Rollenkonflikt durch erlebten Missbrauch

Immer wieder stößt man im BDSM Bereich auf Menschen, denen in der Kindheit Gewalt oder Missbrauch in sexueller Form widerfahren ist.

Warum taucht dieses Thema im Bereich BDSM immer wieder auf? Ist die Anzahl der Opfer im BDSM Bereich höher, als im Bereich der „normalen“ Sexualität? Recherchen ergaben keine sinnvolle Antwort. Meiner Meinung nach setzen sich Menschen, die BDSM ausleben, intensiver mit dem Thema Sexualität und den dazugehörigen Wünschen, Fantasien und Ängsten auseinander, was zur Folge hat, dass sie auch häufig reflektierter mit sexuellen Übergriffen umgehen. Demnach wird hier das Thema offener auf den Tisch gelegt, da hier ein ohnehin sehr offener Umgang mit Sexualität stattfindet. Dies soll nicht heißen, dass Leute, die sich im BDSM Bereich bewegen, besser mit der Thematik umgehen und soll vor allem auch nicht heißen, dass BDSM eine heilsames Mittel ist oder eine Therapie ersetzt. Trotzdem glaube ich nicht, dass die Anzahl der Opfer im BDSM Bereich höher als im „normalen“ Bereich ist, sondern dass Menschen mit gewissen Neigungen eher davon erzählen. Die Dunkelziffer ist in jedem Fall recht hoch, einige Recherchen ergaben eine Zahl von 30%.

Auch ich bin Teil dieser Dunkelziffer und habe einen lang andauernden Übergriff in der Kindheit erfahren müssen. Und so nahm die Kette ihren Lauf.

Zu meinem Glück hat man mir geglaubt, als ich es erzählte. Doch unglücklicherweise hat man mir auch viele falsche Dinge vermittelt. Zum einem sollte mir klar werden, dass es mich immer begleiten würde und ich deshalb nie so wie andere sein. Außerdem wurde mir erklärt, Sex sei für mich fortan immer problematisch. Zum anderen versuchte man, mich zu einer „männerfeindlichen“ Emanze heranzuziehen.

Beides ist nicht geglückt, aber es hat meine Findungsphase und Entwicklungsphase unglaublich verzögert und irritiert. Demnach bin ich nicht nur in einem Wertesystem aufgewachsen, das von „Pseudo-Emanzen“ geprägt ist, sondern man hat mir noch zusätzlich eine gestörte Sexualität eingeredet und mich explizit vor Männern gewarnt.

Nun ja das Resultat kann man sich sicher einigermaßen ausmalen. Mein Schwur mir selbst gegenüber lautete: „Niemals, aber auch niemals wirst du die Kontrolle über dich und deinen Körper abgeben! Niemals wirst du einem Menschen dein 100% Vertrauen schenken!“ Zusätzlich entstanden große Bindungsängste. Sex war meistens langweilig für mich, aber was wollte ich auch anderes erwarten? Schließlich würde ich nie zu einer gesunden Sexualität finden. Bis ich einen gewissen Mann traf, der schon mit seiner Stimme, seinen Blicken und seinen Händen Reaktionen in meinem Körper hervorrief, die mich übermannten.

Das ganze ging so lange gut, bis sich Gefühle entwickelten, die mich verletzbar machen konnten und da kam mein alter Schwur wieder zur Geltung. Blockaden bauten sich auf und Sex machte mir wieder Angst.

Was ist denn eigentlich eine gesunde Sexualität? Was darf man trotz all den warnenden Stimmen im Kopf? Ab wann bin ich wieder in der Opferrolle? Darf ich meinen Schutz aufgeben? Mache ich mich damit zum Opfer? Werde ich dadurch schwach?

Ist das Klischee „man kompensiere mit BDSM die Vergangenheit, oder spiele sie sogar nach, um sie zu verarbeiten“ berechtigt und wahr? Bin ich devot, wegen meiner Vergangenheit?

Ein offener und ehrlicher Umgang mit all diesen Fragen, besonders auch mit meinem Partner, hat mir geholfen, sie zu beantworten und mich davon zu befreien.

Was gesund ist, ist glaube ich sehr individuell. Gesund ist alles, was der Psyche und dem Körper keinen beeinträchtigenden Schaden zufügt. Was man darf? Alles, was man sich selbst zutraut und erlaubt. Sich die Sexualität vorschreiben zu lassen, ist Blödsinn.

Darf man seinen Schutz aufgeben? Ist ein solcher Schutz nicht eher eine Mauer, die einen einsperrt? Was ist Schwäche? Ja, in dem Moment wo man sich hingibt, alles loslässt, man sich schutzlos ausliefert, bietet man eine Angriffsfläche, aber es ist eine unglaubliche Stärke, das zulassen zu können, es erfordert Mut.

Ein Opfer wird man dadurch auch nicht. Denn im BDSM Kontext liefert man sich freiwillig aus. Man erlaubt dem Partner, mit sich spielen zu lassen. Dabei verliert man nicht die Selbstverantwortung. Auch als Sub hat man die Pflicht sich mitzuteilen, indem man Tabus und Grenzen klar kommuniziert. Demnach ist es etwas völlig anderes, man wird nicht zum Opfer. Ganz im Gegenteil, man entscheidet ganz selbstbestimmt und emanzipiert (also wahrlich emanzipiert und nicht dem Ruf der „Pseudo-Emanzen“ folgend), was man zulässt und was nicht.

Am oben erwähnten Klischee habe ich mich lange fest gebissen und es hat mich immer wieder traurig gestimmt, was ist wenn das auf dich zutrifft? Doch diesem quälenden Gedankengang muss man sich nicht aussetzen. Zu beantworten ist dies nicht wirklich, dennoch bin ich irgendwie davon überzeugt, dass meine Neigung natürlichen Ursprungs ist und der Missbrauch diese lange verschleiert hat.

Eines ist aber sicher mit großer Vorsicht zu genießen: BDSM als heilsames Mittel zu verwenden. Es sollte nicht zur Therapie eingesetzt werden. Nur ein bewusster Umgang mit seinem eigenen Empfinden, mit Ängsten und Triggern ebnet den Weg, sich auszuliefern, Kontrolle abzugeben und sich hinzugeben. Hätte ich das Erlebte nicht zuerst aufgearbeitet, wären sicher viele Sessions in einem üblen Absturz geendet und die Schleife, sich wie ein Opfer zu fühlen wäre endlos geworden.

Wobei ich nicht leugnen kann, dass sich durch die Spielarten des BDSMs auch Grenzen erweitern. Somit ist es uns auch gelungen, negative Trigger in positive umzuwandeln. Grundvoraussetzung dafür ist allerdings, sich seiner negativen Trigger bewusst zu sein, um diese behutsam und vorsichtig mit positiven Dingen zu besetzen.

Allen, die solche Erlebnisse hatten, lege ich noch mal ans Herz, ganz bewusst mit sich selbst und ihrer Sexualität umzugehen. Bitte lasst euch nicht einreden, ihr werdet nie ein normales Leben führen können. Ja, es wird ein steter Begleiter sein, aber er macht uns auch zu dem, wer und was wir sind. Diese Erfahrungen prägen, aber sie bieten auch unzählige Chancen, Chancen für ungeahnte Entwicklungen.

Ein schlechtes Gewissen oder Ekel vor sich selbst sind hier fehl am Platz, weil BDSM in keinster Weise mit unfreiwilligen sexuellen Übergriffen verbunden ist. All das was man auslebt, tut man freiwillig.

Für mich ist es jedenfalls etwas ganz besonderes, Sexualität auf diese Art und Weise ausleben zu dürfen und eine Beziehung mit Ds Elementen genießen zu dürfen. Es ist ein irres Gefühl, die Kontrolle abzugeben und sich jemandem vertrauensvoll in die Hände zu begeben. Es macht mich dankbar, dankbar dem Leben gegenüber, meinem Partner gegenüber, meinen Körper gegenüber und mir selbst gegenüber.

Verfasserin: sub, weiblich 33 Jahre

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