Der Bruder

Ich möchte Dich eindringlich davor warnen, Dich mit meinem Bruder einzulassen. Verstehe mich bitte nicht falsch, es geht hier nicht um brüderliche Rivalität, wie es sie zuweilen so gibt, sondern ich bin ehrlich besorgt um Dein Wohlergehen.

Ich gebe zu, ich habe meinen Bruder nun schon seit Jahren nicht mehr gesehen, das ist wahr, aber ich kenne ihn, sein Wesen, seine Art.
Und diese ist nicht wirklich erfreulich.
Ich selbst habe mich ja dem BDSM verschrieben, aber das ist ganz etwas anderes.
Ich schlage in Liebe.
Ich quäle zärtlich.
Ich beschirme, ich fange auf, ich erziehe und pflege, kurz, ich sorge mich um das Wohlergehen, derer, die sich mir hingeben.
Ich übernehme Verantwortung.

Nicht aber er. Was er tut, hat mit BDSM nichts zu tun. Es ist menschenverachtend, es ist grausam, und es ist schlecht.
Es ist böse. Abgrundböse.
ER ist böse.

Nun ist es so, dass wir uns ähnlich sehen und, bei all den gravierenden Unterschieden, die ich eben dargelegt habe, auch auf den ersten Blick ähnlich scheinen und ich habe den unangenehmen Verdacht, dass er sich zuweilen tatsächlich als mich ausgibt.
Infam! Aber nicht verwunderlich, Grenzen sind ihm, wie ich nur zu gut weiß, völlig fremd.

Wissen Sie, er versucht sogar permanent, mich auf seine Seite zu ziehen. Mich in sein Tun zu verwickeln.
Er schafft es zum Beispiel, mir Bilder seiner abscheulichen Schandtaten unterzujubeln.
Glauben Sie mir, es ist nichts Schönes, was ich dann sehe, bei aller Erfahrung, die ich im SM – Bereich selbst habe.
Aufgeplatzte Striemen, Hämatome, Blut, klaffende Leiber in der starren Pose des Todes.

Das könnte alles gestellt sein, meinen Sie?
Ja, das könnte es.
Ich wurde das gerne auch glauben wollen.
Würde er nicht dafür sorgen, dass ich ab und zu eines seiner Opfer finde, ich würde mir nur zu gerne einreden, es wäre nur gestellt, was er zeigt.

Sein Geschmack ist nicht schlecht, und er hat wohl auch Zulauf.
Neugierige Frauen, die vom TIER fasziniert sind, die den Kick im Spiel mit dem ANIMALISCHEN suchen.
Wie die Lemminge scheinen sie ihm zu zuströmen.
Und ich bin dann mit der Sauerei konfrontiert und kann die Eingeweide wieder einsammeln und in ihre Bauchhöhlen zurückstopfen, bevor ich sie verscharre.
Du kannst mir glauben, es macht mir keinen Spaß, hinter ihm aufzuräumen.
Und es ist auch nicht fair, ich meine, ich habe ihn mir ja bei Gott nicht ausgesucht, meinen Bruder.

Und ganz ehrlich, es steckt ja in jedem von uns, auch in mir.
Aber schlachte ich etwa meine Sexualpartner?
Sehen Sie.
ICH kämpfe dagegen an. ICH kontrolliere. Es strengt mich an, aber ICH habe mich im Griff.

Nur meine Träume nicht. Aber das ist zulässig. Die schaden ja niemandem, oder?

Manchmal denke ich, mein Bruder und ich, wir haben tatsächlich eine Art geistiger Verbindung zueinander, ich glaube fast, ich träume in etwa das, was er wirklich tut.
Merkwürdig, findest Du nicht auch?
Aber als umso anerkennenswerter bewerte ich, bei aller Subjektivität, dass ich mich kontrollieren kann.

Ich hoffe, Sie verstehen nun meine Warnung etwas besser.
Fallen Sie nicht auf die Nummer „Du weckst das Tier in mir“ herein.
Ich meine es gut mit Dir und ich meine es leider ernst.

Mein Gott, da rennt sie weg.
Und jetzt schreit sie sogar.
Hysterische Weiber …

Verfasser Gerald

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