Dunkelangst

Als wenn man eine Flasche entkorkt hätte.

Ja, das drückte es gut aus und erinnerte auch an die Märchen aus tausendundeiner Nacht, der Geist, der aus der Flasche steigt, riesig, bedrohlich und allmächtig, der Dschinn, tausend Jahre eingesperrt, nun freigelassen, vielleicht, vielleicht kontrollierbar mit List, aber eigentlich eher nicht.

Und wie der Dschinn, der zusammengekrümmt, deformiert, in ein enges Gefäß gepresst gewartet hat und sich nun endlich ausdehnen kann, so streckte er sich, fühlte sich weit und befreit. Die Peitsche lag leicht in seiner Hand, eine natürliche Verlängerung seines Armes.
Er fühlte sich gut, so gut, dass er fast nicht er selbst war.

Als er damit konfrontiert wurde, war Dunkelangst ein Begriff, mit dem er zunächst nichts anzufangen wusste.
Im Gegenteil, er hatte die Dunkelheit gerne. Sie schirmte ihn, sie trug ihn. Er wusste, in der Dunkelheit gab es nichts, was besser sehen konnte als er, oder ihm ebenbürtig war.
Also begann er sie zu lieben. Die Dunkelheit wurde seine Freundin. Er ging gerne im Wald spazieren, in der Nacht, alle Sinne weit geöffnet. In der Wohnung bewegte er sich ohne Licht, wenn er alleine war. Es reizte ihn, es schulte ihn.

Dunkelangst. Was für ein komisches Wort. Kindisches Verhalten. Zugegeben, als Kind, das war übel gewesen, der reine Horror eigentlich. Der kopflose Mann unter dem Bett, das Krokodil, der Galgen. Er erinnerte sich an die Schneiderpuppe seiner Mutter, tatsächlich schwarz und kopflos, aber völlig unbedrohlich, eigentlich.

Es dauerte, bis er das System begriffen hatte, das Ausmaß und die Tragweite des Systems, welches einem Kind unter Androhung der Existenzauslöschung verbot, jene bösen Anteile zu haben, die ihm nun einmal zu eigen waren. Vielleicht verlagerte es eben diese Anteile nach draußen, platzierte sie unter dem Bett. Vergaß ihre Herkunft. Fürchtete sich.

Schwarz faszinierte ihn schon immer. Geistiges Schwarz. Strahlende Helden mochte er nie, mehr die bösen Buben. Plünderer, räubernde Marodeure, Schänder, oder die Krönung: Berserker. Männer, die sich durch Rituale oder Drogen in fühllose Wesen verwandelten und töteten, bis sie zusammenbrachen. Welch ein Adel, welche Ästhetik, was für eine Lust.

Die Frau, seine Frau, stand straff fixiert, geknebelt und verdunkelt. Aber so sehr er sie sonst vergötterte, nun fühlte er nichts, keinen Funken Zärtlichkeit. Er sah in ihr nur die andere Hälfte einer Welt, die fest in sich geschlossen war. Die in ihrer Geschlossenheit alles abbildete, alles abdeckte.
Mehr brauchte es nicht. Einer schlug, einer litt.
Der Horizont dieser Welt war flach, grau und einfach. Er holte aus, schlug zu und beobachtete das Geschehen wie von außen, wie einen Platzregen, den Wind oder fallende Blätter.
Wer einer Frau beiliegt, gibt der Welt ein Almosen, sagt ein arabisches Sprichwort.
Falsch: Wer eine Frau schlägt, müsste es heißen.
Sie schrie, so wie sie schreien sollte, klagend, nicht bittend, nicht panisch, nicht auflehnend. Ein wunderbares Gleichgewicht, das ihn vollends erweckte. Leichtigkeit. Er schwebte geradezu. Noch ein Schlag. Noch einer.

Dunkelangst. Niemand, der seine bösen Anteile amputiert hat, ist lebensfähig. Die Spaltung schreit nach Vereinigung. Aber, nun, wer kann schon sagen, wie groß das Monster unter dem Bett inzwischen ist?

Es tat ihm leid. "Sie wird dich verlassen", höhnte seine innere Stimme. „Niemand will das“.
Er strich der eng an ihn geschmiegt daliegenden Frau durch das schweißnasse Haar. Ihre Haut war kalt. Damit sie nicht weiter auskühlte, zog er die Decke über ihre beiden Körper. Langsam erwärmte sie sich wieder und erwachte nach einer Weile.
"Alles ok?" fragte er bang. Sie streckte sich, stöhnte leise und bettete ihren Kopf auf seinen Arm.

Eigentlich müsste er das Spiel inzwischen kennen, aber er kennt es nicht, für ihn ist es immer neu.
Aber auch für dieses Unvermögen gibt es im Zusammenhang einen Ausdruck.

Verfasser Geralt

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