Die härteste aller Strafen

Es war wie ein Traum... die Tage nach der Spazierfahrt im Cabrio, die der Earl mit mir gemacht hatte – und dem tollen Treffen danach, flogen nur so dahin.
Tagtäglich rief er mich an, unterhielt sich lange mit mir - und wenn wir dabei gestört wurden, sei es nun durch eines meiner Kinder oder durch einen Arbeitskollegen von ihm (meistens rief er mich aus der Redaktion an), zeigte er sein Bedauern darüber nur allzu deutlich.
Auch mit Emails verwöhnte er mich regelrecht - und sobald ich online ging, meldete sich mein AOL-Messenger und er schrieb mich an.

Immer wieder fragte ich ihn, wann ich ihn denn endlich sehen dürfte. Aber da reagierte er meistens sehr wortkarg darauf - in der Regel immer mit derselben Antwort: "Sobald mir danach ist!" Das enttäuschte mich jedesmal aufs Neue. Denn es wurde mittlerweile fast zur fixen Idee, wie er den aussehen würde, mein Earl. Nicht daß das irgendetwas in meinem Verhältnis zu ihm geändert hätte... aber ich war einfach neugierig. Würde sein Aussehen tatsächlich zu dieser samtweichen Streichelstimme passen?

Ihm jedoch schien es außerordentlich zu gefallen, das Wissen, daß ich ihn auf offener Straße überhaupt nicht erkennen würde, selbst wenn er mir gegenüberstand und mir direkt ins Gesicht lachen würde. Ich hatte nur seine Stimme zur Identifikation... nun ja, und vielleicht noch seinen unverwechselbaren Geruch nach Leder.

Der viele Kontakt zu ihm half mir also in dieser Hinsicht nicht weiter. Er beharrte weiter auf dem Spielchen mit der Augenbinde, und wenn ich schmollend ins Gespräch einbrachte, daß ich das langsam kindisch fand, lachte er nur und meinte, irgendwann käme schon der richtige Zeitpunkt, daß er mir endlich in die Augen schauen würde. Und ich hätte nichts kindisch zu finden. Ich wäre eine Sklavin und hätte nur zu gehorchen... und zu warten.

Ansonsten war er aber recht redselig. Wir kamen uns auch sehr nahe, in dieser Zeit der Gespräche. ZU nahe fast, denn er enthüllte dabei auch sehr viel aus seinem Privatleben. Dinge, bei denen ich für mich feststellte - die gefielen mir nicht so unbedingt.
Ich selber war ein sehr offener Mensch... und auch wohl jemand, von dem man behaupten würde, daß ich selten eine Gelegenheit, die sich mir bot, ungenutzt vorübergehen ließ. Ich ließ nix anbrennen... aber daß ich ausgerechnet im Earl mein Pendant finden würde, hätte ich mir auch nicht träumen lassen.

Da wir uns immer vertrauter wurden, eröffnete er mir auch irgendwann, daß ich nicht die einzige war, mit der er spielte. Neben mir hatte er noch eine sogenannte Bondagesklavin. Nadine hieß sie, war neunzehn Jahre alt - und noch Jungfrau (was sie auch in seinen Händen bleiben würde, versicherte er). Laut eigener Aussage war sie das Objekt, mit dem er sein Faible für Bondage ausleben konnte. Als ich schnippisch fragte, für was ich denn gut sei, kam lautes Lachen als Erwiderung und die ebenso schnippische Antwort, ich sei das Objekt, an dem er seine anderen Gelüste befriedigte.
Diese Nadine war also keine Konkurrenz für mich. Und ich muß gestehen, daß ich auch sehr neugierig darauf war, was er so mit ihr machte - und stellte ihm viele Fragen. Er erzählte mir, daß er mit ihr auch Seminare besuchte... Bondageseminare. Ich wußte nicht einmal, daß es so etwas überhaupt gab. Aber bekanntlichermaßen lernt man ja nie aus.
Er versprach mir dann, mir Fotos davon zu zeigen, wie Nadine aussah, wenn er sie "verschnürt" hatte... und als ich stichelte, daß er mir dazu aber die Augenbinde abnehmen müßte, bekam ich nur zu hören, daß er mir die Bilder ja auch per Email schicken könne. Daraufhin wußte ich leider nichts zu erwidern, was ihm ein herzhaftes Lachen entlockte.

Aber es war nicht nur Nadine... es gab auch noch andere. So wie ich von mir behauptete, Gelegenheiten nicht ungenutzt vorüber gehen zu lassen, behauptete er dies auch von sich – sofern es sich bei den Frauen um Sklavinnen handelte. Wurde ihm ein Spiel angeboten, und sagte die Frau ihm zu... dann nahm er das Angebot auch an. Er war ein Dom, der auf vielen Hochzeiten tanzte... und als ich so für mich überlegte, ob mir das denn eigentlich recht sei, entkräftete er den Vorwurf schon, noch bevor er ausgesprochen wurde.
Er sagte mir klipp und klar, daß er an mich nur in einer Hinsicht Anspruch auf Exklusivität stellte – und dies wäre die Sklavin. Was ich ansonsten tat und mit wem ich ins Bett stieg, war ihm egal. Er wünschte nur vorher von eventuellen, diesbezüglichen Plänen informiert zu werden. Und erwartete hinterher natürlich einen ausführlichen Bericht. Aber jede Aktion, die auch nur annähernd in Richtung SM ginge, verbat er sich ausdrücklich. Die Sklavin gehörte ihm alleine...
Mir lag eine Frage auf der Zunge... und was ist mit dem Dom? Gehört der nicht der Sklavin ausschließlich? Aber ich verkniff mir die Frage tapfer... und vergaß sie irgendwann wieder.

So schön diese Zeit des intensiven Kontaktes zu ihm auch war, irgendwann zog sie sich für meinen Geschmack doch zu sehr in die Länge. Aus den Wochen wurden zwei Monate und ich spürte, wie ich langsam unzufrieden wurde.
Es genügte einfach nicht länger, ihn nur zu hören oder zu lesen... ich wollte endlich wieder real bei ihm sein.
An diesem Wunsch fand ich auch nichts Seltsames. Es erschien mir einfach nur natürlich, persönlich bei ihm zu sein und ihm real dienen zu wollen. Schließlich war nie die Rede von einer Emailerziehung gewesen.
Ich sagte ihm dies auch des Öfteren, wurde aber immer wieder vertröstet. Er schob seine Geschäfte vor – und tatsächlich ging er immer wieder auf Geschäftsreise, was den virtuellen Kontakt auch noch begrenzte.
Zwar sagte ich mir immer wieder, es sei besser, sich in Geduld zu üben, wie es sich für eine gute und gehorsame Sklavin gehört – aber wer mich kennt, der weiß, daß alleine schon der Gedanke ein Witz ist. Ich bin nicht geduldig... und gehorsam? Naja, in so einer Situation gehorsam zu sein und so, wie es von mir erwartet wurde – fiel mir mehr als schwer.

Aber dann war die Zeit des Wartens vorbei. Ich war richtig stolz auf mich, weil ich es irgendwie geschafft hatte, doch meine Klappe zu halten und mich nicht zu beschweren, weil er mich so lange auf das nächste Treffen hatte warten lassen. Egal wie unzufrieden ich auch gewesen war, im Kontakt mit ihm hatte ich mir das nie anmerken lassen.
Als er mir im Chat sagte, daß er mich am Freitag zu sehen wünschte, wäre ich fast ausgeflippt. Plötzlich schien die Sonne viel heller und die Musik aus dem Radio klang viel fröhlicher. Mein Herz klopfte wie wild und ich fühlte, wie sich alles in mir zusammenzog... voller Vorfreude – und auch vor Erregung.
Noch vier Tage... vier lächerliche Tage nach über zwei Monaten Wartens...

Oh Gott im Himmel, wie sollte ich diese vier Tage nur überstehen?

Nun, irgendwie überstand ich sie doch. Fragt mich nur nicht wie. Die Zeit berührte mich irgendwie nicht, sie glitt an mir vorbei – als wäre sie gar nicht real. Vier Tage lebte ich wie im Traum, in einer Welt, die irgendwie gar nicht existierte. Es gab nur ein Ziel... bitte laß es endlich Freitag sein!
Und dann war es tatsächlich Freitag. Mittag. Noch sechs Stunden, bis ich endlich wieder bei ihm war! Noch sechs Stunden, die es zu überbrücken galt...
Zwei Stunden gingen vorbei, während ich meine beiden Kleinen zur Oma brachte. Die Große war bei einer Freundin, der Große unterwegs. Mein Mann mal wieder auf Geschäftsreise.
Und ich alleine.
Noch vier Stunden... ich wagte es schon gar nicht mehr, auf die Uhr zu sehen. Denn jedesmal war die Enttäuschung dann doch ZU groß, wenn ich entdeckte, daß erst wenige Minuten verstrichen waren, seit dem letzten Mal auf die Uhr schauen...
Ich ließ mir ein gemütliches Bad ein... schwelgte im Schaum und in der Hitze des Wassers, träumte mit geschlossenen Augen vor mich hin und genoß die Erregung, die meinen Körper schon jetzt zum pulsieren brachte und bewirkte, daß reichlich Feuchtigkeit floß, die mit dem Badewasser rein gar nichts zu tun hatte...
Wie immer in solchen Situationen war ich mir meines Körpers doppelt bewußt... und auch dessen, was ich war...

Ich war gerade aus der Wanne gestiegen und hatte mich in ein großes, flauschiges Handtuch gewickelt, als mein Handy schellte.
Ein strahlendes Lächeln zog meinen Mund in die Breite, als ich SEINEN Namen auf dem Display las und ich sang fast, als ich mich meldete.
Aber die Ernüchterung kam sogleich. Fassungslos lauschte ich seinen Worten und nahm sie doch irgendwie gar nicht in mich auf. Sie rauschten einfach an meinem Ohr vorbei. „Es macht dir doch nichts aus, oder?“ fragte er nochmal.
Ich versuchte, mich zu konzentrieren. Auf das, was er mir erzählt hatte. Er hatte im Supermarkt an der Kasse eine alte Bekannte getroffen, eine, die er seit Ewigkeiten schon nicht mehr gesehen hatte. Früher hatte er mit ihr gespielt, ohne jedoch jemals eine feste Beziehung zu ihr gehabt zu haben. Nun, heute war sie in der Stadt, zu einem Vorstellungsgespräch. Und sie hatte diesen Abend nichts vor... und eingewilligt, ihn zu besuchen. Und sich ihm zur Verfügung zu stellen!
Von einer Sekunde auf die andere wich alles Blut aus meinem Gehirn. Ich fühlte förmlich, wie es von der übergroßen Enttäuschung verdrängt wurde.
Ob ich etwas dagegen hatte, wenn er mich einfach versetzte – um mit einer anderen das zu tun, wonach ich mich mehr als alles andere auf der Welt sehnte und worauf ich wochenlang gewartet hatte?
„DOCH!“ knirschte ich.

Die Stille, die aus dem Hörer dröhnte, schlug ein wie eine Bombe.
Ich hörte ihn vor Überraschung nach Luft schnappen, den Earl... fassungslos, ungläubig. Mit seltsam quietschender Stimme, so als traue er seinen Ohren nicht, japste er: „Wiederhole das doch noch mal, Sklavin!“
Ich zögerte keine Sekunde:
„Es macht mir sogar eine ganze Menge aus, wenn du mir heute absagst, um dich mit einer anderen zu treffen!“ knirschte ich erneut. Und fühlte, wie ich langsam wütend wurde.
Wieder war es lange Zeit still. Ich hörte Martin nur atmen... heftig, erregt... und dann sagte er verächtlich: „Du vergißt wohl, wer du bist – Sklavin!“ Und dann legte er einfach auf.
Ich lauschte ungläubig dem Tuten des Freizeichens und war fassungslos, weil er einfach das Gespräch beendet hatte. Dann stieß ich den Atem zischend aus und warf den Hörer zurück aufs Telefon.
Schaute mir im Spiegel der Flurgarderobe selber in die Augen und erstarrte ob des wilden, giftgrünen Blitzens meines Blickes. Wut. Wild. Hemmungslos. Und bitterlich enttäuscht.
Sklavin hin, Sklavin her... niemand sollte so schnöde behandelt werden...
Und – wenn ich etwas haßte, dann wenn jemand einfach den Hörer auflegt und so ein Gespräch beendet! Das tut man einfach nicht...

Sturheit ist eine meiner hervorstechendsten Eigenschaften. Sei es nun eine positive, oder eine negative –darüber maße ich mir kein Urteil an. Aber es ist einfach so. Ich bin der sturste Mensch den ich kenne, wenn ich mich ungerecht behandelt fühle.
Und in diesem Fall war das so.
Meiner Meinung nach hatte ich nichts falsch gemacht.
Ich fühlte mich verletzt, gedemütigt... und fand einfach schäbig, was der Earl mit mir gemacht hatte. Wochenlang hatte ich mich auf dieses Treffen, auf das Wiedersehen gefreut – und dann kurz zuvor, wenn man quasi schon in den Startlöchern steht – sagt er einfach ab.
Oh – fairerweise mußte ich schon zugeben, daß es nicht halb so schlimm gewesen wäre, würde unser Date wegen einem geschäftlichen Termin platzen. Oder wenn er krank geworden wäre.
Aber wegen einer anderen Frau?
Das machte mich nicht nur wütend, es verletzte auch... tief drinnen, da wo die Eitelkeit, das Selbstbewußtsein... und all das wohnten, was mich zu der Frau machte, die ich bin. Bald gab es nur noch den einen Gedanken: er hat die andere dir vorgezogen... er spielt lieber mit der anderen, als mit dir!
Was bedeutest du ihm eigentlich, Sisa? Wieviel bist du ihm wert? Bist du für ihn tatsächlich nur Objekt? Nur der Gegenstand, an dem er seine Lust befriedigt, wenn er grad nichts Besseres zu tun hat? Und der in die Ecke gestellt wird, wenn sich eine andere, bessere Möglichkeit bietet?
Keine dieser Überlegungen schmeckte mir besonders... und jede einzelne stachelte Wut und Enttäuschung noch mehr an.

Und die Sturheit blieb Sieger.
Zwar kam mir hin und wieder der – eher flüchtige – Gedanke, daß es vielleicht doch besser wäre, über meinen Standpunkt noch einmal nachzudenken. Ich war die Sklavin, er war der Herr. Er traf die Entscheidungen... und ich hatte zu gehorchen.
Aber diese Spielregeln schmeckten mir plötzlich nicht mehr.
Alles, was ich wollte, war anständig behandelt zu werden.
Und dies hatte er nicht getan, als er mir einfach kurz vor dem Treffen abgesagt hatte...
Ich würde ihn also nicht anrufen.
Nein.
Ganz sicher würde ich das nicht tun.
Diesmal war es an ihm, sich zu melden... und ER war an der Reihe, sich bei mir zu entschuldigen.

Manchmal drohte ich, schwach zu werden... dann, wenn ich ganz alleine für mich war und wenn die Ehrlichkeit... und die Sklavin... die Oberhand bekamen. Dann flackerte plötzlich die Erkenntnis in mir, daß er alles Recht der Welt hatte, so zu handeln, wie ER es wollte. Er mußte keine Rücksicht auf mich nehmen. Ich war Sklavin, nicht mehr und nicht weniger... ich hatte nicht das Recht dazu, ihm Vorschriften zu machen... und irgendetwas einzufordern.
Aber... verdammte Sturheit.
Nein, ich gab nicht nach. Ich war mir keiner Schuld bewußt... eigentlich...

Aber... wenn die Zeit vergeht, aus den Tagen wieder Wochen werden... dann fällt jede Wut in sich zusammen, egal, wie sehr sie von Enttäuschung und Sturheit geschürt worden war. Jede Wut brennt irgendwann aus...
Und dann fängt man wieder zu denken an. Richtig zu denken. Die Stimmen in einem drin verstummen endlich... diese widerborstigen Biester, die immer querschießen und dich zu Dingen treiben, die dumm und unvernünftig sind.
Ist es einmal so weit, kommt bald die Reue.
Und die Fassungslosigkeit über die eigene Torheit.
Sisa, wie konntest du nur...

Och, eigentlich war es ganz einfach gewesen, höhnte eine spöttische Stimme in mir drin. Du hast einfach mal wieder die Klappe aufgemacht, ohne vorher zu denken. Wieder einmal. Nur hast diesmal nicht nur ein Fettnäpfchen erwischt... sondern bist im Treibsand gelandet. Mittendrin. Volltreffer, Sisa...

Diese Erkenntnis war ein schmerzhafter Prozess. Mindestens ebenso schmerzhaft wie die Erkenntnis, daß es vielleicht zu spät war, um noch etwas zu ändern.
Seit er den Hörer aufgelegt hatte, hatte er sich nicht mehr bei mir gemeldet, der Earl. Ich überwand mich. Pfiff auf Stolz und allem anderen... griff zum Handy... und schrieb eine SMS. Bat zerknirscht um Verzeihung...
Stunden später, als keine Reaktion von ihm kam, ein zweiter Versuch... die Bekenntnis, wie dumm ich gewesen war (oh, wie empört sich dabei mein Stolz aufbäumte, kann man sich wahrlich vorstellen!) und daß es mir leid tat. Ob er mir denn nicht verzeihen könne...
Am nächsten Abend war immer noch keine Antwort eingetroffen.
Kurz tauchte die Frage auf: vielleicht will er dir gar nicht verzeihen... vielleicht ärgert er sich so sehr über dich, daß du vor ihm auf dem Boden kriechen könntest und er würde einfach über dich hinwegsteigen... ohne dich anzusehen.

Aber so leicht wollte ich nicht aufgeben.
Wieder Sturheit.
Ich loggte mich im Internet ein, aktivierte den Messenger von AOL... und wartete.

Geduldig.
Bis er irgendwann auftauchte und gemeldet wurde, daß er online war.
Dann schrieb ich ihn an. Zaghaft. Begrüßte ihn nur.
Nichts. Er blieb eine Stunde lang online... und ignorierte mich.

Bitter.
Es tat weh.
Und ich merkte: ich mochte es nicht, wenn ich ignoriert wurde.
Das war schlimmer, als wenn er mir gesagt hätte: scher dich zum Teufel, ich will dich nicht mehr!

Am nächsten Tag saß ich wieder zähneknirschend vor dem PC und kämpfte mit mir.
Der Earl war wieder online, hatte wieder nicht auf meine demütige Begrüßung reagiert. Aber ich wollte das nicht so einfach hinnehmen. Nur – was tun?
Meine Freundin Carla, die ebenfalls online war, lachte mich aus. Sie nannte mich eine Närrin und meinte, warum läufst du ihm hinterher? Wenn er dich nicht mehr will, findest du doch jederzeit einen anderen...
Nun, da mochte sie ja recht haben... aber ich wollte ja keinen anderen. Ich wollte ihn. Meinen Earl. Er war mein Meister...
Und das schrieb ich ihr auch.
Sie nannte mich eine Idiotin. Dickköpfig. Und dumm. Meinte aber: dann schreib ihm doch eine Mail, da siehst du wenigstens, ob er sie gelesen hat oder nicht.

Fast hätte ich mir vor die Stirn geschlagen. Warum war ich da nicht selber drauf gekommen?

Ich schrieb ihm also.
Und sie fiel mir schwer, diese Mail. Im Entschuldigen war ich nicht die Größte... und was es noch erschwerte, war der Umstand – daß irgend etwas tief in mir drinnen immer noch darauf beharrte, daß ich eigentlich diejenige war, die im Recht war.
Aber ich leierte mir die Entschuldigung aus den Rippen. Sagte ihm offen, warum ich so reagiert hatte... warum es so lange gebraucht hatte, bis ich mich das erste Mal bei ihm gemeldet hatte... und schrieb ihm auch, wie sehr ich mich nach ihm sehnte.

Zwei Tage später las er die Mail. Ich bekam die Meldung. Aber Antwort bekam ich keine.

Arme Carla. Wieder hatte sie mich am Telefon. Entrüstet. Aufgebracht. Und verzweifelt. Warum reagiert er nicht? Bin ich ihm so gleichgültig? Warum tut er mir das an? Gott im Himmel, warum rege ich mich eigentlich so auf? Ich sollte ihn vergessen...
Wäre ich der Typ, der zum Nägelkauen neigt... ich hätte sie mir in diesen Tagen bis zur Wurzel abgenagt...
Ich schlief schlecht... aß kaum... war gereizt und unausgeglichen... und hatte das Gefühl, einen wichtigen Teil meiner Persönlichkeit zu verlieren... gegen meinen Willen, er entglitt mir einfach so... ich konnte es nicht verhindern.

Carla amüsierte sich insgeheim prächtig. Manchmal lachte sie mich sogar offen aus. Es sei wirklich bemerkenswert, wie gut dieser Mann mich am Gängelband hielte, meinte sie. Wie gut er sich darauf verstand, an den richtigen Fäden zu ziehen... sie bewundere ihn dafür.
Ich schmollte, war ihr beleidigt. Warum hielt sie jetzt auch noch zu ihm?
Statt mich zu verspotten, solle sie doch lieber mit mir überlegen, wie ich diese „Missetat“ ausbügeln könne und sie wiedergutmachen.
Darüber konnte sie auch nur lachen.
„Du hast doch alles versucht!“ grinste sie. „Du hast dich entschuldigt, bist zu Kreuze gekrochen... hast dich selber verleugnet... was willst du denn noch tun?“
Ich seufzte. Gute Frage.
Sie schüttelte den Kopf und lächelte mich mitfühlend an.
„Sieh es doch ein... du kannst nichts mehr tun. Es ist seine Entscheidung!“

Zum Teufel... seine Entscheidung!
Alles in mir sträubte sich dagegen. Ich wollte dies nicht anerkennen.
Seine Entscheidung... das bedeutet, daß mir die Hände gebunden sind. Daß ich nichts tun kann... nicht aktiv werden. Daß ich warten muß. Geduldig sein. Zurückhaltung üben. Meine Güte... ICH? Geduldig? Zurückhaltend? Lachhaft... so gottverdammt lachhaft...

Carla nahm mich in den Arm, nachdem ich einen Schnaps abgelehnt hatte (ein Schnaps war immer ihr Allheilmittel, egal gegen welches Wehwehchen!) und tröstete mich.
„Gib doch nicht einfach so auf, Sisa!“ meinte sie aufmunternd. „Du hast ihm gut gedient, denkst du, er würde dich wegen so einer Lappalie einfach verstoßen?“v Lappalie? Nun, ich fragte mich, ob es das in seinen Augen wirklich gewesen war... eine Lappalie. Ich war mir dessen nicht so sicher...
Aber ich schenkte Carla ein schiefes Grinsen... und spielte ihr eine Zuversicht vor, die ich gar nicht empfand.
„Nein... sicher nicht, du hast recht... er weiß schon, was er an mir hat!“

Leider fühlte ich diese Zuversicht, die ich ihr vorgespielt hatte, nicht wirklich... im Gegenteil... ich hing völlig in der Luft und merkte, wie ich mich langsam mit dem Gedanken abfand, daß ich nicht mehr die Sklavin des Earls war.
Fast täglich saß ich vor dem PC, sah daß auch er online war... hatte das Mitteilungsfenster an ihn offen und wagte es nicht, auch nur eine einzige Silbe an ihn zu senden.
Längst war es nicht mehr Stolz, der mich davon abhielt.
Sondern schlicht und einfach die Erkenntnis: Angst... ich hatte Angst. Wieder abgewiesen zu werden... noch mal ignoriert zu werden.
Also ließ ich es lieber sein und schrieb ihn nicht an.

Einen ganzen Monat später schellte das Telefon. Unverhofft.
Ich meldete mich gedankenverloren, ohne aufs Display zu schauen, wer denn der Anrufer war... und erschrak, als ich plötzlich seine Stimme im Ohr hatte. Erschrak so sehr, daß das Handy meinen kraftlos gewordenen Fingern entglitt... die Abdeckung aufsprang und der Akku herausflog. Verbindung unterbrochen.
Mit einem fassungslosen Stöhnen starrte ich auf die Bescherung. Ungläubig. Jetzt hast du es ganz vermasselt, dachte ich mir... jetzt denkt er, du hast aufgelegt... und DAS verzeiht er dir nie!
Ich brachte es nicht fertig, mich zu bewegen... noch einen klaren Gedanken zu fassen... ich stand einfach nur da und starrte auf die Teile des Handys. Hörte das Blut in meinen Ohren rauschen und fühlte das Herz in meiner Brust, schwer und widerwillig schlagen.
Raffte mich dann auf.
Es hatte keinen Sinn, den Kopf in den Sand zu stecken...

Das Handy war schnell wieder hergestellt, der Akku eingesetzt... und die SMS auch schnell getippt. Ich war mir nicht sicher, ob er mir glauben würde... aber ich schrieb ihm die Wahrheit.
Daß ich nicht mit seinem Anruf gerechnet hatte... und beim Klang seiner Stimme so sehr erschrak, daß mir das Handy aus der Hand gefallen war. Und ein ganz kleines, demütiges „Es tut mir leid“...

Wieder Bangen. Wieder Hoffen.
Man fängt an zu beten, obwohl man gar nicht gläubig ist.
Und wagt es doch nicht, sich zu große Hoffnungen zu machen...

Aber er antwortete...
„Ich weiß, daß du nicht auflegen würdest! Sei in einer Stunde auf dem Parkplatz, wo ich dich das erste Mal abgeholt habe...“

Zwei Sätze. Sie gaben mir alles zurück.
Alles, was wichtig war für mich.
Hoffnung. Zuversicht. Den verlorengeglaubten Aspekt meiner Persönlichkeit – die Sklavin. Demut. Selbstvertrauen. Einfach alles...

Die Stunde ließ mir – wieder mal, wie so bei ihm üblich – nicht viel Zeit.
Nun ja, es wäre noch soviel Zeit gewesen, mich gebührend anzuziehen... aber ich beschloß, hoch zu pokern. Wenn schon, dann spielte ich mit vollem Einsatz...
Und wenig später saß ich in meinem BMW und brauste so schnell es die Witterung zuließ, über die winterliche Straße nach München rein.

Stand dann auf dem Parkplatz bei Osram, an den Isarauen... im Licht der schon sehr tief stehenden Wintersonne, fest in den roten Mantel gekuschelt... mit nichts darunter, als einem paar kniehoher schwarzer Stiefel.
Mein Pokereinsatz... eben... und einem jubeln – denn es war nicht von der Augenbinde die Rede gewesen! Die hatte er wohl vergessen…

Jemand kam den Weg entlang... schaute sich suchend um... und ich erstarrte, als derjenige direkt auf mich zukam.
Es war nicht der Earl. Es war eine Frau... jung, sehr jung... und hübsch... und ich erstarrte.
Ich wußte schon, wer sie war, noch bevor sie sich mir mit einem Lächeln vorstellte. „Hallo... ich bin Nadine! Martin schickt mich, ich soll dich abholen!“

Ich gestattete mir nicht, diese Aktion zu hinterfragen. Auch wenn sie sich noch so sehr aufdrängte, die Frage... warum schickt er mir seine andere Sklavin?
Sie lächelte mich offen an – gerade so, als wüßte sie, was ich dachte und meinte dann launig:
„Unser Meister meinte, du würdest gerne ein echtes Bondage sehen... hier, schau!“
Und mir fielen fast die Augen aus dem Kopf, als sie einfach ihren Mantel öffnete.
Welche Ironie, wie ich war sie darunter nackt und trug nur Stiefel... aber obendrein ein wahres Kunstwerk an Schlingen, Knoten... und was weiß ich nicht noch alles.
Perfekt. Wie auf den Bildern, die ich im Internet gesehen hatte.
Jeder Knoten saß, wo er sitzen mußte... um ihren üppig weiblichen Körper ins rechte Licht zu rücken. Ich genierte mich nicht, sie ganz genau anzusehen – dazu war ich auch viel zu neugierig... und ich war wirklich beeindruckt.
Ihre Brüste waren prall geschnürt, ohne abgebunden zu sein... pralle Kugeln mit unter der Haut sichtbaren, bläulichen Adern... das Seil führte auch zwischen ihre Schenkel... Sie folgte meiner Blickrichtung und lächelte wieder, spreizte sogar die Beine... so daß ich sah, daß durch ihre ganze Spalte eine Reihe Knoten verteilt war... angefangen vom Schambein, sich verlierend irgendwo zwischen ihren Schenkeln... und sie war naß. Die Feuchtigkeit glänzte an der Innenseite ihrer Schenkel, nässte die Haut.
„Erregt dich das?“
Sie grinste. „Sieht man doch... Martin weiß schon, wo er welchen Knoten anbringen muß, um mich um den Verstand zu bringen...“

Was mich wieder auf den Gedanken brachte, was ich hier sollte und wozu das ganze gut war.
Wieder schien sie meine Gedanken zu erraten. „Ich soll dich zu ihm bringen!“
„Wozu?“ Meine Stimme klang nicht so sicher, wie sie sollte... aber darüber sah sie hinweg.
„Das weiß ich nicht... das wird er uns schon selber verraten! Komm mit... mein Wagen steht da drüben...“
Ich folgte ihr zu dem kleinen Panda und seltsam, es erstaunte mich kein bißchen, als sie mir einen Augenbinde reichte, kaum daß ich auf dem Beifahrersitz saß.
Mit einem Seufzer legte ich die Brille ab und verband mir die Augen... war ein weiteres mal blind ausgeliefert.
Die Fahrt dauerte nicht lange... den Weg durch die Tiefgarage zum Lift kannte ich schon. Aber diesmal gab es keine Verzögerungen... keine Pleiten mit ungebetenen Zuschauern... und keine zehn Minuten später stand ich Martin in seiner Wohnung gegenüber.
Er befahl Nadine, mit den Mantel abzunehmen... und sofort kam dann die Frage, ob sie und ich uns abgesprochen hätten.
Nadine kicherte unbefangen und meinte, nein, das wäre nur ein Zufall... ich war nicht in der Lage, irgendetwas zu sagen. Natürlich bemerkte er meine Wortkargheit sofort.
„Sieh an... du bist ja heute so zurückhaltend!“ höhnte er... in einem Ton, der mir eine Gänsehaut bescherte. „Wenn du doch immer so demütig wärst!“ setzte er noch drauf. Ich zuckte zusammen... biß mir auf die Lippe... aber schwieg stur.
Wenn er etwas von mir wissen wollte, würde er es schon sagen...
Außerdem war ich viel zu sehr mit der Überlegung beschäftigt, was das hier werden sollte... mit uns dreien...

Er trug Nadine auf, mich ins Wohnzimmer zu geleiteten... die Stiefel sollte ich anlassen... und dann folgte ich zögernd dem Mädchen. Es ließ mich dann einfach stehen und ich hörte, wie der Earl ihr auftrug, einige Sachen zu holen.
Als sie weg war, trat er dicht an mich heran – ich roch sofort, wie nahe er war! – und fragte mich leise, warum ich gekommen sei.
Ich schluckte.
„Weil ich hoffe, daß du mir verzeihst, Meister!“ antwortete ich dann ehrlich.
Er lachte. Hart. Gar nicht so, wie ich es von ihm gewohnt war.
„Warum sollte ich das tun?“
Darauf wußte ich beim besten Willen keine Antwort. Ich ließ den Kopf hängen und schluckte leise... fühlte Schuldbewußtsein in mir brennen.

Das Mädchen kehrte zurück... und dann hörte ich es leise klirren. Schrak nur kurz zurück, als es sich schwer und kühl um meinen Hals legte... und fühlte das innerliche Zittern, als er das Halsband eng und zügig befestigte.
Noch einmal klirrte es... ich horchte auf. Das war eine Kette! Und dann zog ein Gewicht das Halsband am D-Ring nach unten und die Kette pendelte kühl immer wieder gegen die erhitzte Haut meines Oberkörpers. Ich erschauderte.

Er zog an der Kette... bis ich ihm folgte. Zwei, drei Schritte... dann hieß er mich anzuhalten.
Hinzuknien.
Wieder klirrte die Kette, etwas rasselte... und ich ahnte, daß er mich gerade irgendwo fest gekettet hatte.
„Was erhoffst du dir für jetzt?“ fragte er wieder, ohne Vorwarnung.
Ich seufzte unhörbar.
Das mit der Verzeihung wollte er nicht hören... also gab es nur noch die andere Möglichkeit.
„Die verdiente Strafe...“ wisperte ich widerwillig.
Der Earl knurrte.
„Wer sagt dir, daß du nicht schon die ganze Zeit bestraft wirst?“
Und ich schluckte wieder.
Er hatte recht... das konnte ich nicht wissen.

Martin kümmerte sich nicht weiter um mich, sondern widmete sich seiner Nadine. Ich hörte ihn mit ihr plaudern, hin und wieder amüsiert lachen... er unterhielt sich prächtig.
WAS er mit ihr machte, wußte ich nicht... aber es schien ihr zu gefallen, denn irgendwann erstarb ihre Mädchenstimme und ging in leise, glückliche Seufzer über.
Jeder einzelne Ton schnitt sich in mein Herz wie ein Dolch. Ich erschauderte. Und irgendwann brannte sich ein Gedanke in meinen Kopf, den ich einfach nicht mehr verbannen konnte.
Wenn er mich wirklich gerade bestrafte... und wenn auch schon die letzten vier Wochen Strafe waren... bei Gott, dann kannte mich dieser Mann schon besser, als jeder andere zuvor.
Denn es schmerzte höllisch, so ignoriert zu werden.
Und nichts anderes tat er nämlich.
Er ignorierte mich einfach nur. So, wie er mich vier Wochen lang ignoriert hatte.

Das Mädchen schien glücklich zu sein... immer wieder seufzte sie, leise, erfüllt... hingebungsvoll. Und ich krümmte mich.
Das Halsband grub sich schwer in meine Haut, von der Kette am D-Ring nach unten gezogen. Ich schlang die Arme um mich. Versuchte, die Geräusche aus meinem Bewußtsein zu verbannen. Ich wollte nicht hören, wie gut es ihr gefiel.
Meine Knie protestierten längst gegen das Knien auf dem Parkettboden. Ich war noch nie eine geduldige, ausdauernde „Knieende“ gewesen – und bewunderte Sklavinnen, die ewig lange regungslos knien konnten, unheimlich.
Ich statt dessen veränderte immer wieder die Stellung, vergeblich darum bemüht, eine bequemere Unterlage für meine malträtierten Kniescheiben zu finden... und gab der Versuchung, und dem Schmerz schließlich nach, beugte mich nach vorne und krümmte mich regelrecht zusammen, zu einer kleinen Kugel... und entlastete die Knie. Ich verkroch mich regelrecht in mich selber...

Er ignorierte mich noch immer.
Es schien, als war er fertig mit ihr. Sie kicherte, als er etwas zu ihr sagte... und dann ankündigte, daß er sie „befreien“ würde. Wieder verging eine ganze Weile, dann beschied er ihr, daß sie sich verabschieden dürfte.
Wenig später klappte die Wohnungstür und ich horchte auf.
Wir waren jetzt also alleine. Er und ich. Mein Meister, und ich die Sklavin.

Aber ich wurde weiterhin ignoriert. Einfach übersehen.
Er holte sich etwas zu trinken aus dem Kühlschrank... ich hörte das Zischen, als er die Bierflasche öffnete... sein genüßliches Seufzen, als ginge es ihm höllisch gut. Dann Geräusche, die besagten, daß er es sich auf der Couch gemütlich machte... und dann, unglaublich... er schaltete den Fernseher ein.

Etwas in mir wollte sich aufbäumen. Dagegen protestieren. Wild aufbegehren, weil ich es satt hatte, einfach ignoriert zu werden, als wäre ich ein Möbelstück. Doch etwas in mir, das ebenso stark war, hielt mich davon ab.

Strafe!
Dieses eine Wort hämmerte in meinen Gedanken.
Ja, er bestrafte mich. Und die Art, wie er mich bestrafte... war schwerer zu ertragen, als ich es jemals für möglich gehalten hätte!
„Was denkst du jetzt?“ sprach er mich plötzlich an und platzte mitten in meine Gedanken hinein. Ich war so überrascht davon, daß ich einfach die Wahrheit raussprudelte.
„Daß ich jetzt lieber deinen Stock küssen würde, als so von dir ignoriert zu werden!“ seufzte ich – und erschauderte dann. DAS hatte ich ganz sicher nicht sagen wollen – egal, wie wahr es war.
Lachen. Grimmig. Etwas ungläubig.
Sicherlich schüttelte er jetzt den Kopf.
Und dann knurrte er: „Du bist ein harter Brocken...“

Ich wußte nicht so recht, was er damit meinte. Und so schwieg ich lieber. Er ignorierte mich wieder... schaltete den Ton des Fernsehers wieder lauter und schaute das Spiel an. Schien mich zu vergessen...
Ich versuchte abzuschätzen, wie lange ich nun schon bei ihm war. Unmöglich, zu sagen... ob es eine Stunde, zwei oder drei waren. Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren.
Nur anhand der Kommentare des Sportreporters erkannte ich, wieviel Zeit JETZT verging... und dann war endlich die zweite Halbzeit zu Ende und das Spiel vorbei. Längst war es Nacht.
Da ich keinen Befehl erhalten hatte, auf Knien zu bleiben, hatte ich es mir einigermaßen im Schneidersitz bequem gemacht und rieb mir immer wieder gedankenverloren die Kniescheiben. Dieser Parkettboden war auf Dauer höllisch hart...
Martin schaltete den Fernseher aus... summend wählte er eine CD aus, und dann klang Musik durch den Raum. Ein Feuerzeug klickte... Rauch durchdrang das Zimmer. Ich schnupperte... rätselte wieder einmal, was das sein mochte – es war keine Zigarette... aber auch keine Zigarre oder Pfeife... und er schien alle Zeit der Welt zu haben.
Die CD verklang... also mochte wieder ungefähr eine Stunde vergangen zu sein. Ich erkannte, daß ich dabei war, zu resignieren.

Strafe.
Teufel... was für eine Strafe.
Ignoriert werden. Nicht beachtet werden.
Stolz ade... Widerstand ade... es schmerzte. Schläge steckt man weg. Aber das?
Irgendwie war es mir nicht mehr möglich, an meiner Überzeugung festzuhalten, ungerecht behandelt zu werden. Schuldgefühl regte sich in mir. Und ich fing an, mich klein zu fühlen... bedeutungslos.
Es wäre mir lieber gewesen, er hätte sich nicht gemeldet und ich müßte jetzt nicht hier sitzen...
Leise seufzte ich. Zuckte dann zusammen. Hatte er das gehört?
Ich lauschte in die Dunkelheit der Augenbinde hinein... aber es erfolgte keine Reaktion.

Wieder summte er. Ich hörte Geschirr klappern. Wenig später zogen Essensdüfte durch die Wohnung. Er hatte wirklich die Ruhe weg. Als wäre er völlig alleine, bereitete er sich sein Abendessen... naja, und so gesehen – war er ja auch alleine. Ich war nichts.
Ich war niemand.
Ich war einfach nicht da für ihn.
Und irgendwie fing ich an, schon selber so zu denken.
Ein Nichts. Ein Niemand.
Mir war nach Heulen zumute...

Er war fertig mit dem Essen. Wieder klapperte Geschirr.
Er verschwand im Nebenzimmer. Ließ Wasser in die Wanne.
Ich veränderte meine Stellung wieder. Fühlte jeden Knochen. Zog probehalber an der Kette, wie lang sie wohl war. Nun, viel Spielraum ließ sie mir nicht. Knien – ja. Kauern, ja. Hinlegen? Nein! Aufstehen? Nein!
Ich kniete wieder. Beugte den Rücken durch, bewegte die Schulterblätter gegeneinander.

Ein Handy klingelte. Seines.
Er kam aus dem Bad, meldete sich fröhlich... und führte dann ein ewig langes Gespräch mit einer Kollegin. Kam mir ganz nahe, holte etwas aus dem Schrank. Und dann machte er sich Notizen. Ich hörte seinen Stift über Papier kratzen. Erstaunlich, was man alles hört, wenn man sonst nichts zu tun hat...
Und zuckte dann zusammen.
„Nein, ich habe nichts besonderes vor... habe es mir gemütlich gemacht, so alleine... Ja, ein richtig fauler Fernsehabend. Hast das Spiel gesehen?“
So alleine...
Wie bitter das schmeckte... wieder ein Dämpfer mehr!
Ich sackte in mir zusammen.

Dann horchte ich auf. „Möchtest du nicht vorbei kommen, dann trinken wir zusammen einen Roten?“
Ich war wirklich nicht da für ihn.
Ich schluckte schwer gegen das Halsband. Ordnete meine Gedanken. Wie würde er seiner Arbeitskollegin wohl meine angekettete Wenigkeit erklären?
Aber die Frage stellte sich nicht lange. Kollegin lehnte nämlich ab.
„Hast recht – ist wirklich schon spät. Dann verschieben wir auf ein andermal...“ Und beendete das Gespräch und legte auf.
Sekundenlang war ich versucht, etwas zu sagen... aber dann biß ich mir auf die Lippen und zögerte. Und er verschwand wieder vor sich hinsummend im Bad.

Wie lange kann es jemand in einer Wanne aushalten?
Nun, ich selber war ein richtiger Wassermolch, ich hielt es stundenlang aus... aber wie lang stundenlang eigentlich war, wurde mir erst jetzt bewußt. Weil ich diejenige war, die darauf wartete, daß ER wieder aus der Wanne stieg.
Er schien mich wirklich vergessen zu haben.
Oder ignorierte mich immer noch bewußt.

Ich war dem Verlauf der kurzen Kette gefolgt und lehnte jetzt mit dem Rücken gegen die Wand. Dort war ein Ring eingelassen und an dem hatte er die Kette befestigt. Beine untergezogen, Hände locker auf den Schenkeln, wartete ich. Und fragte mich, ob er mich wohl die ganze Nacht so bei sich behalten würde...
Meine Gedanken gingen noch weiter.
Tat er das tatsächlich... würde er mich dann auch morgen früh vergessen, und einfach in die Arbeit gehen? War ich dazu verdonnert, tagelang ignoriert zu werden – an der Kette hängend?
Ich schüttelte den Kopf.
Das würde er mir doch nicht antun, oder?
Wie sollte ich das meinem Mann, meiner Familie erklären?

Bevor ich gefahren war, hatte ich abgeklärt, daß niemand mich vermissen würde, wenn es später würde. Aber mein Alibi hielt nicht stand, wenn ich eine ganze Nacht wegblieb... oder gar noch länger...
Unruhe machte sich in mir breit. Unbehagen...
Aber das hielt nicht lange stand. Ich verbannte diese Gedanken. Dieser Situation würde ich mich stellen, wenn es wirklich soweit kommen sollte.
Damit würde ich fertig werden.
Nur... wie sollte ich mit meiner JETZIGEN Situation fertig werden?
Er kam wieder aus dem Bad. Ging geschäftig im Wohnzimmer hin und her, ein paarmal ganz dicht an mir vorbei, so daß mir sein Geruch in die Nase stieg. Einmal stieß er sogar gegen meine Beine, die ich der Bequemlichkeit halber ausgestreckt hatte – was bewirkte, daß ich sie schnell wieder anzog.

Eine neue CD... er öffnete sich noch ein Bier. Genoß es hörbar. Lauschte der Musik.
Ich war einfach nicht da für ihn.
Sisa, hast du das wirklich verdient?
Nein...
JA!

Es war nicht wichtig, wie ich darüber dachte.
Es zählte nur, welcher Meinung er war! Und seiner Meinung nach hatte ich es verdient... Ich seufzte leise... unglücklich...

Plötzlich klingelte es.
Ganz unbefangen ging er zur Tür, öffnete sie. Ich hörte einen Mann sprechen. Einen Nachbarn anscheinend.
Es ging wieder um das Fußballspiel.
Ich traute meinen Ohren kaum.
Martin lud den Nachbarn ein, in die Wohnung zu kommen. Er führte ihn in die Küche, unterhielt sich eine Ewigkeit mit ihm, leerte Bier um Bier. Jeder Spielzug wurde kommentiert, jeder Ball und jeder Schuß analysiert.
Und ich dachte mir nur: Oh mein Gott, du bist wirklich nicht da für ihn. Er ignoriert dich so vollkommen, daß er ganz vergißt, daß er dich in seinem Wohnzimmer angekettet hat. Was, wenn sein Besucher ins Zimmer kommt und mich sieht? Wie einen Hund an die Wand gekettet, nackt...
Was für eine Situation... schluckend schüttelte ich den Kopf, sank noch mehr in mich zusammen. Zweifelte an allem... an mir, an ihm... am ganzen Spiel, an den Spielregeln... an Gott und der Welt.

Der Nachbar wurde verabschiedet. Die Bierflaschen weggeräumt. Stille kehrte ein. Längst war auch die letzte CD verstummt.
Ich hörte seine Schritte nicht. Fühlte aber den Stoß gegen meine Fußsohle.
„Was ist... schläfst du?“
Ich zuckte zusammen, ruckte hoch... schüttelte den Kopf.
Konnte kaum atmen. Er sprach mit mir. Hatte mich zur Kenntnis genommen!

Er beugte sich über mich, löste die Kette von dem Ring... fast gierig saugte ich seinen Geruch in mir auf und sehnte mich nach einer Berührung von ihm. Wußte, ich hätte mich nur ein wenig vorbeugen müssen, und hätte ihn spüren können. Aber ich wagte es nicht.
Dem Zug der Kette folgend, bewegte ich mich nach vorne... auf alle Viere. Eine Weile ließ er mich so knien... dann zog er mich an der Kette hoch, bis ich stand. Auf zittrigen Beinen.
Der Earl sprach nicht. Wortlos nahm er mir das Halsband ab, warf es beiseite. Wieder klirrte die Kette daran. Das Geräusch ließ mich zusammenzucken.
Dann half er mir in den Mantel. Knöpfte ihn zu für mich. Führte mich aus der Wohnung, brachte mich in die Tiefgarage, und dann saß ich ein weiteres Mal in seinem flachen Wägelchen.

Bis zu dem Parkplatz war es nicht weit. Das war mir schon bei der Herfahrt mit Nadine aufgefallen. Martin parkte, ging dann um den Wagen herum und öffnete die Beifahrertür für mich, half mir beim Aussteigen. Führte mich zu meinem BMW, drückte mir den Autoschlüssel in die Hand.
Und sprach dann endlich.
„Ich hoffe, du hast deine Lektion gelernt!“ brummte er.
Ich seufzte. Dachte darüber nach. Hatte ich das? Vermutlich...
Also nickte ich. Wußte einfach nichts zu sagen.

Denn das, was ich so gerne gefragt hätte, wagte ich nicht auszusprechen.
Aber wieder einmal bewies Martin, WIE gut er mich kannte.
Lachen. Gar nicht grimmig diesmal. Und dann die fast freundliche Aufforderung: „Nun spucks schon aus, sonst erstickst du noch daran!“
Es war nur ein Wort.
„Warum?“
Ich sprach es aus und befeuchtete mit der Zungenspitze meine trockenen Lippen, war plötzlich ganz nervös. Welche Antwort würde er mir darauf geben?
Die, daß ich ihm einfach gleichgültig war?

Nein. Ich irrte.
Er streckte die Hand aus, folgte der Spur meiner Zungenspitze und streichelte meine Lippen.
„Weil das der einzige Weg ist, Vernunft in den Dickschädel meiner Sklavin einzubleuen!“ bekam ich zur Antwort.
Ich schluckte... staunte nicht schlecht. Wußte wieder einmal nicht, was ich DARAUF antworten sollte.
Er lachte erneut.
„Warum überrascht dich das? Denkst du, ich wüßte nicht, daß meine Sklavin aus lauter Sturheit lieber Schläge einsteckt, als zuzugeben, daß sie sich daneben benommen hat? Und kann sie sich nicht denken, daß ich weiß, daß diese Schläge rein gar nichts bewirken würden?“
Ein Nasenstüber. Er ließ mich zusammenzucken.
„Nein... DICH erzieht man mit anderen Methoden... wirkungsvoller. Das nächste Mal überlegst du es dir sicher zweimal, bevor du das Risiko eingehst, noch mal SO bestraft zu werden!“
Ich war fassungslos. Er hatte also ganz genau gewußt, was er mir antat, als er mich ignorierte.
Diese Erkenntnis mußte ich erst einmal verdauen. Meine Gedanken rasten. Dann schüttelte ich den Kopf. Wollte etwas sagen – aber wieder kam er mir zuvor.
„Stop – nein! Komm jetzt ja nicht auf den Gedanken, daß ich dich nie zur Strafe schlagen werde! DAS bleibt dir sicher nicht erspart! Aber daß diese Schläge keine erzieherischen Effekt haben werden, wissen wir beide... und deshalb lehne ich es auch ab, mit dir darüber zu diskutieren!“

Ich hatte meine Stimme wieder gefunden. Endlich.
„Ich würde nicht mit dir darüber diskutieren!“ wisperte ich. „Das steht mir nicht zu...“ Martin lachte laut. Er war zufrieden.
„Endlich siehst du das ein!“ kommentierte er gutgelaunt... und dann hörte ich seine Schritte, die sich entfernten. Schon beim Wagen, rief er mir noch zu: „Die Augenbinde bringst du mir das nächste Mal wieder mit!“ Und dann startete er den Motor und fuhr vom Parkplatz.

Ließ mich alleine... mit meinen Gedanken, die immer noch durcheinander wirbelten. Und der Erkenntnis, was für ein raffinierter Hund er war.
Ich mußte lachen.
Gott steh mir bei... aber ich fürchtete fast, in ihm hatte ich wirklich meinen Meister gefunden... und das meinte ich jetzt als FRAU... nicht nur als Sklavin!

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