Das erste Mal

Endlich war es Samstag. Drei Nächte hatte sie nicht geschlafen und wach gelegen. Jede Nacht rauschten ihre Gedanken. War es richtig, was sie tat? Durfte sie das tun? War es nicht vermessen von ihr? Egoistisch?

Sie schob diese Gedanken beiseite. Ihr besonderes Date würde stattfinden. So, wie sie es wollte. So, wie sie es sich jahrelang erträumt hatte.
In traurigen Momenten war dieser Gedanke ihre Rettung, ihre kleine Flucht aus dem tristen Alltag. Sie würde dafür bezahlen, denn sie wollte nichts geschenkt. Aber es würde stattfinden, und sie hatte sich vorgenommen, hemmungslos zu genießen.

Eine Kollegin hatte sie miteinander bekannt gemacht. Sie hatte ihr einmal in einem schwachen Moment von ihrer Neigung, ihrem Wunsch erzählt. Das war lange her, November oder so.
Nun war es Sommer, und sie hatte ihre Beichte inzwischen längst vergessen. Kein Wunder also, dass sie erschrak, als die Kollegin ihr unvermittelt sagte:
„Ich kenne jemanden, der bereit ist, dir deinen Wunsch zu erfüllen.“ Verlegene Stille. Dann, zögerlich „Du meinst...?“
„Ja, ich meine“
„Aber es bleibt unter uns?“
„Auf jeden Fall!“
„Meinst du wirklich, ich soll?“
„Sicher sollst du, kneifen geht jetzt nicht mehr.“

So begann es. Zwei Tage später wurde sie Bonnie vorgestellt. Sie redeten miteinander, lange und ausführlich. Die Sympathie war da. So musste es sein, schließlich hatten sie einiges miteinander vor. Es war zwar von vorneherein klar, dass es eine Art Geschäftsverbindung sein würde. Aber das machte ihr nichts.
Bonnie war einfach Klasse. Die langen blonden Haare, die rauchige Stimme. Und ihre konsequente Art. Noch Tage später erinnerte sie sich lächelnd an einen ihrer ersten Sätze: “Ich dulde keinen Widerspruch!“, hatte sie zu ihr gesagt. Niemand anderer hätte so mit ihr sprechen dürfen. Bonnie tat es einfach.

Bonnie war sehr direkt. Sie war schon lange in der Branche und keine Unbekannte. Sie wusste, dass die Leute über sie redeten und gelegentlich den Kopf schüttelten. Aber Bonnie war das egal, sie stand zu ihrer Profession und legte es geradezu darauf an, genau nach dem auszusehen, was sie tat.
„Es hat keinen Sinn, sich verstellen zu wollen, man muss dazu stehen“ war ihre Devise.

Aber sie war anders als Bonnie. Der Gedanke, zum allgemeinen Gesprächsthema zu werden, war ihr beinahe unerträglich. Dennoch hatte sie keine Wahl. Sie wollte Bonnie, und Bonnie machte nichts im Geheimen oder in versteckten Ecken.

Ihre Chancen, sich gegen Bonnie durchzusetzen, waren gleich Null. Das hatte sie schnell gemerkt, als sie versuchte, mit ihr über die Bekleidungsvorschrift zu diskutieren. Ein Aufbegehren wurde nicht geduldet.
Bonnie hatte feste Vorstellungen von einem angemessenen Outfit. Ihr blieb nichts anderes übrig, als sich zu fügen. Es hatte sie beinah ein Vermögen gekostet, sich gemäß Bonnies Wünschen einzukleiden. Ganz zu schweigen von der Überwindung, sich in solch eindeutigen Sachen auf der Straße sehen zu lassen.

Nun war also endlich Samstag. Der Samstag. Der erste von noch so vielen Samstagen mit Bonnie. Sie wusste, Bonnie war ihr sicher. So lange, wie sie Bonnie bezahlen konnte. Sie hoffte inständig, ihr Ziel erreichen zu können, bevor ihr Konto völlig leer war. Doch daran wollte sie jetzt nicht denken. Es war Zeit, sich umzuziehen.
Anschließend betrachtete sie sich im Spiegel. Sie musste sich eingestehen, dass sie sich in ihrem neuen Outfit gefiel, obwohl es so eindeutig war. Oder gerade deswegen?

Sie war fertig. Fix und fertig. Aber die Zeit bis zum Treffen wollte einfach nicht vergehen.
„Ich sollte vielleicht doch besser absagen“, schoss es ihr alle fünf Minuten durch den Kopf. Aber sie sagte nicht ab. Sie rauchte eine Zigarette nach der anderen, wurde immer nervöser. Es gab kein Zurück mehr. Sie betete nur noch still vor sich hin, dass niemand sie sähe, wenn sie in diesem Aufzug gleich das Haus verlassen würde, um zu Bonnie zu fahren.

Ein letzter Blick auf die Uhr. Sie musste jetzt los, wenn sie nicht zu spät kommen wollte. Tür auf, Tür zu, schnell die Treppe runter und noch schneller ins Auto. Fünf Minuten vor der vereinbarten Zeit erreichte sie den vereinbarten Treffpunkt. Von Bonnie keine Spur, sie hatte es nicht nötig, überpünktlich zu erscheinen.

Das Warten bot ihr erneut Gelegenheit zum Rauchen. Und Gelegenheit, erneut an ihrer Entscheidung zu zweifeln.

Was, wenn es mir gar nicht gefällt?
Was, wenn ich mittendrin aussteigen will?
Was, wenn ich mich völlig blamiere?
Was, wenn sie mir ins Gesicht sagt, dass mich dafür überhaupt nicht eigne?“

Sie drehte das Radio auf, um sich abzulenken. Alle paar Sekunden ein prüfender Blick auf die Uhr. Noch eine Zigarette, ebenso hastig eingesaugt wie die davor.

Endlich! Bonnie war angekommen und fuhr langsam auf sie zu, um dann direkt neben ihr anzuhalten. Dann standen sie sich gegenüber. Sie fühlte, wie Bonnie sie von Kopf bis Fuß musterte. Panik überkam sie.
Was, wenn ihr Outfit ihren Ansprüchen nicht genügen würde? Bonnie würde sie dann einfach stehen lassen, das hatte sie ja bereits angekündigt. Ein Lächeln, ein Händedruck. Bonnie war offensichtlich zufrieden.

Sie war nur noch Atemzüge davon entfernt, endlich das zu tun, was sonst nur Männer machen. Ihre Anspannung stieg ins Unermessliche. Bonnie lächelte wissend.
„Ja, das erste Mal ist immer etwas ganz Besonderes. Aber ich bin sicher, es wird dir gefallen, sobald du dich daran gewöhnt hast.“ Das wollte sie gerne glauben. Mit einem Mal fiel die ganze Anspannung von ihr ab. Sie wurde ruhig.
„Ich bin bereit, Bonnie“, sagte sie mit fester Stimme.

Dann verlagerte sie ihr Gewicht auf das linke Bein und hob das rechte Bein behutsam über das Motorrad. Sie war soweit. Ihre erste Fahrstunde für den Motorradführerschein konnte endlich beginnen.


Verfasserin Mondkuss

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