Vertrauen bei chronischen Krankheiten
Jeder chronisch kranke oder körperlich eingeschränkte Mensch nimmt seine Beeinträchtigung anders wahr. Genauso wie jeder sein BDSM anders auslebt und empfindet. Kommt beides zusammen, wird es vor allem eines – intensiv.
Im Grunde könnte ich für verschiedene Krankheitsbilder Beispiele liefern, da ich mit mehreren chronischen Begleitern gesegnet bin. Ich werde aber hier nur auf zwei Dinge eingehen, die vor allem für BDSM relevant sind. Und leider trifft man auch immer mehr auf Menschen mit Diabetes. Das andere „Ding“ sind vielmehr mehrere Dinger, dabei handelt es sich um eine Versteifung der oberen Wirbelsäule mit Titanverschraubung.
Die Zuckerkrankheit dürfte den meisten bekannt sein, ich werde jetzt also nicht auf die biochemischen Vorgänge eingehen. Wichtig ist nur die Unterscheidung zwischen Typ 1 und 2. Während Typ 2 mittlerweile nämlich fast als Volkskrankheit gilt, die vor allem im Alter oder bei ungesunder Lebensweise auftritt, ist der Typ 1 seltener und tritt zum Teil auch schon im Kindesalter auf. Mein Körper entschied sich mit 1 dazu, die Insulinproduktion aufzugeben. Hatte wohl Wichtigeres vor.
Den meisten wird die Spritzentherapie bekannt sein, mittlerweile vielleicht auch die Insulinpumpentherapie. So eine trage ich im Alltag. Für “besondere Aktivitäten“ kann Ich die Pumpe abkoppeln und weglegen.
Zur Rückenoperation gibt es nicht viel zu erzählen. Meine Wirbelsäule hatte einen halben Wirbel zu viel (oder zu wenig, wer eher der „Glas ist halb leer“ Typ ist) und war deshalb dementsprechend geknickt. Falls ich also nicht durch ein eingeklemmtes Rückenmark gelähmt werden wollte, musste ich mir Schrauben und Stäbe einsetzen lassen.
Was Schmerz angeht, hat mich diese Erfahrung wohl ebenfalls geprägt. Ist in diesem Beitrag allerdings kein Thema.
Mein Rücken beeinflusst mich logischerweise vor allem durch die Einschränkung in manchen Bewegungen. Ich werde also nirgends komplett in Seile gewickelt von der Decke baumeln (wobei hier nur die Art der Fixierung stört, nicht das von der Decke Baumeln) oder in irgendeiner verdrehten Position mit gebeugtem Nacken jemandem einen blasen (auch hier gibt es andere Wege). Hier muss man einfach ausprobieren, was geht und was der Körper mitmacht.
Zudem muss ich gestehen, dass mich wahrscheinlich sogar mehr meine Psyche als mein Körper von gewissen Dingen abhält. Würde ich mich gern auspeitschen lassen? Ja. Auch auf dem Rücken? Ja, unter gewissen Bedingungen. Habe ich je genügend Vertrauen aufgebaut, um es durchzuziehen? Nein, absolut nicht.
Viele BDSM Fantasien bleiben, zumindest bei mir, wohl eher Fantasien. Das betrifft im Grunde die Sub in mir, weil ich nie jemanden als Dom akzeptiert habe. Ich denke, es geht vielen chronisch kranken Frauen so. Weil man einfach gelernt hat, auf sich selbst aufzupassen. Man könnte also sagen, ich lebe BDSM gezwungenermaßen als Switch, weil ich ohne meine Krankheiten wahrscheinlich eine reine Sub wäre. Das kann bei anderen die weniger Vertrauensprobleme haben oder generell eben anders ticken als ich, natürlich ganz anders aussehen.
Es ist nämlich verdammt schwer, als junge Frau einen vernünftigen Dom zu finden, der nicht ausnutzt und die Verantwortung dahinter versteht. Wenn ich mich als Kranke in Deine Hände begebe – auch wenn man(n) mir niemals meine Krankheiten ansieht – dann muss ich darauf vertrauen können, dass Du mich lesen kannst, und das zu jeder Zeit. Und das beinhaltet eine andere Art von Intensität.
Meiner Erfahrung nach sind kranke Menschen empfindlicher und auch viel offener für die Empfindungen des eigenen Körpers. Das erfordert viel Feingefühl vom anderen Part. Sowohl, was die Reize an sich betrifft, als auch meine Reaktionen darauf.
Wenn beispielsweise mein Blutzucker absinkt, bin ich in Ekstase nicht immer sofort in der Lage, ihn zu spüren (den Blutzucker :-) ) – mein Gegenüber muss sich also gezwungenermaßen damit auseinandersetzen, welche Anzeichen er bei mir finden kann. Und dann muss er wissen, wie er mir helfen kann oder was dann zu tun ist. (Es ist, denke ich, auch nicht verkehrt, ein zweites Safeword festzulegen, welches nur für einen Abbruch aus medizinischen Gründen genutzt wird, aber das macht jeder für sich aus).
Dabei ist es, glaube ich, nicht mal unbedingt nur das Vertrauen, welches wir als Kranke in den anderen setzen müssen… sondern wir zeigen uns von einer sehr verletzlichen und verwundbaren Seite. Und wieder, ich kann nicht für jeden sprechen, aber mir geht es so. Dabei sollte man Verwundbarkeit nicht mit Schwäche verwechseln.
Man wird oft genug mit Mitleid angesehen. Sobald die Menschen von einer Krankheitsgeschichte erfahren, ändert sich damit oft auch das Gesamtbild von dir. Ich habe mich nie schwach gefühlt. Im Gegenteil, ich sehe es als Stärke an. Ich habe mit 23 Jahren eine Geschichte hinter mir, die tatsächlich ein Leben sein könnte. Ein gesundes Kind zur Welt gebracht und lebe sogar allein mit diesem. Im Alltag fragt mich niemand nach meinen Krankheiten, weil sie nicht sichtbar sind. Ich leiste also genauso viel oder wenig wie alle anderen. Aber wenn es dann um den Sex geht, da müssen die Dinge auf den Tisch. Trotzdem will ich mich auch in diesem Bereich ausleben, wie ich es will. Und oft wollen gerade Menschen mit Behinderung besonders intensiv leben.
Krankheiten oder Einschränkungen sollten niemals verheimlicht werden – vor allem im BDSM Bereich. Das Risiko ist schlicht zu hoch. Wie in allen anderen Bereichen des Lebens liegt der Schlüssel oft in der richtigen Kommunikation. Und dem Willen, gemeinsam damit umzugehen.
Autorin Cin