6. Kapitel: Erkenntnisse

Wie qualvoll Einsamkeit ist und wie sehr man sich nach einem Menschen sehnt, erfuhr Susanne in dieser Nacht. Nichts, was sie kannte kam dieser physischen Tortour gleich. Wenn ihr je vorher auch nur ansatzweise jemand versucht hätte zu erzählen, wie hart und unerbittlich Raoule sein konnte, sie hätte ihn oder sie einer Lüge bezichtigt.
Nach dem ersten Besuch hatte man sie nur kurz alleine gelassen. Vielleicht dachte Raoul auch, Susanne würde schneller kapieren, worauf es ihm ankam. Doch als sie auch beim zweiten Mal nicht den gewünschten Anforderungen entsprach, ließ man sie bis zum nächsten Auftauchen quälend lange warten. Zäh schloss sich Minute an Minute an, bis zu einer Kette aus Stunden, die sie bangend und wartend auf ihrer Pritsche saß. Immer darauf gefasst, dass jeden Moment die Tür geöffnet wurde und die Pein von Neuem begann.
Man hatte sie weder losgebunden, noch es ihr in irgendeiner Form bequemer gemacht. Einzig ein wenig Wasser hatte man ihr am Ende zu trinken gegeben, bevor man still schweigend ging... Und nicht ein einziges Mal war sie sich wirklich sicher, dass Raoul sich unter ihnen befand... Und selbst wenn er unter ihnen gewesen war, so hatte er es doch vermieden, ihr ein Zeichen zu geben.
Sie fühlte sich unendlich alleine und trieb wie ein Stück Holz, das man irgendwo in einen Fluss geworfen hatte, zwischen den Wellen ihrer Gefühle hin und her. Das einzige rettende Ufer waren ihre wirren Erinnerungen an das, was man mit ihr getan hatte. Und immer wieder versuchte sie, hinter das Geheimnis seines Wunsches zu gelangen. Wieder und wieder forderten fremde Hände ihren Geist, aber vor allen Dingen ihren Körper zu einem Kampf heraus, bis sie am Zenit ihrer Lust hilflos und flehentlich bettelte, genommen zu werden. Jede ihrer Lustschreie wurde mit zotigen und deftigen Worten kommentiert, bis sie zuletzt nur noch wimmernd um Erlösung bitten konnte. Und wenn sie dachte, man würde nie von ihr lassen und sie immer weiter und weiter quälen, hörten die Berührungen so plötzlich, wie sie begonnen, hatten auf.

Erst, nachdem sie das letzte Mal zu ihr kamen, hatte sie endlich die Gewissheit erhalten, dass ihr eigener Herr sie ebenso herausfordernd berührte hatte, wie die anderen... Er blieb als Letzter im Türrahmen stehen und drehte sich plötzlich zu ihr um. Er sah, wie erschöpft sie auf ihrer Pritsche saß und leise vor sich hin weinte. Schweigsam kam er auf sie zu und kniete sich vor ihr hin. So unerbittlich auch noch eben seine Berührungen waren, viel zärtlicher war dann das, was er tat...
Langsam hob er seine Hand zu ihr hoch und im ersten Moment dachte sie, er wollte sie schlagen und zog ruckartig den Kopf zur Seite. Doch stattdessen berührte er fast schon liebevoll ihr verschwitztes Gesicht und strich ihr eine feuchte Haarsträhne aus der Stirn. Dann nahm er etwas von der Steinkante, die sich über ihrem Kopf befand und stellte es behutsam vor sie auf den Boden. Im nächsten Moment fühlte Susanne den nassen Schwamm.
Raoul kniete vor ihr und wusch ihr den letzten Schweiß vom Gesicht. Das Wassert tat gut und hinterließ dieses Mal keinen bitteren Beigeschmack. Nach Stunden, in denen sie zwischen Leiden und Hoffnung schwebte, trafen sich ihre Blicke zum ersten Mal. Stumm sahen sie sich an bis Raoul endlich etwas sagte.


"Es muss sein, Liebes... Ich weiß, dass du weißt, was ich von dir fordere. Also fühle und handle danach und du wirst diesen Raum verlassen können... Vertraue mir."
Dann stand er auf, löste ihre Arme von den Ketten und befreite auch ihre Beine aus der starren Stange und folgte den anderen.
Einige Zeit blieb sie still auf der Pritsche sitzen, ohne überhaupt an irgendetwas denken zu können. Dann hörte sie, wie man die Tür erneut öffnete und die leisen Schritte auf sie zukamen...
Ängstlich ohne auf zusehen flehte sie förmlich:  "Bitte nicht. Ich hab noch gar nicht nachdenken können, so wirr sind meine Gedanken" und fühlte im gleichen Moment warme, weiche Hände, die sie sanft berührten und eine freundliche Stimme die zu ihr sprach.
"Keine Angst, ich bringe dir nur etwas zu trinken." Dann stellte die Person, in der Susanne die Frau erkannte, die sie ins Haus geführt hatte, einen Krug und ein Glas auf den Boden.
"Trink und ruhe dich ein wenig aus", forderte die Stimme sie auf und verschwand ebenso leise wie sie gekommen war.

Zeit ist unendlich und eigentlich völlig gefahrlos. Sie wird erst dann zu einer Bedrohung, wenn man glaubt, nicht genügend davon zu haben. Und genau dieses Gefühl beschlich Susanne, nachdem auch die Frau sie alleine ließ. Angestrengt dachte sie über seine letzten Worte nach und zermarterte sich das Hirn, wie genau sie zu sein hatte, damit er mit ihr zufrieden war. Und dann plötzlich lag die Antwort greifbar vor ihr. Nicht ein einziges Mal hatte sie weniger an sich als an ihren Herrn gedacht...
War sie jemals auch nur einen Moment dabei selbstlos geblieben? Hatte sie sich nicht geradezu schamlos geil jeder Berührung angebiedert und weitere herbeigesehnt, so als ginge es darum, ihre Lust zu befriedigen.. Nicht sie diente ihnen, sondern die Herren dienten ihr und diese Erkenntnis wog schwerer als das Alleinsein in diesem düsteren Zimmer. Endlich erkannte sie worauf es ihm wirklich ankam.
Beim nächsten Mal wollte sie genau so dienen, wie Raoul es von ihr erwartete. Vertrauen, Hingabe und bedingungsloser Gehorsam diese Worte kam ihr auf einmal wie eine Offenbarung vor und niemals wieder wollte sie Raoul enttäuschen...

Und das tat sie auch nicht. Beim letzten Mal war sie vorbildlich, hingebungsvoll und ohne jedwede Erwartung für sich selbst. Lobende Worte und am Ende die Erlaubnis sich in den Amen ihres Herren einem ekstatischem Orgasmus hingeben zu dürfen, war der Lohn ihres Tuns. Und obwohl man sie auch diesmal danach alleine ließ, hatte sie nicht das Empfinden, verloren zu sein. In Gedanken war sie ihm unendlich nahe.
Eingekauert, ihre Beine ganz eng an sich gezogen und ihren Gedanken ganz bei Raoul, lag sie zufrieden auf ihrer Liege, als plötzlich ihre Ruhe gestört wurde. Vor ihr stand dieselbe Frau die ihr bereits schon die Tür geöffnet hatte und ihr nach dem vorletzten Mal den Krug mit Trinken gebracht hatte. Diesmal hielt sie einen Umhang in der Hand und bat Susanne freundlich aufzustehen.
"Wohin gehen wir?", fragte Susanne neugierig.
Die Frau lächelte sie an, doch blieb zunächst schweigsam. Man sah ihr an, dass sie wohl überlegte, was sie ihr antworten durfte.
"Dort, wo ich dich hinbringe, erwartet dich nichts außer einem wohltuendem Bad und ein weiches Bett." Dann reichte sie Susanne den Umhang und half ihr, das Band zu schließen.
"Lass uns gehen", sagte sie mit weicher Stimme.

Susanne folgte, doch schon nach den ersten Schritten konnte sie ihre Neugierde nicht länger zurückhalten.
"Heißt das, ich kann noch nicht nach Hause?"
"Nein", sagte die Fremde kurz und ohne eine Erklärung hinzuzufügen.
Mit dieser Antwort konnte Susanne sich nicht zufrieden geben und so fragte sie, ob sie denn wüsste, was weiter mit ihr geschehen würde?
"Ich habe keine Befugnis, dir irgendetwas zu sagen. Ich bin ebenso Sklavin meines Herren, wie du die des deinigen. Aber glaube mir, dass alles im Sinne deines Herrn geschehen wird", antwortete sie, ohne jedoch dabei ihre Schritte zu verlangsamen. Susanne hielt die Fremde plötzlich an ihrer Schulter fest. Sie hatte zwar keine Ahnung, ob sie ihr die nächsten Fragen überhaupt beantworten würde, aber sie musste es versuchen… Ihr Verstand verlangte nach Antworten.
"Bitte, sag mir doch wenigstens deinen Namen und den deines Herren. Vielleicht kenne ich ihn sogar", fügte sie zaghaft hinzu.
Diesmal drehte sie sich um und lachte sogar, als sie sagte.
"Für eine Sklavin bist du ganz schön neugierig... Also ich heiße Cora und Nein, du kennst meinen Herrn nicht. Er aber dafür deinen... Ich glaube, damit sind all deine Fragen beantwortet", schloss sie und war schon im Begriff weiter zu gehen, als Susanne sie flehentlich ansah.

"Bitte, nur noch diese eine Frage. Sie ist wichtig für mich..."
"Also gut. Nur die eine. Was möchtest du also noch von mir wissen?"
"Hat dich dein eigener Herr jemals einer solchen Prüfung ausgesetzt und ist es dir schwer gefallen, alles zu tun?"
Doch anstelle zu antworten, ging sie einfach weiter. Susanne folge ihr und dachte schon daran, dass sie ihr die letzte Frage nie beantworten würde, als die Fremde vor einer Zimmertür stehen blieb und sich zu ihr umdrehte.
"Ja, vor vielen Jahren und seitdem bin ich seine Sklavin und in diesem Haus. Und nein, nichts von alledem fiel mir schwer. Ich tat es für ihn, weil ich wusste, wie wichtig es ihm war. Glaub mir, es ist besser für dich, nicht über alles so viel nachzudenken... Und nun gehe hinein und versuche ein wenig zu schlafen. Die Zeit, bis man erneut nach dir schickt, wird schneller vergehen, als dir lieb ist."
Lächelnd öffnete sie die Tür und mit einer Handbewegung forderte sie Susanne auf hineinzugehen.

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