Psychische Reaktionen vor/während und nach BDSM - was ist eigentlich normal?

Im Zusammenhang mit BDSM kommt es immer mal wieder zu interessanten psychologischen Reaktionen, und manch einer fragt sich dann, ob das noch normal ist, was er/sie fühlt, ob andere solche Empfindungen auch kennen oder ob das vielleicht schon ins krankhafte geht.

Zunächst mal: die menschliche Psyche ist ein ziemlich komplexes Konstrukt, das bei jedem Individuum ein bisschen anders funktioniert (abhängig von Genetik, also dem, was unsere Eltern uns als Hardware mitgegeben haben, Biochemie, Erfahrungen während der eigenen Lebensgeschichte, Umweltfaktoren usw...). Deshalb ist es schwierig, dazu allgemeingültige Angaben zu machen. dazu kommt, dass gerade die Frage "Was ist normal/was ist krankhaft" auch nicht immer so genau zu klären ist, weil es da fließende Übergänge gibt.

Vieles von dem, was wir im BDSM-Rahmen so mit einander anstellen, ist von der Natur nicht unbedingt immer so vorgesehen.

Ich gehe hier jetzt mal vorwiegend von der Sicht der Subbie aus...

Schon vor einer Session kann es zu psychischen Ausnahmesituationen kommen; vor allem, wenn man noch Anfänger ist, nicht genau weiß, was da auf einen zu kommt, man den Spielpartner vielleicht noch nicht so besonders gut kennt, oder auch, wenn man weiß, dass der Spielpartner sehr kreativ ist und sich anscheinend etwas ganz besonderes hat einfallen lassen...dann steigt der Adrenalinpegel, man ist aufgeregt, nervös, die Nerven fangen an zu flattern, viele merken, dass ihnen irgendwie kalt wird.
Biologisch gesehen befindet man sich in einer Art Bedrohungssituation, in der der Körper automatisch eine der Optionen Flucht, Kampf oder Erstarrung wählen würde... nur, dass zumindest die ersten beiden Optionen für Subbi nicht unbedingt in Frage kommen, wenn sie beispielsweise bereits im Spread-Eagle gefesselt auf dem weichen Bettchen liegt...

Je nachdem, wie intensiv die Session verläuft, kann der Körper dann eben in die Option "Erstarrung" verfallen. Im Extremfall, wenn alles wirklich ein bisschen viel wäre, würde das bedeuten, dass sich die Psyche sozusagen "ausklinkt". Dann kann von einer Dissoziation gesprochen werden.

Dabei werden übermäßig belastende Emotionen sozusagen abgespalten. Das bedeutet, dass Wahrnehmungs- und Gedächtnisinhalte von einander getrennt werden. Das kann durchaus auch im Alltag als normales Phänomen auftreten, z.B. wenn man eine lange Strecke auf der Autobahn fährt und plötzlich merkt, dass man sich an die letzte halbe Stunde gar nicht mehr erinnern kann. Ein anderes Beispiel wäre, wenn jemand so intensiv am Computer irgendwelche Spiele daddelt und dabei völlig die Außenwelt vergisst. Solche Phänomene kann man als Trancezustände beschreiben; und in vielen Kulturen wird versucht, diese Zustände z.B. durch Meditation künstlich hervorzurufen, weil sie häufig als angenehm/entspannend empfunden werden.

Ähnliche Zustände können aber auch durch seelische Traumata hervorgerufen werden und sind dann eine Art Selbstschutzmechanismus der Seele. Das bekannteste Beispiel hierfür sind Vergewaltigungen oder Misshandlungen, die häufig "verdrängt" werden und sich dann z.B. in psychosomatischen Störungen ausdrücken können. Oder aber, es kommt in Situationen, die in irgendeiner Weise an das Trauma erinnern ("Trigger") zu so genannten "Flashbacks", also als belastend empfundene einschießende Erinnerungen, die als sehr real erlebt werden.

Es kann aber auch sein, dass eine Session eben zu solchen Dissoziationen führt, dass Subbie sich also aus der Realität "ausklinkt" und gar nicht mehr ganz da ist. Ob das jetzt ein angenehmer Trancezustand ist oder eine "pathologische" Form, ist schwer zu sagen...es kommt sicherlich darauf an, wie lange dieser Zustand anhält, wie lange auch der "Gedächtnisverlust" anhält, aber auch auf das subjektive Empfinden: War das jetzt angenehm oder eher nicht? Man sollte sicherlich nicht alles, was einem irgendwie seltsam oder ungewohnt vorkommt, direkt pathologisieren, aber man sollte auch in den folgenden Tagen darauf achten, wie es einem mit dem Erlebten geht. Auch eine Session kann durchaus wie ein Trauma erlebt werden, und dann wird es unschön...also auch hier wieder: vorher miteinander reden, sich langsam rantasten, nicht zu viel auf einmal wollen.

Andere psychologische Effekte, die damit in Zusammenhang stehen können, sind das so genannte "Depersonalisations- oder Derealisationserleben". Auch das kennt fast jeder: die Umwelt kommt einem irgendwie seltsam verändert vor oder man fühlt sich abgetrennt von der Umwelt. So etwas kann beispielsweise in Stress-Situationen vorkommen, und eine Session kann (psychologisch gesehen) eine solche Stress-Situation darstellen.

Dann hat Subbie vielleicht das Gefühl, sich sozusagen "von außen" beobachten zu können.

Ich glaube, dass die Frage, ob psychologische Reaktionen "normal" oder krankhaft sind, im Zusammenhang mit BDSM individuell beantwortet werden muss. Es kommt sehr auf das subjektive Empfinden an. Für die eine kann eine Dissoziation sich anfühlen wie fliegen und wäre dann sozusagen gleichzusetzen mit dem "Subspace", also eine Art ekstatische Trance, die durch Freisetzung von Endorphinen und Adrenalin etc hervorgerufen und die sehr angenehm und schön erlebt wird, für die andere kann genau das gleiche einen unangenehmen Kontrollverlust und damit einen Absturz bedeuten.

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