Spielen in der Öffentlichkeit II

Oder: Welche Freiheiten sollten wir uns nehmen?

Ob nun das Torture Ship am Bodensee, ein Gentledom in einem Gothik-Club in Bielefeld oder ein Bondageworkshop vom Grimme in einem Hamburger Park: BDSM ist etwas, das nicht immer nur in den heimischen vier Wänden stattfindet.

Daher habe ich vor einigen Tagen eine kleine Umfrage darüber gestartet, welche Spielarten in der Öffentlichkeit von einer offenen und westlichen Gesellschaft akzeptiert werden sollten. Wer an der Umfrage teilnehmen will sollte dies bitte jetzt machen, sonst wird seine Meinung vielleicht durch die kommenden Zeilen verändert ;)

Grundsätzliches
Ich finde eine moderne und offene Gesellschaft, also jene, die wir Europäer gerne für uns proklamieren, muss auch Platz für Andersartigkeit haben. Die eigene Freiheit hört jedoch auch genau da auf, wo sie die Freiheit der anderen verletzt.

BDSM ist vieles, aber ganz sicher keine Gewalt. Wo erwachsene, geistig gesunde und reife Menschen einvernehmlich in den Grenzen des geltenden Rechts handeln, da sollten sie auch akzeptiert werden. Das Problem ist aber, dass es für Außenstehende eben nicht immer ersichtlich ist, dass es sich hier um ein einvernehmliches Spiel handelt, wie auch? Sie kennen die gemachten Absprachen, die zwischen den agierenden Personen herrschen, ja nicht.

 

 

Man sieht es den meisten BDSMler nicht an, dass wir anders sind und das ist auch gut so :) Doch gerade weil man es uns nicht ansieht, sieht ein schweres Spanking oder eine Ohrfeige in der Stadt eben nach echter Gewalt und nicht nach lustvollem Spiel aus.

 

Wenn (echte wie auch nur scheinbare) Gewalt einen immer größeren Raum in einer Gesellschaft einnimmt, dann führt dies zu einer Abstumpfung und einer Resignation/Akzeptant selbiger. Das wollen wir sicher nicht! Menschen, die Situationen nicht kennen, können diese immer schwerer einschätzen als jene, die damit schon konfrontiert waren. Kinder lernen gerade erst, ihre Umwelt richtig wahrzunehmen, deshalb sollte für sie ein besonderer Schutz gelten.

 

 

Aber nur mal angenommen, man würde es dem Sklaven A an der Nasenspitze ansehen, dass er ein total devoter BDSMler ist und dieser Mann würde nun überfallen und verprügelt. Nun, wenn die Gesellschaft dann gelernt hat: BDSMler sind anders, die stehen drauf, dann würde niemand einschreiten, auch wenn es kein gespielter Überfall war. Wir BDSMler wollen immer von der Gesellschaft vorbehaltlos akzeptiert werden, also müssen wir die gängigen Umgangsformen folglich auch akzeptieren.

 

 

Die Umfrage
Bei der Umfrage habe ich verschiedene Handlungen aufgeführt, welche an einem öffentlichen Ort, zu einer normalen Tageszeit und unter Anwesenheit eines normalen Querschnitts der Bevölkerung ausgeführt werden. Natürlich haben pauschale und nur minimal ausgeschmückte Szenarien ein großes Problem, es gibt einen riesigen Interpretationsspielraum und schon Kleinigkeiten können eine Szene sehr zuspitzen, aber auch entschärfen. Als Antwortoptionen gab es jeweils vier Möglichkeiten:

 

1. Muss/Sollte akzeptiert werden
2. Wenn es keine Kinder mitbekommen, sollte es akzeptiert werden
3. Muss nicht akzeptiert werden
4. Das dargestellte Verhalten ist vollkommen unangebracht

 

 

Der feste Griff in den Nacken
Ein recht ungenaues Szenario, daher fällt es mir selber alles andere als leicht, hier drauf zu antworten. Ein fester Griff in den Nacken, der zu einer Reaktion führt, die als Angst bei der Sub interpretiert werden kann, ist etwas ganz anderes, als wenn sie anfangen würde zu lächeln. Ich gehe einfach von mir selber aus, ich habe Partnerinnen in der Öffentlichkeit bereits fest in den Nacken gegriffen, aber immer nur bei jenen, für welche dies eine Belohnung ist und die daher positiv auf einen solchen Griff reagieren. Zudem schiebe ich dabei meine Hand langsam in den Nacken. Von außen sollte mein Verhalten daher eigentlich nicht als bedrohlich aufgefasst werden und somit habe ich mich hier dafür entschieden, dass unsere Gesellschaft einen solchen Griff akzeptieren muss. Kleine Änderungen an meiner eigenen Szenarieninterpretation und ich würde es anderes sehen.

 

Ein Bondageworkshop im öffentlichen Park (alle bekleidet)
Für mich etwas, das jeder akzeptieren sollte. Wer schon mal gesehen hat, wie ein solcher Workshop abläuft, weiß vielleicht wovon ich rede. Entspannte Gesichter, oft wird auch gelacht und wenn alle bekleidet sind, kann ich darin auch nichts Sexuelles erkennen. Wer in diesem Verhalten Gewalt erkennen kann, sollte wirklich mal zum Arzt gehen…

Tragen von Halsband mit Kette aber ohne Führung durch Dom/se
In unserer Gesellschaft darf ich mit einem Kopftuch durch die Stadt gehen, für so ziemlich jede politische oder gesellschaftliche Sache demonstrieren und laut Gesetz darf mich niemand diskriminieren. Also mal ehrlich, warum soll dann nicht jemand mit Halsband und Kette durch die Stadt laufen dürfen? Dies ist Ausdruck einer persönlichen Einstellung, welche der Gesellschaft keinen Schaden zufügt und niemanden persönlich angreift. Welche Antwort ich gegeben habe, diese Frage dürfte sich daher wohl erübrigen.

Eine/n Sub an der Leine ausführen
Nicht nur ich, sondern auch rund 60% der Befragten haben sich bei der vorhergehenden Frage für die Option 1 entschieden. Aber wenn jemand die Kette halten und die Person ausführen würde, dann fänden das nur noch 25% in Ordnung? Hmm ganz ehrlich, die Logik verstehe ich nicht so ganz.

 

Schaden die beiden Personen der Gesellschaft? Kann das Führen an der Leine (dort steht nicht zerrt an der Leine) als Gewalt missverstanden werden? Ist dies eine sexuelle Handlung, die in der Öffentlichkeit nichts zu suchen hat? Da führt eine Person, eine andere folgt, ein Verhalten, das ich täglich in der Fußgängerzone sehe. Wie oft habe ich schon händchenhaltende Paare gesehen, bei denen einer plötzlich vor einem Schaufenster stehen blieb und der andere „gezwungen“ war, dies ebenfalls zu tun.

 

 

Ich selber würde keinesfalls am helllichten Tag meine Sub durch die Fußgängerzone führen, aber nicht weil ich meine, das sei ein NoGo, sondern weil ich es einfach nur nicht will. Aber vielleicht habe ich mir hier auch nur ein viel harmloseres Szenario vorgestellt, als es andere taten. Für mich bedeutet an der Leine führen wirklich nur an der Leine führen und nicht die Person zerren, schlagen oder verbal erniedrigen.

 

 

Eine Ohrfeige wegen Fehlverhalten im Kontext BDSM
Absolutes Fehlverhalten! Sorry das geht gar nicht, hier ist in meinen Augen eine Grenze massiv überschritten. Eine Ohrfeige ist grundsätzlich Gewalt und dass eine Erlaubnis zu dieser Gewalt vorliegt, das kann keine außenstehende Person wissen. Geschieht das dann auch noch an einem öffentlichen Ort, an dem Kinder zugegen sind, so sehen sie Gewalt. Wenn dann keiner einschreitet, lernen sie im schlimmsten Fall daraus, dass dieses Verhalten scheinbar sozial toleriert wird. Ein mehr als fatales Zeichen!

Sub im Café neben sich knien lassen
Ein/e Sub, die einfach nur kniet, das zeigt ein sehr großes Machtgefälle, welches in unserer modernen Gesellschaft grundsätzlich nicht mehr vorkommt. Aber wenn dieses nicht durch Zwang bewirkt wird, sondern gewaltfrei geschieht (mit Gewalt wäre es unpassend), warum sollte dies ein Problem sein? Die Freiheit eines Menschen bedeutet auch, dass man diese bis zu einem gewissen Grad wieder freiwillig aufgeben kann. Ja, womöglich sind Kinder anwesend und diese würden die Situation erst einmal nicht verstehen, aber es ist ein Café und ehrlich gesagt, habe ich in einem Café noch nie Kinder gesehen, die sich dort alleine aufhalten. Es ist also jemand da, der ihnen das mitunter erklären kann und wenn er/sie es nicht kann, nun dann steht es dieser Person frei, die beiden BDSMler zu fragen was das soll.

 

Ausgehen im Fetischoutfit (Geschlechtsmerkmale sind bedeckt)
Kinder finden solche Klamotten wohl eher interessant (zumindest hatte ich den Eindruck, als ich mal in Dortmund am Bahnhof gewartet habe und an dem Tag eine Messe für Cosplayer war) und denken dabei nicht an sexuelle Dinge, sondern an Verkleidungen, also Spaß wie zu Halloween oder einem lustigen Kindergeburtstag. Ich kann mir kaum vorstellen, dass der Anblick sie in ihrer persönlichen Entwicklung nachhaltig stören wird. Kinder dürften in der Regel am wenigsten Probleme mit einem solchen Outfit haben, das sind eher die Erwachsenen, die hinter die Fassade blicken und verstehen, worum es wirklich geht. Jedoch leben wir in einem freien Land, in dem man sich so kleiden kann wie es einem beliebt, also wenn wir nicht alle uniformiert rumlaufen wollen wie in China nach der Kulturrevolution, müssen wir unseren Fetischisten ihre Freiheit lassen. Nicht zuletzt auch deshalb, da einiges davon bereits in der Modeindustrie aufgegriffen wurde und es daher auch durchaus als Mode angesehen werden kann. Wer so etwas verbieten will, will sicher auch am liebsten den CSD oder den Karneval der Kulturen verbieten.

 

Leichtes Spanking (Klaps auf den Hintern)
Leider wieder so ein sehr offenes Szenario. Nur es geht hier um einen Klaps, was in meinen Augen weit weniger ist als ein Schlag. Es ist also eher eine spielerische Variante des Neckens, und das sollte akzeptiert werden können. Hier kann ich aber auch verstehen, wenn man eine andere Position einnimmt, denn grundsätzlich könnte man dies auch als Form der Gewalt verstehen. Alles was über den Klaps hinausgeht würde ich ablehnen.

Schweres Spanking (kraftvolle Schläge mit der Hand auf den Hintern)
Geht wie Ohrfeigen ebenfalls so gar nicht. Kräftige Schläge sind Gewalt, auch wenn es beim Spanking von der Einwilligung des Partners gedeckt ist. Auf einer BDSM Party kann ich davon ausgehen, alles ist in Ordnung, außerhalb dessen muss jeder erst einmal annehmen, dass dort jemand schwer misshandelt wird.

 

Ausübung von Zwang durch leichte Gewalt (Verdrehen des Arms, ruppiges Ziehen)
Es ist sichtbare Gewalt und diese gehört nicht in die Öffentlichkeit. Gewalt kann im öffentlichen Raum auch ganz anderes ausgeübt werden, nämlich so, dass sie unsichtbar bleibt. Es gibt zig Druckpunkte am Körper, mit denen man seinem Partner Schmerzen zufügen kann und niemand bekommt etwas davon mit (wenn man sich ein wenig geschickt anstellt und nicht nur die Stelle, sondern auch das Gesicht des Partners vor neugierigen Blicken abschirmt). Der einzige Punkt, an dem ich das Verhalten als in Ordnung einstufen würde, ist bei einer Kabbelei in der jeder sieht, beide kabbeln hier gerade miteinander rum und es ist eindeutig nur ein Spaß und kein Ernst.

 

Verbale Erniedrigung („Komm mit Schlampe“)
Für jede unbeteiligte Person liegt hier eine Beleidigung vor. Wenn ein Mann zu einer Frau so etwas sagt, werden alte Rollenbilder wieder belebt, die unsere Gesellschaft eigentlich überwunden haben sollte. In meinen Augen nichts, was zu rechtfertigen ist und ich hoffe, dass der Typ, der sich so verhält von einer anwesenden Feministin eine schallende Ohrfeige erhält. Ja, gegen manche Formen von Gewalt darf durchaus auch mit Gewalt vorgegangen werden, auch wenn grundsätzlich Gewalt keine Lösung darstellt.

 

 

Abschließende Gedanken
Amüsiert (teilweise auch erschrocken) bin ich oftmals über jene BDSMler, die auf der einen Seite sagen, das ist mein BDSM und einvernehmlich und damit ist es keine Gewalt und daher muss die Gesellschaft dies akzeptieren! Auf der anderen Seite sich aber über Spielarten von anderen BDSMlern aufregen, welche sich auch im gesetzlichen und einem einvernehmlichen Rahmen bewegen, aber in ihren Augen pervers sind (Nadeln, Cutting, Fäkalien, usw.).

 

 

 

Was mich wundert, ist die häufige Unterscheidung zwischen der Anwesenheit und Abwesenheit von Kindern. Ja, ein Kind nimmt Szene anders wahr und verarbeitet diese sicher auch anders, gerade bei Gewalt mag es nicht so gut zwischen einvernehmlicher und nicht einvernehmlicher Gewalt unterscheiden können (wobei dies durchaus in der Wissenschaft auch anderes gesehen wird). Ich stehe dem deutschen Jugendschutz sehr positiv gegenüber und finde es gut, dass der Staat versucht Kinder davor zu bewahren, schädigenden und/oder entwicklungsbeeinträchtigenden Einflüssen ausgesetzt zu sein. Ein Kind sollte aber auch nicht in einem goldenen Käfig aufwachsen und wenn es später Teil einer aufgeschlossenen Gesellschaft sein soll, dann schadet es nicht, das Kind nicht erst mit 18 Jahren mit der Lebenswirklichkeit zu konfrontieren. Szenen, die Kindern Angst machen könnten, sexuelle Dinge und auch Gewalt sollte von Kindern ferngehalten werden. Zu zeigen, dass unsere Gesellschaft bunt ist und es auch Menschen gibt, die anders ticken, das schadet ihnen nicht sondern fördert sie mitunter sogar.

 

 

Wenn klein Paul also Mama fragt, warum sich die beiden Männer da küssen oder warum der Mann da an der Leine von der Frau durch die Stadt geführt wird, so ist es eher eine Chance denn eine Gefahr für die Entwicklung des Kindes.

 

 

Naja, keine Gesellschaft ist perfekt, das gilt im Großen auch für unsere westeuropäische und im Kleinen für die BDSM Szene ;) Aber wir können alle daran arbeiten, die Gesellschaft in der wir leben, besser zu machen.

 

 


Kommentare:


Ruby schrieb am 05.07.2014


Sehr schöner Beitrag

Ist ein sehr schöner Artikel geworden, gefällt mir. *Daumen Hoch*

Lg Ruby


Antwort auf diesen Kommentar

Danke Ruby, besonders da wir an einer Stelle ja sehr unterschiedlicher Meinung sind :)

 

Ganz liebe Grüße ins wunderschöne Wien

 

Gentledom

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