(Lust und) Leid

Ich glaube das Wissen, dass Leid und Schmerz Teil einer BDSM Beziehung sein können, ist auch der Grund für manche Vorurteile, die einer solchen entgegengebracht werden. Die Vorstellung, Leid absichtlich zu erzeugen oder sich dieses zu wünschen, ist für viele einfach im ersten Moment eine kranke Vorstellung. In einer gesunden BDSM Beziehung ist das Leid aber nur ein kleiner Aspekt und fügt sich in ein Geflecht aus Hingabe, Vertrauen, Leidenschaft und eben auch Fürsorge ein.

Vor einigen Tagen unterhielt ich mich bei einer Veranstaltung länger mit einem Theologen, und an einem Punkt fasste ich meinen Standpunkt mit den folgenden Worten zusammen:

„Leid - und keinesfalls Freude - schafft die intensive Bindung zwischen einem gläubigen Menschen und seinem Gott.“ Im Glück denken die Menschen kaum an ihren Gott. Leiden sie hingegen, denken sie viel an ihn. Die Beziehung des Menschen zu Gott fußt also, zumindest zu einem beträchtlichen Teil, auf Leid und dem Wunsch nach einer fürsorglichen Instanz, welche einen behütet.

Das heutige Religionsverständnis ist geprägt durch unsere Zeit. War im Mittelalter Gott eine oftmals strafende Institution, steht er heute eher für Barmherzigkeit. Wer die Bibel als Grundlage der christlichen Lehren ansieht, wird für jeden Standpunkt Argumente finden. Sprüche 3,12 gibt eine mögliche Antwort, warum Gott Menschen leiden lässt: „Wen der Herr liebt, den züchtigt er, wie ein Vater seinen Sohn, den er gern hat.“*

Ohne blasphemisch sein zu wollen, will ich von dem einen Herrn nun zum anderen Herren kommen. Die gängigen gesunden Beziehungen von Menschen versuchen, Leid zu vermeiden. Leid ist aber in einer BDSM Beziehung, etwas das teilweise sogar forciert wird.

Leid ist ein Mittel, das eine Sub sehr eng an ihren Dom bindet, sie erträgt ihr Leid für ihn, sie schenkt ihm ihren Schmerz und ihre Tränen. Wer Leid ertragen muss, der fällt in ein tiefes Loch. Somit sind aber auch die guten Gefühle, die im Anschluss kommen können viel intensiver, einfach weil der Unterschied zwischen Leid und Freude bei weitem größer ist, als zwischen Alltag und Freude. BDSM lebt von diesen Gegensätzen und dem richtigen Einsatz ebensolcher.

 

Für mich gibt es drei Möglichkeiten, warum ich einer Partnerin Leid zufüge:

So paradox es klingen mag, ich will sie belohnen. Leid kann befreien und gerade Schmerz kann Mauern durchbrechen, was gefangene Emotionen befreit.

Auf der Hand liegt natürlich die Strafe. Als dominanter Part obliegt mir die Verantwortung und wenn ich sehe, jemand verhält sich falsch, muss ich regulierend eingreifen.

Leid kann der gegenseitigen Bindung dienen, es kann zeigen, ich dein Herr habe dich in der Hand, aber ich achte deine persönlichen Grenzen. Und egal wie tief du auch fallen magst, ich werde immer da sein, um dich wieder aufzufangen.

Leid, das der Lust dient, also der lustvoll empfundene Schmerz, ist für mich übrigens kein Leid sondern ich sehe diese Züchtigung als reine Belohnung an, da sie Freude erzeugt.


Der devote Part begibt sich in die Hände eines anderen Menschen und muss diesem vertrauen, dass dieser ihm kein zu großes Leid aufbürdet. Bürdet er ihm das richtige Maß an Leid auf dann fördert er ihn, denn wer an einem Leid nicht zerbricht, tritt aus dieser Situation meist gestärkt hervor.

Wenn für viele gilt „wer schön sein will muss leiden“, warum sollte für andere nicht auch gelten dürfen „wer glücklich sein will muss leiden“.

Eben da Leid in einer BDSM Beziehung ganz anders sein kann als in einem alltäglichen Kontext, ist es wichtig, dass die Ursache des Leids (meist ein Fehlverhalten) auch auf dieser und nicht auf der Alltagsebene begründet liegt dass sich das Leid eben auch nur auf diese Ebene beschränkt und es keine Sanktionen im normalen Alltag gibt. Durch die Begrenzung des Leids auf den gemeinsam abgesteckten Rahmen entfallen die Unsicherheit und der Vertrauensbruch der sonst durch vorsätzlich zugefügtes Leid entsteht.

* Anmerkung: Ich bin sehr religionsinteressiert und lebe nach den meisten Grundsätzen der großen Religionen, jedoch nicht weil ich gläubig bin. Die verbreitete theologische Meinung Leid könnte eine Ausprägung der Erbsünde sein, finde ich freundlich ausgedrückt hanebüchen, da ein höheres Wesen kaum so kindisch-emotional nachtragend wäre.

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