Ein blinder Dom

"Kann ich auch als Blinder BDSM auf der aktiven Seite praktizieren?"

Das ist die falsche Frage. Immer wieder hört man Fragen, die so ähnlich gestellt werden wie diese, aber ich habe mir seit langem angewöhnt, eher zu fragen: "Wie ist das möglich? Und was muss ich dabei beachten?"
Da dieser Artikel allerdings nicht von Inklusion handeln soll, sondern von BDSM und den Problemen, auf die man hier als Blinder stoßen kann, und ein paar Lösungsansätzen, soll das als Einstieg reichen und ich komme jetzt zu dem, was die Leser vermutlich mehr interessiert.

Kurz als Wissensgrundlage: Ich entdeckte BDSM schon vor bestimmt 10 Jahren. Bei meinen relativ wenigen Beziehungen habe ich mich allerdings nie getraut, das auszuprobieren. Mittlerweile bin ich seit einem Dreivierteljahr in einer festen Beziehung und führe meine Freundin langsam an das Thema heran. Von dieser Thematik will ich nicht weiter berichten, das würde den Rahmen sprengen und darüber gibt es schon genug Texte, hier soll es mehr um die spezifische Problematik gehen.

1. Literatur
Nahezu auf allen Webseiten, die sich mit dem Thema BDSM beschäftigen, bekommt man den Tipp bestimmte Bücher zu lesen, um sich eine ordentliche Wissensgrundlage zu verschaffen. Da gibt es eine ganz ordentliche Liste, aus der man wählen kann. Aber jetzt versucht mal, etwas davon als Hörbuch oder noch besser in Brailleschrift zu finden. Ich wünsche jedem, der es versuchen will, viel Erfolg bei der Suche.

Immer mehr Bücher bekommt man heutzutage als E-Book. Das letzte Mal, als ich es versucht habe, habe ich allerdings keinerlei Bücher über BDSM als für Blinde verwertbares E-Book gefunden (für Leute, die mit der Technik nicht so vertraut sind sei an dieser Stelle erwähnt, dass ein Kopierschutz leider auch verhindert, dass man das Buch mit einem Screenreader auslesen kann).

Also was tun? Nun gut, geben wir uns mit dem nächstbesten zufrieden und lesen jeden Artikel im Netz über das Thema, den wir in die Finger kriegen. Schnell trennt sich hier die Spreu vom Weizen, ich dachte immer einiges über BDSM zu wissen, aber seit ich die Seite gentledom.de gefunden habe, habe ich viel gelernt und mir wird klar, wie wenig ich weiß. ;-)

2. Knotenkunde
Das sollte ja kein Problem sein. Kurz gegoogelt und viele Videos und bebilderte Anleitungen gefunden. Für mich mit meinen grundlegenden Kenntnissen im Steilwandklettern, inklusive Karabiner ans Seil Binden und Knoten zum Sichern einer anderen Person, kriege das bestimmt auch ohne die Bilder hin. "... dann legen Sie das Seil noch einmal drunter durch und ziehen es fest." Ähm ja, das was ich hier in der Hand habe, ist ja ein ganz hübsch aussehendes Konstrukt, aber ein Knoten ist eigentlich dazu gedacht etwas festzuhalten, das wird hiermit wohl nur gelingen, wenn ich ein entsprechend dickes Tau nehme und Sub durch das Gewicht gehalten wird. *Seufz* Eigentlich wollte ich doch mit Seilen fesseln. zum einen, weil es mir gefällt und zum anderen, weil es günstig ist und ich als Student nicht gleich so viel Geld ausgeben wollte, zumal wir erst mal rausfinden müssen, inwieweit das überhaupt was für uns ist. Aber gut, einen Knoten, um die Hände zusammenzubinden kann ich, wird halt erst mal mit dem probiert. Nur wie dann das übrige Seil fixieren? Die Fesselung macht ja nur richtig Sinn, wenn Sub die Hände nicht nur zusammenhalten, sondern auch da lassen muss, wo ich sie haben will.
Ein Achterknoten (Bergsteigerknoten zum Befestigen des Karabinerhakens am Seil) würde natürlich funktionieren, aber den bekommt man nicht mal eben mit 2-3 Handbewegungen wieder auf. Zugegeben, wenn ich mich mit meinen 100 KG ins Seil hänge, dürfte der sich fester ziehen, als wenn meine Sub da ein bisschen dran zieht, aber nein, lieber nicht.

Zum Glück ist Man(n) ja erfinderisch. Ich habe hier doch ein paar Gurte rumliegen... Wunderbar, gleich gefunden was ich gesucht habe. Ein Nylon-Gurt mit einer Kunststoffschnalle zum Verschließen, wie man sie von den Brust- oder Hüftgurten von guten Rucksäcken kennt. Und längenverstellbar ist er auch noch, durch eine Spange wie bei einem herkömmlichen Reisetaschengurt. Der wird im vorliegenden Fall einmal um das Kopfteil vom Bett gelegt (ein einzelnes Brett, das Schlussstück vom Lattenrost oder was auch immer), die Enden des Seiles werden zusammengeknotet (jetzt kommt der Achterknoten doch noch zum Einsatz) und das Seil wird dann in den bis dahin geöffneten Gurt gehängt. Jetzt kann durch simples Zusammendrücken der Schnalle das Seil aus dem Gurt gelöst werden, und der Knoten um die Handgelenke löst sich bei freien Seilenden, auch wenn diese zusammengebunden sind, fast von selbst. 

Anmerkungen: Natürlich hat nicht jeder so einen Gurt zur Hand, aber ich gebe hier ja nur Anregungen. Mit Panikhaken aus dem Baumarkt kann man hier sicher auch eine Kostengünstige und sichere Methode improvisieren. Wer eine Beschreibung für den Knoten will melde sich bitte per PM im Gentledom-Forum (Anmerkung, dies können nur angemeldete Nutzer). Mittelfristig werde ich bei weiterem Interesse vermutlich in ordentliche Ausstattung und einen Fesselkurs investieren.

3. Züchtigung Oder: Wo hab ich dich grade getroffen Schatz?

Solange man nur mit der Hand schlägt, kein Problem. Jedenfalls für mich nicht, über vier Jahre Wing Chun haben mich gelehrt, dahin zu schlagen, wo ich hin schlagen will. Außerdem ist es kein Problem, die Hand auf die Stelle zu legen, auf die man schlagen will, bevor man es tut.

Interessanter wird es, wenn man Schlagwerkzeuge einsetzt. Für alle gilt erst mal, dass man, zumindest anfangs, einen Fixpunkt als Hilfe zum Zielen benutzen sollte. Heißt also immer Körperkontakt aufbauen. Natürlich nimmt das vielleicht ein Stück weit den Überraschungseffekt raus, aber dazu kann ich nur sagen: Pech gehabt! Mir ist bisher keine Methode bekannt, mit der zumindest Anfänger ihren Sub überraschen können, ohne gleichzeitig elementare Sicherheitsregeln zu missachten. Bei Fortgeschrittenen mag das möglich sein, ich selbst bin aber noch lange nicht so weit und werde mit Sicherheit auch auf mittelfristige Sicht keine derartigen Experimente machen. Für den Anfang empfehle ich außerdem, mit eher kürzeren Schlagwerkzeugen zu hantieren, da diese erheblich besser einzuschätzen sind. Auch ob man steife bzw. elastische Werkzeuge wie Paddel, Gerten oder Rohrstöcke, oder lieber frei schwingende wie Peitschen benutzt, macht eine ganze Menge aus.

Ok, kommen wir zum Fixpunkt. Hier habe ich einige selbst ausprobiert, andere sind Vermutungen, wie es ordentlich funktionieren könnte.

Sub steht vornübergebeugt oder kniet in der Hündchenstellung: Für Züchtigung von Po und Oberschenkelrückseiten empfehle ich die freie Hand oberhalb des Steißbeins zu platzieren. Ist der Rücken das Ziel, sollte man Schultern oder Nacken als Fixpunkt wählen. Der Po ist hier natürlich auch eine Möglichkeit, jedoch rate ich zumindest ganz unerfahrenen Doms entschieden davon ab, da dann die Gefahr besteht, den Kopf zu treffen. Erfahreneren Doms wird es meist reichen, mit den Beinen oder der Hüfte Kontakt zu Flanke, Schultern oder Gesäß aufzunehmen.

Sub steht aufrecht:
Hier bietet sich Kontaktaufnahme an der Schulter an, damit hat man einen ordentlichen Fixpunkt für nahezu den ganzen Körper, vorausgesetzt man berührt Sub nicht nur flüchtig, sondern legt wirklich die ganze Hand auf die Schulter und streckt die Finger dabei Richtung Brust oder Rücken aus. Eine andere Möglichkeit für etwas bessere Kontrolle ist es, die Hand 90 bis 180 Grad versetzt zum Zielgebiet zu platzieren. Hat man beispielsweise den Hintern im Auge, bietet es sich an, die Hand in die Flanke oder auf den unteren Bauch zu legen. Von Kontaktaufnahme mittels Fuß oder Wade zu Unterschenkel oder Wade rate ich dringend ab. Ihr merkt nicht, was Sub mit dem Oberkörper tut. Und selbst beim Zielen auf die Oberschenkel oder Wade ist es schwer, beide Beine zu kontrollieren, außer die Füße von Sub stehen wirklich direkt nebeneinander. An der Schulter hingegen lassen sich Beinbewegungen mit etwas Übung durch die Verlagerung des Gleichgewichtes erkennen.

Ich denke das reicht mal als Anregung, wenn jemand zu irgendeiner Stellung eine Idee braucht, kann er sich gerne an mich wenden.

Passt nur bei allen vorgeschlagenen Methoden auf, dass ihr euch nicht auf die Fixpunkt-Hand schlagt. Das ist nicht nur peinlich, sondern bedeutet außerdem vermutlich, dass ihr nicht sonderlich viel Kontrolle darüber habt, wo ihr hin schlagt. ;-)

Ich vermute übrigens, dass die meisten von uns zumindest den Umgang mit festen und elastischen Schlagwerkzeugen sehr schnell lernen werden, schließlich sind wir es gewöhnt, mit einem Stock da anzukommen, wo wir hin wollen. Wem ich mit der Aussage grade eine Anregung für ein unauffällig mitführbares Züchtigungsinstrument gegeben habe, vergesst es. Erstens wird das untere Ende des Blindenstocks mit der Zeit enorm dreckig und zweitens sind zumindest Klappstöcke, die man ja am häufigsten antrifft, nicht dazu geeignet, weil sie sich bei einer Schlagbewegung auseinanderziehen (nein, hab ich nicht an meiner Sub getestet, sondern damals an meinen Mitschülern ;-)). Andererseits hab ich mal einen Kohlefaserstock aus einem Stück gesehen... wenn man den nur dafür verwendet... hmm, hätte ja schon Stil...

4. Vertrauen
Vertrauen sollte natürlich in jeder Beziehung vorhanden sein... noch mehr in einer BDSM-Beziehung. Das gilt natürlich mehrfach, wenn der dominierende Part blind ist. Sub muss Vertrauen mitbringen, dass Dom weiß, was Dom tut, aber auch Dom muss Sub vertrauen. Einfaches Beispiel: Dom geht etwas holen und befielt Sub auf den Boden zu schauen und nicht zu spicken, was Dom holt. Als Blinder hat man jetzt keine Möglichkeit nachzuprüfen, ob sich Sub daran hält. Viele Dinge merkt man, weil auch kleine Bewegungen Geräusche verursachen, derer sich die meisten Sehenden nicht bewusst sind. Aber die Bewegung eines Auges? Nein, keine Chance. Also muss Sub ehrlich genug sein, auf eine entsprechende Frage die wahre Antwort zu geben, bzw. von sich aus einen derartigen Hinweis geben. Natürlich gibt es die Möglichkeit Sub die Augen zu verbinden, was ja sowieso viele machen und was sich natürlich besonders bei einem blinden Dom anbietet, aber außer für eine Spielbeziehung oder ähnliches würde ich es nicht aus diesem Grund machen wollen. Meine Partnerin muss in diesem Punkt ehrlich zu mir sein und fertig.

5. Kommunikation So ziemlich jeder, der etwas über BDSM zu sagen hat, was sich nicht auf ein "Geh auf die Knie Sklavin" als Anmache beschränkt, betont die Wichtigkeit von Gesprächen. Auch das trifft für unsere Situation im Besonderen zu. Beispielsweise habe ich mich entschlossen, vollständig auf Knebel zu verzichten, da ich die Mimik meiner Sub gar nicht und ihre Gestik nur sehr eingeschränkt als Richtschnur verwenden kann. Somit bin ich auf verbale und sonstige akustische Informationen angewiesen.

6. Zum Schluss Als Gentledom mich fragte, ob ich nicht einen Artikel zu diesem Thema schreiben möchte, war meine erste Reaktion in etwa "Ich? Aber ich bin doch ein Anfänger, was soll ich da überhaupt schreiben, ich weiß doch gar nicht so viel darüber.“ Dann hab ich doch mal angefangen, mit dem Vorsatz, es zumindest zu versuchen. In Zukunft darauf zu achten, was ich wie mache und mir Gedanken zu Problemen zu machen. Nicht mal zwei Stunden später sitze ich jetzt vor einem ersten Entwurf mit über 1500 Worten und wundere mich, an wie vielen Stellen ich mich bremsen musste, um den Artikel nicht völlig ausufern zu lassen.

Wenn noch irgendwelche Fragen offen geblieben sind, sprich mich bitte im Gentledom-Forum an, bei entsprechendem Interesse schreibe ich auch gerne noch weitere Artikel, die bei dem einen oder anderen Problem mehr ins Detail gehen.

MisterH

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