anmeldung auf einem der bekannten Casual Dating Portale begannen die ersten, sehr hölzernen Schritte. Man muss auch lernen, sich dort zu bewegen und zu kommunizieren. Nicht so einfach, über Bedürfnisse zu reden, wenn man 15 Jahre komplett asexuell gelebt hat. Ich stieß dann
auf einen Mann in ähnlicher Situation. Wir haben uns erst neutral getroffen und eine Woche später, nach viel Kommunikation per Whatsapp, in einem Hotel. Für mich wie das erste Mal, er hat sich drauf eingelassen. Und mir mein Frausein, meine Weiblichkeit wieder gegeben. Er ist etwas Besonderes für mich, denn er hat mir gezeigt, dass Sex Spaß macht, extrem erfüllend sein kann und ich keineswegs frigide bin. Auch hier kam noch nix mit Schmerz ins Spiel. Das kam beim zweiten Mann, mit dem ich intim wurde – nicht dass jetzt der Eindruck entsteht, ich sei nymphoman. Aber es braucht, bis man findet – ist halt so. Dieser zweite Mann hat mir gezeigt, dass mir Schmerz sehr viel Lust bereitet. Und er sagte: „Du bist devot“. Und ich dachte: „Der spinnt.“ Die Entfernung zwischen uns war so groß, dass das nicht klappen konnte, daher war das eine einmalige Sache. Aber ich habe nachgedacht, angefangen zu recherchieren, was devot überhaupt heißt. Es gingen dann ein paar Monate ins Land, bis jemand auf meinem Profil war, dessen Nick ich interessant fand. Beim Anklicken sah ich, dass er dominant ist, verwarf das dann für mich. Bis er mich angeschrieben hat. Auch da hab ich ihm noch gesagt, dass das nichts für mich ist. Er hat mich dann zu einem Abendessen überredet, bei dem mir sofort klar war a) was er mit dominant meint und b) dass mich das durchaus interessiert. Ich habe dann etwas völlig Unüberlegtes getan, von dem ich jedem abrate: Ich bin mit ihm ins Hotel. Tja, und danach wusste ich, was mit devot gemeint ist, dass mich das kickt und die Kombination zwischen Schmerz, Schlägen, Unterwerfung absolut mein Ding ist. Aber nochmal: Bei mir ging das gut. Als ich gegangen bin, war mir aber klar, wie furchtbar schief das hätte gehen können!
Wir haben dann sehr viel kommuniziert, auch telefoniert. Und ich habe einen Riesenfehler gemacht: Wild, unkontrolliert, ohne zu wissen, wonach ich suche, zu recherchieren. Und bin auf alles gestoßen, was in unserem Thema abstoßend und ekelhaft sein kann – zumindest für mich. Und wenn jeder ehrlich ist: Am Anfang stößt einen vieles ab, einfach weil man es nicht kennt und auch, weil viele Quellen sehr ordinär, verächtlich und ekelhaft sind. Dem Mann habe ich einiges um die Ohren gehauen – mein Gott. Er wollte immer wissen, was denn konkret mein Problem ist, wovor ich Angst habe. Und ich konnte das nicht formulieren, weil ich mich nicht so sehen konnte und wollte, wie das, was mich abgestoßen hat. Bis ich mir irgendwann dachte: „Rinja, reiß dich zusammen. Eine deiner Kompetenzen ist Kommunikation. Dann tu das auch.“ Ich habe dann ganz klar formuliert, auf was ich gestoßen war und was mich abgestoßen hat. Seine Antwort: „Reg dich nicht auf, nichts davon interessiert mich.“
Kurz darauf haben wir uns dann in einer einschlägigen Location zu meiner ersten Session getroffen. Ich wusste nicht, was er tun wird, wollte ich im Vorfeld nicht. Er hat mich erwartet, mir sofort die Angst genommen. Dann haben wir erst einmal alles zusammen angeschaut, er hat das eine oder andere erklärt. Und mich dann gefragt, ob ich bereit bin. Das war ich. Sehr sogar. Die Unsicherheit war schon groß, als ich nur in halterlosen Strümpfen und High Heels vor ihm stand. Aber in dem Moment, in dem ich vor ihm kniete, war ich angekommen, da, wo ich sein wollte. Er hat mir ein Halsband angelegt und mir den Sklavinnenkuss gegeben. (Ich war darauf vorbereitet und hatte das akzeptiert). Dann begann die Session. Im Detail schildere ich hier nichts, das wäre dann sicher FSK 18. Nur so viel: Mit diesem Mann hatte ich einen Glücksgriff getan. Er merkte vor mir, dass es mir zu viel wird und hat dann abgebrochen, mich aufgefangen und wieder ins Hier und Jetzt transportiert. Nach Hause bin ich auf Wolke 7 gefahren, voller Glückshormone und mit dem Gefühl, endlich komplett zu sein.
Als konsequenter Mensch habe ich dann meinem Mann reinen Wein eingeschenkt und ihm gesagt, dass ich meine Bedürfnisse ab sofort außerhalb unserer Ehe stillen werde. Wir haben uns da dann auf eine offene Beziehung geeinigt.
Ja und dann passierte, was richtig Blödes: Meine Situation war klar, seine nicht. Aus welchem Zufall auch immer, flog mein Partner auf und musste um seine Ehe kämpfen. Unsere Zeit war vorbei, bevor sie richtig begonnen hat. Ich stand da mit meinen Bedürfnissen, dem Wissen, dass ich das leben will und habe überlegt, ob ich weitermache, jemanden anderen suche oder nicht. Ich habe mich fürs Suchen entschieden. Die Suche ist schwieriger gewesen als gedacht, hat mich einige Male an meine Grenzen gebracht, mir viele eigenartige, aber auch nette Begegnungen und durchaus lustvolle Momente bereitet. Einige Frustrationsmomente habe ich im Forum in meinem Beitrag „Kommunikationskrüppel“ zusammengefasst.
Mein Fazit: Ich bin froh, mich darauf eingelassen zu haben. Diese Form von Sexualität entspricht mir zu 100%, ich will das so leben. Es war nicht einfach, sich auf die devoten Aspekte einzulassen, ist es immer noch nicht. Die masochistische Ader zu akzeptieren, war leicht. Das Spiel mit Dominanz/Unterwerfung und Erniedrigung als Teil meiner selbst anzunehmen fällt immer noch schwer, erschreckt mich oft und bereitet in der Kombination mit sadistischen Elementen unglaubliche Lust. Ich bin 50 jetzt da, wozu ich mit 35 ohnehin nicht den Mut gehabt hätte.