Sommerferien 1984 - Der erste Kontakt mit BDSM

Das war der Sommer, in dem ich 16 wurde.

Mit meinen Eltern zusammen kam ich aus dem Urlaub zurück. Wir schleppten unser Gepäck ins Haus. Meine Freundin A sah uns von der anderen Straßenseite zu. Ich war schon gespannt auf ihren Bericht, was sie in den zwei Wochen, in denen ich weg war, erlebt hatte. Endlich war alles im Haus und meine Mutter erlaubte mir, meinen Freunden aus der Nachbarschaft Bescheid zu sagen, dass ich zurück bin.

A wartete schon ungeduldig auf mich, um mir heulend von ihrem Streit mit ihrem Freund B zu erzählen. Sie hatte gesehen, wie er eine junge Frau auf der Straße kurz umarmte. Dann krachte es zwischen den beiden. B warf ihr an den Kopf, wenn sie ihm nicht vertraute, könne er die junge Frau mit zur Party nehmen. Wütend stieg er in seinen Wagen und fuhr weg.

Ich muss dazu sagen A war älter, im Oktober wurde sie 18. B (25) war Student. Diese Freundschaft hätten meine Eltern nicht geduldet. Deshalb sahen wir uns nur heimlich.

Sie schaffte es Mal wieder, mich zu überreden, dass ich mich am Abend raus schlich. Auf keinen Fall wollte sie alleine auf der Party auftauchen. Ich sollte sie begleiten, allein hätte sie Angst.

Meinen Eltern sagte ich, ich wäre Müde von der langen Fahrt und ging früh in mein Zimmer. Um mich später aus dem Haus zu schleichen.

Zusammen mit A fuhr ich mit der letzten Straßenbahn Richtung Stadtgrenze. Bei C, einer Freundin, holten wir Fahrräder aus dem Schuppen. Damit fuhren wir weiter zu H, dem Cousin von B. Er war 23 und hatte nur noch drei Semester BWL vor sich. Bei seinen Eltern im Haus, sollte diese BDSM Party steigen.

Damals wusste ich nicht, was BDSM heißt und ich traute mich auch nicht, A zu fragen. Es war mir auch egal, sie wollte nur mit B reden und ich sollte eventuell, Frieden stiften.

Bei H angekommen, stellten wir die Fahrräder neben dem Haus ab. Auf dem Hof standen einige Motorräder und Autos. In Leder gekleidete Männer gingen zur Haustür. Ein Pärchen stieg aus dem Wagen, er in schwarzer Jeans und schwarzem Hemd. Sie in Ledercorsage, Minirock und High Heels. Um den Hals trug sie ein breites Lederhalsband und um die Handgelenke, hatte sie auch breite »Lederarmbänder«. An ihnen waren kleine Karabiner befestigt. Mir wurde mulmig im Magen, als ich mir die ankommenden Gäste ansah. Am Arm hielt ich A zurück. Sie lachte nur, als ich fragte, ob das ein Rockertreffen wäre. Bei mir machte sich bereits Anzeichen von Panik breit. Das Pärchen kam vor uns an der Haustür an.

Das war der Moment, in dem ich abgehauen wäre, wenn A mich nicht festgehalten hätte. Erschrocken stellte ich fest, dass das Pärchen uns bemerkt hatte. »A, schön dich zu sehen. Ist B nicht mit dir zusammengekommen?« begrüßte er sie mit einer kurzen Umarmung. Seine Begleiterin lächelte A an und ließ sich von ihr umarmen.

Rückwerts versuchte ich, mich zurückzuziehen. Da lag schon seine Aufmerksamkeit auf mir. »A, willst du uns nicht deine Freundin vorstellen?« fragte er und musterte mich von oben bis unten.

Ich hatte (wie immer) Jeans, ein weites T-Shirt (um meine Fettrollen zu verbergen) und Turnschuhe an. A war aufgestylt, trug ein Sommerkleid und Ballerina. Bei ihrer Figur konnte sie alles tragen, A sah immer toll aus. Zum Glück, machte H die Haustür auf und das Gespräch war beendet. A bat ihn, mit B, sprechen zu dürfen. H ließ uns ins Haus.

Der Flur war mehr eine kleine Halle, einige Leute standen dort und unterhielten sich. Neugierige Blicke fielen auf uns. H zeigte auf eine Sitzgruppe, »Setzt euch da hin, ich rede mit B.«

Stock, steif stand ich da und starte die Leute an. Lauter Menschen in Leder oder schwarzen Jeans Klamotten. Aufgedonnerte Frauen mit Halsbändern, in High Heels oder Barfuß. Halsbänder aus Leder kannte ich nur von Punker aber bei Rocker(?) waren sie mir neu. Rocker Frauen waren doch nicht so aufgedonnert oder?

Ein Mann kam aus einem Zimmer und führte eine Frau an der Leine, die an ihrem Lederhalsband befestigt war. Wie einen Hund, wenn sie nicht aufrecht gegangen wäre, dachte ich. Zwei Männer unterhielten sich über Peitschen.

Wo war ich hier nur hingeraten?

Ich wollte zur Haustür raus, weg von den Verrückten. Anna hatte mich am Arm gepackt und zog mich Richtung Sitzgruppe. Ich wollte mich losreißen, keine Chance, sie hatte mehr Kraft als ich.

H tauchte auf, nahm A bei der Hand und sagte mir ich soll warten. Ich machte Anstalten, mich zu setzen und H verschwand mit A die Treppe rauf.

Alleine wollte ich auf keinen Fall hier warten und versuchte unauffällig zur Haustür zu gehen.

Aus dem einen Zimmer hörte ich einen Mann die beiden Typen rufen. Die sich gerade noch über Peitschen unterhalten hatten. »Kommt endlich rein, T wird schon ans Andreaskreuz(?) gebunden. Die Vorführung fängt gleich an.«

Ich lief zur Haustür, raus zu den Fahrrädern. Mittlerweile war es draußen dunkel. Ich hoffte, mich würde dort keiner sehen. A würde mich schon finden.

Mir war übel vor Angst und ich überlegte, was das für Verrückte sind. Satanisten(?) von denen uns, unser Klassen Lehrer erzählt hat oder eine Rockerbande(?), wie aus dem Bericht im Fernseher? Die tollsten Ideen, spukten in meinem Kopf herum. Ich glaube, solche Angst hatte ich noch nie. Ob ich eine Telefonzelle suchen sollte, um die Polizei zu rufen? Hier waren wir aber am A**** der Welt. Wo sollte ich so schnell eine finden?

Hin und her gerissen, ob ich abhauen oder auf A warten sollte. Blieb ich in meinem Versteck und beobachtete die Haustür. Wann kommt sie den endlich? Ich schien eine Ewigkeit dort zu warten. Da ging endlich die Haustür auf, es war nicht A, sondern H, der sich suchend umsah. Fragen brauchte ich nicht, wenn er suchte.

Bevor ich unbemerkt verschwinden konnte, hatte er mich schon gefunden. »Ich fahre dich nach Hause, A bleibt bei B.« erklärte er wütend. Widerstandslos ließ ich mich zu seinem Wagen führen. Schweigend fuhr wir in Richtung meines Elternhauses. H schwieg aus Wut, ich aus Angst und Unverständnis.

Zwei Seitenstraßen entfernt, von meinem Zuhause, parkte er den Wagen. »Danke.« stieß ich hervor und stieg schnell aus. H stieg auch aus dem Wagen und folgte mir. »J warte, ich bring dich nach Hause.«

Das wollte ich zwar nicht, aber was hätte ich tun sollen? Weglaufen? H hätte mich in wenigen Sekunden gehabt. Ich war alles andere als sportlich, obwohl ich zweimal die Woche schwimmen ging und viel Fahrrad fuhr.

Unterwegs versuchte er mir alles zu erklären, was ich gesehen hatte und was BDSM bedeutet. Nur war ich alles andere, als aufnehme fähig. Was ich bei gesehen hatte, konnte ich nicht verstehen und die Nachwirkungen des Adrenalins, waren noch zu spüren. Ich wollte nur nach Hause und alles vergessen. H gab irgendwann den Versuch auf mit mir zu sprechen und begleitete mich schweigend.

Ein paar Wochen später, mein 16. Geburtstag lag hinter mir und die Sommerferien waren vorbei. Nachdem meine Wut auf A sich etwas gelegt hatte, verabredeten wir uns, in unserer Lieblings Eisdiele. Nur als ich dort rein kam, war A nicht allein. B und H saßen bei ihr. Ich wollte schon abhauen, leider bemerkten sie mich und winkten mir zu.

Das Thema könnt ihr euch denken, BDSM. Erst flüstern in der Eisdiele und später in normaler Lautstärke, bei einem Spaziergang im Stadtpark. Erst dachte ich, das ist alles ein Witz, aber sie meinten es ernst.

Mein Verstand arbeitete auf Hochtouren. Was sollte ich mit den ganzen Infos anfangen? Es hörte sich alles so fantastisch an, einfach erfunden. Aber ich wusste es war wahr, ich hatte es selber gesehen. Zumindest die Leute, in H Haus und ich hörte ihre Unterhaltung. Schließlich sagte ich, »Macht, was ihr wollt, aber lasst mich damit in Ruhe.« Damit war das Thema erst einmal vom Tisch.

An einem anderen Tag gab mir H zwei dünne Bücher. Übersetzungen mit Bildern über BDSM. Ich sollte sie lesen, um es besser verstehen zu können. Okay, ich verstand, was da stand. Irgendwie hörte es sich abartig, pervers und doch reizvoll an. Alles in mir sträubte sich damals dagegen, BDSM als eine Möglichkeit zu sehen. Für mich war BDSM, was für Kranke.

Es passte nicht in mein Weltbild, das man mir Zuhause und in der Schule eingetrichtert hatte. Zu der Zeit sprach keiner über BDSM, viele wussten nicht einmal, dass es das gab. Heute undenkbar aber damals Realität. Man hätte keine Informationen über BDSM bekommen. Es gab kein Internet, keine Bücher oder Filme (zumindest nicht offen zu erwerben), an die eine 16 Jährige ran gekommen wäre. Es gab ja noch nicht einmal Handys.

Nein, in der Zeit, wollte ich nichts damit zu tun haben. Obwohl mein Kopfkino aktiviert war, ich konnte es nicht einmal mir selber eingestehen. Wenn mir einer gesagt hätte, das ich ein Jahr später, selber BDSM ausprobiere und es mir gefiel. Ich hätte ihn für verrückt erklärt.

Etliche Kilo leichter, lernte ich (ein Jahr später) in der Berufsschule, meinen ersten Freund kennen. Er war sehr besitzergreifend und dominant. Genau das Gegenteil von dem was ich wollte. Aber er hatte beschlossen mich zu besitzen. Verrückt, es gefiel mir, sein Eigentum zu sein. Auch wenn ich mich erst dagegen sträubte, mich versuchte von ihm fern zu halten. Es gelang mir nicht. Ich war längst verliebt in ihn und konnte/wollte nichts mehr gegen ihn machen. Wenn er sagte, „du gehörst mir“ oder zu anderen, „sie gehört mir“. Seine Worte taten mir so gut, machten mich Stolz und glücklich. Noch nie in meinem Leben fühlte ich mich so geborgen, beschützt, respektiert und geliebt. Mein Vertrauen zu ihm, war durch nichts zu erschüttern und er hat mich nie enttäuscht.

Allerdings haben mein Freund und ich nie über BDSM gesprochen. In einer Zeit, in der Bravo über Petting oder den ersten Sex schrieb. War BDSM kein Thema, zumindest für die »normalen« Leute, oder für feige, wie mich. Hinter verschlossenen Türen haben wir viel ausprobiert und manches erweitert, einiges als Tabu erklärt. Darüber gesprochen, was uns gefiel oder auch nicht aber nie BDSM erwähnt.

Verklemmt erzogen haben wir unsere Neigung, ohne ihr einen Namen zu geben, ausgelebt. Erst heute, wir sind inzwischen verheiratet, fangen wir an, über BDSM zu sprechen. Es beim Namen zu nennen.

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